Wir müssen die Wehrpflicht wieder einführen

Thema Ukraine: Wieder erreichten mich zahlreiche Leserbriefe angesichts der Zuspitzung in der Ukraine. Doch nachdem ich das Interview in der FR mit Matthias Bröckers gelesen habe, war mir klar: Wenn sogar dieser von mir eigentlich geschätzte Autor dermaßen auf dem Holzweg ist, muss ich selbst mich masssiver äußern. Ich stelle folgende Leserbriefe als getrennt von meinem Autorentext „Die Putinversteher verstehen Putin nicht“ zur Diskussion.

Reiner Hausbalk aus Eppstein meint zur Entwicklung des Konflikts:

„Meine Generation, die als Wehrpflichtige den Einmarsch der Sowjets 1968 in Prag miterlebte, als Offizier im Kalten Krieg x-fach an Übungen zur Abwehr sowjetischer Panzerkolonnen teilnahm und zum Ende des Kalten Krieges hoffnungsfroh als Stabsoffiziere an Rüstungskontrollverhandlungen teilnahmen und letztendlich in Pension gingen mit der Erwartung, dazu beigetragen zu haben, der nachfolgenden Generation zumindest in Europa eine friedliche Zukunft bereitet zu haben, fühlt sich durch die putinschen Annexionsphantasien hierin getäuscht. Zu Recht werden allen Putinverstehern zum Trotz wirtschaftliche Sanktionen anlässlich der Krim-Annektion und der Destabilisierung der Ukraine verhängt, um den Wahnsinn möglichst zu beenden. Und neuerdings gibt es sogar konkrete Planungen der NATO, durch verschiedene Maßnahmen, die Ostgrenze Richtung Russland mehr als bisher militärisch zu sichern. Aber reicht dies aus, um Russland notfalls militärisch in die Schranken zu weisen? Die Aufrüstung Russlands mit modernstem Kriegsgerät erfolgt schon seit Jahren – auch durch deutsche Rüstungsfirmen. Putin scheint es jetzt in seinem Größenwahn ausspielen zu wollen.
Doch niemand im Westen will mehr einen Kalten Krieg, erst recht nicht meine Generation. Aber sollten wir nicht dennoch ernsthaft darüber nachdenken, wie wir mit den verbliebenen rudimentären Verwaltungsstrukturen die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht vorbereiten können? Dieser Gedanke wird viele erschauern lassen. Auch ich habe diesen Gedanken lange vor mir her geschoben. Aber die sich zuspitzende Lage im Osten Europas und die steigende Bedrohung unserer Sicherheit gebietet es, hierüber ernsthaft nachzudenken.“

Günther Kittner aus Nidderau schickt einen sehr langen Leserbrief, den ich im Print nur gekürzt bringen konnte:

