Krampfhaft aufs Deutschsein beschränkt

Leitkultur? Hatten wir das nicht schon mal? Ja, alles schon mal dagewesen. Die Debatte zieht sich mittlerweile quälend über ein ganzes Jahrzehnt hin, seit Bassam Tibi in seinem Buch „Europa ohne Identität“ (1998) den Begriff prägte – als europäische Leitkultur, wohlgemerkt. (Zur Geschichte des Begriffs hier zu Wikipedia.) Die Debatte beschäftigt vor allem die Konservativen, die, wie es scheint, in einer Selbstvergewisserungs-Krise stecken. So forderte die CSU auf ihrem jüngsten Parteitag von Migranten, die dauerhaft in der Bundesrepublik leben wollen, sich in die deutsche Leitkultur zu integrieren. Außerdem sagt die CSU: „Deutschland ist kein klassisches Zuwanderungsland.“ Klassisches Zuwanderungsland? Was ist das? Und was ist Leitkultur? McDonalds? Ikea? Hypo Real Estate? Sloterdijk? Necla Kelek? Das Grundgesetz? Die Bergpredigt? Der Talmud? IWF? Mario Barth? Tatort Internet? Castor-Transporte? Stuttgart 21? Oder doch eher, wie es hier im FR-Blog schon mal hieß, das Sandmännchen, mit dem Kinder früher zeitig zu Bett geschickt wurden? Die europäische Menschenrechtskonvention? Grundrechte wie Religions- und Meinungsfreiheit? Könnten uns das die Konservativen bitte mal erklären? „Multikulti“ wird für gescheitert erklärt, der Kulturkampf von konservativer Seite damit für gewonnen erklärt – aber die Klarheit, die da gewonnen worden zu sein scheint, existiert überhaupt nicht. Im Gegenteil, es existiert eine riesengroße Begriffsverwirrung. Da mögen konservative Politiker andauernd von Leitkultur sprechen und damit eine begriffliche Eindeutigkeit suggerieren – sie wissen selbst nicht, was sie meinen. Sie führen eine quasi-religiöse Debatte.

Mit der Rede von Bundespräsident Christian Wulff zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit kam ein neuer Zungenschlag in die Debatte, der dieselbe alles andere als vereinfacht: Da sprach unser Präsident von unserer  „christlich-jüdischen Geschichte“. Ich glaube ja, damit wollte er ganz einfach nur alle umarmen; und indem er die jüdische Geschichte des Abendlandes mit ins Boot holte, fiel es natürlich leichter, auch den Islam einzuladen, in Deutschland existent sein zu dürfen. Trotzdem – „christlich-jüdische Geschichte“, das soll einigen? Was ist denn die christlich-jüdische Geschichte in Deutschland? Der Holocaust? Die mittelalterlichen Pogrome gegen Juden? Ihre Ausgrenzung und Ghettoisierung? Ihre Rolle als Sündeböcke oder fuggerische Geldbeschaffer für Fürstenhäuser am Beginn der Neuzeit? Ja, das ist die gemeinsame Geschichte – und das Alte Testament. Und da wird’s dann wieder religiös. Das Abendland hat eine vorwiegend antijüdische Tradition. Lange Zeit existierten beide Kulturen, abgesehen von wenigen Schnittstellen, an denen die Juden gebraucht wurden, unversöhnlich nebeneinander. Diese Unversöhnlichkeit ist es, die die „christlich-jüdische Geschichte“ kennzeichnet, und diese Unversöhnlichkeit kennzeichnet auch die ganze Leitkultur-Debatte.

Da sehnt man sich ja fast schon nach Friedrich Merz und seiner Leitkultur-Definition zurück: „Die Regeln des Zusammenlebens“ waren für Merz die „freiheitliche deutsche Leitkultur“. Ihre Werte: Demokratie, Laizismus, Aufklärung, Menschenrechte und Zivilgesellschaft. Merz fügt Tibis Kanon hinzu: deutsche Sprache, Grundgesetz, die Stellung der Frau. In seiner Analyse „Der wärmende Muff der Leitkultur“ nennt Thomas Kröter das „Verfassungspatriotismus“. Schon damals fragte Paul Spiegel, früherer Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Was soll das Gerede von Leitkultur“? Nach dem Grundgesetz sei die Würde des Menschen unantastbar, „nicht nur die des mitteleuropäischen Christen“.

FR-Leser Alfred Treibeis aus Idstein meint zu dieser Debatte:

„Schon lange rege ich mich über die teils niveaulos geführte Debatte über das Deutschsein, über Leitkultur und ähnliche oft im Gegensatz zum Anderssein definierte Begrifflichkeiten in unserer Talk-, Print- und Medienwelt auf. Meist bilden nach Deutschland eingewanderte oder hier mit nichtdeutschem Pass geborene Mitmenschen den Hintergrund für diesen äußerst vordergründigen Diskurs. Im Fadenkreuz von Sarrazin, Seehofer u.a. stehen dabei besonders Menschen türkischer Herkunft. Dass der Antiislamismus/Antiturkismus, kurzum die Fremdenfeindlichkeit mal wieder arg ins Kraut schießen und in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist, macht mich regelrecht wütend. Ich erinnere mich noch gut, dass z.B. die Parole: „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ Anfang der 80er Jahre u.a. im Mainzer Raum auftauchte und zwar aus dem Umfeld des sog. „Nazimüller“.  „Meine“ Berufsschüler in Mainz hatten mich zuerst damit konfrontiert. Längst ist dieser Spruch unreflektiert hoffähig geworden.
Inzwischen belegen seriöse Umfragen, dass ein großer Teil der Deutschen incl. vieler ZeitgenossInnen aus der Mittel-/Oberschicht die rassistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen in Sarrazins Denken teilen (vielleicht ist der Antiturkismus/Antiislamismus auch u.a. an die Stelle des fast verlorengegangenen Antikomunismus getreten?). Danach möchten weit über die Hälfte der Deutschen die Religionsfreiheit der Muslime erheblich einschränken. Nach einer Umfrage von Infratest-Dimap für die ARD hielten es 37 Prozent der Bürger für besser, wenn es in der Bundesrepublik keinen Islam geben würde. Sind das nicht schon bedenkliche Hinweise für einen eindeutigen Rechtsruck in unserem Land?
Zu Recht beklagt I. Trojanow in der taz vom 13.10. den moralischen wie intelektuellen Niveauverlust dieser deutschen Gegendenker, die „Ressentiments für Waffen der Aufklärung halten und den verächtlichen Ton von Sarrazin für Musik.“ Dass nun von Teilen der  “herrschenden Klasse“ jüdische Kultur und Tradition in Kombination mit der christlichen benutzt wird, um sie gegen die „Anderen“ in unserem „Vaterland“ identitätsstiftend in Stellung zu bringen, schlägt dem Fass den Boden aus.
Sehr treffend wehrt sich der Schriftsteller Rafael Seligman gegen diese Vereinnahmung.  In der FR vom 14.10. schrieb er: „Nein, wir Juden lassen uns nicht gegen die Moslems in Stellung bringen. Allerdings meine ich, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, die deutsche Sprache zu erlernen und ihren Kindern keinen Hass gegen Juden zu erlauben. Wir werden miteinander zurechtkommen und uns nicht um Vorurteile scheren.“
Nicht erst seit Martin Luther – dem großen Deutschen – definierte sich Deutsches Selbstverständnid vorwiegend antijüdisch.   Ist etwa Auschwitz mitgedacht bei diesem Leitkulturgerede ? Oder halten es die ideologischen „Leithammel“ der Leitkulturdebatte noch mit Franz Josef Strauss, der sinngemäß einmal verlauten ließ: ein Volk mit solch großen wirtschaftlichen Leistungen hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu müssen?  Und was verstehen die um den Bestand des „Deutschtums“ sich sorgenden eigentlich unter christlich?  Humanes, tolerantes und weltoffenes Fühlen, Denken und Handeln musste meist gegen den christlichen Mainstream erstritten und behauptet werden. Gut, da hat sich inzwischen auch einiges zum Besseren gekehrt.  Trotzdem: „Vorsicht Deutschland“, sonst droht bei dieser bedenklichen „Rolle rückwärts“ mal wieder ein großflächiger Verlust der „humanen Orientierung“.
Nun geht es darum, den „Biedermännern und Biederfrauen“ die Steichhölzer zu entwinden, ehe sie erneut „Brand stiften“. Sollte man nicht einmal angesichts dieses  verengenden und  fast krampfhaft auf das Deutschsein beschränkten Nachdenkens und Propagandageredes,  gleichsam als heilsamen Kontrapunkt, eine ganz andere Perspektive für den in Deutschland lebenden Menschen des 21.Jahrhunderts in die Debatte einbringen? Die Identität dieses Menschen könnte etwa folgendermaßen beschrieben werden: Er ging nicht in die Kirche. Er lebte nicht nur in Deutschland.Er arbeitete auf allen Kontinenten und mit Menschen aus allen Ländern.Seine Leitkultur war geografisch nicht zu verorten. Sie war immer andernorts und überall zugleich. Er war im Zwischenraum zu Hause, wo ein Mensch auf den anderen trifft. (Hier habe ich einen Gedanken aus dem Buch „Andernorts“von Doron Rabinovici in abgewandelter Form verwendet).“

Jürgen W. Fritz aus Frankfurt:

