Prostitution: “Emma” ist auf dem falschen Dampfer

Alice Schwarzer bringt ein neues Buch heraus. Titel: „Prostitution – Ein deutscher Skandal. Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden?“ Via „Emma“ – Schwarzer ist Verlegerin und Chefredakteurin – ist eine begleitende Kampagne angelaufen und ein „Appell gegen Prostitution“ wurde von zurzeit knapp 3000 Menschen unterzeichnet. Wollen wir wetten, wann Schwarzer bei Günther Jauch oder Anne Will sitzen und ihr Buch promoten darf?

Das Gute an der Sache: Das Prostitutionsgesetz von 2001 liegt wieder auf dem Tisch. Wir sind ja alle gern dabei, wenn es gilt, die „Leistungen“ der Schröder-Regierung zu bashen, aber neben dem „Nein“ zur direkten Beteiligung am Irak-Krieg und dem Atomausstieg gehört dieses Prostitutionsgesetz meiner Meinung nach zu den großen Leistungen von Rot-Grün, weil es die Prostituierten aus der Illegalität geholt hat. Von da an war Prostitution legal. Prostituierte konnten sich sozialversichern und hatten zumindest pro forma einen Rechtsanspruch auf Bezahlung für erbrachte Leistung. Das Thema „Rechtlosigkeit von Prostituierten“ war auf Initiative von Selbsthilfegruppen in den 90er Jahren ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Auch wenn das Gesetz ganz offenkundig enorme Schwachstellen hat, bedeutete es einen gesellschaftlichen Fortschritt – unter der Voraussetzung, dass man eines anerkennt: Prostitution hat es immer gegeben, Prostitution wird es immer geben, ganz egal, ob Alice Schwarzer das auch so sieht (oder nicht). Die Frage ist, wie man Prostitution möglichst allgemeinverträglich regelt, so dass niemand zu Schaden kommt.

Um das herauszufinden, könnte man mal die betroffenen Frauen und Männer fragen. (Ich erwähne die Männer, weil laut Wikipedia geschätzte fünf Prozent der im „System Prostitution“ arbeitenden Menschen männlich sind. Im „Emma“-Appell kommen sie immerhin in einer Nebenbemerkung vor.) Dort, bei den Frauen, müsste sich ja der geballte Sachverstand finden lassen – bei Gruppen wie Hydra in Berlin oder Doña Carmen in Frankfurt. Doch Alice Schwarzer fragt diese Frauen nicht. Ihre These: Deutschland sei zur Drehscheibe des Frauenhandels geworden, und zwar durch dieses Gesetz, das die „Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyIstinnen“ trage. Der Vorwurf hat es in sich: Rot-Grün soll damals also gemeinsame Sache mit der organisierten Kriminalität gemacht haben? Nein, eigentlich zielt die Formulierung auf jene Prostituierten, die zu ihrem Gewerbe stehen und es wie einen hundsgewöhnlichen Job ausüben. Ihnen will Schwarzer von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie diese Frauen als „LobbyIstinnen“ abqualifiziert. Aber das kennt man ja von Frau Schwarzer. Gesetz Nr. 1: Ich habe immer recht. Gesetz Nr. 2: Sollte ich einmal nicht recht haben, tritt automatisch Gesetz Nr. 1 in Kraft. Ergo: Es geht Schwarzer nicht um die Freiheit der Frauen, sondern es geht ihr darum, die Frauen zu bevormunden.

Eines der Probleme dieses Appells – abgesehen davon, dass er schlicht eine Werbemaßnahme für das Buch ist, für die sich prominente Persönlichkeiten einspannen ließen – ist also, dass nicht mit den betroffenen Frauen geredet wurde. Stattdessen wird über sie geredet. Laut „Emma“ soll es in Deutschland 700000 Prostituierte geben, Wikipedia schätzt die Zahl auf 400000. Da hätte sich doch eine finden lassen sollen, die „Emma“ und Frau Schwarzer berät. Ein anderes Problem ist, dass der Appell offensichtlich rassistisch ist. Da wird Prostitution mit Sklaverei verglichen, was zweifellos eine Verharmlosung von Sklaverei bedeutet. „Emma“ bezeichnet Prostitution als „white slavery“, was ein Begriff aus der Mottenkiste des Feminismus ist. Er ist rassistisch, weil er die Rolle von schwarzen Frauen niedlich redet, die sich in der Sklaverei zwangsprostituieren mussten, und dabei außer Acht lässt, dass geschätzt die Hälfte der Prostituierten in Deutschland Ausländer_innen sind – und die sind gewiss nicht alle weiß. Prostitution ist kein „weißes“ Phänomen.

Wenn man das „System Prostitution“ so regeln will, dass niemand zu Schaden kommt, muss man völlig andere Fragen stellen. Fragen wie: Wie bekämpfen wir Zwangsprostitution und sexuelle Ausbeutung? Wie schützen wir betroffene Frauen am besten vor den kriminellen Strukturen, die sie nach Deutschland und in die Prostitution gebracht haben? Wie fördern und schützen wir Frauen, die solchen Zwängen entkommen wollen? Man muss sich aber auch Fragen stellen wie diese: Wie ermöglichen wir trotzdem denjenigen die Ausübung ihres Gewerbes, die ihm aus freien Stücken nachgehen wollen? Schwarzer bestreitet rundheraus, dass es solche Menschen überhaupt gibt. Wer ihr widerspricht – siehe Gesetz Nr. 2. Sollte sie mit ihrem Appell Erfolg haben, könnte Prostitution wieder in die Kriminalität abgedrängt werden. Das muss verhindert werden. „Emma“ ist auf dem falschen Dampfer. Um es mit FR-Kolumnistin Bascha Mika zu sagen:

„Es ist Sache der Politik, dem „System Prostitution“ unbedingt beizukommen. Doch nicht immer, wenn Sex gegen Geld getauscht wird, nimmt einer der Beteiligten Schaden. Es ist Sache der Gesellschaft, derlei Ambivalenzen auszuhalten.“

Hier verlinke ich auch noch auf das Blog „Kleinerdrei“, wo Bloggerin Sonja den „Emma“-Appell auseinandernimmt. Die Einordnung der „white slavery“ als rassistisch habe ich von dort übernommen.

PS: Ich verlinke bewusst nicht auf den „Emma“-Appell. Sie können ihn aber leicht ixquicken. Dazu gehen Sie auf diese Seite und geben den Suchbegriff „Appell gegen Prostitution“ ein. (Anders als Google speichert diese niederländische Suchmaschine keine IP-Daten ihrer Nutzer.)

Die Autorinnen der bisher eingegangenen Leserbriefe zu diesem Thema sind überhaupt nicht meiner Meinung. Sie äußern sich zu der oben verlinkten Kolumne von Bascha Mika und zum Kommentar „Prostitution als Glaubensfrage“ von Katja Tichomirowa. So schreibt Andrea Schütz aus Neu-Isenburg:

„Katja Tichomirowa irrt, wenn sie den Appell der „Emma Zeitschrift“ gegen Prostitution als Glaubensfrage interpretiert. Zwangsprostitution und der damit einhergehende Menschenhandel beziehungsweise Frauenhandel (Frauen sind auch Menschen) existiert nur deswegen, weil es die legale Prostitution gibt. Es ist unmöglich für Gesetzgeber, Polizei, Gerichte und so weiter zu unterscheiden, wo Zwang ausgeübt wird und wo sich Frauen angeblich freiwillig verkaufen. Wobei die Definition von Freiwilligkeit schwierig ist bei einer Frau, die als Kind bereits sexuell missbraucht wurde oder vergewaltigt wurde und die dann mittels Drogenabhängigkeit abrutscht in die Prostitution und diese dann vermeintlich „freiwillig“ ausübt.
Wenn durch ein Verbot und eine gesellschaftliche Ächtung der Prostitution weltweit Millionen Frauen und Mädchen aus der Zwangsprostitution befreit werden können, muss man die rund ein Prozent der Frauen, die sich wirklich freiwillig verkaufen, verschmerzen können. Sie können ohne ihre Autonomie und Integrität zu verlieren, einer anderen Tätigkeit nachgehen.
Und noch dazu müssen die Freier lernen, dass nicht jeder Mann jederzeit das Recht auf Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse hat. Wenn die Prostitution für Millionen Frauen Leid und Schmerz verursacht, muss man sie aufgeben können.“

Barbara Behnen aus Gießen meint:

„Bascha Mika argumentiert schlussendlich, es sei die Freiheit jeder einzelnen, sich zu prostituieren, sofern freiwillig, und es nehme nicht notwendig jemand Schaden. Ich möchte bestreiten, dass es möglich ist, keinen Schaden zu nehmen, wenn man sich prostituiert. Nichtsdestotrotz wäre die Argumentation legitim, zu sagen, jedeR hat das Recht, sich selbst zu schaden, so viel er/sie will. Dann würde ich mir allerdings dasselbe Engagement von Frau Mika gegen Helm- und Gurtpflicht und zur Legalisierung von Drogenkonsum wünschen. Hier ist der Staat ebenfalls so „arrogant“, die Menschen vor sich selbst zu schützen.“

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34 Kommentare zu “Prostitution: “Emma” ist auf dem falschen Dampfer

  1. @Bronski: Auch bei mir werden Sie vergeblich nach Zustimmung suchen. Ich kann mich Andrea Schütz und Barbara Behnen nur anschließen und brauche das nicht weiter auszuführen. Es ist für mich keine Frage, den Appell von Emma zu unterzeichnen. Es geht dabei übrigens nicht um eine erneute Kriminalisierung von Prostituierten, sondern hauptsächlich um eine Kriminalisierung des Menschenhandels durch Prostitution. Vorzugsweise sollen sich die Freier strafbar machen, eine in Frankreich aktuell geplante und in Schweden längst eingeführte Praxis, die ich nur gutheißen kann.

  2. Die Differenz Bronski/Emma ist ein Parade-Beispiel für den ewigen Konflikt im linken Lager: Realos gegen Fundis. Bronski gibt hier das Beispiel eines wirklich bemerkenswert utopiearmen Realos ab. All die unzähligen schönen Theorien, daß Prostitution (jegliche, nicht nur die Zwangsprostitution) sich nahtlos in den Kapitalismus fügt (Vermarktung des Körpers), in die Männergesellschaft (Unterwerfung und Gefügigmachung der Frau), und daher ebenso wie Kapitalismus und Patriachat überwunden werden muß, werden in dem Moment doch wirklich sträflich ignoriert, in dem man das „System Prostitution“ nicht mehr abschaffen, sondern nur noch „regulieren“ will… oder nicht? Eine Prostitution so „von oben her“, von Staatsseite her, zu regeln, daß der Körper nicht zur Ware wird und die Frau nicht zum benutzten Objekt, scheint mir jedenfalls reichlich unmöglich.