„Eigentlich macht es ja keinen Sinn zu dem gesamten Geschehnis noch eine Meinung abzugeben; zumal wenn diese russlandfreundlicher Art ist. Aber es gibt ja Stimmen die sich dem Mainstream entgegenstellen und so will ich Mut zeigen und Hoffnung verbreiten für Andersdenkende. Dabei bin ich durchaus hin- und hergerissen. Prinzipiell möchte ich aber nicht von europäischen Werten abkehren. Nein, ich bin weiterhin der Ansicht, Europa als Kontinent muß in kultureller, politischer und wirtschaftlicher Struktur zueinander finden; als Einheit der Mutterländer. Die EU kann nur ein erster Schritt zu einer erweiterten politischen Plattform sein. Das geht aber nur, wenn wir die USA nicht als Teil Europas sehen und wenn wir die NATO umbauen. Ein kleiner Schritt wäre, wenn wir den Herrn Rasmussen endlich in die Wüste schicken – schrecklich so ein „Brandstifter“.
Schon lange fordere ich die Westeuropäische Union zu reaktivieren und weiterzuentwickeln. Europa hat sicherheitspolitische Interessen, die nicht mit der NATO im Einklang sind. Der Interessenaustausch zwischen den Alt-EU-Ländern und den Neu-EU-Ländern läßt sich so auch intensiver ge- und ausgestalten. Zu stark werden über die NATO Neu-EU-Länder und Alt-EU-Länder gegeneinander ausgespielt. Die strategischen Interessen der USA können dann auch eindeutiger herausgefiltert werden und im Rahmen von Rest-NATO und WEU palavert werden.
Hätten wir bereits eine WEU entwickelt, wäre auch das Ukraine-Russland-Problem anders bewertet worden. Ja, wären auch bei den Beitrittsschritten der NEU-EU-Länder ehrlicher und klarer die Beitrittsinteressen der jeweiligen Länder geklärt worden. Der kulturelle Raum Weißrussland, Ukraine und Russland ist als – russisch, eher russisch – , einzustufen, und, er ist doch europäisch . West-Ukraine ist eben eher polnisch-rumänisch-ungarischer Kultur – aber ostwärts, südwärts der Ukraine?? Alles in Summe ist aber Europa!! Die jetzige Fehlbeurteilung – haben die strategischen Hintergrundinterventionen der USA, das Aufbauschen baltischer Ängste und die Akzeptanz der Konterrevolution in der Ukraine und ihrer Ziele, letztlich jüngst durch die EU und leider auch Deutschlands herbeigeführt
. Und , ganz wichtig, es gab überall grüne Grenzen. Die Noch-Nichtdemokratisch legitimierte Regierung – es wurde im Mai ja nur ein Präsident gewählt – errichtet Grenzen. Es ist ein historischer Verdienst der EU, Grenzen abzubauen…. obwohl, wenn man so die Entwicklung jüngst betrachtet… Grenzziehungen hören nie auf.
Aber bleiben wir bei den strategischen machtpolitischen Grenzen!! wie fühlen sich wohl einfache Menschen, wenn sie durch eine solche Grenze plötzlich von den Nachbarn getrennt werden; 20 Minuten Gehweg wird plötzlich eine Unmöglichkeit. Nun, das Verhalten , der Meinungsbildungsprozess der EU hat sich jüngst extrem dem der Interessen der USA angepaßt. Leider konnte sich da Deutschland letztlich nicht mehr standhaft zeigen. Wir haben uns westeuropäisch integriert und scheinen nun umsonst um osteuropäische Interessen zu kämpfen. Der historische Gegensatz zwischen angelsächsischem Raum , frankophonem / deutschem , wie Osteuropa zu
sehen ist, ist bis heute nicht überwunden.
Nun beschützt Deutschland halt auch mit militärischen Mitteln das Baltikum – obwohl die NATO ja ein Verteidigungsbündnis ist. Ich sehe keinen Angreifer, jedenfalls keinen solchen wie es die Beistandsklausel der NATO fordert. Wie müssen sich wohl Russland in der Exklave Kaliningrad fühlen? Wie fühlen sich russischstämmige in Europa? Deutschland und die Balten haben starke Minderheiten hiervon.
Die Machteliten in Russland, vorstehend Herr Präsident Putin, haben sich bis heute so entwickelt wie wir, also EU unter der Einflußnahme der USA uns verhalten haben; Reaktion kreiert Gegenreaktion . Das ist insbesondere für Deutschland eine Tragödie. Freiheit, Menschenrechte haben wir durch den Fall des Hitler-Deutschland errungen. Dies haben wir in erster Linie Russland und den Sowjets zu verdanken. Die Menschen der DDR haben ihre Freiheit letztlich dem machtpolitischen Meinungsbildungsprozess in Russland, als Teil der UdSSR, vertreten durch Politiker wie Gorbatschow, Schewardnaze oder Falin zu verdanken – vielleicht auch durch viele Putins. Als die USA europäischen Boden betraten, nach Kriegserklärung durch Hitler-Deutschland, lag der Blutzoll Russlands bereits weit über 11 Millionen . Ich frage also : “ Wo sind die Guten? “
Europa den Europäern. Freihandelsabkommen in Europa – kein Freihandelsabkommen mit den USA. Es geht nicht um Arbeitsplätze – es geht um die Freiheit Europas sich politisch, kulturell, wirtschaftlich zu entwickeln. Besinnung auf Europa ist keine Abkehr in „aller Freundschaft“ von den USA.“

Burkhard Blüm aus Frankfurt meint kurz und bündig:

„Putin ist bereits vor Monaten in den Krieg gezogen. Unbd einige strengen sich noch immer sehr an, dies nicht zu bemerken.“

Johannes Diel aus Hofheim:

„Die EU und der Westen allgemein muss sich sehr bald entscheiden. Entweder sie lassen sich weiter belügen, mit den nutzlosen Appellen endlich aufhören und eine klare Ansage an Putin machen. Es muss Putin trotz aller Drohungen an die EU klar gemacht werden, wann er die rote Linie überschreitet und welchen Preis er dafür bezahlen muss, den er nicht mehr bezahlen kann. Der Zeitpunkt ist längst da. Noch kann er sicher sein, dass der Westen ihm nicht wirklich in seinem perfiden Treiben Einhalt gebieten kann. Dass muss sich ändern, sonst ist dieser Größenwahnsinnige nicht mehr aufzuhalten.“

Und auch Wolfgang Geuer aus Saarbrücken hat sich nicht kurzgefasst:

„Seit Monaten lesen wir Überschriften wie Putin, der Pubertierende, der Irre, der Brandstifter und – natürlich – der Diktator. Nur ganz selten bemühen sich Artikel um eine Analyse der aktuellen Ukraine-Krise. Statt auf die politischen und wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Nationen und Strukturen wie EU, NATO, G8, IWF, auf Russland und die USA zu schauen, wird personifiziert und dämonisiert, was das Zeug hält. Ein redaktionelles Interesse an Aufklärung über die Umstände, die zur Eskalation der Krise beigetragen haben, ist nicht zu erkennen.
Dies gilt auch für den Flugzeugabsturz von M017. Als Journalist würde ich mich fragen, warum bisher die Beweise für den Abschuss durch russische Separatisten – Wochen nach dem Absturz – immer noch nicht vorliegen.
Statt auf der Basis von Fakten ein Bild der Wirklichkeit herzustellen, wird ein Plot geliefert, der aufwühlt und eine unmissverständliche Überzeugung vermittelt: Der Schuldige für all das steht fest, und der muss zur Räson gebracht werden. Journalistisches Niveau im Sturzflug. Schon werden in den Medien erste militärische Szenarien diskutiert, Panzer, Flugzeuge und Soldaten gezählt. Dankbar inszeniert sich Rasmussen als General Rettung, der nun die NATO in der Pflicht sieht, obwohl die Ukraine nicht Mitglied der NATO ist. Geht es noch verrückter? Warum fragt niemand, wem nützt die Krise? Oder wer eskaliert eigentlich? Geht es nicht um wirtschaftliche und geopolitische und am Ende um militärische Interessen des Westens und des Ostens? Wurden nicht jahrlang mit Milliarden US-Dollar Gruppierungen in der Ukraine aufgebaut, die für die Destabilisierung der politischen Strukturen sorgten? Jetzt regiert in der Ukraine ein vom Westen hofierter, in die EU und das atlantische Bündnis verliebter Oligarch, der in früheren politischen Rollen zum wirtschaftlichen Ruin der Ukraine beigetragen hat. Nach all den bisherigen Erregungsschüben wurde die entscheidende Frage in der Krise bisher nur von Gabor Steingart (Handelsblatt) gestellt. Sie lautet ganz einfach: Will Russland nach Westen expandieren oder die NATO nach Osten? Der Medienmainstream glaubt offenbar die Antwort zu kennen und reanimiert nur die alten Feindbilder kalter Krieger. Schlimmer, Joffe von der Zeit schwadronierte 100 Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkriegs bereits von der „Kultur der Kriegsfähigkeit“. Man sieht, der Westen ist wieder eins und mit sich im Reinen.
Und so wird offenbar von vielen übersehen, die NATO-Osterweiterung berührt russische Interessen auf massive Weise. Der geplante Raketenschirm, der nun Polen und Tschechien mit einbeziehen soll, kann als alarmierende Parallele zur Kubakrise verstanden werden, als Grenzüberschreitung, die sich die USA niemals gefallen lassen würden. Während der Kubakrise stand der Globus am Rand eines Weltkrieges! Die Älteren unter uns können sich daran sicher noch erinnern. Wieso glauben große Teile der westlichen Welt heute, Russland müsse das – ohne Konsequenzen zu ziehen – akzeptieren? Dass die USA die Komplexität des historischen Geflechts zwischen Russland und der Ukraine ignorieren, überrascht angesichts des beginnenden Vorwahlkampfs in den Staaten nicht, da punktet Hillary Clinton auch mal, indem sie Putin mit Hitler vergleicht. Aber im Haus Europa sollten die öffentlichen Meinungsmacher mit größerer Besonnenheit agieren. Eine Lösung für die Krise bietet gerade die NATO als Militärbündnis nicht – sie ist vielmehr Teil des Problems. Statt mit weiteren Erregungswellen einseitige und emotionalisierende Schuldzuweisungen zu treffen, wäre die Suche nach tragfähigen Lösungen – die Rückkehr zur aktiven Politik – angesagt. Dass Europa nur mit Russland sicher wird, sollte dabei als Minimalerkenntnis gelten. Zugleich sollten die in den letzten Jahrzehnten entwickelten Kooperationsformen genutzt werden, um die Sicherheitsarchitektur in Europa unter neuen Bedingungen zu stabilisieren. Wir schauen alle mit Sorge nach Russland, aber besser nicht aus dem Bunker und ohne Schaum vor dem Mund. Realpolitik hat viel mit Nachdenken über eigene Interessen, nüchterner Analyse und überlegten Schritten zu tun. Dazu gehört auch der „Perspektivenwechsel“. Der ermöglicht es, sich in die andere Seite hinein zu versetzen und könnte auf dem Weg zu einem konstruktiven Dialog weiter helfen. Dass der Westen diesen anstrebt, wird in den immer einseitiger formulierenden Leitmedien kaum noch sichtbar.“

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Ein Kommentar zu “Wir müssen die Wehrpflicht wieder einführen

  1. Gerne, aber dann vorwiegend als Milizarmee für ALLE von 18-65 in der Fläche, ohne große „Expeditionskomponente“ für Auslandseinsätze zur „Unterstützung unserer Freunde“.

    KM

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