„Fast etwas überraschend kam die öffentliche Beschwörung der ‚judäo-christlichen Prägung‘ unseres Landes auf (FR v. 27.10.10). Bundespräsident Wulff stieß das Thema an in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung. Seine Ansprache in Bremen endete mit dem bemerkenswerten Ausruf: „Gott schütze Deutschland“ (erinnerte an Graf Stauffenberg).
Bleibt am Rande zu hoffen, dass dieser fromme Wunsch auch an Allah gerichtet war. Zuvor sprach er von ‚unserer‘ christlich-jüdischen Geschichte‘ in Deutschland. Auch Barbara Stollberg-Rilinger gebraucht diesen aktuell gewordenen Begriff in ihrem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau (27.10.10).
So einfach ist die Sache indes nicht, wie etwa bei den Angel und den Sachsen. Christen und Juden in Deutschland und auch Europa sind nicht nur zwischen 1933 und 1945 höchst unterschiedliche Wege gegangen, zwangsweise versteht sich! Diese beiden Glaubensrichtungen jetzt in Reden und Artikel unreflektiert zusammenzustecken, ist schon ein arges Stück Verwirrung. Die FR hat das in ihrem Beitrag zum neuen Programmentwurf der CDU auch berechtigt aufgegriffen. Bei den Christdemokraten floss der frisch-entdeckte Modebegriff ebenfalls sogleich ein. Dazu fragt die FR: „Ist damit das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gemeint?“
Allerdings wäre diese Maxime wieder lediglich den Juden anzulasten. Jesus kann man dabei beruhigt aus dem Diskussions-Spiel lassen. Der hat sich bekanntlich dazu eindeutig ablehnend geäußert: „Liebe deine Feinde“ (Matth 5,44) und in der Bergpredigt „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen“ (Matth. 5,5) Das ist wohl klar genug, auch für heutige Leser (und Schreiber).
Die ‚christlich-jüdische Tradition‘ ist als Leitbild ungeeignet, wie oft man sie auch gerne beschwören mag.
Seit frühen christlichen Tagen wurden Juden von Christen diskriminiert, vertrieben und verfolgt. Einer der Höhepunkte in der schmerzlichen „gemeinsamen“ Geschichte waren bereits die Zeiten der Kreuzzüge um 1100. Die Jahrzehnte der Pest brachten neue christliche Gräueltaten hervor: Männer, Frauen und Kinder wurden erschlagen, ertränkt, verbrannt, gerädert, gehenkt, zerhackt, gevierteilt, erwürgt oder auch lebendig begraben.
So bösartig ist die gemeinsame christlich-jüdische Tradition des Abendlandes. Offensichtlich kennen sich da einige Persönlichkeiten in der deutschen Geschichte nicht sonderlich aus – oder die Redner sind Meister im verdrängen.
Weder die Scheiterhaufen von Jan Hus noch Giordano Bruno oder Michael Servetus in Genf (auf Betreiben Calvins) möchte man als abendländisch-christliche Tradition besonders herausstellen. Und auch der hetzerische Bernhard von Clairvaux oder der Frankfurter Vinzenz Fettmilch, Anführer bei der Plünderung der Frankfurter Judengasse 1614 taugen als Vorbild zur gemeinsamen „christlich-jüdischen“ Tradition.
Großinquisitor Torquemada und seine spanischen Folterknechte gehören zur „christlichen Tradition“; dazu die „allerchristlichsten Heere“, die sich von 1618 bis 1648 Jahr für Jahr und Monat für Monat gegenseitig die Köpfe einschlugen. Für „Sonntagsreden“ über „christliche Tradition“ des Abendlandes bringt das heute aber nicht mehr viel.
Selbst die neueste Zeit gibt für die „christliche Tradition“ nicht so richtig etwas her. Als Beispiel für die evangelische Seite sei erwähnt der evangelische Reichsbischof („Reibi“) Ludwig Müller, er nahm sich im Juli 1945 in Berlin aus naheliegenden Gründen das Leben.
Für die Katholiken gibt es drei herausragende Kardinal-Beispiele: a) Kardinal Theodor Innitzer (Wien), einer der „Jubelperser“ des Österreich-Anschlusses, b) Clemens August von Galen (Münster), er betete öffentlich für den Sieg der Wehrmacht über die «bolschewistische Bedrohung» des deutschen Volkes, und c) Kardinal Adolf Johannes Bertram (Breslau), der in seiner nationalsozialistischen Verblendung nach dem Tod in Berlin seine Geistlichen anwies, in den Kirchen für den „Führer“ eine Totenmesse (Requiem) zu feiern. Soweit ein kursorischer Gang durch die „christliche Tradition“ mit ihrer Repräsentanten.
Und auch im Gespräch der Frankfurter Rundschau vom 27.10.10mit Frau Stollberg-Rilinger ist etwas schief geraten, wenn sie über unsere „Grundrechte“ sinniert und den von verschiedenen Seiten vorgebrachten Einwand erwähnt, „der Koran sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das bitteschön (meint die Dame herzhaft) trifft ebenso auf das Alte Testament zu.“ Aber ja doch: das Alte Testament ist für uns Heutige ganz gewiss keine simple Handlungsanweisung zum Zusammenleben in Deutschland. Nur ist Ihre Interview-Dame zu befragen, welcher Rabbi sich denn, bitte sehr, in welcher deutschen Synagoge derzeit darauf beruft? Um aus dem Alten Testament unser aller Leben in Deutschland neu zu gestalten?
Bei Koran und Scharia sieht’s eben ganz anders aus, die wurden bisher noch nicht von der europäischen Aufklärung zur Modifizierung angeregt. Der Koran wird hierzulande von Freitag zu Freitag den eingewanderten „Gläubigen“ als Handlungs- und Lebensmaxime vorgetragen.
„Die Guten, die auch ins Paradies kommen, sind die gottesfürchtigen Väter, die darauf achten, dass ihre Töchter nicht vom schlechten Geist der Ungläubigen infiziert werden; die Schlechten, die in „Erniedrigung und Unwürdigkeit“ leben -, das sind die „Schauspieler, Tänzer, Sänger“ – wird Gottes Strafe treffen, genauso wie die „Westlichen“, die kein Glück im Sinne des Islam spüren können. Das sind die seelischen Aufrüstungen, die Familien sich holen, deren Kinder dann in den Schulen die „Huren“ und „Schlampen“, die „Christen“ und „Schweinefleischfresser“ jagen“, FAZ vom 15.10.10.
Zieht man ein Resümee, dann sind unsere Werte: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Stimmengleichheit, Religionsfreiheit, die Werte unseres Grundgesetzes eben, keine Errungenschaft der Christenheit, Juden hatten im Abendland, wie bekannt, zu keiner Zeit einen gestalterischen Einfluß auf die Gesellschaft. Und was wir heute täglich diskutieren müssen, muslimische Werte sind es schon gar nicht. Von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – und Schwesterlichkeit, von den Toleranzgedanken eines Lessing und Voltaire sind die Imame und ihre Gläubigen unter uns noch wahrlich etwas entfernt.“

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138 Kommentare zu “Krampfhaft aufs Deutschsein beschränkt

  1. frieden allen!
    „frieden?“
    frieden …

    frieden verwirklicht sich als kultur am einfachsten und unmittelbar. und die leitkultur kann nur diese sein, die zum frieden führt ohne eine einseitige meinung darüber, was frieden/kultur sein soll allen aufzudrängen. denn: „frieden ist …“
    das habe ich heute bei einem open space, das ich mit ca. 12 jährigen schülerinnen mitgestallten durfte gelernt. wenn einer meint er weiss was und wie frieden aussehen muss, und zwar für alle, dann weiss der nichts vom frieden. denn frieden entsteht durch beteiligung aller menschen an dem friedensprozess.
    (der vorangehende satz ist keine aussage darüber wie frieden sein wird, sondern wie wir dahin kommen.)
    die beteiligung aller um etwas neues zu erlangen, ist für viele mit unsicherheiten verbunden und setzt deshalb die erwartung eines großen zugewinns für den eigenen kulturellen reichtum voraus. gerade die hitzigen debatten um den deutschen-, europäischen- oder christlich-jüdischen leitkultur basieren auf dieser gespürte unsicherheit. diejenigen, die befürchten, dass sie einiges zu verlieren hätten kämpfen emmotional um den fortbestand des status quo. das weist wiederum auf das unaufhörliche transkulturelle zusammenwachsen und sich gegenseitiges befruchten der kulturen -weltweit- hin. es ist normal, dass die stimmen sehr gereitz zu hören sind, die ihre frühere autorität im neuen entgrenzten weltverständniss zunehmend verlieren. ihre denkmuster, die sie bisher ihrem publikum „vorgebetet“ haben verlieren die bindungsfähigkeit. damit verliert die autorität in vielen fällen auch ihre einnahmequellen.
    Die kulturelle weite und tiefe des menschheitsganzen warten auf entdeckung, auf stärckung, auf erweckung. die globalen ungerechtigkeiten, der milliardenfache bittere armut, die kriege und lebensverachtende naturzerstörung kann dadurch plötzlich beendet werden. ich kenne wunder, wie ein gedicht das plötzlich entsteht, ein lied, die stille, der mensch, die menschheit, das fest der klarheit …

  2. Dazu kann ich nur Richard Wagner zitieren: Deutsch sein, heisst eine Sache um ihrer selbst willen tun. Dem ist nichts hinzuzufügen.

  3. Deutsch sein heißt offensichtlich, reichlich ahnungslos zu sein, was die eigne Kultur angeht… ansonsten müsste ja nicht dauernd nachgefragt werden, was das denn überhaupt ist, die eigne Kultur.

    Ich kann verstehen, daß die CSU ihren Fokus aufs „christlich-jüdische“ setzt (zumindest dem C im Namen muß man eben irgendwie gerecht werden, scheinbar), ich persönlich sehe ihn aber eher bei den Idealen der Aufklärung. In diesem Licht wäre das Christentum eher kritisch zu sehen, hat es doch durch seine dogmatische, oft gegen die Vernunft gerichtete Praxis über Jahrtausende den menschlichen Fortschritt oft genug behindert… wenn da nicht die erstaunliche Entwicklung eingetreten wäre, sich letztendlich inzwischen mit dem Primat der aufklärerischen Ideen in der Gesellschaft einverstanden zu erklären (man versteht sich auch offiziell jetzt nicht mehr als Alternative dazu, sondern als Ergänzung), und nur noch in Randbereichen seine Wirkungen zu entfalten, die die im Wesentlichen vernunftorientierte Abwicklung der menschlichen Angelegenheiten in der Gesellschaft nicht stören.

    Wandern in unser Land Muslime ein, ist die Formel von der Leitkultur so zu verstehen: Ein Gewinn fürs Land, d.h. die schon hier lebenden Menschen kann diese Einwanderung nur dann sein, wenn die Ideale der Aufklärung nicht nur anerkannt, sondern auch gelebt werden. Bei säkularen Muslimen kann das durchaus der Fall sein und ist es in der Regel auch, die integrieren sich dann in der Regel mit Erfolg. Bei streng-gläubigen Muslimen gibt es in diesem Punkt Probleme. Diese Strenggläubigkeit im Islam, die den Konflikt mit Ideen der Moderne nicht über ein sich Arrangieren auflösen kann wie es das Christentum konnte (weil das Arrangieren als ein Abfall von den religiösen Dogmen gesehen wird, der als besonders strafwürdig aufgefasst wird), schadet dem Land… sie steht üblicherweise für Rückständigkeit, Rückwärtsgewandheit, ein notwendiges Sich-Distanzieren und Absondern von der Mehrheitsgesellschaft (mit Ausnahme vielleicht des Sozialstaats, auf den man in der Isolation angewiesen ist und der dann als einziger Berührungspunkt zur umgebenden Gesellschaft übrigbleibt), Scheitern gegenüber den Anforderungen der modernen Wissensgesellschaft usw. Das Kopftuch bei Frauen wird von der Mehrheitsgesellschaft als Symbol für genau diese Rückständigkeit gesehen und deshalb abgelehnt, weil man die Einschätzung der Rückständigkeit als etwas Unerwünschtes nicht so einfach ablegen kann.

    Vielleicht kann man die allgemeine Begriffsstutzigkeit zum Thema „Leitkultur“ damit ein wenig beseitigen, daß man es vom Thema Einwanderung entkoppelt. Auch der Nachwuchs altansässiger Einheimischer wird ja in bestimmte Richtungen erzogen, die weit darüber hinausgehen, daß man sagt: „Also, was du im Leben so machst ist völlig egal, du kannst alles machen, es muß halt nur verfassungskonform sein“. Wenn man diese Richtungen, diese Bildungsideale analysiert (die die Ideale der Aufklärung widerspiegeln, wie natürlich auch das eine oder andere Gebot des Christentums oder möglicherweise auch weiterer Religionen), die ja offensichtlich einen hohen Vorbildcharakter haben, dann hat man doch schon die Leitkultur, nach der sich dann nicht nur wünschenswerterweise der eigne Nachwuchs, sondern auch Zugewanderte ausrichten sollten.

  4. Schade, dass sich Friedrich Merz aus der Politik zurückgezogen hat; er wurde aber auch genügend geprügelt, nicht nur von Angela sondern insbesondere von den Verfechtern des „Aufstands der Anständigen“.

  5. wenn deutsch sein heißt:
    -christliche Werte zu berücksichtigen
    -sich mit einer Flagge zu identifizieren
    -konservative Werte für gut zu heißen
    -Menschen mit einem anderen Glauben zu missachten
    -Volkslieder zu singen
    -die CDU zu wählen
    -Menschen in Schubladen zu stecken
    -Menschen nach Statistiken zu kategorisieren, ohne diese zu hinterfragen
    -die Bild-Zeitung zu lesen
    -die FAZ zu lesen
    -Kinder auf Bildung zu dressieren und ihnen die Kindheit zu rauben
    -HartzIV-Kürzungen zu tolerieren
    -unsere vielen Gesetze komplett zu kennen
    -die deutsche Geschichte und Politik von A-Z zu verstehen
    u.v.m…… dann bin ich definitiv nicht deutsch, auch wenn ich als deutsches Kind deutscher Eltern geboren bin. Dann will ich aber auch nicht deutsch sein…. Schiebt mich dann bitte ab!

    wenn deutsch sein heißt:
    -Vielfältigkeit zu schätzen
    -interkulturelle Kompetenzen zu haben
    -Kindern eine pädagogische Vielfalt zu bieten
    -die Möglichkeit internationale Speisen zu verzehren
    -von Menschen mit anderen Wurzeln zu lernen
    -BürgerInnen aus jeder Kultur zu schätzen und auch dadurch selbst geschätzt zu werden
    -jedem Menschen zu erlauben, seinen Glauben so zu leben, ohne dass er andere damit behindert ( da tun auch Muslime nicht)
    -jede Kultur geschehen zu lassen, solange niemand geschädigt wird….
    -und sich nicht anzumaßen, Menschen in eine Gesellschaft rein zu puzzlen….
    #
    …ja, dann bin ich deutsch, denn nur damit kann ich mich identifizieren.