    Bronski, sind Sie wirklich der Meinung, die sie oben äußerten? Dann wären Sie scheinbar in einer Realität angekommen, von der immer behauptet wurde, daß es sie nicht geben müsse, weil man sie nämlich auch verändern könne. Die Pragmatik, die aus Bronski’s Zeilen spricht, hat ja direkt etwas sozialdemokratisches… wäre deswegen nicht das Wort „pfui!“ irgendwie angebracht?… Jedenfalls so unter Linken? 😉

  3. @ EvaK

    Menschenhandel ist eine Straftat. Für die Bekämpfung von Straftaten sollte das Strafgesetzbuch den Behörden die nötigen Werkzeuge an die Hand geben. Wenn die Werkzeuge nicht reichen, ist es Aufgabe der Politik, zusätzliche und bessere Werkzeuge zu schaffen. So weit sind wir uns vielleicht einig. Worum es hier geht, ist die Gleichsetzung von kriminellen, mafiösen Strukturen des organisierten Verbrechens mit dem „System Prostitution“ generell – eine schädliche Verallgemeinerung. Prostitution verbieten zu wollen, um diese kriminellen Strukturen zu entmachten, ist ungefähr so, als wollten Sie Russland verbieten, weil es dort Anti-LGBT-Gesetzgebung gibt – oder aus welchem Grund auch immer.

    Sollte es gelingen, die zurzeit legale Prostitution zu verbieten, werden anstelle der jetzt erkennbaren kriminellen Strukturen neue kriminelle Strukturen entstehen. Prohibitive Gesetze sind hier völlig nutzlos. Und dann werden es wieder Frauen sein, die kriminalisiert werden, weil sie von da an wieder im Untergrund anschaffen.

    @ Max Wedell

    Sehr hübscher Kommentar. Fast bin ich versucht zurückzugeben, dass ich mich darüber freue, wie wunderbar Ihre ideologischen Schubladen funktionieren. Darf ich fragen, wem Sie Ihren Körper verkauft haben? Denn Ihr Gehirn, das Ihnen maßgeblich diesen ironischen Kommentar eingegeben haben dürfte, befindet sich doch wohl in einem Körper? Anders ausgedrückt: Wer ist Ihr Arbeitgeber? Was arbeiten Sie? Oder diese Frage wiederum anders ausgedrückt: Für wen prostituieren Sie sich, um Ihr tägliches Geld zu verdienen?

    Mir geht es darum, dass man ein Unrechtsregime – Zwangsprostitution und Menschenhandel – nicht durch ein anderes Unrechtsregime – Kriminalisierung von Prostitution – ersetzen sollte. Anders als Frau Schwarzer habe ich dabei auch die Frauen (und Männer) im Auge, die Verliererinnen dieser populistischen Aktion wären und die sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vor 15 Jahren so mühsam erarbeitet haben.

    Das bringt mich auf den Gedanken, einen Blogtalk zu diesem Thema zu machen. Werde mal bei Dona Carmen anfragen, ob sich dort nicht jemand Kompetentes findet, die aus Betroffenenperspektive was zum Thema beisteuern kann.

  4. @Bronski: Es ist der richtige Weg, die Freier zu kriminalisieren. Das würde dem System Prostitution deutlich Probleme bereiten. Und was Zangsprostitution und Menschenhandel betrifft, so hat es, das wurde auch gesagt, die jetzige Situation den Strafverfolgungsbehörden sehr schwer bis unmöglich gemacht, da noch den Hebel anzusetzen. Sofern von dieser Seite aus überhaupt ein Interesse an Aufklärung und Strafverfolgung besteht, siehe den Sachsensumpf.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Sachsensumpf

    Und an den Strukturen und Verflechtungen, die Dagobert Lindlau in seinem 1987 erschienenen Buch Der Mob aufzeigt, dürfte sich nichts geändert haben, auch denn das damals von Politikern und Polizei weit weg gewiesen wurde.

  5. Mag sein, dass es der richtige Weg ist, die Freier zu kriminalisieren. Dazu habe ich bisher keine Meinung. Ich sehe nur, dass in Schweden in dieser Hinsicht hin und wieder eine mehr oder weniger folgenlose Verwarnung ausgesprochen wird. Meines Erachtens hat Schweden sich eine Art Alibi-Gesetz geschaffen. Ob das den Menschenhandel unmöglich macht und die Frauenrechte stärkt, wird die Zukunft zeigen.

  6. @ Bronski,

    bei mir geht das mit dem „Prostitutieren“ so: Ich mache eine Arbeit nur, wenn Sie mir (im Großen und Ganzen jedenfalls, also vom Prinzip und Hauptinhalt her) Spaß macht und ich sie machen möchte. In Fällen, wo dieser Spaß verloren geht, und zwar nicht nur gelegentlich an Montagen, sondern längerfristig, kündige ich einfach und suche mir eine neue Arbeit. Das meine ich nicht theoretisch, sondern das habe ich auch schon oft gemacht.

    In der Prostitution gibt es sicher auch den gelegentlichen „Marktteilnehmer“, für den das auch gilt, daß er Spaß an der Arbeit hat… wenn verschiedene Kriterien zusammenkommen. D.h. der oder die Betreffende kann sich seine/ihre Kunden aussuchen, eine überdurchschnittliche Begeisterungsfähigkeit fürs Sexuelle kommt vielleicht noch hinzu, und schwupps, schon kann Prostitution zum tollen Job mutieren. Selbst ich als eher Geistesarbeiter hätte vielleicht das Zeugs zum begeisterten Prostituierten, das gestehe ich gern, wenn ich meinen Kundenstamm auf die letzte Miß Germany oder ähnlich Aussehende beschränken könnte… aber bitte nicht mehr als eine pro Woche, man hat ja auch noch anderes zu tun.

    Jetzt zurück auf den Boden der Wirklichkeit. Wenn Männer zu Prostituierten gehen, dann hat das auch einen Grund. Entweder sind das Männer, die optisch eine, sagen wir mal, gewisse Minimalattraktivität haben, oder fallweise auch Fähigkeit oder Willen zu Minimalhygiene vermissen lassen, oder aus ähnlichen Gründen keine anderen Sexualpartner finden, oder es sind Männer, die Praktiken ausleben wollen, die keine einigermaßen normale Frau je mit sich erlauben würde außerhalb eines Kontextes, in dem man ihr de facto Schmerzensgeld dafür bezahlt, daß sie es mit sich machen lassen.

    Wer mir ersteres nicht glaubt, kann sich ja gern mal abends in die Rotlichtviertel seiner Stadt begeben, und die Gestalten bestaunen, die da zwischen den Etablissements herumschleichen… ist doch auch langweilig, immer nur sonntags den Zoo zu besuchen.

    Summa summarum, die Bedingungen für die ganz große Mehrheit der Sexarbeiter sind so, daß man eigentlich nur staunen kann, wenn jemand sagt: Die machen den Job halt freiwillig und gerne.

    Und auch die Einstellung vieler Prostituierten: „Ich mache halt diese Scheiße, weil alles andere, was ich machen könnte, wäre ja noch eine größere Scheiße.“ kann man zwar als eine freiwillige Entscheidung zur Prostitution auffassen, aber mein Schubladenwissen diktiert mir hier, daß es doch eher dem selbsterklärten linken Verbesserungswillen entspräche, diesen Menschen zu einer Lage zu verhelfen, in der nicht alle Optionen irgendwie aus Scheiße bestehen… statt eine ganz spezielle Scheißtätigkeit einfach nur so zu „regeln“, daß Ertrinken in der Scheiße fürderhin ausgeschlossen ist.

    Ich sage ja nicht, daß man letzteres unterlassen sollte. Nur, das allein ist doch ein bischen wenig, zumal für einen Linken, oder nicht?

  7. @ Max Wedell

    Die Sache mit der Freiwilligkeit ist tatsächlich das alles entscheidende Kriterium. Man mag sich manchmal wundern. Nur: Ich erdreiste mich doch nicht, dieser oder jenem Prostituierten zu sagen, dass sie/er das unfreiwillig macht, während sie/er behauptet, er/sie mache es völlig freiwillig. Die-/derjenige, die/der das allein zu entscheiden hat, ist der/die Prostituierte. Ich habe ihm/ihr nicht vorzuschreiben, wie sie/er das zu sehen hat. Das soll bitte sie/er allein für sich und fürs Leben entscheiden. Und dann soll sie/er die Möglichkeit bekommen, sich bei einer Krankenversicherung anzumelden, Rechtssicherheit zu haben und natürlich auch Steuern zu zahlen, also Teil des Gemeinwesens zu sein, mehr oder weniger akzeptiert, aber jedenfalls nicht kriminalisiert.

  8. P.S. Noch ein Gedanke zur Verfemung der „Kriminalisierung“, die ja beliebt ist, und die auch hier wieder stattfindet. „Kriminalisierung“ mag dem Betroffenen unangenehmes erscheinen, aber das kann kein alleiniges Kriterium sein, sie zu unterlassen. Niemand wird auf die Idee kommen, mit der „Kriminalisierung“ von Mördern endlich Schluß zu machen, weil die unter dieser „Kriminalisierung“ irgendwie leiden. Nein, „Kriminalisierung“ eines Verhaltens, das den Einzelnen, oder die Gesellschaft insgesamt schädigt, ist dringend geboten!

    Die Kriminalisierung von Mördern wird nun wirklich niemand hinterfragen, denn den Schaden, den ein Mörder anrichtet, kann ja der größte Depp erkennen. Die Kriminalisierung des Gebrauchs süchtigmachender Drogen wird regelmäßig von jenen kritisiert, die den persönlichen und gesellschaftlichen Schaden durch Drogensucht wenn nicht ganz abstreiten, so doch ganz grob fahrlässig unterschätzen. Wer die Gefahren des Drogengebrauchs einigermaßen realistisch einschätzt, kann gar nicht anders, als sie abwenden zu wollen, und hier funktioniert die Methode der Verpönung noch am besten, inklusive der Maximalverpönung durch den Staat, der Kriminalisierung eben.

