TTIP: Ja, wir brauchen ein Abkommen – aber ein anderes!

Manchmal könnte man ja glauben, dass für das Gezerre um TTIP und Ceta lediglich ein Kommunikationsdesaster verantwortlich ist. Als habe die Politik es versäumt, uns Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein über all die ach so positiven Begleiteffekte dieser Freihandelsabkommen einzuschenken. Daran ist eines wahr: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) redet zu wenig mit uns. Sie schwebt da oben auf ihrer präsidialen Wolke und scheint den Bodenkontakt nun allmählich zu verlieren. Oder ist es ihr Kalkül, dass sie die Kommunikation unserer Regierung mit uns über dieses unerfreuliche Thema dem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) überlässt? Der wird seinem Ruf, ein sprunghafter Charakter zu sein, bei dieser Gelegenheit mal wieder mehr als gerecht: Freihandel ist gut, und darum ist TTIP gut; Schiedsgerichte sind schlecht, darum ist TTIP schlecht. Mal so, mal so. Die SPD laviert. Der linke Flügel lehnt TTIP ab, der rechte befürwortet das Abkommen, und Minister Gabriel gibt sich wirtschaftsliberal. Derweil lehnt Justizminister Heiko Maas (ebenfalls SPD) die Schiedsgerichte ab. In der angehenden EU-Kommission, die derzeit vom EU-Parlament geprüft wird, lässt sich ein ähnliches Hin und Her beobachten: Die werdende Handelskommissarin Malmström ist mal gegen die Schiedsgerichte, die mit TTIP in der jetzigen Form wohl kommen würden, und mal dagegen, so wie es ihr Kommissionspräsident Juncker eingibt, und will nun wohl doch eine Kehrtwende einleiten.

Und die FR? Bringt einen Leitartikel, in dem „Chlorhühnchen“ als emotionales Thema bezeichnet werden. Ich dachte, wir wären schon weiter. Zum Beispiel mit dem Kommentar „Freier Handel, fauler Zauber„.

Jürgen Koenig aus Hirschberg meint:

„Versucht Peter Riesbeck uns in seinem Leitartikel zu TTIP und Ceta für dumm zu verkaufen? Chlorhühnchen und genveränderte Lebensmittel sind für ihn emotionale Themen. Schiedsgerichte sind gedanklich weniger verdaulich. Gegen freien Handel könne keiner etwas haben und ein Familienvater produziert nicht das, was er billiger einkaufen kann.  Rein ökonomisch stünde unter dem Strich ein Plus für den Freihandel.
Herr Riesbeck: Chlorhühnchen und Gentechnik in Lebensmitteln sind keine Emotionen, sondern Gift für unseren Körper. Schiedsgerichte hinter verschlossenen Türen sind in einem demokratischen Rechtsstaat verfassungswidrig. Wie heißt es doch so schön für uns Bürger, Überwachung ist kein Problem, wer nichts zu verbergen hat, braucht auch keine Angst zu haben.
Freihandel und billig einkaufen sind keine positiven Werte an sich. Wenn dies bedeutet, dass Kinder und Erwachsene unter höchster Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens Rohstoffe zur Produktion von technischen Geräten wie z. B. Handys aus der Erde holen; wenn ganze Kleiderfabriken zusammenstürzen und die Menschen unter sich begraben; wenn die Produktionsabfallgifte in das Wasser geleitet werden, mit denen anschließend die Reisfelder bewässert werden, wenn in Blumen- oder Obstplantagen, die Menschen den Giftwolken schutzlos ausgeliefert sind; wenn die Fleischteile, die wir Europäer nicht mehr essen, für Dumpingpreise nach Afrika exportiert werden und damit die landwirtschaftliche Eigenproduktion zerstört wird; wenn die Löhne so niedrig sind, dass die Menschen davon nicht leben können…
Ja, wir brauchen ein weltweites Abkommen, ja wir brauchen Globalisierung: Jedem Menschen steht ein Mindestlohn zu, von dem er in seinem Land leben kann. Die Produktion von giftigen Lebensmitteln ist umzustellen auf die kontrolliert biologische Produktion. Der Umweltschutz (Produktion, Rohstoffgewinnung und Verwertung, Abfallbeseitigung) hat sich jeweils nach dem Land mit den höchsten Standards zu richten. Sämtliche Waffenverkäufe und die Produktion von Waffen sind stufenweise einzustellen und abzubauen. Das Ganze geschieht unter Aufsicht und Kontrolle der UNO, die in diesem Sinne weiter zu entwickeln ist.
Ein solches Abkommen würden sicher mehr als 90 Prozent der Menschen unterschreiben, aber diejenigen, die TTIP und Ceta abschließen wollen, wohl eher nicht, oder?“