  6. @sh
    „-Vielfältigkeit zu schätzen
    -interkulturelle Kompetenzen zu haben
    -Kindern eine pädagogische Vielfalt zu bieten
    -die Möglichkeit internationale Speisen zu verzehren
    -von Menschen mit anderen Wurzeln zu lernen
    -BürgerInnen aus jeder Kultur zu schätzen und auch dadurch selbst geschätzt zu werden
    -jedem Menschen zu erlauben, seinen Glauben so zu leben, ohne dass er andere damit behindert ( da tun auch Muslime nicht)
    -jede Kultur geschehen zu lassen, solange niemand geschädigt wird….
    -und sich nicht anzumaßen, Menschen in eine Gesellschaft rein zu puzzlen….“

    um all das zu verkörpern muss man sich beim selbstdefinition nicht auf den variablen attribut: deutsch einengen, auch wenn all das genannte auf dem gebiet der erde, das deutschland genannt wird leicht möglich ist.

  7. Ja genau…

    deutsch sein heißt:

    – Vielfältigkeit schätzen… und gleich mal als Zeichen seiner Wertschätzung der Vielfalt Zeitungen, die unlesbar für einen richtigen Deutschen sind, wie BILD und FAZ, am besten abschaffen…

    – Kindern eine pädagogische Vielfalt zu bieten… bei der man allerdings die Vermittlung von Liebe, Hoffnung und Barmherzigkeit usw. tunlichst nicht berücksichtigen sollte, denn das sind ja christliche Werte, die mit Deutschsein bitteschön nichts zu tun haben sollten

    – interkulturelle Kompetenz zu haben… jedenfalls solange diese Kompetenz, d.h. Einfühlungsvermögen und vorurteilsfreie Toleranz nicht gegenüber Menschen gezeigt werden muß, denen die eigenen Volkslieder etwas bedeuten, denn Volkslieder sind einfach nur garstig…

    – Personen bloß nicht so in eine Gesellschaft „einpuzzeln“, daß sie in der Lage sind, in dieser Gesellschaft für ihren eigenen Lebensunterhalt selber aufkommen zu können… es ist schon wichtig, daß möglichst viele Menschen ALG II-Leistungen beziehen müssen, denn andernfalls gäbe es ja wohl kaum eine Notwendigkeit für Leistungskürzungen, über deren Ablehnung man sein Deutschsein ja auch ein gutes Stück definiert

    – Personen bloß nicht so in eine Gesellschaft „einpuzzeln“, daß das Deutschlernen dabei gefordert wird… denn das „Lernen von Menschen mit anderen Wurzeln“ macht ja erst so richtig Spaß, wenn man vorher auch die andere Sprache lernen muß, d.h. darf

    – die Möglichkeit, internationale Speisen zu verzehren… und weil das eine so urdeutsche Eigenschaft ist, fühlte ich mich wieder einmal so richtig als Deutscher, als ich letztes Wochenende in London schön italienisch essen ging.

    Ich würde allerdings gern noch was hinzufügen… deutsch sein heißt auch:

    – ab und an auch mal wohlfeiles, oberflächliches, aufgeschnapptes aber unverdautes Geschwafel abzulassen, wobei Wider- und Unsinn kaum Grenzen gesetzt sind.

  8. @ibrahim kaya

    das war bewusst überspitzt
    ich wollte damit nur aufzeigen, dass ich mich als deutsche trotzdem nicht wirklich deutsch fühle… obwohl ich keinen migrationshintergrund habe. Ich glaub ich bin nationalitätslos, ich sehe mich vllt. eher als Frankfurterin. Meine türkische Freundin sagt auch „also, ich bin nicht deutsch, ich bin nicht ganz türkisch, weil ich ja in deutschland geboren bin, aber ich wollte meinen türkischen pass nicht aufgeben— ich bin Frankfurterin, ich glaub das beschreibt meine Zugehörigkeit am besten. Ich gehöre zu beiden Nationen irgendwie und in Frankfurt werde ich meistens einigermaßen so akzeptiert“

    Es ist eine Kunst, diese beiden Kulturen als gleichberechtigte Teile von einem selbst zu asoziieren und bedarf riesigem Respekt… denn man wird von beiden Seiten nicht voll anerkannt… also ist man etwas dazwischen.

    Außenminister Joschka Fischer hält den Begriff „deutsche Leitkultur“ für einen „altbackenen Käse von Nachwuchs-Führungskräften der CDU“. Deutschland habe „es gar nicht nötig“, sich eine solche Diskussion aufdrängen zu lassen, denn es gebe eine historisch gewachsene „großartige Kultur“. Es sei „nicht betonenswert“, dass es sich um die deutsche Kultur handele, „denn wir sind hier schließlich in Deutschland“. (Frankfurter Rundschau v. 26.10.2000).

    Der Begriff „DEUTSCHE LEITKULTUR“ hört sich für mich persönlich einfach sehr sehr bedrohlich an!

    @Max Wedell

    „und gleich mal als Zeichen seiner Wertschätzung der Vielfalt Zeitungen, die unlesbar für einen richtigen Deutschen sind, wie BILD und FAZ, am besten abschaffen“
    nö… nicht abschaffen, ich rede nur von mir persönlich

    „bei der man allerdings die Vermittlung von Liebe, Hoffnung und Barmherzigkeit usw. tunlichst nicht berücksichtigen sollte, denn das sind ja christliche Werte, die mit Deutschsein bitteschön nichts zu tun haben sollten“
    hmmm… das sind genauso menschliche und ethische Werte. Wenn man da ausholt, müsste dies dann eigentlich auf dem Judentum basieren, da das vor dem Christentum war.

    „jedenfalls solange diese Kompetenz, d.h. Einfühlungsvermögen und vorurteilsfreie Toleranz nicht gegenüber Menschen gezeigt werden muß, denen die eigenen Volkslieder etwas bedeuten, denn Volkslieder sind einfach nur garstig“
    Ich kenne auch ein paar Kinderlieder, die als Volkslieder gelten… ich kann sie nur nicht alle und es sollte keine Voraussetzung sein, diese zu können, um sich als deutsch definieren zu dürfen.

    „aß das Deutschlernen dabei gefordert wird… denn das “Lernen von Menschen mit anderen Wurzeln” macht ja erst so richtig Spaß, wenn man vorher auch die andere Sprache lernen muß, d.h. darf“
    ich denke auch, dass man, um in einem anderen Land zu leben, die Sprache beherschen sollte… aber man kann Menschen nicht in ein vorgeschriebenes Raster quetschen und sie ihrer Individualität berauben

    „und weil das eine so urdeutsche Eigenschaft ist, fühlte ich mich wieder einmal so richtig als Deutscher, als ich letztes Wochenende in London schön italienisch essen ging.“
    ja, nicht nur ein deutsches Phänomen

    „ab und an auch mal wohlfeiles, oberflächliches, aufgeschnapptes aber unverdautes Geschwafel abzulassen, wobei Wider- und Unsinn kaum Grenzen gesetzt sind.“
    ich bin einfach nicht deutsch genug

  9. und nurmal kurz zusammengefasst: mir stehen alle Haare zu Berge bei dem Begriff DEUTSCHE LEITKULTUR und der politischen Verwendung— dem Leitsatz der CDU und CSU…. und daher habe ich mich über diesen Begriff lustig gemacht

  10. wie sollen wir denn (wenn die dt. Leitkultur auf christlichen Werten basiert) Staat und Kirche endlich trennen.
    Ist das denn was gutes, wenn Menschen für ihren Glauben Kohle an den Staat blechen müssen?

    Und nochmal, auch wenn die Frage vielen aus den Ohren quillt und sie hier einigen quer läuft:
    was ist die deutsche Leitkultur, der CDU/CSU zufolge?
    Wie kommen wir bloß mit einer christlichen Partei klar, obwohl wir kein religiöses Land sind?
    Sind wir nich fähig Staat und Kirche zu trennen?

    Ich glaube viele Deutsche durchleben derzeit eine Identitätskrise und versuchen sich auf Basis einer Leitkultur, zu orientieren und ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln.

    Nur, was können die Menschen ändern, damit mit der Begriff Leitkultur erstens in einen anderen verändert wird, so dass er positiv ist und was können die Menschen in ihrer eigenen Haltung ändern, damit wir alle Menschen miteinschließen können… ohne sie für diese Identität -deutsch sein- modellieren zu müssen?
    Es mag wohl wahr sein, dass die Sprache ein wichtiges Instrument ist… es mag auch wahr sein, dass man die Gesetzte in einem Rechtsstaat einhalten sollte… nur warum wird all das immer gleich als Pflichtprogramm zum DEUTSCH WERDEN.
    Auch deutsche Kinder im Vorschulalter sprechen häufig nicht gut genug deutsch (30%), sollen wir diese, dann nicht áls deutsch anerkennen?
    Sollen wir diejenigen Deutschen Straftäter, unserer Nationalität nicht würdig erweisen, weil sie unsere Gesetze missachten.

    Sind Menschen, die atheistisch sind, keine Deutschen? Denn auch diese haben Wertvorstellungen, die nicht nur aus dem Christentum abzuleiten sind.

  11. eine leit-kultur kann als ethisch fundierte motivation imstande sein, die spontansten handlungs und äusserungscharakteristika eines menschen zum guten zu wenden(hier sind nicht die landesüblichen gästikulationsnormen gemeint, die man alltäglich vollführt). in diesem sinne möchte ich vorschlagen, sich an die eigenen spontanen verhaltensweisen zu erinnenrn und diese alltäglich wahrzunehmen und zu resümieren, ob sie von der zugehörigkeit zu einer nation oder kulturbereich bestimmt werden? oder ob da nicht universelle beweggründe dafür gibt, die wir entdecken müssen, wenn wir herausfinden wollen wer wir wirklich sind? was geschieht dann? wie verhalten sie sich, wenn sie wieder mit einem ähnlichen situation konfrontiert sind?

  12. das wäre natürlich ein anderer blick auf den begriff… trotzdem ist der begriff wirklich nicht gut gewählt- von der sozialen perspektive betrachtet

  13. Zu den jüdischen Wurzeln des Christentums ließe sich viel schreiben („Liebe deinen Nächsten“ stammt aus der hebräischen Bibel, dem so genannten Alten Testament) und auch dem Beitrag der Juden zur deutschen Kultur, der nicht erst mit Moses Mendelssohn beginnt. Deshalb sprach Bundespräsident Christian Wulff zu Recht von „von unserer christlich-jüdischen Geschichte”. Trotzdem teile ich die Einschätzung von Alfred Treibeis, dass „nun von Teilen der ‚herrschenden Klasse‘ jüdische Kultur und Tradition in Kombination mit der christlichen benutzt wird, um sie gegen die ‚Anderen‘ in unserem ‚Vaterland‘ identitätsstiftend in Stellung zu bringen“.
    Statt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam in seiner gesamten Vielfalt wie mit allen anderen Religionen und Weltanschauungen zu führen, wird „der Islam“ mit Schlagworten, zu denen „Leitkultur“ gehört, ausgegrenzt. Dies wird durch Unwissen, Missverständnisse, Vorurteile sowie Verallgemeinerungen gestützt. So fragt Jürgen W. Fritz, ob der „fromme Wunsch“ von Wulff („Gott schütze Deutschland“) „auch an Allah gerichtet war“. Dabei ist Allah das arabische Wort für Gott, das in ihren in Arabisch gesprochenen Gebeten genauso Juden und Christen verwenden. Wenn Fritz „den Imamen und ihren Gläubigen unter uns“ in ihrer Gesamtheit unterstellt, „von den Toleranzgedanken eines Lessing und Voltaire … noch wahrlich etwas entfernt“ zu sein, demonstriert er nur seinen eigenen Abstand zum Toleranzgedanken. Nebenbei bemerkt: Voltaire mag für Meinungsfreiheit eingetreten sein, mit seiner aggressiven Judenfeindschaft erscheint er allerdings nicht als ein leuchtendes Beispiel für religiöse Toleranz.
    Wer – wie Max Wedell – nur säkularen Muslimen zubilligt, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptieren zu können, missachtet die Lebenswirklichkeit einer Vielzahl von Menschen, die sich als religiöse Muslime verstehen und gleichzeitig die Grundwerte unserer Gesellschaft schätzen und achten.