    Und bei der Prostitution ist das ähnlich. Wer hier einen „Job wie jeden anderen“ sieht, der wird sich selbstverständlich gegen eine Kriminalisierung aussprechen. Diese Position ist aber in meinen Augen nicht haltbar, es ist eben nicht ein Job wie jeder andere. Der Rechte wird dabei seine Kritik vielleicht eher an den geistigen Deformationen festmachen, die eine solche Tätigkeit beim Individuum längerfristig nach sich zieht, wenn es nicht mit einer geradezu unmenschlichen Unsensibilität ausgestattet ist, der Linke vielleicht eher einen gesellschaftlichen Schaden konstatieren, wenn allein schon die Verfügbarkeit der käuflichen Frau ein bestimmtes gesellschaftliches Frauenbild untermauern hilft.

    Die Kriminalisierung ist dann, ist die Schädlichkeit erstmal erkannt, ein probates Mittel, diese Schäden EINZUDÄMMEN (Daß komplette Verhinderung durch Kriminalisierung nicht möglich ist, ist schon klar, aber kein Argument gegen die Kriminalisierung… wohl kaum jemand wird die Kriminalisierung von Mördern abschaffen wollen, weil es der Kriminalisierung von Mördern nicht gelingt, sämtliche Morde zu verhindern). Aber wie bei den Drogen, bitteschön, eine Kriminalisierung von Anbietern UND Kunden.

  9. @ Bronski, #7,

    wie ich schon sagte, nicht alles, was die Menschen freiwillig machen würden, sollen sie auch machen dürfen. Ein Mensch möchte freiwillig einmal Heroin ausprobieren, die Kriminalisierung ist dennoch geboten. Wenn gesamtgesellschaftliche und individuelle Schäden nur hoch genug sind, muß es eine Kriminalisierung geben, und die Frage, ob der Tätigkeit freiwillig nachgegangen wird, tritt völlig in den Hintergrund. Nicht die Freiwilligkeit ist daher hier die zentrale Frage, sondern es muß diskutiert werden, in welchem Ausmaß Prostitution Gesellschaft und Individuum beschädigt.

  10. Dann mal los. Wo und wie entsteht der Gesellschaft Schaden durch Prostitution? Wir reden jetzt nicht von Zwangsprostitution, die selbstverständlich Schaden anrichtet und Leid zufügt, sondern wir reden von Prostitution in der heute legalen Form, mit der – vielleicht sogar am konkreten Beispiel – eine Studentin/ein Student sich etwas dazuverdient oder vielleicht sogar das gesamte Studium finanziert. Unterstellen Sie dabei bitte, dass die/der Prostituierte sich tatsächlich sozial- und krankenversichert, dass er/sie Steuern abführt, so wie es dem Geist des Gesetzes von 2001 nach sein sollte, und dass sie/er dieser Tätigkeit in einer Zone seiner Stadt nachgeht, in der Prostitution in Privatwohnungen erlaubt ist, also nicht im Sperrbezirk.

  11. Sie können sich hier nicht ein Rosinchen rauspicken, daß ich dann diskutieren muß. Aus dem im Netz verfügbaren Blogartikel „Vom Glück sich zu prostituieren“ von Alice Schwarzer zitiere ich mal:

    „… weil 80-90 Prozent der Mädchen und Frauen in der Prostitution in Deutschland Ausländerinnen sind, meist aus den ärmsten Ländern, und häufig vollkommen recht- und sprachlos. Weil nur 3-5 Prozent der Prostituierten wirklich auf eigene Kosten ohne Zuhälter arbeiten. Weil drei von vier Prostituierten nur unter Drogen bzw. Alkohol die Freier bedienen können. Weil zwei von drei als Kind sexuell missbraucht wurden. Weil bis zu 66 Prozent traumatisiert sind und mit denselben Folgen zu kämpfen haben wie Folteropfer.[…]. Weil neun von zehn aussteigen würden – wenn sie könnten.“

    Nun kann ich natürlich diese Zahlen nicht bestätigen, sie können richtig sein oder auch nicht… daß aber ein wirklich größerer Teil dem von ihnen genannten Fall des Studenten/der Studentin ähnelt, der Nachhilfe geben könnte oder aber Prostitution betreiben, und letzteres ausdrücklich selber wählt, glaube ich ehrlich gesagt nicht.

    Jedenfalls sind in dem Zitat genügend Hinweise, daß diese Tätigkeit auf der individuellen Ebene die Menschen schon deutlich beschädigt. Es Tag für Tag ein Arbeitsleben lang zu erdulden, sich von anderen Menschen praktisch wie ein Tier behandeln zu lassen, wird, wie ich schon sagte, nur die wirklich schon ganz unmenschlich Abgebrühten völlig unbeeinflusst lassen… oder jene, die im Laufe dieser Tätigkeit sich die entsprechenden Panzerungen angeeignet haben. Ein Gewinn ist es jedenfalls nicht für eine Gesellschaft, wenn Menschen solche Panzerungen entwickeln, so etwas strahlt doch auch aufs „Außerberufliche“ ab, und dann sind eben auch Andere betroffen. Wer aber nicht gepanzert ist (oder sich mit Alkohol oder Drogen künstlich panzert), der muß doch leiden.

    Im Mietshaus, in dem ich wohne, gab es schon des öfteren die eine oder andere Puffwohnung. Die Prostituierten sahen alle nicht aus wie mehr oder weniger zufriedene Berufstätige, sondern, leider muß ich es so sagen, wie menschliche Wracks. Menschen, die einen noch kaputteren Eindruck machten, waren allerdings teilweise unter den wartenden Männern ausfindig zu machen, die sich in den dunklen Hausfluren herumdrückten. Wenn ich alles, was ich aus eigener Anschaung zu dem Thema weiß, Revue passieren lasse, kommen mir die oben zitierten Angaben Alice Schwarzers jedenfalls absolut plausibel vor. Sicher, „menschliche Wracks“ können auch durch alle möglichen Umstände produziert werden, die mit Prostitution nichts zu tun haben (ich nannte schon das Thema Drogen), aber das bedeutet doch nicht, daß sie durch Prostitution nicht produziert werden.

    Was einen weiteren gesellschaftlichen Schaden angeht, den ich schon anführte (Frauenbild), Schwarzer schildert es im selben Blogtext so: „weil die offiziell gebilligte Existenz von Prostitution das Frauenbild aller Männer prägt; auch der Minderheit, die noch nie eine Frau gekauft hat. Wir Frauen sind für Männer das käufliche Geschlecht.“

    Damit hat sie nicht unrecht, finde ich. Sicher prägt das, was gesellschaftlich vorgefunden und akzeptiert wird, auch das Bild der Menschen. Jenseits aller feministischen Fragen ist doch eine zunehmende Akzeptanz der Tatsache, daß es da Menschen gibt, die ihren Körper zur Benutzung abgeben, und andere Menschen, die andere Körper nehmen und benutzen, auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Verrohung… bzw. umgekehrt wird diese Verrohung durch den Verzicht der Ächtung solcher Vorgänge, wie er einmal traditionell bestand, befördert.

  12. @ Max Wedell

    Alice Schwarzer ist eine Meisterin der Zuspitzung und der Provokation. Das beherrscht Sie in der Tat sehr gut. Sie pickt sich die Zahlen und Fälle heraus, die sie für ihre Thesen braucht. Ich als schwuler Mann sage: Frauen sind für mich nicht das käufliche Geschlecht. Ich habe trotzdem Respekt davor, wenn sich jemand bewusst dafür entscheidet, diesen Job machen zu wollen. Wir leben in einer freien Welt, in der die bewusste und freie Entscheidung dafür möglich sein muss. Es wundert mich daher, dass gerade Sie, Herr Wedell, der hier oft genug für eine bestimmte Form des Liberalismus‘ eingetreten ist, in diesem Fall für Restriktionen sind. Vielleicht werde ich Sie gelegentlich mal an die spezielle Form sozialer Empathie erinnern, die Sie in diesem Thread an den Tag gelegt haben, wenn es in diesem Blog wieder um ganz andere Formen von Ausbeutung geht, etwa Niedriglöhne oder Zeitarbeit.

    Zum Schluss noch der Link auf einen Gastbeitrag im Handelsblatt, verfasst von den Grünen-Politikerinnen Gesine Agena und Katja Dörner. Agena ist die neue frauenpolitische Sprecherin der Grünen und Mitglied im Bundesvorstand der Partei.

    @ all

    Eigentlich hatte ich heute einen freien Tag, den ich ganz anders verbringen wollte. Ich werde mich nun wieder hier herausziehen. Meine Position in dieser Sache ist bekannt. Sofern ich die Zeit dazu finde, schalte ich mich vielleicht auch wieder ein, falls es nötig werden sollte, aber rechnen Sie vorerst bitte nicht damit.

  13. @ Bronski,

    tja, wie jetzt, passe ich nicht ganz in IHRE Schubladen? 😉

    Den Liberalismus auf die Spitze treiben die amerikanischen Libertarians, und das führt dann bis hin zu der Forderung, jegliche Drogen zu legalisieren, denn jeder könne sich ja „freiwillig“ entscheiden, die zu nehmen oder nicht, und der Staat dürfe da nicht reinreden. So sympathisch mir viele Ideen der Libertarians sind, in diesem Punkt widerspreche ich. Und bei der Prostitution scheint es mir ähnlich, die Menschen müssen wie auch bei den Drogen, soweit es eben geht, vor sich selber geschützt werden, wie es auch eine Betroffene auf der von mir genannten Seite Schwarzers schildert: „ich kann seh schwer beschreiben was es mit mir gemacht hat ich weiß nur daß es unumkehrbar ist. und auch daß wenn man als ehemals prostituierte hilfe für seine seelenschmerzen sucht kaum hilfe zu finden ist. hätte es die so einfache möglichkeit sich zu verkaufen nicht gegeben ich hätte mich niue dazu durchgerungen und es wäre besser für mich gewesen. ja ich bin für ein verbot der prostitution mich hätte es vor mir selber geschützt.“

    Wenn Sie der Meinung sind, es wäre in Ordnung, wenn in Deutschland massenweise Menschen für Geld ihre Menschenwürde an der Garderobe abgeben, solange sie es nicht unter anderem Zwang tun als dem, daß sie das Geld brauchen, so haben Sie sich von den Prinzipien jedenfalls ziemlich weit entfernt, die Linke immer so besonders als die ihren herausstreichen… als da sind: Primat des Geldes bekämpfen, Menschenwürde achten.