Johannes Hauber aus Mannheim:

„Gewerkschaftspolitik wird wieder im SPD-Vorstand beschlossen, zu dem Schluss muss man kommen, nachdem der DGB-Vorstand eine 180 Grad-Wende vollzogen hat und eine Erklärung gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) abgibt, zu den Verhandlungen über das Transatlantic Trade and Investment Partnership – Abkommen (TTIP). Diese gemeinsame Erklärung steht in krassem Gegensatz zu dem, was auf dem Bundeskongress des DGB im Mai 2014 beschlossen wurde.
Wer die Erklärung des Bundeskongresses vergleicht, mit der gemeinsamen Erklärung des DGB-Bundesvorstandes und des BMWI vom September 2014, kommt zum selben Ergebnis, wie der Verfasser des Artikels in der FR vom 19. September „Beistand von den Gewerkschaften“.  Die Erklärung des DGB-Bundeskongresses enthält eine Vielzahl richtiger Forderungen zu dem Handels- und Investmentabkommen, das aktuell zwischen der EU und den USA verhandelt wird.
In der Erklärung wird darauf hingewiesen, dass das Verhandlungsmandat der EU zu TTIP alle Türen öffnet, um bestehende Standards der Arbeitsgesetzgebung, des Umweltschutzes und demokratische Grundregeln auszuhebeln, zu Gunsten der Gewinne von Konzernen. Folgerichtig forderte der DGB Kongress, „dass die bisherigen TTIP-Verhandlungen ausgesetzt werden.“ Das heißt Stopp der Verhandlungen.
In der gemeinsamen Erklärung des DGB-Vorstandes und Gabriels (SPD)Ministerium wurde die Forderung nach Aussetzen der Verhandlungen gestrichen. Zudem wurden Forderungen des Kongresses mit Weichmachern versehen. Aber nur mit einem neuen Verhandlungsmandat ist es überhaupt realistisch, die gewerkschaftlichen Forderungen in einem Abkommen wiederzufinden. Diese Kehrtwende des DGB-Vorstandes ist ein Bruch der demokratischen Entscheidung des gewerkschaftlichen Parlaments und auch eine schallende Ohrfeige für den 1. Vorsitzenden der IG Metall, der in einem FR-Interview im März 2014, sehr klar argumentierend sagte: „Wir sind daher für einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen.“
Wie Anfang des Jahrtausends, knicken die Gewerkschaftsoberen vor der SPD-Führung ein, damals ging es um die „Liberalisierung“ der Arbeits- und Sozialgesetzgebung (Leiharbeit und Hartz IV). Heute geht es um mehr. Heute sind mit TTIP und den damit vergleichbaren Verhandlungen über ein Abkommen zu Dienstleistungen (TiSA), der Umweltschutz, die Arbeitnehmerrechte und die Grundregeln der Demokratie Verhandlungsmasse geworden und in hohem Maße im Bestand gefährdet.
Es ist vermessen, wenn der SPD-Vorstand zum wiederholten Male behauptet, ein verhandeltes Abkommen in wesentlichen Punkten ändern zu können und es ist nicht hinnehmbar, dass die DGB-Spitze in Vasallentreue folgt. Zudem ist innerhalb der EU umstritten, ob diesen Abkommen überhaupt von den nationalen Parlamenten zugestimmt werden muss.
Dringender denn je ist, dass sich die Gewerkschaften mit den zahlreichen Nichtregierungs-Organisationen und Initiativen in Europa verbünden um TTIP und TiSA gemeinsam zu verhindern.
Ein gemeinsames Ziel sollte sein, sich für das alternative Handelsabkommen (Alternative Trade Mandate) stark zu machen. Mit TTIP & Co. soll die bestehende Weltordnung und damit die Benachteiligung vieler Länder verstetigt werden. Ein dazu alternatives Handelsabkommen, das einen fairen Handel mit allen Ländern ermöglicht, kann nur unter Federführung der UNO zustande kommen.“