  14. @ # 10 Sarah

    Ich stimme Ihnen zu, dass die Orientierung an ethischen Maßstäben nicht den religiösen Menschen vorbehalten ist, sondern genauso auf atheistische oder agnostische Weltanschauungen zurückgeführt werden können, die der Humanismus oder die Arbeiterbewegung hervorgebracht haben. Eine freiheitliche Gesellschaft setzt daher einen religiös und weltanschaulich neutralen Staat voraus (der deshalb auch keine „Leitkultur“ definieren kann).
    Das Verhältnis von Staat und Religionen kann dabei nach unterschiedlichen Modellen „organisiert“ werden, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Das Beispiel USA zeigt, dass eine strikte Trennung von Staat und Religion nicht unbedingt den gesellschaftlichen Einfluss der Religionen (einschließlich ihrer „militanten“ Ausprägungen) begrenzt. Die französische „laicite“ scheint ebenfalls nicht einen religiösen Frieden in der Gesellschaft zu garantieren.
    Das historisch gewachsene deutsche „Staatskirchenrech“, so sehr es in Teilbereichen sicher korrekturbedürftig ist, hat sich durchaus, was die Vermeidung von religiösen Konflikten betrifft, bewährt. Es schränkt die Rechte der nicht-religiösen Bevölkerung nicht ein: Kein Kind kann gegen den Willen der Eltern (und nach der Religionsmündigkeit gegen eigenen Willen) zur Teilnahme am Religionsunterricht gezwungen werden, niemand ist zur Zahlung von Kirchensteuer gezwungen (deren Erhebung der Staat lediglich für die Kirchen übernimmt).
    Gerade die Einbindung der islamischen Religion in das Kirchenstaatsrecht, mit einem staatlich abgestimmten islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache an den Schulen sowie der Ausbildung von Religionslehrern und Imamen an deutschen Hochschulen, würde meiner Meinung nach einen wichtigen Beitrag zur Integration der Muslime in unsere Gesellschaft leisten.

  15. Aus den Dogmen einer Religion können sich Verhaltensanweisungen ergeben, (weltliche) Gesetze aber auch die Leitkultur einer Gesellschaft ergeben andere Verhaltensanweisungen. Zu bestimmten Angelegenheiten sind diese Verhaltensanweisungen mehr oder minder identisch, dann gibt es doch kein Problem. „Du sollst nicht töten“ aus der Bibel hat kein Problem, mit „Du sollst nicht töten“ aus den Strafgesetzbüchern friedlich zu koexistieren, ein strenggläubiger Christ wird in DIESER Hinsicht also keine Probleme machen.

    Was aber macht man, wenn die Verhaltensanweisungen für eine bestimmte Sachlage sich gegenseitig widersprechen? Zwischen den Zeilen behauptet ja Abraham, daß auch der strenggläubige Muslim, der in Deutschland lebt, in solchen Fällen grundsätzlich der säkularen Verhaltensanweisung folgt und seine religiöse Auffassung, die im Konflikt zur säkularen steht, dazu hintanstellt. Nicht nur Abraham behauptet das ja, dies ist eine ganz verbreitete Masche, mit der der Anschein erweckt werden soll, als wäre das grundsätzlich so, und als wäre der umgekehrte Fall die absolute Ausnahme.

    Leider ist es aber in Wahrheit genau andersherum. Der strenggläubige Muslim wird grundsätzlich die Handlungsanweisung seiner Religion der säkularen Handlungsanweisung der Mehrheitsgesellschaft vorziehen, er muß es ja tun, denn ansonsten wäre er kein strenggläubiger Muslim. Daß das in jedem Fall ein Problem darstellt, behauptet ja niemand, aber in den Fällen, in denen religiöse und säkulare Handlungsanweisung sich widersprechen oder diametral einander entgegengesetzt sind, ist es eben doch ein Problem und dann eine inakzeptable Situation.

    Die bekannt hohen Deutungsbandbreiten im Islam (was die Interpretation des Korans angeht) sind hier Chance und Problem zugleich. Eine Chance sind sie, weil es oft die Möglichkeit gibt, mit der Mehrheitsgesellschaft in Konflikt stehende Handlungsanweisungen aus dem Koran umzuinterpretieren in mit ihr kompatible. Ich bin kein Koranexperte, aber ich bin überzeugt, daß unter Hinzuziehung weiterer „Stellen“ und mit etwas Aufwand die bekannte Korananweisung, man müsse Frauen schlagen, wenn sie widerspenstig sind, problemlos umgedeutet werden kann in die Anweisung, man dürfe Frauen nicht schlagen, egal für wie widerspenstig man sie hält.

    Diese Quecksilbrigkeit ist aber dann ein Problem, wenn die mehrheitsgesellschaftskompatible Deutungsversion der Mehrheitsgesellschaft nur zu ihrer Beruhigung präsentiert wird, während strenggläubige Muslime sich ansonsten aber weiter vom Koran berechtigt fühlen, ihre Frauen bei diagnostizierter Widerspenstigkeit zu schlagen.

    Genau daraus leitet sich ja die Forderung nach Ausbildung der Imame an deutschen Hochschulen, an deutschsprachige Freitagsgebete usw. ab. Realisiert sich das, kann ja, im Prinzip jedenfalls, genau verfolgt werden, wie der Koran interpretiert wird, d.h. welche Handlungsanweisungen dem strenggläubigen Muslim, zumindest von der Seite der Imame her, ans Herz gelegt werden, und inwieweit diese mit den Gesetzen und Idealen der Mehrheitsgesellschaft in Konflikt stehen.

  16. Man kann aus dem Koran genau so herauslesen, daß Frauen gleichberechtigt sind: alle Menschen sind vor Gott gleich. Es gibt arabische Länder, in denen Gleichberechtigung zum Teil konsequenter umgesetzt wird als hier, auch wenn die Frauen nicht bereit sind, deshalb halbnackt rumzulaufen wie hier mitunter. Dafür kriegen sie eher das gleiche Geld.
    Auch strenggläubige Moslem müssen keine Probleme mit dem Grundgesetz haben, man kann sich allerdings welche konstruieren.
    Vieles Widersprüchliche im Koran hat mehr mit den Ethnien, die der Islam zur Zeit seiner Begründung vorfand, zu tun; erst recht bei der Verbreitung wurde dann mancher Volksbrauch zur Regel. Der Schleier war erst eine Mode, die an den Höfen aufkam (Nachahmungstrieb!). Später kam dann die soziale Kontrolle, – wie hier noch vor wenigen Jahrzehnten.
    Die „deutsche Leitkultur“ dient der einschlägigen Politik nur zur Ausgrenzung Anderer, weil alles Fremde Angst macht. Menschen, die anders denken und fühlen, als man das selbst so kennt, die einen womöglich noch dazu zwingen, über altgewohntes oder sogar sich selbst (!) nachzudenken. Welche Zumutung! Die in Deutschland leider ausgeprägte Xenophobie gerät in letzter Zeit wieder bedrohlich ins Bräunliche, Antiislamismus an Stelle des Antisemitismus, bevorzugt von Leuten, die vom Islam wenig Ahnung haben, auch wenn sie – unbewußt selektiv – sich damit befaßt haben. Auch „Vernunftgesteuerte“ geraten in die Irre, wenn sie vor Gefühlen so große Angst haben, daß sie alle Gefühlsqualitäten außer Acht lassen wollen.
    Bei der Verübung von Greueltaten waren in Lauf der Geschichte immer die Christen die Weltmeister. Bei der Eroberung von Jerusalem während der Kreuzzüge wurden ALLE Bewohner ermordet, auch die Christen! Bei der Rückeroberung durch Sala-edin hatten (Un-)Andersgläubige die Möglichkeit zu gehen.

  17. @ Max Wedell

    Da wir im Bronski-Blog schon länger miteinander diskutieren, sollten Sie wissen, dass es nicht meine Art ist, etwas „zwischen den Zeilen“ zu behaupten. Wen ich etwas meine, dann schreibe ich es auch so. Falls meine Beiträge unklar sind, können Sie zurückfragen, sollten mir aber nicht Aussagen unterstellen, die ich nicht gemacht habe.

    Aus früheren Diskussionen müsste Ihnen außerdem bekannt sein, dass ich ohne jeden Abstrich den Vorrang der staatlichen Rechtsordnung vor religiösen Vorschriften vertrete. Nicht unbekannt dürfte Ihnen auch sein, dass ich bereits früher auf eine Lehrentscheidung (Fatwa) der Kairoer Al-Ahram-Universität verwiesen habe, wonach für Muslime die Rechtsordnung eines Landes, in dem sie leben, verbindlich ist, so lange sie die „fünf Säulen des Islam“ nicht tangiert (was für demokratisch-freiheitliche Gesellschaften, die Religionsfreiheit garantieren, selbstverständlich ist). Zu dieser Scharia-Auslegung bekennen sich auch die (eher konservativen) Islam-Verbände in Deutschland. Den absoluten Vorrang der (fundamentalistisch verstandenen) Scharia vor dem staatlichen Recht vertreten lediglich Islamisten.

    Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Ein „strenggläubiger Muslim“ sehr konservativer Prägung (auch bei der „Strenggläubigkeit“ gibt es eine große Bandbreite) mag der Meinung sein, der Koran würde es erlauben, seine Frau zu schlagen. Eine Pflicht zur Züchtigung, die ihn zum Bruch der deutschen Gesetze zwingt, kann er aus dem Koran aber nicht ableiten. Auf dieser „theologischen“ Ebene würden vermutlich die meisten Imame in Deutschland argumentieren. Die Muslime, die ihre Frauen schlagen, sind aber aus den gleichen Gründen gewalttätig, wie prügelnde „christliche“ Ehemänner: Sie wollen Macht ausüben. Die Berufung auf den Koran, wenn diese Männer überhaupt so viel religiöse Bildung besitzen, ist nur die Rechtfertigung dafür.

    Die universitäre Ausbildung von Imamen und der staatlich beaufsichtigte Religionsunterricht bieten die Möglichkeit, solche Fragen zu thematisieren und so auch „innerislamische“ Klärungsprozesse zu beschleunigen. Die Kurse, die bereits Hochschulen zur Fortbildung von Imamen anbieten, bestätigen diese Erwartung.

  18. P.S.: Das die Mehrheit der muslimischen Männer, die sich als Religiös bezeichnen, ihre Frauen schlägt, ist durch keine Untersuchung belegt. Vielmehr zeigen Untersuchungen der Lebenswirklichkeit, dass sich Muslime in ihrer großen Mehrheit zu den gleichen Werten bekennen, wie die Mehrheitsbevölkerung. Unterschiede gibt es bei der „Sexualmoral“ (da vertreten die Muslime etwa die Position der Deutschen aus den 1950er Jahren) und bei Gottgläubigkeit. Doch diese Untersuchungen will Max Wedell nicht zur Kenntnis nehmen; das ist nicht nur seine Masche.