    Zeitarbeit, d.h. die zeitlich beschränkte Beschäftigung, halte ich per se überhaupt nicht für Ausbeutung, und auch Niedriglohn muß nicht unbedingt Ausbeutung bedeuten. Ausbeutung wäre es, wenn ein Unternehmer einen Niedriglohn zahlt und durch den Gewinn beim Verkauf der produzierten Waren oder Dienstleistungen reich wird… Keine Ausbeutung ist es, wenn ein Unternehmer einen Niedriglohn zahlt, und beim Verkauf der produzierten Waren oder Dienstleistungen kaum mehr erzielt als zur Deckung seiner Personalkosten nötig. Man muß schon genau hinschauen.

    Und ein menschenunwürdiges Einkommen gibt es hierzulande sowieso nicht, weil der Staat das Minimum garantiert, das für ein menschenwürdiges Leben notwendig ist… Menschenunwürdige Verhältnisse in der Prostitution aber gibt es zuhauf.

  14. Ich habe während meines Studium als TA eine Weile in der zentralen Beratungsstelle in Altona gearbeitet. Die Behörde ist zwar auf dem Kiez bekannt, aber hier nicht, deshalb sei kurz auf den Volksmund verwiesen: Dort werden derartige Behörden auch Nutten-TÜV genannt. Ich war für die Tripperdiagnose zuständig, und die infizierten Frauen kamen gleich zur Behandlung nach „hinten“, wo ich mit einem Arzt des hafenärztlichen Dienstes saß, der die Frauen sofort behandelte. Hamburg hatte genügend Prostituierte mit einem gewissen Anteil an Kranken, so dass ich pro Tag bis zu 100 davon persönlich zu Gesicht bekam, und es kam, wenn es nicht so viele waren und wir mehr Zeit hatten, auch regelmäßig zu Gesprächen. Gleichzeitig hatten wir Einblick in die persönlichen Lebensumstände – die Akten wurden von Sozialarbeiterinnen geführt und beruhten nicht nur auf freiwillig erteilten Auskünften. Von daher bilde ich mir ein, dass meine Voraussetzungen zu einem Urteil über dieses Thema etwas überdurchschnittlich sind.

    Ich weiß, dass sich die Zeiten seitdem geändert haben, aber mit Sicherheit nicht so grundsätzlich, wie es hier manchmal erscheint. Es gibt nicht nur die berühmte Studentin, es gibt sehr viele „nebenberufliche“, Hausfrauen, die etwas dazuverdienen usw.. Dass alle oder auch nur der überwiegende Teil der Prostituierten entrechtete Sklavinnen sind, halte ich für ein Gerücht und es lässt sich gerade mit den offiziellen Zahlen (s.u.) auch nicht belegen. Mir scheint eher, hier wird ein Strohmann aufgebaut, um eine neue Prüderie als Standard durchzusetzen. Das wird auch deutlich, wenn z.B. der Kriminalist Pfeiffer formuliert, ihn jedenfalls störe zutiefst das Grundprinzip, dass sich Frauen als Ware anbieten dürften. Da wird die Kriminalistik zum Werkzeug der Moral, sie wird benutzt, um ein Verbot der Unmoral zu begründen, anstatt Vorschläge zu machen, wie Verbrechen besser bekämpft werden können.

    Es gibt eine in meinen Augen lesenswerte Seite zu diesem Thema:
    http://menschenhandelheute.net/2013/05/28/bordell-deutschland-journalismus-auf-lucke/

    Auffällig ist für mich da folgender Abschnitt:
    ********************
    Dass der Menschenhandel in Deutschland nicht zunimmt sondern abnimmt, bestätigt auch die Auskunft der Bundesregierung vom März 2013: 2011 waren in Deutschland 640 Personen Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Selbst wenn man mit den potentiell höheren Dunkelziffern argumentiert, würden man für damals eine höhere Anzahl annehmen müssen als für heute.
    *******************
    Die 640 Opfer in Deutschland in diesem Thema scheinen mir ein Witz, egal in welchem Jahr. Das bedeutet in der Praxis, dass hier sowohl vor als auch nach der Gesetzesumstellung die Polizei entweder unfähig oder unwillig war, den Menschenhandel = Zwangsprostitution nachzuweisen – oder angehalten, auf diesem Gebiet keinen Erfolg zu haben. Denn dass diese Zahlen überhaupt offizielle sind, kann ich nur als Zeichen eines politischen Willens deuten. Und es bedeutet auch, dass die schwedischen Erfolgsmeldungen, die bei diesem Thema mit Sicherheit unter noch stärkerem politischen Druck als bei bei uns erzeugt wurden, nur mit sehr viel Vorsicht zu genießen sind.

    Praktisch heißt das, dass man nicht versuchen sollte, in diese Zahlen irgendeine Tendenz egal welcher Richtung hineinzulesen, bevor der Hintergrund dieser Zahlen nicht geklärt ist.

    Eine wesentliche Erleichterung für die Polizeiarbeit bestünde für mich darin, für Zeugen, die helfen Verbrechen wie Menschenhandel aufzudecken, ein sofortiges unbegrenztes Aufenthaltsrecht bzw. einfachere und beschleunigte Einbürgerungsmöglichkeiten zu schaffen. Es ließen sich noch mehr Maßnahmen finden, die die Verbrechensbekämpfung erleichtern würden, etwa über eine andere Meldepflicht, eine geänderte Arbeitsstättenverordnung usw.. Aber das ist offensichtlich gar nicht gewollt, genauso wie in der Drogenpolitik, wo jetzt erst nach Jahrzehnten ganz langsam auch in den Betonbirnen der Verdacht aufkeimt, dass die einzige erfolgversprechende Art, die Kriminalität in diesem Gebiet zurückzudämmen, eben nicht in schlichten Verboten besteht, sondern im Holen in den öffentlichen Raum, in dem geringere Renditen erzielt werden, als die Kriminalität sie verspricht und auch braucht.

    Ich wäre mal gespannt, was eine Untersuchung der schwedischen Erfolge zutage fördern würde, die nicht auf den offiziellen Zahlen beruht. Und bis ich die gesehen habe, gehe ich davon aus, dass Sexualität ein mindestens so basales menschliches Bedürfnis ist wie der Rausch, und dass ein Verbieten des Handels damit einen ähnlichen Erfolg bringen wird, wie die Prohibition in den USA oder aktueller, die weltweiten Verbote harter Drogen.

  15. @ Frank Wohlgemuth,

    es ist ja nun deutlich geworden, daß die Kriminalisierung von Mördern nicht dazu führte, das Morde nicht mehr passieren. Keimt nicht ganz langsam auch in den Betonbirnen der Verdacht auf, dass die einzige erfolgversprechende Art, die Kriminalität in diesem ganzen Umfeld einzudämmen, eben nicht in schlichten Verboten besteht, sondern der Dekriminalisierung von Mord und Totschlag, Freigabe von Waffen für jeden und alle usw., sodaß die Umfeldkriminalität abnehmen wird?

    Mir erschiene eher der als ein Betonkopf, wer so argumentierte. Es geht ja gar nicht in erster Linie darum, Kriminalität einzudämmen, sondern in erster Linie geht es darum, die Zahl derjenigen zu minimieren, die gefährliche Drogen konsumieren und dadurch geschädigt werden. Das „Holen in den öffentlichen Raum“ wird genau das Gegenteil zur Folge haben, der Personenkreis, der die dann legalen, billigen, frei verfügbaren Drogen konsumieren wird, wird stark wachsen, und damit die Zahl der Betroffenen mit diesbezüglichen schweren Problemen. Diese Seite der Medaille kehren Sie einfach unter den Tisch.

    Die Passage mit Pfeiffer verstehe ich überhaupt nicht, dürfen Kriminalisten nicht moralische Anschauungen haben, und darf ein Kriminalist nicht der Meinung sein, die Praxis, wie sie nunmal in der Prostitution üblich ist, nämlich daß eine Frau x-beliebigen Männern die Nutzung ihres Körpers überlässt, für höchst bedenklich zu halten?

    Das für bedenklich zu halten hat auch mit Prüderie nichts zu tun, denn Prüderie hat etwas mit Sexualität zu tun, aber mit Sexualität hat die Prostitution für Frauen nichts zu tun, allenfalls für die männlichen Verlierer, die auf käuflichen Sex angewiesen sind…

    Auch Ihre Schlußfolgerung ist falsch, Unmoral solle generell eingedämmt werden, nur weil Unmoral gegen Geld verboten werden soll. Unmoral ohne Nötigung durch Geldscheinwedeln vor der Nase… meine Güte, die soll so oft stattfinden, wie die Menschen das wollen.

    In einer Stadt wie Hamburg pro Tag bis zu 100 Tripperkranken (bzw. sonstige Geschlechtskrankheiten)… aber das soll „ein Beruf wie jeder andere“ sein? Na toll.

  16. @ Max Wedell
    Au weia 😉
    Da habe ich zwei Sachen gemacht, die ich hätte vermeiden sollen.

    1) Die 100 hätte ich nicht nennen dürfen, vor allem nicht im Zusammenhang mit mir – ich habe sie nicht selbst erlebt, sie geisterte als Allzeithoch durch die Behörde, ich weiß nicht, wessen Kriegsflotte damals gerade eingelaufen war. Man sollte auch bedenken, dass das gerade eben noch in der Vor-AIDS-Zeit spielte, Aids war noch nicht offiziell in Hamburg angekommen und Kondome wurden damals nicht so konsequent von den Prostituierten durchgesetzt wie das heute der Fall ist – wenn die selbstständig arbeiten. Dazu gehört außerdem, dass der Tripper rechtzeitig behandelt eine ziemlich unproblematische Infektion ist. Wenn wir das in den Zusammenhang anderer geringfügiger Verletzungen bei körperlich arbeitenden Menschen stellen, klingt es auch nicht mehr besonders schlimm. Während meiner Zeit waren 10 bis 15 Kranke am Tag der das Normale, weshalb wir auch oft die Zeit hatten, ins Gespräch zukommen – insgesamt war die Behörde damals stolz darauf, dass der Durchseuchungsgrad in der Hamburger Prostitution mit dem der normalen Bevölkerung vergleichbar war, ca 5% beim Tripper, eine Folge sehr sicherer Diagnose (außer Hamburg hatte damals nur New York eine vergleichbare Diagnosesicherheit) und sofortiger Behandlung.

    2) Ich habe mit der Drogenproblematik dummerweise einen OT-Vergleich gemacht, der mindestens genauso viel Emotionen auslöst. Ich will versuchen, mich in der Antwort auf die Gemeinsamkeiten zu beschränken, ohne weiter ins Off Topics abzugleiten.