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6 Kommentare zu “TTIP: Ja, wir brauchen ein Abkommen – aber ein anderes!

  1. Geschickt sind sie ja schon , jene Kräfte , die ein solches Abkommen durchdrücken wollen . Einmal mehr gelingt es ihnen zumindest ein Stück weit , in den Raum zu stellen , daß die Kritiker des TTIP eine Bringschuld hätten , wer das Abkommen kritisiert , wird erstmal mit den üblichen Vorwürfen konfrontiert , was er denn gegen Wohlstandsmehrung oder den Abbau von Handelsschranken hätte.
    Dabei ist es die einseitige Pflicht der Befürworter , ihre Ideen punktgenau und detailliert vorzustellen , jede Frage dazu ernst zu nehmen und selbstverständlich auch , das Ganze zur Abstimmung zu stellen.

    Was hier geschieht , würden Juristen die „Umkehr der Beweislast“ nennen , wen wunderts , daß das Mißtrauen extrem hoch ist , wahrscheinlich völlig zu Recht.

    Ein namhafter EU-Vertreter ( wars nicht Juncker höchstpersönlich? ) hats mal offen zugegeben , man versuche , etwas durchzudrücken , und schaue , obs klappt . Bei Stillschweigen der Bevölkerungen peitsche man es schnell durch , ist der Widerstand zu groß , lasse man es fallen ( wie unlängst bei dieser Wasser-Sache ).

  2. Verhandlungen über derartige Abkommen dürfen nicht im Geheimen geführt werden. Sie müssten zumindest in den Parlamenten diskutiert und überprüft werden. noch besser wäre es, wenn diese Verträge durch eine Volksabstimmung legitimiert werden müssten.
    Dann wäre die Politik gezwungen, sich mit den fragen, Sorgen und Bedenkender Bürger ernsthaft auseinander setzen zu müssen. Aber das ist ja nicht gewollt. also wird man diese geheim ausgehandelten Verträge in den Parlamenten – wenn überhaupt – einfach durchwinken.
    zu # 1 DH
    Sinngemäß lautete das Juncker Zitat:
    „Man versuche etwas durchzusetzen , warte ab, ob sich Widerstand regt. Wenn nicht, dann machen wir so weiter.“
    Schlimmer noch:
    „Wenn es ernst wird, müssen wir lügen“
    Das ist kein wörtliches Zitat, sondern lediglich sinngemäß, aber das Wort „Lügen“ wurde verwendet.
    Und dieser Herr Juncker, wird Präsident der EU-Kommission. Mehr noch, als Luxemburger hat Juncker für sein winziges Land enorm viel herausgeholt und der Steuerhinterziehung zum Schaden u. a. Deutschlands mittels des jahrzehntelang zäh verteidigtens Luxemburgischen Bankgeheimnisses sehr treue Dienste geleistet. Das sollte nicht vergessen werden.

    Luxemburg darf sich als einer der größten Gewinner in der EU sehen. Da stellt sich wirklich die Frage nach der Unparteilichkeit oder der Überparteilichkeit des Herrn Juncker.