  19. Hassan stirbt und kommt in den Himmel. An der Himmelspforte trifft er Petrus und fragt: „Ey krass! Petrus alter Schwede! Was geht, ey? Ey, will dich gar nicht lange aufhalten. Isch will nur zu Allah. Ey, wo find isch den denn, Mann?“ „Ja, da gehst du einfach diesen Gang hier runter und am Ende durch die Tür rechts!“ „Ey, danke Mann!“ Am Ziel angekommen trifft Hassan dann allerdings auf die Jungfrau Maria. „Hey krass! Maria du krasse Schnecke, ey! Aber isch hab jetzt voll keine Zeit für dich! Ey, isch will zu Allah. Weisst du, wo isch den find‘, eh?“ „Ja klar. Einfach durch diesen Raum durch, den Gang runter und durch die zweite Tür links. Da ist er!“ „Eh fett! Danke!“ Hassan durchquert den Raum, geht durch die zweite Tür links und trifft auf – Jesus! „Hey Jesus alter Freak! Was geht ab, Mann?! Eh, hab voll keine Zeit für dich jetzt! Suche Allah! Weisst du vielleicht, wo der ist?“ „Aber natürlich mein Bruder! Gehe einfach den Gang hinunter und in den großen Raum, aus dem das helle Licht scheint. Da ist Allah!“ „Konkret Mann! Danke!“ Doch in besagtem Raum trifft Hassan auf Gott. „Ey Scheisse Mann! Ich werde hier nur rumgescheucht, ey! Ich will jetzt zu Allah!!!“ Und Gott spricht: „Beruhige dich mein Freund, beruhige dich doch! Setz dich erstmal hier zu mir und entspanne? Möchtest du etwas trinken? Was darf es denn sein?“ „Ey na gut, Mann. Dann nehm ich einen Kaffee und ein Glas Wasser, bitte.“ „Ok.“, spricht Gott, dreht sich um und ruft über die Schulter:“Hey Allah! Einen Kaffee und ein Glas Wasser! Aber zackig!!!“

  20. Einen habe ich noch:
    Der kleine Sohn geht zu seinem Vater und fragt ihn, ob er ihm erklären könnte, was Politik sei. Der Vater meint: „Natürlich kann ich Dir das erklären. Nehmen wir zum Beispiel mal unsere Familie: Ich bringe das Geld nach Hause; also nennen wir mich einfach mal KAPITALISMUS. Deine Mutter verwaltet das Geld, also nennen wir sie REGIERUNG. Wir beide kümmern uns fast ausschließlich um Dein Wohl, also bist Du das VOLK. Unser Dienstmädchen ist die ARBEITERKLASSE und Dein kleiner Bruder, der noch in den Windeln liegt, ist die ZUKUNFT. Hast Du das verstanden?“

    Der Sohn ist sich nicht ganz sicher und möchte erst einmal darüber schlafen. In der Nacht wacht er auf, weil sein kleiner Bruder in die Windeln gemacht hat und nun schreit. Er steht auf und klopft ans elterliche Schlafzimmer, doch seine Mutter liegt im Tiefschlaf und läßt sich nicht wecken. Also geht er zum Dienstmädchen und findet dort seinen Vater bei ihr im Bett. Doch auch durch sein mehrmaliges Klopfen lassen sich die beiden nicht stören. So geht er halt wieder ins Bett und schläft weiter.
    Am Morgen fragt ihn der Vater, ob er nun wisse, was Politik sei und es mit eigenen Worten erklären könne. Der Sohn antwortete: „Ja, jetzt weiß ich es: Der Kapitalismus missbraucht die Arbeiterklasse, während die Regierung schläft. Das Volk wird ignoriert und die Zukunft ist voll Scheisse.“

  21. Nochmals für den „Witzemacher“ Jörg Nazarow ein Zitat aus Wikepedia:

    „Allah … ist das arabische Wort für Gott… Die Begriffe Gott, Allah und Elohim sind im Deutschen, Arabischen und Hebräischen somit synonym.“

  22. also… wenn ich den ersten witz mal interpretiere::::

    Allah (was, wie Abraham schon vermerkt hat, Gott heißt) ist die Bedienstete von Gott…. was darauf schließen lässt, dass der witz aussagt, Muslime sind unter den Christen einzuordnen. Denn der Witz hat keine Ahnung davon, dass Allah genauso Gott heißt und er wollte irgendwie die Muslime den Christen unterordnen. Gott unter Gott geht aber nicht, also kann Allah auch nicht der Bedienstete von Gott sein… tja so ein ungebildeter Witz!

    BRAVO!!! jetzt @Jörg bitte erklär mir noch den Sinn des zweiten Witzes, denn der ist mittlerweile ein Klassiker.

  23. Liebe Leute ,mal langsam.
    Das ist ein Witz oder auch nicht,aber auf jeden Fall ist er auch ein Spiegelbild.
    Es ist nicht mein Witz,sondern aus dem www,was auch nicht zu unterschätzen ist.
    Aber man/frau kann auch der Fliege in den ….
    Auf jeden Fall gibt jeder verbreitete Witz im Volk einen gewissen Grundhaltung zum besten,die im Klartext nicht so einfach und öffentlich zu vertreten gewagt wird.
    Nicht zu unteschätzen sind Witze über Minderheiten oder andersgläubige.
    Das hatten wir schon mal und spiegelt ein gewisses Gedankengut wieder.(richtig Sarah)aber nicht die meinige.
    Und Sarah,geschmachlos ist eigendlich die Tatsache,das obiges noch zur Diskusion gestellt werden muß.
    Allah (was, wie Abraham schon vermerkt hat, Gott heißt) ist die Bedienstete von Gott…. was darauf schließen lässt, dass der witz aussagt, Muslime sind unter den Christen einzuortnen“Das ist nicht Aussage des Witz,sondern gelebte Realität in der BRD,das sagt der Witz aus!!
    Ich bin selbst in diesem Sinne Ausländer seit 1950 und es hat sich in der Grundeinstellung nichts geändert,so mit ist der Witz aktueller den je

  24. Und dieser Auch
    Ein Mann in Belfast ist auf dem Weg vom Pub nach Hause. Plötzlich kommt ein Kerl mit einer Pistole auf ihn zu: „Katholik oder Protestant?“ Der Mann weiß nicht, was er antworten soll. Vor lauter Angst, erschossen zu werden, antwortet er: „Ich bin Jude!“ Der andere Mann mit der Pistole strahlt über das ganze Gesicht: „Oh Mann, ich bin wahrscheinlich der glücklichste Araber in Belfast heute nacht!“

    Auch aus dem www wie viele tausend andere in gleicher Art.
    Und Sarah,welche Gesinnung steht dahinter ?
    Sie bewirken mehr als jede andere Diskusion,denn man Lacht darüber und das ist Bedenklich.Heute ist der 11.11 ,schaun wir mal worüber alles gelacht wird in der Bütt

  25. Kann mir einer erklären,warum Hassan im Himmel so schlecht deutsch spricht, wo doch der liebe Gott auch türkisch versteht.

  26. @Ursula Samman,

    in verschiedenen arabischen Staaten gab es nach ihrer Unabhängigkeit durchaus eine jahrzehntelange Orientierung nach Westen, eine Säkularisierung. Genau diese führte zu einer gewissen Befreiung der Frau aus den Zwängen, die sie im Islam erdulden muß, d.h. überhaupt erstmal zu der Möglichkeit der Berufstätigkeit jenseits von ganz begrenzten Tätigkeiten, wie Lehrerin und Ärztin. Der leider fortschreitende Erfolg der rückwärtsgewandten Interpretationen des Islam in den meisten arabischen Ländern führt aber gerade dazu, daß das von der Säkularisierung (und nicht vom Islam!) in dieser Hinsicht Erreichte wieder abgebaut wird. So befinden sich unter den 15 Staaten der Welt mit der geringsten Frauenerwerbsquote 13 arabische beziehungsweise islamische Staaten… woran liegt das wohl? Weil der Islam die Frau so fortschrittlich mit gleicher Berechtigung zur Berufswahl und -bezahlung bedenkt? Die Frauenerwerbsquoten der jeweiligen arabischen Länder korrelieren dabei positiv mit der Öffnung des Landes gegenüber westlichen Ideen, die ja unterschiedlich ausgeprägt ist, und korrelieren negativ mit Rückkehrtendenzen zum Islam in diesen Ländern. Ihre Behauptung, Schritte hin auf berufliche Gleichberechtigung von Frauen wären dem Islam zu verdanken, ist daher reine Propaganda, ein Witz.

    Daß sie den Antisemitismus ins Thema hereinbringen mussten, ist ja auch klar. Dazu möchte ich festhalten, daß ein großer Teil des hiesigen Antisemitismus von Muslimen ausgeht, damit das mal nicht in Vergessenheit gerät. Für die Leitkulturbegriffsstutzigen wäre doch aber hier z.B. eine Möglichkeit, eine Komponente der deutschen Leitkultur zu identifizieren: Antisemitismus wird entgegengearbeitet, und nicht angefacht, wie es in manchen Weltgegenden mit muslimischer Bevölkerung in besonderem Maß der Fall ist.

    Ansonsten ist das ja auch eine verbreitet zu beobachtende Masche von einigen Muslimen, durch Erwähnung von Antisemitismus im Zusammenhang mit Islamkritik den Anschein zu erwecken, als wäre die Situation von Muslimen hierzulande mit der Situation der Juden im Nationalsozialismus zu vergleichen, aber auf alle Fälle natürlich zur Förderung der eigenen Interessen über Instrumentlaisierung der Vergangenheit, indem man „aufs ohnehin schon stark strapazierte, vereiterte deutschen Gewissen drückt“. Der Islamkritiker Abdel-Samad kommentierte zugespitzt diese Masche, als sie z.B. im Mordfall Marwa Al-Sherbini deutlich zutage trat, so: „Eine Muslimin ist in Deutschland umgebracht worden, jetzt fehlen uns nur noch 5.999.999 Opfer, um mit den Juden gleichgesetzt zu werden.“

    Daß sie nach dem Vergleich einer heutigen verbreiteten kritischen Haltung zum Islam mit dem Antisemitismus direkt aufs Thema „Greueltaten“ kommen, ist ja klar… und dazu die Greueltaten herauskramen, die eine Handvoll Christen vor mehr als 900 Jahren begangen haben, ist bezeichnend, wird doch in besonderem Maße genau dieses Ereignis vom politischen Islam in muslimischen Ländern ganz verbreitet instrumentalisiert, um einen Antagonismus zum Westen aufzubauen oder auszuschlachten. Da fehlt dann eigentlich nur noch (als Argument zur Verharmlosung und Abwiegelung der in heutiger Zeit besonders engstirnigen Tendenzen im Islam) der Hinweis auf die Blütezeit des Islam in Andalusien, der wir ja so viel zu verdanken haben… haben sie doch völlig vergessen zu erwähnen!!! 😀

  27. @maat, vielleicht weil Hassans türkisch noch schlechter als sein deutsch ist?

    Ich fand die Witze sehr gelungen und konnte über sie lachen, auch ohne jetzt angestrengt und „typisch deutsch“ unbedingt eine politische Bedeutung hineinzuanalysieren.

    Man könnte ja ein zukünftiges Einwanderungs-Punktesystem im Fall von Muslimen um den Witz in Post #21 erweitern. Der die Einwanderung beantragende Muslim, der vor Zorn rot anläuft statt wenigstens zu lächeln, bekommt 0 Punkte und muß draußen bleiben. Religionen bzw. ihre Anhänger müssen eine solch harmlose Art der Neckerei aushalten, wer sie nicht aushalten kann, ist nicht reif für die Moderne. Wer möchte, kann übrigens die Tatsache, daß es in unserem Land weitgehend keine Tabus in Satire, Comedy usw. gibt, auch als weiteres Puzzlesteinchen der Leitkultur sehen, deren Definition solche Schwierigkeiten zu machen scheint.