    Der Vergleich mit Mord ist insofern etwas unpassend, weil das Wesen des Mordes weder das Geschäft ist, noch dient er, besonders wenn er entgegen dem Normalen geschäftsmäßig betrieben wird, dazu, ein allgemeines Verlangen nach seinem Ergebnis zu befriedigen. Ich hoffe aber, dass Sie mir hier folgen, ohne dass ich das weiter ausführe.

    Die Gemeinsamkeit zwischen Rausch und Sex liegt in einer Appetenz in der Bevölkerung, die groß genug ist, sich über moralische und sogar gesetzlichen Barrieren hinwegzusetzen, weshalb beide in der Illegalität der Lizenz gleichkommen, Geld zu drucken. Die im eigentlichen Sinne kriminellen Akte besitzen allerdings eine unterschiedliche Struktur: Im einen Fall wird Rauschmittel mit extrem hohen Suchtpotenzial verschenkt und schafft eine ewig abhängige Kundschaft, die bereit ist, alles zu geben, um an das Suchtmittel zu kommen, im anderen Fall ist das Verlangen bereits vorhanden, und dass es nicht in der Mitte der Gesellschaft bedient werden kann, erzeugt die Schattenräume, in denen Menschenhandel und Sklaverei möglich sind. Indem ich den Handel mit der begehrten Ware wirklich offen möglich mache (das bedeutete bei Drogen keine allgemeine, sondern eine ärztlich kontrollierte Freigabe mit einer festen Marge, die im Wesentlichen die Handelskosten der Apotheker deckt), verringere ich den Preis so, dass das Risiko der Illegalität sich nicht mehr selbst trägt, bei Rauschgift entfiele der wesentliche Akt zur Sicherung und Vergrößerung des Marktes, die spendierte Einstiegsdroge, weil der Kunde nicht mehr der eigenen wäre, wenn er für einen Bruchteil des Preises zu Arzt und Apotheker gehen könnte.

    Wenn wir entsprechend hingingen, den offensichtlichen Bedarf an Prostitution in staatlich kontrollierten Bordellen zu decken und gleichzeitig eine rechtliche Atmosphäre schafften, in der eine aussagende Sexsklavin (ich halte es für verkehrt, hier von Prostitution zu sprechen) keine Bestrafung durch den Staat erführe, würde das den Menschenhandel stärker treffen, als ein Verbot der Prostitution, weil er sein Gewerbe bereits im verborgenen ausübt, Menschenhandel ist bereits verboten, und das will auch keiner ändern. Heute lebt der Menschenhandel davon, dass seine Opfer bei einer Anzeige ausgewiesen werden, das heißt, wir schaffen den rechtlichen Rahmen, in dem die Sklavenhaltung deshalb funktioniert, weil wir als Gesellschaft die Erpressung der Opfer so leicht machen. Und damit wir uns noch besser vorkommen, schütten wir noch einen Kübel moralischer Jauche darüber, um uns empört die Nase zuhalten zu können.

    Dazu passt gut der Kommentar von Barbara Behnen am Anfang des Threads: „Ich möchte bestreiten, dass es möglich ist, keinen Schaden zu nehmen, wenn man sich prostituiert.“ Die Frage ist nämlich, woher dieser Schaden, den man gelegentlich tatsächlich sehen kann, kommt: Kommt er von der Prostitution, oder ist er eine Folge der sozialen Ächtung, die die Prostituierte in Teilen der Gesellschaft noch bzw. schon wieder erfährt? Man haut ihnen mit dem moralischen Hammer auf den Kopf, um dann anschließend sagen zu können: Siehst Du, wer sündigt, bekommt Kopfschmerzen. Und natürlich: Wenn ich das Geschäft Prostitution den Menschenhändlern überlasse, indem ich es da hinschiebe, wo die ein Auskommen haben, kann ich auch sagen, dass Prostitution Sklaverei ist. Aber daran bin ich dann stärker beteiligt, als die Kundschaft, die man gerade zu kriminalisieren versucht.

  17. Frau Schütz, Frau Behnen und natürlich auch Frau Schwerzer sollten sich überlegen, was im Falle eines Verbots der Prostitution geschehen würde. Das Phänomen würde nicht verschwinden, es würde vielmehr wie der Drogenhandel (oder der Handel mit Alkohol während der Prohibition) vollends in die Hände von Kriminellen übergehen. Die Nachfrage nach den Dienstleistungen des ältesten aller Gewerbe wird bestehen bleiben, so lange es Menschen gibt. Warum das so ist, wäre Anlass für interessante philosophische Überlegungen.
    Verantwortung trägt auch der Kunde. Er sollte genau hinschauen, um ausbeuterischen Zuhältern kein Geld in den Rachen zu werfen. Und vor allem sollte er die Frauen nicht zu Objekten degradieren. Begegnungen zwischen Prostituierten und ihren Kunden sollten immer auf Augenhöhe stattfinden. Es ist traurig, dass Aufklärung hier immer noch nottut.

  18. @ Frank Wohlgemuth,

    ich habe den Eindruck, daß der Hauptunterschied zwischen uns darin liegt, daß Sie die mit Prostitution zusammenhängenden Handlungen immer noch für etwas Sexuelles halten, und ich nicht… bzw. für den männlichen Kunden ist es etwas Sexuelles, für die weibliche Diensteanbieterin nicht. Für die Frauen ist es ein Ausleihen des Körpers an andere, und die Hauptarbeit ist, den Widerwillen und die Abscheu dabei zu unterdrücken.

    Es gibt keine Frauen, bei denen das anders ist, das sollten Sie sich klarmachen. Es gibt natürlich Frauen, die ein sehr offenes Verhältnis zur Sexualität haben, aber auch da, wo sich solche Frauen „austoben“ (Swingerclubs etwa), ist die oberste Regel, daß die Frau „nein“ sagen darf… und selbstverständlich wird dort auch ganz oft „nein“ gesagt. Lokalitäten, wo diese Regel nicht gilt, sind ganz schnell frauenlos.

    In der Prostitution kann die Frau nur in den seltensten Fällen „nein“ sagen. Und bei jedem „nein“, das sie sagt, verdient sie nichts. D.h. die Frauen sagen ständig „ja“, wo sie eigentlich „nein“ sagen wollten. Hier entsteht der Schaden, und nicht dadurch, wie Sie das darstellen, daß Prostituion gesellschaftlich (häufig und noch) verpönt ist.

    Treiben wir es mal auf die Spitze und stellen uns vor, ein Mann hätte Vergnügen daran, anderen Menschen ihre Finger abzuschneiden. Er bietet 500.000 Euro pro Finger. Er findet jemanden, der dazu bereit ist, sich den Finger abschneiden zu lassen. Im Innern dieses Opfers schreit jede Faser „nein“. Aber er sagt „ja“, denn er will das Geld. Würden Sie dann auch sagen: Ist ja völlig in Ordnung, der macht das doch freiwillig, der sagt doch „Ja, mach ich“? Fänden Sie es in Ordnung, wenn es Millionen von Fingerabschneidern im Land gäbe, und weitere Millionen von Menschen, die sich die Finger für Geld abschneiden lassen, und alles passiert „freiwillig“? Bronski müsste das alles ja für ganz OK halten, wenn die Freiwilligkeit sichergestellt ist.

    Nun gibt es natürlich beim Fingerabschneiden einen erheblichen körperlichen Schaden, den es beim Sexakt nicht gibt. Es ist doch aber nicht so, daß es die Frauen überhaupt nicht beschädigt, wenn sie ständig „ja“ sagen müssen zu dieser Invasion ins Intimste, wo sie normalerweise selbstverständlich „nein“ sagen würden… aber diese Beschädigung ist äußerlich nicht sichtbar.

    Es ist ein „Witz“ mit ziemlich langem Bart, über den ja schon niemand mehr lachen kann, daß Männer mit ihrem Zipfelchen denken. Ist es aber nicht vielleicht das Zipfelchen, daß uns Männern, Ihnen und Bronski, mehr oder weniger unbewußt einflüstert: Sex macht Spaß, Prostitution ist Sex, also macht Prostitution doch auch sicher Spaß… woraufhin wir dann nicht mehr so deutlich sehen können, daß es sich eigentlich um das Recht auf eine Verletzung handelt, das erkauft wird?

  19. @ Ulrich Wicke,

    „Das Phänomen würde nicht verschwinden“

    Natürlich nicht. Aber es würde zahlenmäßig reduziert. Und zwar je stärker, desto höher die Strafen wären. Ob aber unsere Gesellschaft, die gegenüber der Kleinkriminalität schon weitgehend eine Laissez-Faire-Haltung eingenommen hat, überhaupt noch in der Lage wäre, die Prostitution ausreichend zu kriminalisieren, ist tatsächlich fraglich. Die meisten Menschen meinen ja wie Bronski, hier würde kein Schaden angerichtet (wenn alles „freiwillig geschieht“), und wo kein Schaden angerichtet wird, da braucht man ja nix zu verbieten, nicht wahr?

  20. Es ist wirklich interessant und geradezu widerlich wie Sexarbeit hier durch die Hintertür mit Mord und anderen Straftaten in einen Zusammenhang gebracht wird. Wieso gehen Sie zwangsläufig von Widerwillen und Abscheu aus die eine Sexarbeiterin wohl unweigerlich empfindet, wenn sie einen Mann vor sich sieht? Was haben Sie denn für ein sonderbares Verhältnis zu Ihren eigenen Geschlechtsteilen? Oder was sind das für Vorurteile die Ihnen offenbar nahelegen, dass Frauen sich beim Anblick eines männlichen Geschlechtsteils zwangsläufig ekeln müssen?
    Fahren Sie mal nach Schweden, wo die Freier kriminalisiert werden. Dort kommen Sexarbeiterinnen jetzt in die Situation, dass sie Freier nicht mehr ablehnen können, weil es immer weniger davon gibt. Die Lage für die Sexarbeiterinnen hat sich wesentlich verschlechtert. Heute kann ich mir meine Kunden dagegen aussuchen. Ich will, dass das so bleibt.