    In der neuen EU-Kommission ist Deutschland unterrepräsentiert. Siehe Liste der EU-Kommissare.

    Das dürfte ein wenig nach Revanche gegen Frau Merkel aussehen und ausgerechnet Herrn Moscovici, den französischen Finanzminister, als EU-Kommissar für Wirtschaft, Finanzen und Steuern zu nominieren, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Wird nicht hier der Bock zum Gärtner gemacht?

    Man darf gespannt sein, was uns da noch alles präsentiert werden wird. Offenbar setzt sich eine riesige große Koalition auch in Europa durch, Merkel wird Moscovici, Hauptsache, es geht irgendwie weiter und sie bleibt Kanzlerin,akzeptieren.

    Zu Jürgen König
    Ihre Ausführungen sind sehr idealistisch gedacht. Um Ihre gut gemeinten Ideen umzusetzen, müssten weltweit erst einmal einheitliche soziale und rechtliche Standards existieren. Diese müssten auch durchsetzbar sein und nicht nur auf dem Papier stehen.
    Von diesem Ausgangspunkt ist man jedoch sehr, sehr weit entfernt und wird ihn wohl (leider) auch nicht erreichen. Wenn es ein wenig Annäherung an diesen Ausgangspunkt geben würde, wäre das schon sehr sehr viel.

    Klärt die Verbraucher in der EU auf und sie werden wahrscheinlich reagieren. Denn die größte Macht hat der Verbraucher. Er sollte davon Gebrauch machen und dazu sollte ihn der Gesetzgeber durch Einfordern von Informationen (Pflicht u. a. zur vollständigen Deklaration von Herstellungsprozessen und verwendeten Stoffen)und durch eine entsprechende rechtliche Aufwertung (Klagerecht, Verbandsklage)in die Lage versetzen.
    Wenn unsaubere Praktiken zutage gefördert werden können, wird der Verbraucher auch reagieren und entsprechende Produkte boykottieren.

    Ein Gleiches gilt für die strittigen Verträge TTIP und CETA. Hier ist mehr Transparenz einzufordern.

  3. @ runeB

    Ist ja noch schlimmer , als ich dachte. Immerhin ehrlich , der Mann , bei soviel Dreistigkeit verschlägt es Einem glatt die Sprache.

  4. Ich bedauere die extrem geringe Resonanz, die dieses sehr bedeutsame Thema ausgelöst hat.
    Zum Beispiel im Vergleich mit zwei getöteten Kampfhunden, wo die Emotionen hochkochen.

    Eigentlich müsste es einen grimmigen Aufschrei der Verbraucher geben ..dachte ich, aber das war reines Wunschdenken.

  5. @runeB

    Na, das wäre hier und da ein Zähneklappern und Heulen!
    Man kann ja gar nicht soviel schreien, wie es wehtut.
    „It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)“
    Ich bedaure auch die extrem geringe Resonanz auf den Satz von Arnold Hau:“Hört, was ich Euch verkünde: Was Ihr da tut, ist Sünde!“.
    Ich sage ja auch der Welt ständig, daß sie auf mich hören soll, sinngemäß: „Hört auf damit, und zwar sofort!“
    Und tatsächlich, sie hört auf, auf mich zu hören.

  6. Ich bin mit dem heutigen gastbeitrag „weder frei noch fair“ von simone peter voellig einverstanden. Sie hat mit ihren informationen, was ttip fuer schwellen- und entwicklungslaender bedeutet, einen ganz wichtigen aspekt betont und sehr gut vermittelt. Das betrifft immerhin die mehrheit der bevoelkerung dieses planeten.
    ja, runeB, auch mich wurmt heftig, dass etwa dieses groteske „theater“ um die frankfurter kampfhunde so unverhaeltnismaessig viel resonanz bekommt…
    Und beim drohenden ttip geht es (mir) eben nicht nur um die hiesigen verbraucher – siehe simone peter.
    das thema ist ein musterbeispiel fuer ungerechtigkeit.

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