  28. @ Max Wedell

    Sicherlich ist der Islam nicht der Motor der Frauenemanzipation, so wenig wie es das Christentum war. Genauso richtig ist es, dass sich die „islamische“ bzw. die „arabische“ Welt in einer tiefen gesellschaftlichen Krise befindet, worauf vor allem islamische und arabische Intelektuelle, religiöse und säkulare, hinweisen. Beides ist aber nicht entscheidend für unsere Diskussion, ob jemand religiöser Muslim sein und gleichzeitig den Rechtsstaat und die Menschenrechte akzeptieren kann. Dass dies geht, belegt z.B. die Gülen-Bewegung, über die heute die FR berichtet (http://www.fr-online.de/kultur/literatur/muslime-zwischen-tradition-und-moderne/-/1472266/4824500/-/index.html).

    Es ist historischer Unsinn, den heutigen Antiislamismus mit dem Antisemitismus der Nazis (und dessen Folgen) zu vergleichen, es gibt aber deutliche strukturelle Prallelen zum Antisemitismus des 19. Jahrhunderts.

  29. Was Jürgen W. Fritz in seinem Einleitungskommentar schreibt, kann ich nicht so recht nachvollziehen: „Juden hatten im Abendland, wie bekannt, zu keiner Zeit einen gestalterischen Einfluß auf die Gesellschaft.“

    Ich verstehe zwar, dass er sich gegen die aktuelle Vereinnahmung der europäischen Juden durch den Begriff der „christlich-jüdischen Wurzeln“ wehrt, obwohl sie jahrhundertelang diskriminiert, verfolgt, vernichtet wurden.

    Und dennoch: für mich steht fest, dass Juden im Abendland sehr wohl einen – positiven! – gestalterischen Einfluss auf die Geselllschaft hatten. Als Wissenschaftler, Künstler, Politiker, Architekten, Mediziner, Handwerker, Kaufleute und, ja! auch, Bankiers. Inwieweit sich dies die heutige Politik zur eigenen Beweihräucherung ans Revers heften „darf“, lasse ich dahingestellt. Da ist doch viel Verlogenheit und wenig christliche Demut im Spiel.

    @Ursula Samman

    „Es gibt arabische Länder, in denen Gleichberechtigung zum Teil konsequenter umgesetzt wird als hier … Dafür kriegen sie eher das gleiche Geld.“

    Da wäre ich Ihnen doch dankbar, wenn Sie Ihre Aussage anhand einiger Beispiele untermauern könnten. Interessant wären ausserhalb der Bekleidungsfragen („halbnackt herumlaufen“) Bereiche wie Ehe-, Scheidungs-, Erb-, Eigentums- und Arbeitsrecht oder der Anteil von Frauen in Führungspositionen von Politik, Wirtschaft, Medien, Jurisprudenz, religiösen Organisationen. Als Frau wissen Sie vielleicht besser, was sonst noch so unter „Gleichberechtigung“ – also gleichberechtigte Teilhabe am (auch öffentlichen) Leben – zu verstehen ist. Bildungschancen, freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl, soziale Absicherung, Kinderbetreuung, partnerschaftliches Verhalten, Antidiskriminierungsgesetze, sexuelle Belästigung usw. usf.

    „… weil alles Fremde Angst macht.“

    Fast bin ich versucht zu sagen „So einen Quatsch habe ich lange nicht mehr gelesen!“, aber ich gebe statt dessen zu bedenken: die Reaktion auf Fremde und Fremdes ist von Person zu Person verschieden. Nach meiner Beobachtung in meinem Umfeld kann ich sagen, dass die Wissbegierigkeit meiner deutschen Bekannten um ein Vielfaches höher ist als die Wissbegierigkeit meines Migrahu-Umfelds.

    In meinem deutschen Umfeld ist das stetige Bemühen um und die Freude an Erkenntnis unvergleichlich größer als in meinem Migrahu-Umfeld. Halt, genauer: als in dem von Offenbarungsreligionen geprägten Umfeld.

    „… wenig Ahnung haben, auch wenn sie – unbewußt selektiv – sich damit befaßt haben“

    Ja natürlich: es sind immer die anderen, die eine selektive Wahrnehmung haben, Ihnen wird so etwas selbstverständlich nicht passieren! Und wenn es schon keine (nachweisbar) selektive Wahrnehmung ist, dann zumindest eine unbewusst selektive!

    Aha, so also klappt die klare, doktortitelgestützte Weltsicht: die anderen sind unbewusst(!) ausländer-, frauen-, kinder-, schwulen-, leistungs-, verbraucher-, umwelt-, auto- oder sonstwie feindlich.

  30. @Abraham,

    daß Sie persönlich den Vorrang der staatlichen Rechtsordnung vor religiösen Vorschriften vertreten, ist lobenswert, aber irrelevant, denn, soweit ich weiß, sind Sie doch gar kein Muslim?

    Der Hinweis auf die Fatwa der Al-Azhar Universität ist interessant. Es sollte eigentlich jedem Menschen, egal wo auf der Welt, selbstverständlich sein, daß für ihn das Rechtssystem des Landes gilt, auf dessen Territorium er sich aufhält. Wozu also diese Fatwa? Die Antwort ist einfach: Für den strenggläubigen Muslim bilden die Vorschriften des Koran das höchste, höchstentwickelte, in sich vollkommene, keiner anderweitigen Ergänzungen bedürfende System zur Regelung aller Aspekte des menschlichen Lebens. Alle anderen Rechts- oder Regelsysteme sind den aus dem Koran abgeleiteten weit unterlegen, und zwar je weiter, je mehr sie sich von ihnen unterscheiden bzw. ihnen widersprechen. Auch dies ist Auffassung der Rechtsgelehrten von Al-Azhar, und nicht nur dort.

    Die Fatwa sagt also, daß Muslime es tolerieren müssen, sich unzulänglichen, ja falschen Rechtssystemen zu unterwerfen, wenn Sie in fremdem Land in der Minderheit leben, im Interesse des friedlichen Miteinanders mit der dortigen Mehrheit. Die gleichzeitige Überzeugung, in der Scharia aber das bessere, ja das notwendige System zu haben, führt dazu, daß man sich zwar zähneknirschend dem fremden, mehr oder minder antiislamischen System unterwirft, jedenfalls verbal dem Gastland gegenüber, es aber in jedem Aspekt, der sich von den Regelungen der Scharia unterscheidet, sabotiert, und zwar in allen zahlreichen Bereichen, in dem es Freiräume dazu gibt, in denen man es „unter sich“ regeln kann, in denen die Konflikte verborgen gehalten werden können. Das ist die Realität in Deutschland unter strenggläubigen Muslimen, nicht die strikte Befolgung der genannten Fatwa. Des weiteren dringt man, wo man nur kann, auf Ausnahmeregelung oder gar Adaption der eigenen islamischen Vorstellungen, wo das nur möglich ist, z.B. in der Islamkonferenz, in der muslimische Verbände auf eine staatlich sanktionierte Schariatisierung hinarbeiten… denn man hat ja nun mal das bessere, den Deutschen Rechtssystemen überlegenere System.

    Was die Züchtigung der Frau angeht, so habe ich es falsch formuliert, ich bitte um Entschuldigung. Es besteht natürlich nicht die Pflicht zur Züchtigung, sondern der Koran erteilt dem Mann, der seine Frau bei Widerspenstigkeit züchtigt, nur einen Persilschein. Dabei spielt es meines Erachtens keine Rolle, welche eigentlichen Motive der Mann dabei hat, und ob das die gleichen Motive wie beim hiesigen Mann sind, der seine Frau verprügelt. Neben den notwendigen gesetzlichen Regelungen zu dieser Form der Gewalt in der Ehe gibt es in unserer Gesellschaft eine eindeutige gesellschaftliche Verpönung solchen Handelns (was Interessierte übrigens ebenfalls auf ihre Liste der Komponenten hiesiger Leitkultur setzen dürfen). Würden Sie sagen, diese nützliche und vernünftige Verpönung in der Mehrheitsgesellschaft hat im Freifahrtschein des Islam in dieser Sache eine angemessenes Gegenstück? Doch wohl sicher nicht.

    Was die von Ihnen genannten Untersuchungen angeht… so würde mich einmal interessieren, wie man überhaupt hierzulande eine Repräsentativität bei der Untersuchung der Lebensumstände strenggläubiger Muslime hinbekommen will. Personen, die die westliche Gesellschaft als verdorben ablehnen, die den Kontakt mit ihr meiden, die daher abgesondert in ihrer Parallelgesellschaft leben, die überdurchschnittlich oft gar nicht ausreichend die deutsche Sprache beherrschen, lassen Repräsentanten der fremden, verdorbenen Gesellschaft aber dann gerne in Haus und Familie, damit die sie gründlich ausleuchten können? Glauben Sie wirklich, daß das so funktioniert?

    Eine kürzliche, ständig zitierte Studie der Bundesregierung zu den Werten der hiesigen Muslime funktionierte so: Ein Sample Muslime wurden telefonisch befragt. Wer die Sprache nicht sprach, oder die Auskunft verweigerte… nun, dessen „Werte“ fehlen dann leider in der Studie. Und, was Wunder, es kommt, nach solcher Vorgehensweise auch heraus, daß Muslime weit angepasster an den Wertekanon der Mehrheitsgesellschaft sind als man so dachte. Hallelujah!

    Solche Studien mögen einen Wert haben, wenn es um Muslime geht, die kooperationsbereit sind, d.h. um weitgehend säkularisierte Muslime, aber für fundierte Berichte über die Verhältnisse in den strengläubigen Milieus verlasse ich mich dann doch lieber auf Personen wie Kelek, Ates, Abdel-Samad, oder Tibi.

    Apropos Bassam Tibi, der ja der Erfinder des Begriffes „Leitkultur“ ist (d.h. ein Muslim erfand den Begriff, der laut Frau Samman nur dazu da ist, andere auszugrenzen… da sollte man aber mal mit ihm schimpfen 😀 ):

    „Für Bassam Tibi basiert die europäische Leitkultur auf westlichen Wertvorstellungen: „Die Werte für die erwünschte Leitkultur müssen der kulturellen Moderne entspringen, und sie heißen: Demokratie, Laizismus, Aufklärung, Menschenrechte und Zivilgesellschaft.” (B. Tibi, Europa ohne Identität, S. 154).“

    So einfach kann das manchmal sein.

  31. Ach was wär ich froh gewesen, wenn es in meinem Leben mehr deutsche Menschen gegeben hätte, die sich an den Maßgaben ihrer Leitkultur orientiert hätten, statt hinter verschlossenen Türen Kind und Frau zu mißhandeln, auf der Strasse alle anzupöbeln, die nicht in ihr Spatzenhirn passen wollten und sich Zustände herbei oder zurück zu wünschen, die sie alsbald das Leben gekostet hätten.

    Schön wärs, wenn es eine Leitkultur gäbe, da gibt es ja schöne Ansätze in den Menschenrechten, aber leider hat sich noch kein Volk würdig erwiesen, deren alleiniger Hüter zu sein. Ausserdem unterstellt der Begriff ja, die Deutschen hätten Kultur, was durchaus bezweifelt werden kann und noch dazu unterstellt er, sie hätten einen definierbare, gemeinsame Kultur, die irgendwie Konsens ist und somit als „Leitkultur“ benannt werden kann.

    Da sind wir noch weit von ab.

  32. ja, ich denke die debatte über „kultur“ ist ein lächer versuch menschen einm zugehörigkeitsgeühl zu geben… nämlich denjenigen, die sich selbst irgendwie nicht mit dem deutschland was es derzeit ist identifiziere können. ich denke wir haben hier bis vor kurzem echt nocht glück gehabt, auch migranten fühlten sich hier heimisch—- langsam fühlen sie sich nicht mehr heimisch und ich schäme mich fremd… ür all diejenigen parolen und menschen die sich mit flachen witzen versuchen zu artikulieren… da bleibt nur noch auswandern, wie so viele deutsche es derzeit tun!