  21. „Auch wenn das Gesetz ganz offenkundig enorme Schwachstellen hat, bedeutete es einen gesellschaftlichen Fortschritt“ (Bronski). Dem stimme ich zu. Inzwischen sind diese Schwachstellen bekannt und könnten korrigiert werden. Den Freier zu kriminalisieren, wie es hier vorgeschlagen wurde, ist doch widersinnig und öffnet die Tür für Erpressungen.
    Trotz aller Aufklärung und einer kommerziellen Erotisierung des öffentlichen Raums, ist käufliche Sexualität gesellschaftlich in dunkle Ecken verbannt. Gerade deshalb können sich kriminelle Elemente hier austoben. Dem Menschenhandel könnte man schnell einen Riegel vorschieben, indem man den verschleppten Frauen und Kindern (Mädchen wie Jungen) sicheren Rechtsschutz und ein Bleiberecht (nicht Bleibepflicht) einräumen würde und ihnen auch Sicherheit gäbe, ihre Familien in der Heimat vor diesen Verbrechern zu schützen. Klar ist, dass man hier länderübergreifend handeln muss. Und man darf sich auch nicht scheuen, Täter, die sich an Minderjährigen ergötzen, auch in „höheren“ Kreisen zu suchen und zu finden.
    Würde man Prostitution etwas sachlicher als Dienstleistung verstehen, die der Gesellschaft nutzt, weil sie auch Menschen zu einer sexuellen Befriedigung verhilft, die nicht das Glück haben, diese in einer erfüllenden Partnerschaft zu finden, käme niemand auf die Idee sie zu verbieten. Der kriminelle Sumpf, der sich oft drum herum bildet, muss ausgetrocknet werden.

    Die Idee einen Blogtalk mit Frauen zu initiieren, die wissen, wovon sie reden, finde ich sehr gut.

  22. @ Max Wedell #19
    „ich habe den Eindruck, daß der Hauptunterschied zwischen uns darin liegt, daß Sie die mit Prostitution zusammenhängenden Handlungen immer noch für etwas Sexuelles halten, und ich nicht… bzw. für den männlichen Kunden ist es etwas Sexuelles, für die weibliche Diensteanbieterin nicht. Für die Frauen ist es ein Ausleihen des Körpers an andere, und die Hauptarbeit ist, den Widerwillen und die Abscheu dabei zu unterdrücken.“ (Max Wedell)

    Das ist nur eine Facette des Unterschiedes und sie ist unvollständig beschrieben. Ich würde zuerst andere nennen: Ich habe mich mit mehr dieser Frauen unterhalten als wohl die meisten Journalisten, die darüber geschrieben haben (s.o.). Was ich aber für genauso wichtig halte: Ich habe im Schichtbetrieb am Fließband gestanden, als Tagelöhner heißen Papierschlamm oder auch Kies geschaufelt, drei Wochen fast ohne Schlaf vor Grönland im Orkan gelegen und mit der wachsenden Aggressivität der Mannschaft gelebt, im Krankenhaus bei der Intensivpflege mir unbekannten sterbenden Menschen den Hintern abgewischt, kurz: ziemlich viele Situationen erlebt, bei denen man ein bisschen kaputtgeht. (Ein Freund von mir, der unvorbereitet Zivildienst in einem Pflegeheim machte, war nach drei Monaten wirklich ziemlich kaputt.) Zusammengefasst vermute ich eher, dass ich einen etwas anderen Zugang zum Leben und dem, was kaputtmacht, habe als Sie

    Dass ich eine Frau, die nicht die Wahl hat, nicht Prostituierte nennen würde, sondern Sklavin oder Leibeigene, hatte ich schon geschrieben und Saskia scheint ihren Kommentar dazu aus direkter eigener Erfahrung zu schreiben. Woher haben Sie ihre Weisheiten über „die Frau in der Prostitution“ und über den Schaden, den sie nimmt?

    Sorry, wenn ich jetzt einen weiteren OT-Vergleich bringe, aber er passt so gut, und Sie haben mein Bild vom moralischen Hammer (s.o.) offensichtlich nicht verstanden: Es hat auch beim Thema Abtreibung immer das Argument gegeben, dass Abtreibung krank mache. Das wurde auch durch Untersuchungen bestätigt. Bis man feststellte, dass die Traumatisierung durch die Abtreibung offensichtlich mit der umgebenden Gesellschaft variiert. Die neueren Untersuchungen kommen zu folgendem Schluss: „Laut dem APA-Bericht, der 2009 aktualisiert wurde, seien Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen nach einem Schwangerschaftsabbruch nicht der Eingriff selbst, sondern die wahrgenommene Stigmatisierung, Notwendigkeit, den Schwangerschaftsabbruch geheim zu halten, geringe soziale Unterstützung für die Entscheidung, niedriges Selbstwertgefühl, verleugnende und vermeidende Bewältigungsstrategien und vor allem vorangegangene psychische Probleme.“ (zitiert aus Wikipedia : Schwangerschaftsabbruch) Was da als Haltung der Gesellschaft beschrieben steht, liest sich, als sei es in früherer Gesellschaft für die alleinstehende Mutter geschrieben, ein Stand, der früher regelmäßig in die Prostitution führte. Man kann auch die Haltung der Gesellschaft zur Prostituierten so beschreiben. Diese Haltung macht krank.

    Was richtig ist, ist, dass sich die Prostituierten in unseren Gesellschaften, in denen Prostitution ins kriminelle Milieu gerückt wird, zu einem hohen Anteil aus Familien rekrutieren, in denen sie bereits Gewalt erfahren haben. Und die unsicheren Bedingungen, in denen wir die Prostitution halten, sorgen dafür, dass diese Gewalterfahrungen weitergehen, indem wir ein Milieu schaffen, in dem Prostituierte als Leibeigene von Zuhältern gehalten werden können.

    Es ist auch richtig, dass die besondere körperliche Nähe innerhalb der Sexdienstleistung eine größere Verletzlichkeit mit sich bringt, die psychische Schutzmechanismen erforderlich macht – das hat die Prostitution mit der Krankenpflege gemeinsam, auch wenn dort die Kontakte in einer anderen Richtung verlaufen.

    Ich gehe übrigens davon aus, dass Prostitution auf der Prostituiertenseite nur in Ausnahmefällen mit Sexualität zu tun hat, in der Regel sind das „Kunstfehler“, auf der Freierseite dagegen regelmäßig, aber nicht immer. Genauso wie ich davon ausgehe, dass die Fürsorge des Krankenpflegers nichts mit Liebe zu tun hat, auch wenn sie vom Patienten durchaus in dieser Form wahrgenommen werden kann.

    Deshalb noch einmal die Frage an Sie Herr Wedell: Woher stammt ihre Weisheit vom Schaden, der durch Prostitution entsteht? Entsteht er wirklich durch den Akt der Prostitution, oder durch die Begleitumstände, in die Sie und andere dieses Gewerbe durch ihre Haltung zwingen, sowie direkt durch die soziale Diskriminierung, die Sie diese Frauen erfahren lassen? Kennen Sie belastbare Untersuchungen zu diesem Thema?

  23. Es wäre die Frage zu stellen, wieso es überhaupt Menschen geben muß, die Sex kaufen oder verkaufen müssen.

  24. @Frank Wohlgemuth,

    ich kenne keine Studien zur Frage, welche Störungen bei den Menschen langfristig hervorgerufen werden, die sich prostituieren, d.h. die ihren Körper regelmäßig x-beliebigen anderen Menshcen zu deren sexuellen Nutzung zur Verfügung stellen. Einige einfache Überlegungen lassen mich allerdings auch ohne Studien zur Auffassung kommen, daß die Störungen allgemein und gravierend sind (von den Fällen mal ganz abgesehen, wo die Betroffenen das selber sagen… klar, man kann nie wissen, für welche Gruppengröße der Einzelfall steht).

    Menschen, die sich zu ihrer Arbeit überwinden müssen, werden krank, wenn sie diese Arbeit länger machen, d.h. sich monate-, jahre- oder gar jahrzehntelang zu dieser Arbeit zwingen müssen. Die Arbeit der großen Mehrheit der Prostituierten (Auf Straßenstrich und in Bordellen) mag Momente haben, in denen die Überwindung nicht vorhanden ist… aber das sind doch genau die Momente, in denen sie ihrer Tätigkeit gar nicht nachgehen, die Momente zwischen den Freiern. Sie sagen ja selbst, daß das Sexuelle bei der Tätigkeit für die Frauen keine Rolle spielt… die sexuelle Attraktion ist aber die einzige Kraft, die es erlauben würde, intime, sexuelle Handlungen mit einem anderen auszuführen, ohne das als Qual zu empfinden (Die einzige andere mögliche Kraft, die einer großen emotionalen Bindung, braucht hier nicht betrachtet zu werden, denn es wird ja wohl keiner glauben, daß die Prostituierte in heißer Liebe zum Unbekannten entbrennt, der da hineinschneit… die heiße Liebe beschränkt sich durchweg aufs Portemonnaie).

    Und das ist eben der Unterschied zu den Tätigkeiten, die Sie anführten: Die Qual ist tätigkeitsimmanent, sie ist nicht gelegentlich, sondern sie ist so mit der Tätigkeit verwoben, daß sie nur abgeschafft werden kann, wenn die Tätigkeit unterlassen wird.

    Ihre Behauptung, diese Qual käme nur so oder auch nur weitgehend deshalb zustande, daß die übrige Bevölkerung die Tätigkeit der Prostitution verpönt, ist doch vor diesem Hintergrund lächerlich. Sie behaupten damit ja: Den Körper wildfremden Menschen gegen jede eigene persönliche Neigung anderen, wildfremden Menschen zur sexuellen Nutzung zu überlassen ist überhaupt ganz problemlos und wird erst dann zum Problem, wenn andere bzw. die Gesellschaft solches Vorgehen verurteilt. Das halte ich, mit Verlaub, für Humbug. Es ist ein solcher universeller Instinkt des Menschen, Herr sein zu wollen über Vorgänge, die in sein Intimstes hineinreichen, und Umstände, die ihn diese Herrschaft verlieren lassen, vermeiden zu wollen, daß alle anderen Umstände nur sekundär sind, wie etwa die Frage, was andere dazu sagen.

    Was die Verwobenheit der Qual mit der Tätigkeit betrifft: Die drei Wochen Sturm des Hochseefischers, die ihn in besonderem Maße unter Streß setzen, sind doch nicht typisch für seine Tätigkeit. Bzw. wenn sie typisch wären, dann müssten selbstverständlich Schritte unternommen werden (z.B. durch die jeweiligen interessenvertretenden Organisationen), um die Mannschaftsstärke so aufzustocken, daß auch unter solchen Bedingungen ausreichend Schlaf möglich ist. Ich nehme Ihnen ab, daß es Sie krankmachen würde, ein Leben lang heißen Papierschlamm oder Kies zu schaufeln. Aber Sie sind Akademiker, für Sie gibt es auch andere Tätigkeiten. Für andere, z.B. geistig einfacher veranlagte Menschen hingegen gibt es doch keine zwangsläufige Verbindung zwischen reiner körperlicher Arbeit und Qual. Seinen Körper x-beliebigen anderen zur sexuellen Nutzung zu überlassen ist für den Menschen widernatürlich, harte körperliche Arbeit hingegen ist nicht widernatürlich, sondern in höchstem Maße natürlich… der Mensch ist so, wie er ist, um körperlich arbeiten zu können. Damit setze ich mich natürlich nicht dafür ein, daß man jetzt die Angebote solcher Arbeit maximieren sollte, der Trend, solche Arbeiten, wo möglich, zu automatisieren, ist natürlich positiv. Wenn Sie die Intensivpflege ansprechen, so ist das tatsächlich auch ein Gebiet, in dem das Widernatürliche Einzug gehalten hat: Landesweit schieben ganz viele Menschen ihre Angehörigen, wenn sie einmal pflegebedürftig sind, in irgendwelche Anstalten ab… statt daß also dann jemand dem sterbenden Menschen den Hintern abwischt, weil er ihn liebhat, wie es eigentlich normal wäre, müssen dann Fremde diese Arbeit übernehmen. Die Arbeitsteilung ist verbreitet in unserer Gesellschaft, und es ist auch überhaupt nichts dagegen zu sagen, nicht selber seine Schuhe herzustellen, sondern dies andere tun zu lassen, aber die Fürsorge für die alten und gebrechlichen Eltern o.a. engen Verwandte gegen Geld anderen zu überlassen ist kaum weniger pervers als die Erledigung der sexuellen Triebabfuhr von anderen mit Geld zu erkaufen. Die in der Pflege Arbeitenden sind ein Stückweit also tatsächlich die Leidtragenden eines abartigen Systems. Aber dennoch macht das Abwischen des Hinterns wildfremder Menschen (oder sonstige Tätigkeiten, für die jeder Mensch sich überwinden muß) nicht die alleinige Tätigkeit des Pflegers aus, es gibt genügend andere Tätigkeiten im selben Beruf, die es auch erlauben, Befriedigung und Gewinn aus der Tätigkeit zu ziehen, wenn z.B. positiver Austausch mit den zu Pflegenden stattfindet. Die Tätigkeit der Prostituierten besteht im Gegensatz dazu in der Regel aber NUR aus dem Abwischen des Hinterns (im übertragenen Sinne). Hinweis: Der Freier, der nur reden will, kommt vor, aber nicht so oft, wie es das Klischee nahelegt, sondern nur ganz selten.

    Ansonsten geht es nicht um einen Wettbewerb, wer jetzt schonmal mit mehr Prostituierten geredet hat. Ich kann mit 1000 Prostituierten übers Wetter reden, aber das würde mich in der Prostitutionsfrage überhaupt nicht kompetenter machen. Was hat eine Prostituierte davon, wenn Sie Ihnen als Doc für Geschlechtskrankheiten haarklein auseinandersetzt, was für einen Scheißjob sie da macht, was es sie für Überwindung kostet uswusf. Sie wird versuchen, den Zettel zu bekommen, der ihr die Ausübung der Tätigkeit erlaubt, und jeden damit verbundenen Smalltalk absolvieren. Sollten Ihnen aber die Prostituierten in größerer Anzahl glaubhaft versichert haben, wie befriedigend der Job für sie doch ist, dann können Sie ja einmal hier erläutern, wie diese Befriedigung zustandekommt.

    Noch etwas zur „gesellschaftlichen Anerkennung“. Es mag ganz vereinzelt Fälle geben, in denen Anlaß zu einer solchen Anerkennung bestünde, etwa im Fall von Schwerbehinderten (sie brachten dazu ja einen Link). Ansonsten findet aber die ganz rudimentäre Sexualität, die im Rahmen von Prostitution stattfindet, deswegen statt, weil Männer die Wege zu einer vollständigeren Sexualität nicht gehen wollen oder können. Entweder kennen sie nichts anderes als diesen 10-Minuten-Karnickelsex, oder sie haben keine Lust oder Zeit auf die mit anderen, erfüllteren Formen der Sexualität verbundenen Riten… wie z.B. der Werbung um den Partner. Prostitution ist daher als Instrument zu verstehen, das es Männern erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht, auf einer teilweise bzw. in manchen Fällen ziemlich kranken aber jedenfalls objektiv völlig suboptimalen Entwicklungsstufe stehenzubleiben, was ihre Sexualgewohnheiten angeht. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wo jetzt die „gesellschaftliche Anerkennung“ herkommen soll angesichts dieser Rolle der Prostitution… nur weil ein momentaner Druck erleichtert wird? Aber gerade dieser Druck ist es doch, der, wenn er eben nicht augenblicklich im Moment seiner Entsteheung oder jedenfalls möglichst schnell danach beseitigt wird, die Menschen zum Partner drängt, zur Werbung um ihn, was dann letztendlich in eine Partnerschaft mündet, die nicht nur aufgrund von Geld zustandekommt, und die auch in der Regel noch mehr ergibt als nur die Beseitigung eines sexuellen Bedürfnisses.

    Die Behauptung, man müsse Prostitution deshalb irgendwie gesellschaftlich anerkennen, weil Druck abgebaut würde, ist also falsch… gerade weil sie den Druck abbaut, ist die Prostitution auch gesellschaftlich SCHÄDLICH.

    Und die Behauptung, daß die Bedingungen, unter denen Prostitution stattfindet, irgendwie von der gesellschaftlichen Anerkennung abhingen, ist sowieso reichlich haltlos. Die gesellschaftliche Anerkennung ist jedenfalls soweit gediehen, daß Prostituierte sich sozialversichern lassen können. Mageres Resultat nach 11 Jahren diesbezüglicher Gesetzgebung: 44 Prostituierte sind sozialversichert… von hunderttausenden. Oder wollen Sie behaupten, daß sich die Frauen alle schämen, einen Behördengang in dieser Sache zu machen? Auch die Untergruppe all jener Frauen, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig Ärzte aufsuchen müssen, die auch keinen Zweifel über die Natur ihrer Beschäftigung haben können?

    Auch andere Arbeitsumstände werden regelmäßig mit „gesellschaftlicher Ablehnung“ durcheinandergebracht. Prostituierte stehen z.B. nicht deswegen an Straßen, weil sie dorthin gedrängt werden („an den Rand gedrängt werden“), sondern weil das einfach für viele Freier der einfachste Zugang ist, sich ins Auto zu setzen und die Frauen von der Straße aufzusammeln. uswusf.

  25. P.S.:

    „Was richtig ist, ist, dass sich die Prostituierten in unseren Gesellschaften, in denen Prostitution ins kriminelle Milieu gerückt wird, zu einem hohen Anteil aus Familien rekrutieren, in denen sie bereits Gewalt erfahren haben.“

    Und, was versprechen Sie sich jetzt davon, wenn Prostitution nicht mehr ins kriminelle Milieu gerückt würde (was eigentlich ja schon sowieso jetzt der Fall ist, obwohl Sie das abzustreiten scheinen)? Daß Prostituierte, die aus Familien stammen, in denen sie Gewalt erfahren haben, dann auf einmal sagen: Nein, weil es jetzt nicht mehr ins kriminelle Milieu gerückt wird, mache ich es nicht mehr?

    Nein, wenn Menschen schon in der Familie Gewalt erfahren haben, ist ihre Autonomieentwicklung mehr oder weniger stark gestört… und es erleichtert diese Art von Tätigkeit ungemein, wenn man sich nicht als Menschen begreift, der Herr über sich selbst bzw. den eigenen Körper ist, wenn man aufgrund seiner Familienerfahrung gelernt hat, der Mann dürfe auch körperlich über einen herrschen. Mit „kriminellen Milieus“ hat das nicht das Geringste zu tun (wenn man davon absieht, daß die Verweigerung einer Erziehung, die den Heranwachsenden am Ende zum Autonomen und Selbstbestimmten hin erzieht, per se schon als „kriminelles Milieu“ auffassen kann).

  26. Das Argument, mit einem Verbot dränge man die Prostituierten ins Dunkle, wo das, was ihnen wiederfährt, überhaupt nicht mehr wahrgenommen wird, es also für die Prostituierten nur noch schlimmer werden kann, ist nur teilweise stichhaltig.
    Erstens wird dabei der Grad, die Menge der Prostituierten vergessen: Nach einem Verbot dürfte es nur noch eine vergleichsweise geringe Anzahl von P. geben; Prostitution als Chance, hier Geld zu verdienen, fiele für Abertausende junge Frauen insbesondere in Südosteuropa weg und somit die damit verbundene „berufliche Perspektive“ (ob von Menschenfänger gezwungen oder nicht).

    Zweitens: Wenn man in einschlägigen „Freierforen“ Berichte über Zustände in Bordellen, insbesondere in kleinen, Wohnungsbordellen, liest, kann man sich sich eine weitere Verschlechterung nach einem Verbot gar nicht vorstellen, schlimmer geht’s schon jetzt gar nicht mehr, beispielsweise für 18-Jährige Moldawierinnen, die in 10-14-Stundenschichten bei sogenannten „AO-Gangbangs“ von Horden von Freiern ohne Kondom, einer nach dem anderen, auch anal, penetriert werden, ohne ausreichende Möglichkeiten der Reinigung zwischendurch (man nennt das „Schlammschieben“). Überflüssig zu erwähnen, das diese Frauen neben dieser „Arbeit“ wohl auch ihren Zuhältern stets zu Diensten sein müssen.

  27. Max Wedell
    Vielen Dank dass Sie so intensiv auf meine Worte eingehen. Ich habe bei der Hälfte Ihres Kommantars aufgehört zu lesen. Was für ein Mist! Ich habe selten jemand erlebt, der teoretisch so viel zu sagen hat und der von der Praxis gar nicht, aber auch nicht im entferntesten beleckt ist. Gut, blenden Sie die Wirklichkeit ruhig aus. Das machen andere ja schließlich auch so. Die Herren lassen sich gern mit ihren Familien fotografieren und filmen lassen und dass sie Karriere machen in ihrer heilen Welt. Aber wenn sie bei mir sind, gibt es immer wieder Diskussionen ob man wirklich ein Gummi nehmen muss. Der Begriff Doppelmoral ist Ihnen bestimmt bekannt.
    Ja, was ist schädlich? Was ist ein Volksschädling? Ich? Ich weiß gar nicht wie viele Ehen ich gerettet habe, weil Männer bei mir etwas bekommen was sie zu Hause nicht mehr bekommen. Ich sage immer: Eine gute Sexarbeiterin ersetzt den Familienterapeuten. Gut, das Reden überlasse ich Typen wie Ihnen die es besser wissen.