  33. @schnippsel, samman

    Es ist ein schöner „running gag“ der Psychoanalyse, daß sich Menschen einbilden, sie könnten bewußt das Unbewußte eines anderen Hirnes erkennen. In anderen Disziplinen nennt man das Beziehungswahn.

    Psychoanalyse kann man getrost vergessen.

  34. @ Jörg: sorry wenn man in einem solchen zusammenhang ganz gezielt einen witz in den raum wirft der diskriminierend ist, dann ist der ziemlich deutlich auslegbar!
    Und es ist immer das selbe, ihr sagt immer: „endlich sagt jemand mal die Wahrheit und macht den Mund auf.“
    Wo kämen wir dann hin, wenn das in jedem Thema so wäre??? Egal bei was, wieviele Selbstmorde hätten wir dann, aufgrund von psychischer Gewalt?

    Es ist immer das gleiche Argument, die Gesellschat triftet immer weiter nach rechts ab, rechts von der CDU noch weiter –SarrazinPartei

    Jetzt wird es wieder heißen: „nur weil wir gegen Muslime sind, da sind wir doch nicht rechts…“ Aber genau das brachte die TAZ zuletzt gut auf den Punkt, das sind rechtsradikale Äußerungen, auch wenn man politisch noch nicht ganz rechts abtriftet. Psychologinnen best#ätigen, dass die Neigung zum Antisemitismus nun eine Projektion auf die Islamophobie erlebt (mal ganz davon abgesehen, welche Inhalte welche Religion vertritt).

    Deutschland kann sich doch nicht, gerade bei so einer dunklen Vergangenheit, wirklich wieder gegen eine einzige bestimmte Religionsgruppe wenden!!!

  35. Der Quatsch mit dem Deutschsein geht mir nun echt auf die Nerven.

    Wenn einer nicht stolz darauf ist, ein Mischling zu sein, dann ist er kein Deutscher.

  36. @ # 34 Max Wedell

    Es geht nicht um meine persönliche Einstellung zum Vorrang „der staatlichen Rechtsordnung vor religiösen Vorschriften“, sondern darum, dass ich diesen Vorrang für alle in Deutschland lebende Menschen, unabhängig ihrer Religion und Weltanschauung, für verbindlich halte. Diese Rechtsordnung ist auch für jene 60 Prozent der Deutschen verbindlich, die eine erhebliche Einschränkung der islamischen Religionsausübung befürworten und damit die im Grundgesetz verbürgte Religionsfreiheit missachten.

    Sie missdeuten meine Diskussionsbeiträge, wenn Sie mir vorwerfen: „Zwischen den Zeilen behauptet ja Abraham, daß auch der strenggläubige Muslim, der in Deutschland lebt, in solchen Fällen grundsätzlich der säkularen Verhaltensanweisung folgt und seine religiöse Auffassung, die im Konflikt zur säkularen steht, dazu hintanstellt.“ Geschrieben und begründet habe ich, dass der Islam, wie ihn die Mehrheit der Muslime in Deutschland versteht und praktiziert, nicht im Widerspruch mit unserer Rechtsordnung steht. Dass es im Islam auch islamistische Gruppierungen gibt, die unsere freiheitliche Grundordnung ablehnen oder sogar bekämpfen, habe ich nicht bestritten.

    Sie hingegen billigen lediglich „säkularen Muslimen“ die Akzeptanz der Grundordnung, denen Sie „strenggläubige Muslime“ gegenüberstellen, die „säkularen Verhaltensanweisungen“ nicht zu folgen bereit sind. Dabei ist für Sie offensichtlich ein Muslim nur dann „strenggläubig“, wenn er die fundamentalistische Lesart des Islams vertritt. Damit sprechen Sie allen anderen religiösen Ausprägungen des Islams ab, den „richtigen“ Glauben zu vertreten. „Zwischen den Zeilen“ betreiben Sie damit das Geschäft der Islamisten, die für sich das Monopol auf den „wahren Islam“ beanspruchen und z.T. mit Gewalt durchsetzen (die Mehrzahl der Opfer des islamistischen Terrors sind Muslime).

    Auf die Studien, die die große Bandbreite der muslimischen Lebenswirklichkeit in Deutschland belegen, kann ich aus Zeitgründen nicht im Detail eingehen. Entgegen Ihrer Behauptung, die „strenggläubigen Muslime“ würden sich solchen Befragungen entziehen, sind auch fundamentalistische Einstellungen in der Studie belegt, allerdings in einer deutlichen Minderheitsposition gegenüber den Moderaten und Moderat-Konservativen. Welche Belege können Sie dafür vorlegen, dass diese Mehrheitsverhältnisse nicht der Realität entsprechen?

    Ein zweiter Trick, zu dem Sie greifen: Sie verlangen nicht nur die Bindung an die Menschen- und Grundrechte sowie die Rechtsordnung (worin wir uns einig sind), sondern gehen von der Verbindlichkeit von „säkularen Verhaltensanweisungen“ aus. Das ist ein nicht minder schwammiger Begriff wie die Leitkultur, der leicht zur Ausgrenzung missbraucht werden kann. Dies erschwert die notwendige Diskussion über die gemeinsamen Werte einer Gesellschaft, deren soziale und wirtschaftliche Grundlagen aktuell keineswegs vorrangig durch den Islamismus bedroht sind.

    Auf das von Ihnen angesprochene Spannungsverhältnis zwischen dem „weltlichen“ und dem „göttlichen“ Recht, das tatsächlich eine grundsätzliche Frage ist, werde ich noch gesondert eingehen.

  37. @40
    Den klaren Ausführungen von Abraham bleibt nichts hinzuzufügen. Aber auch er wird von denen, die gerne ausgrenzen offenbar mißverstanden und fehlgedeutet.
    Es lag mir natürlich fern, den aktuellen Antiislamismus mit dem Holocoast zu vergleichen. Mit Antisemitismus meine ich eine mehr latente Stimmung, die es schon immer wieder gab, nicht nur in Deutschland, sondern im ganzen christlichen Abendland, die im Extremfall natürlich auch zu Progromen führen konnte.
    Bassam Tibi ist mir bekannt, ich traf ihn vor ca. 30 Jahren bei einem gemeinsamen Bekannten. Er wuchs wenige Häuser von meinem Mann entfernt auf, ist etwas jünger als dieser. Die beiderseitigen Väter spielten gemeinsam die arabische Version von Backgammon. Tibis Buch habe ich nicht gelesen, er schien mir etwas überangepaßt, ist jetzt enttäuscht von zumindest der deutschen, vielleicht auch der europäischen Leitkultur – was das auch sein mag – , er lebt ja inzwischen in den USA.
    Ein Antisemitismus jüngerer Araber hier ist im Nahostkonflikt und dessen Zuspitzung gegründet. „So einfach kann das manchmal sein.“

  38. @Abraham, Nr.32
    „…es gibt aber deutliche strukturelle Prallelen zum Antisemitismus des 19. Jahrhunderts.“
    Lieber Abraham, an welche Parallelen denkst du?
    Ich habe noch nie gehört, dass Muslimen typische antisemitische Stereotypen vorgeworfen wurden, z.B. „Brunnen zu vergiften“ . Auch vom Vorwurf einer muslimischen „Weltverschwörung“ habe ich noch nichts erfahren. Die Kritikpunkte, die gegen den Islam vorgebracht werden, basieren meines Erachtens auf Positionen, die von einem Teil der Muslime bzw. islamischen Staaten tatsächlich vertreten werden (Scharia etc.). Die islamischen Klischees und Stereotypen entstehen, indem diese radikalen Auslegungen/Positionen teils böswillig, teils aus Unkenntnis auf alle Muslime übertragen werden. Problematisch sind diese Klischees natürlich auch. Sie unterscheiden sich nach meinem laienhaften Verständnis jedoch von den antisemitischen Stereotypen, da letztere doch der (böswilligen) freien Erfindung zuzurechnen sind. Kein Rabbiner hat jemals zur „Brunnenvergiftung“ aufgerufen o.ä.
    Da du dich mit diesen Fragen ja sehr gut auskennst, interessiert mich deine Ansicht.
    Schöner Gruß
    maat

  39. Hi hi, ich finde es sehr komisch wie Max Wedell auf Tauchstation geht sobald er ernsthaften Gegenwind spürt.

  40. Wäre Brunnenvergiftung heute noch ein so zentrales Verbrechen wie in früheren Jahrhunderten, wäre es auch den Moslem schon zur Last gelegt worden. Es geht mir um die vergleichbaren Strukturen der Anti-ismen, die dem Aufbau und der Verbreitung eines Feindbildes dienen.

  41. @Abraham,

    auf ihre Bemerkungen zum Spannungsverhältnis zwischen göttlichem und weltlichem Recht warte ich mit Spannung, denn ich meine ja, dadurch, daß dem strenggläubigen Muslim hier im Grunde keine Wahl erlaubt ist, entstehen ja die Probleme, das ist daher ein zentraler Punkt.

    Was die Frage angeht, wie genau die Muslime hierzulande ihren Glauben leben, ob liberal oder fundamentalistisch, so gibt es dazu nur eine Studie, die auch ernstzunehmende quantitative Aussagen macht. Diese Aussage ist jedenfalls in dieser einen Studie gemacht worden, der vom Bundesministerium des Innern in Auftrag gegebenen mit dem Titel: Muslime in Deutschland von 2007. Andere Studien, die über das bloße Diagnostizieren von Gruppen hinausgehen, d.h. die auch quantitative Aussagen zur Ausrichtung machen, sind mir nicht bekannt. Andere Studien machen zwar quantitative Aussagen zu Kategorien wie „Sehr gläubig“, „Gläubig“, „Weniger gläubig“, „Nicht gläubig“, aber wenn Sie behaupten, daß „Sehr gläubige“ Muslime im heutigen Deutschland durchaus liberal, bzw. nicht fundamentalistisch eingestellt sein können bzw. sind, so helfen diese Zahlen ja nicht, um festzuistellen, ob das stimmt, bzw. in welchem Umfang.

    „Muslime in Deutschland“ identifiziert folgende Gruppe und Größenordnung:

    „Fundamentale Orientierungen, die ein enge religiöse Bindung, hohe Alltagsrelevanz der Religion, starke Ausrichtung an religiösen Regeln und Ritualen verbinden mit einer Tendenz, Muslime die dem nicht folgen auszugrenzen sowie den Islam pauschal auf- und westliche, christlich geprägte Kulturen abzuwerten, zeigen eine enorme Verbreitung. In der Allgemeinbevölkerung [der Muslime] sind etwa 40% einem solchen Orientierungsmuster zuzuordnen.“

    Ich zitiere das aus der Zusammenfassung der Studie, die auf Telefonbefragungen basiert, mit großem Vorbehalt, weil mir nicht klargeworden ist, wie die Studie mit dem Problem von a) Verweigerung und b) Täuschung umgeht (das besonders bei den die Mehrheitsgesellschaft kritisch ablehnenden Muslimen ein größeres sein wird), d.h. die Repräsentativität dieser Gruppe sicherstellen kann.

  42. P.S. Antisemitismus und Islamophobie zu vergleichen ist allein schon deswegen grober Unfug, daß ersteres gegen Menschen gleich welcher Religion gerichtet ist (Juden konnten auch zum Christentum übertreten, das war und ist den Antisemiten egal), und somit ein eindeutiges rassistisches Motif hat, während letzteres gegen eine Religion gerichtet ist, egal welche Menschen sie haben, d.h. auch der zum Islam übergetretene Deutschstämmige wird ja abgelehnt, sodaß die Behauptung, es würde ein Rassismus zugrundeliegen, völlig absurd ist.