  28. @ all

    Ich sage an dieser Stelle Stopp in dieser Diskussion, weil ich nun erst einmal Blog-Regel Nr. 7 anwenden möchte. Ausgenommen davon ist Herr Wohlgemuth, der mir weit genug bekannt ist. Möchten Sie antworten, Herr Wohlgemuth?

  29. @ Bronski

    Damit ist die Diskussion jetzt abgewürgt. Aber ich verstehe nicht ganz, warum. Herr Wohlgemut hat seine Position schon überzeugend dargelegt. Was sollte er noch schreiben? Alle anderen Stimmen sind suspekt?

  30. Es ist richtig, dass ich eigentlich schon gesagt habe, was ich wollte. Aber einige Bemerkungen Hernn Wedells verlangen eine Präzisierung von mir, ich möchte deshalb einige Missverständnisse korrigieren:

    Ich habe während meines Studiums u.a. als sehr hoch qualifizierter MTA und als Pfleger gearbeitet, bin aber kein Mediziner. Bei den Gesprächen im „Nutten-TÜV“ war auch der jeweilig diensthabende Mediziner dabei, aber wenn es zu diesen Gesprächen kam, war das, wenn genügend Zeit dazu da war, war völlig unabhängig von der Vergabe irgendwelcher Scheine (die auch nicht von Medizinern vergeben wurden, sondern von Sozialarbeiterinnen) in einer freundlichen Atmosphäre beidseitiger Neugier. Das Formale, in diesem Fall eine kostenlose Behandlung mit dem Antibiotikum der Wahl, wurde fachgerecht und normalerweise freundlich erledigt, egal ob die zu behandelnde Frau gerade gut drauf war oder nicht. Sie durfte uns auch mal anranzen, solange das in gewissen Grenzen blieb – wir wussten, dass das nicht immer sehr schön war, was die gerade als Dienst hinter sich hatten und dass es unter Umständen deprimierend sein konnte, im Arztzimmer wieder zwei „Schwänze“ zu sehen. Der eigentlich intime und schwierige Job, die Schleimhautabstriche zu machen, die ich dann mikroskopierte, war aus genau diesem Grund die Arbeit von Schwestern mit viel Übung und sowohl technischem Können als auch Gefühl für die Frauen. Was ich bei diesem Job gelernt habe, war etwas über die Bandbreite dieses Berufs – die Frauen, die uns aggressiv entgegen kamen, waren in der Minderheit, eingeschüchtert war keine, der Umgangston war mit Sicherheit entspannter als in vielen anderen Behörden, und das, obwohl die Frauen damals nicht wirklich freiwillig da waren. Die rechtliche Lage war so, dass die Denunziation eines Nachbarn ausreichen konnte, um jemanden polizeilich vorführen zu lassen. Das habe ich allerdings nie erlebt, die Mehrzahl der Frauen hat den gesundheitlichen Service, der da geboten wurde, auch als solchen wahrgenommen und hat das auch nicht als Schikane empfunden.

    Es geht mir wirklich nicht um einen Wettbewerb mit den meisten Gesprächen, ich brauche eigentlich auch nicht die Gespräche selbst anzuführen, es reicht ein Resümee über die Atmosphäre, die die im Flur wartenden Frauen verbreiteten, die sich bis auf die stärker signalbetonte Kleidung kaum von einer Atmosphäre unterschied, wie ich sie auch bei Frauen am Fließband kennengelernt habe, wo ich – Studenten sind vielseitig einsetzbar – auch öfter gestanden habe. Auch da war das Echo von „Schon wieder ein Schwanz“ bis zu „Na wie wärs, Kleiner“, auch da gab es Frauen, die nur mit einer Mischung von Alkohol und Aufputschmitteln am Band stehen konnten, die fast auf allen Vieren zum Band gekrochen sind und entsprechend zugedröhnt (Akti(vanad) mit Schuss) irgendwann singend am Band standen. Ich möchte nicht wissen, wie es denen in ihrer Freizeit ging. Und es unterschied sich bis auf die spezifische sexuelle Komponente mir gegenüber auch nicht wesentlich von der Atmosphäre, die Männer am Fließband oder Tagelöhner im Hafen verbreiten – von den letzteren haben mehr gesoffen, von den Seeleuten auch. Es geht also hier nicht um ein „Aber da habe ich mal eine gesprochen …“, es geht um eine Summe von Eindrücken, die nicht dazu passen, dass die Konstruktionen des Herrn Wedell, so gut sie auch klingen, die Welt der Prostitution repräsentativ beschreiben. Was an dieser Stelle auch noch erwähnt werden sollte, waren die Frauen 40+, die es auch gab, die „nebenberuflich“ anschaffen gingen, und die deshalb auch zu anderen Terminen eingeladen wurden, um sie nicht in die Arme von Zuhältern zu treiben, die draußen auf ihre „Rennpferde“ warteten. Die waren dann oft schon mehr als 20 Jahre im Geschäft, aber sowohl äußerlich als auch vom Auftreten eigentlich unauffällige „Hausfrauen“. Deren Existenz allein ist schon ein sehr starker Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit der Wedellschen Beschreibung der Gegebenheiten.

    Was Max Wedell richtig beschrieben hat, ist dass Arbeit, zu der man sich überwinden muss, auf Dauer krank macht. Unabhängig, davon wie die aussieht. Aber wir suchen uns normalerweise, wenn wir die Wahl haben, die Berufe aus, die wir ertragen (Ich habe mir übrigens meine Jobs auch danach ausgesucht, was ich ertrage und habe immer gern körperlich gearbeitet, ob in der Ausschußauflösung einer Papierfabrik mit x Tonnen Papier, die damals direkt über die Schulter gingen, im Hafen oder mit Axt, Motorsäge und Sense in der Landschaftspflege – ich empfand das als guten Ausgleich zu anderen Arbeiten.

    @Max Wedell: Es ist bedauerlich, dass Sie nicht dem Link zu Beschreibung des Dokumentar-Filmes über die Arbeit der Rachel Wotton gefolgt sind, sonst hätten Sie gemerkt, dass Sie nur eine Seite der Prostitution beschreiben. Das andere Extrem ist tatsächlich Prostitution nicht unbedingt mit sexueller, aber mit fürsorglicher Hingabe. Dieser Film wurde übrigens mit Empfehlungen der Aktion Mensch nach Europa geholt. Ganz abgesehen davon, dass nicht jeder Freier den kurzen Sex will, einige wollen sogar nur reden, sind es mehr als diese, die sich auch einfach Zuwendung erkaufen. Den Ekel davor lernt man wahrscheinlich ebenso zu überwinden wie in der Pflege oder der Pathologie.

    Noch ein Wort zum kriminellen Milieu: Wer das Werkzeug nicht schafft, den Menschenhändlern das Handwerk zu legen, macht eine Einladung zum Menschenhandel an das organisierte Verbrechen. Und wer mit frei phantasierten Zusammenhängen Freier kriminalisieren will, der sollte nicht erzählen, es gäbe keinen Druck für dieses Gewerbe, sich im Dunkel zu bewegen.

    Die erstaunlichste Volte fand ich allerdings die Forderung nach einem Erhalt des sexuellen Druckes zur Förderung der Paarbildung. Aua. Ganz abgesehen davon, dass heute überall und leichtest zugänglich Wichsvorlagen zu bekommen sind, das Internet macht es möglich – was wäre das für eine jämmerliche Basis für eine Gemeinschaft. Im arabischen Raum gibt es dafür sogar die mehrstündige Kurzehe, die kommen da ohne Prostitution aus und haben sogar den priesterlichen Segen. Meinen Sie soetwas?

    Bei aller Freude am Sex und heutzutage auch gerade wegen dieser Freude: Wir sollte aufhören, die Sexualität auf der einen Seite als widerliche Triebabfuhr und gleichzeitig nur auf der anderen Seite als heiligen Akt im Dienst der von Gott gespendeten Gemeinschaft zu sehen. Sexualität kann widerlich sein, aber das liegt dann daran, dass es widerliche Menschen gibt, die alles widerlich machen, was sie anfassen. Sexualität als Heiligtum soll der so halten, der daran glaubt. Normalerweise spielt sie sich aber im Bereich dazwischen ab, nicht nur zwischen diesen komischen Extremen, sonder auch zwischen Menschen, weder besonders schmutzig noch besonders heilig und zwischen zivilisierten Menschen durchaus auch dienstleistungsfähig.

  31. Ja, I.Werner, damit ist die Diskussion jetzt abgewürgt, was diesen ersten Teil betrifft. Wie gesagt, Blogtalk … Leider hat mich jetzt ein grippaler Infekt erwischt.
    In dieser Diskussion kamen wir an einen Punkt, an dem die Kontrahenten anfingen, einander mit nicht überprüfbaren Behauptungen zu konfrontieren. Die eine berichtet über ihre positiv klingenden Erfahrungen, die sich nicht überprüfen lassen, der andere zitiert widerliche Foren-Einträge, ohne Links beizusteuern. Wenn in einer Diskussion ein Begriff wie „Volksschädling“ auftaucht, ist Vorsicht geboten. Ich habe diesen Kommentar nur zugelassen, weil Saskia diesen Begriff auf sich selbst angewendet hat, wenn auch mit dem Wunsch, Max Wedell bloßzustellen. Das hat sie insofern geschafft, als Max Wedell auf diesen Punkt nicht eingegangen ist, wie immer, wenn ihm eine Argumentation nicht in den Kram passt. Das ist ja leider seine Diskussionsstrategie, die von Jutta Rydzewski und anderen im Lauf der Jahre des öfteren beklagt wurde. Hier war das besonders auffällig. Darum soll meine Kritik hier jetzt auch so stehenbleiben.
    Ich möchte jetzt erst einmal Informationen über die Identitäten von Saskia und Benson Hedge einholen. Dann sehen wir weiter.

    Noch ein Link für alle zu einem Interview von Jungle World.

  32. Es waren Feministinnen, die in den 1970er Jahren Seite an Seite mit Prostituierten protestierten: gegen die Doppelmoral und Behandlung als Menschen zweiter Klasse. Ab den 80er Jahren galt Prostitution in Deutschland als cool, vor allem in grünen, aber auch in manchen feministischen Kreisen als „Beruf wie jeder andere“. EMMA hatte immer eine radikal andere Position: Solidarität mit den Prostituierten – aber Kampf der Prostitution. Denn Prostitution zerstört nicht nur Körper und Seele der sich prostituierenden Frauen (die nicht selten Hausfrauen sind, die heimlich dazu verdienen), sie macht alle Frauen zum käuflichen Geschlecht.

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