    Absurd ist nicht nur diese prinzipielle Gleichsetzung der Ideen, sondern die Behauptung, daß es sich hier um kongruente Personenkreise handelt, die diesen Ideen anhängen. Wie erklärt man sich, daß auf einer der größten Portale der Rechtsextremen regelmäßig der Meinung eines „Internetportals von deutschsprachigen Muslimen für gottesehrfürchtige Leser“ Platz eingeräumt wird, das dort die Welt aus seiner muslimischen Sicht kommentieren darf? Mein Eindruck von der rechtsextremen Szene, der allerdings zugegebenermaßen eher beschränkt ist, ist jedenfalls, daß man der arabisch-muslimischen Welt eher mit Sympathie zugeneigt ist, wohl nicht zuletzt auch wegen der wechselseitigen Affinität zwischen AH und seinem Regime und dem Islam, die bis in heutige Tage reicht. Den Antisemitismus empfindet man, teils berechtigt, mit dem Islam gemeinsam zu haben, das schmiedet aneinander, und verbietet ja eine gleichzeitige Islamophobie.

  43. @Max
    sprechen Sie von der Sinus-Milleu Studie von Socio-Vision?

    Wenn das der Fall ist: das Bundesministerium (insbes. Schäuble) hat sich jene wertvolle Studie zu eigen gemacht unhd ganz bewusst nicht hinter die Kulissen geschaut… dem liegt auch der bericht des bundesministeriums zu folge. Wohl wahr, dass viele Muslime sehr traditionell sind… aber die sinus milleustudie erklärt auch sehr vieles dazu und blickt sehr diferenziert auf die thematik!!!

    „Die Migranten-Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft
    als nach ihren Wertvorstellungen und Lebensstilen. Dabei finden sich gemeinsame
    lebensweltliche Muster bei Migranten aus unterschiedlichen Herkunftskulturen.
    Mit anderen Worten: Menschen des gleichen Milieus mit unterschiedlichem
    Migrationshintergrund verbindet mehr miteinander als mit dem Rest
    ihrer Landsleute aus anderen Milieus. Man kann also nicht von der Herkunftskultur
    auf das Milieu schließen. Und man kann auch nicht vom Milieu auf die
    Herkunftskultur schließen. Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Religion und
    Zuwanderungsgeschichte beeinflussen zwar die Alltagskultur, sind aber nicht
    milieuprägend und auf Dauer nicht identitätsstiftend. Der Einfluss religiöser
    Traditionen wird oft überschätzt. Drei Viertel der Befragten zeigen eine starke
    Aversion gegenüber fundamentalistischen Einstellungen und Gruppierungen
    jeder Couleur. 84 Prozent sind der Meinung, Religion sei reine Privatsache.
    Bei türkischstämmigen Migranten bezeichnet sich nur die Hälfte (51%) als
    Muslime, die ihre Religion aktiv ausüben.“

    Ich gehe davon aus, Sie haben nur die ZUsammenfassund der Studie vom Bundesministerium gelsen… welches sich diese zu Nutzen gemacht hat um zu hetzen… aufgrund von mediendebatten und der Politik wird jene Studie komplett falsch gewertet. ziehen Sie sich die Studie mal richtig zu Gemüte (bei denjenigen die diese ertellt haben:

    http://www.sinus-institut.de/uploads/tx_mpdownloadcenter/Aktuell_30012009_Deutschtuerken_Hauptdokument.pdf)

    wenn es ich nicht um diese studie handelt, dann bitte nochmal genauer… welche meinen Sie? Denn die von 2007 ist die sinus-milleustudie

  44. merkwürdig wie schläuble so etwas verdrehen konne… ich habe mit der studie ziemlich lange und intensiv gearbeitet und sie sollte erstmal richtig angesehen werden, bevor man sich nur au zahlen stützt.. das ist nämlich keine statistik, sondern eine studie

  45. Liebe maat,

    sicherlich schöpft der heutige Antiislamismus aus anderen Quellen als der Antisemitismus der 19. Jahrhunderts, der ja in Europa eine lange kirchliche Tradition hatte. Auch unterscheidet sich die soziale und ökonomische Lage beider Gruppen erheblich. Im 19. Jahrhundert war der alte kirchliche Antijudaismus noch nicht ganz verschwunden, die „Ausläufer“ der „Ritualmordlegenden“ spielten noch bei einigen Kriminalfällen eine Rolle. Die alten Vorurteile wurden in einen „gesellschaftlichen“ und „nationalen“ Antisemitismus transformiert. Aus dem alten Topoi der „Brunnenvergiftung“ wurde die „Vergiftung der deutschen Kultur“ (und später der „deutschen Rasse“) durch die Juden.

    Die strukturellen Ähnlichkeiten bestehen sowohl in den Stereotypen als auch in ihrer gesellschaftlichen Wirkung. Selbst „Wohlmeidende“ verlangten von den Juden, ihr Judentum aufzugeben, um in der deutschen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Die Antisemiten hielte Juden für grundsätzlich nicht für integrierbar in die „deutsche Nation“. Dies wurde mit dem Talmud und der Halacha genauso begründet, wie heute der Koran und die Scharia gegen Muslime eingesetzt wird: mit abgeschriebenen Einzelzitaten, ohne Kenntnis der Zusammenhänge, ohne Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit. Selbst die Unterstellung, die Juden streben nach der „Weltherrschaft“ (jene „hosenverkaufende Jünglinge“, die demnächst die Börse, die Presse und die Politik beherrschen werden), findet sich strukturell in der Behauptung der „Islamfeinde“ wieder, der Islam strebe heimlich nach der Einführung der Scharia und der Unterwerfung Europas. Auch die Übertragung des „Fehlverhaltens“ Einzelner (damals z.B. die Beteiligung einiger Juden an geplatzten Börsenspekulationen) auf die gesamte Gruppe ist eine solche strukturelle Parallele. Der „Jude“ damals und der „Islam“ heute als das „feindliche Fremde“ sind die dunkle Folie, die die „Nationalidee“ der verunsicherten Deutschen hell erstrahlen lassen soll. Das alles ließe sich mit Zitaten belegen (z.B. aus dem berühmten Antisemitismusstreit, den der Historiker Heinrich von Treitschke 1879 ausgelöst hatte), die zu suchen ich leider keine Zeit habe.

    Aus diesen Parallelen kann man natürlich nicht ableiten, dass die Muslime durch ein „Holocaust“ bedroht wären. Auch die Entwicklung vom Antisemitismus des 19. Jahrhunderts zum Nazi-Mord war nicht gradlinig oder zwangsläufig.

    Zur Ironie der Geschichte gehört allerdings auch, dass der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts (z.B. die „Protokolle der Weisen des Zions“) über die Islambrüder in Folge des Palästinakonflikts Eingang in die islamische Welt gefunden hat und heute Teile der türkischen und arabischen Community in Deutschland vergiftet.

  46. Korrektur:

    Mein letzter Satz in #47 sollte natürlich heißen:

    „Den Antisemitismus empfindet man, teils berechtigt, mit vielen Muslimen gemeinsam zu haben, das schmiedet aneinander, und verbietet ja eine gleichzeitige Islamophobie.“

    @Sarah,

    nein, die Sinus-Milieustudie meine ich nicht, denn in der ging es allgemein um Zuwanderung. Die Auskunft, daß man unter Zuwanderern, die zum Großteil aus europäischen, nichtmuslimischen Ländern kommen, aber auch aus außereuropäischen, nichtmuslimischen Ländern, „eine starke Aversion gegenüber fundamentalistischen Einstellungen und Gruppierungen jeder Couleur findet“, ist hier aber eher irrelevant, da wir hier von Muslimen reden und nicht von Polen, Russen, Vietnamesen usw.

    Ich meine die Studie „Muslime in Deutschland“ vom BMI. Eine journalistische Zusammenfassung finden Sie hier auf SPON:

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,524535,00.html

    Über den Link im Artikel hatte ich mir damals die Studie heruntergeladen, der funktioniert aber nicht mehr und auf die Schnelle habe ich jetzt keinen neuen gefunden („Tolle Suchmaschine, BMI!“).

  47. @ # 47 Max Wedell
    Schauen Sie sich den Link an, den zwischenzeitlich Sarah gepostet hat. Die auch von mir empfundenen strukturellen Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamphobie setzen weder die „Ideen“ gleich, noch behaupten sie, das es sich um „kongruente Personenkreise“ geht.

    Die von Ihnen angesprochenen prinzipielle Unterschiede überzeugen mich nicht. Die Bandbreite antisemitischer Einstellungen war und ist genauso groß wie die Bandbreite der Menschen, die den Islam ablehnen. Nicht jeder Antisemit im 19. Jahrhundert war Rassist (vermutlich sogar die Minderheit, die meisten waren chauvinistische Nationalisten), manche Antisemitien nahmen von ihrer „Kritik“ assimilierte deutsche Juden ausdrücklich aus (wobei sie selber darüber entschieden, welchen Juden sie als assimiliert anerkennen). Auch die jetzige Islamofobie richtet sich oft nicht nur gegen gläubige Muslime (Sie pflegen über „strenggläubige“ Muslime zu urteilen), sondern gegen „Menschen mit muslimischen Migrationshintergrund“ (wahlweise auch türkischen und arabischen Hintergrund). Die deutschen Konvertiten spielen doch in der breiten Diskussion überhaupt keine Rolle.

  48. @ Max Wedell

    Die Zeit fast die Studie Muslime in Deutschland“ (die man auf der Homepage des Bamf (bamf.de) findet, unter http://www.zeit.de/online/2009/26/studie-moslems-deutschland so zusammen:

    „Die Mehrheit der Muslime ist gläubig. Ein gutes Drittel stuft sich als stark, die Hälfte als eher gläubig ein. 13,6 Prozent gaben an, eher nicht oder gar nicht zu glauben. In religiösen Vereinigungen oder Gemeinden ist mit 20 Prozent nur eine Minderheit. Von den Spitzenverbänden fühlt sich nur eine Minderheit vertreten. Religiöse Veranstaltungen besucht nur ein gutes Drittel häufig, die Mehrheit selten oder nie, wobei Frauen häufiger als Männer fernbleiben. Der Wunsch nach einem islamischen Religionsunterricht ist indes stark. 76 Prozent sprechen sich dafür aus.

    Das in der Öffentlichkeit besonders umstrittene Kopftuch tragen 70 Prozent der muslimischen Frauen nie. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Generation ist hier gering, wobei ein Viertel der zuerst zugewanderten Musliminnen immer ein Kopftuch umbindet.“

  49. P.S.: Es gibt noch eine weitere Studie zur Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland, die ich im Bronski-Blog schon einmal verlinkt habe, sie aber nicht mehr finden kann.

  50. @Abraham, ich bin teilweise erschüttert über das, was sie schreiben… z.B.:

    „Selbst die Unterstellung, die Juden streben nach der „Weltherrschaft“ (jene „hosenverkaufende Jünglinge“, die demnächst die Börse, die Presse und die Politik beherrschen werden), findet sich strukturell in der Behauptung der „Islamfeinde“ wieder, der Islam strebe heimlich nach der Einführung der Scharia und der Unterwerfung Europas.“

    Sehen sie hier gar nicht den fundamentalen Unterschied? Der Unterschied ist, daß das postulierte besondere Streben „der Juden“ nach Weltherrschaft von hinten bis vorne zusammenfantasiert ist, da es einfach nicht die geringsten Beweise dafür gibt, daß Juden in ihrem Lobbyismus für die eigenen Interessen sich wesentlich von beliebigen anderen Menschen oder Gruppen in deren Lobbyismus für deren eigene Interessen unterscheiden. Daß aber bestimmte verbeitete fundamentalistische Denkschulen des Islam nicht nur heimlich, sondern OFFEN nach einer weltweiten Einführung des in ihren Augen besten Rechts- und Wertesystems sich einzusetzen bzw. darauf hinzuarbeiten ZUGEBEN, ja das diese weltweite Einführung sogar ein aus dem Koran mehr oder weniger direkt herauszulesendes Gebot ist, das können sie doch wirklich nicht als ERFINDUNG abtun? Wollen Sie wirklich die Idee der Existenz eines „Strebens der Juden nach Weltherrschaft“ mit der Idee der Existenz des Dschihad vom Realitätsgehalt her auf eine Stufe stellen?

    Ähnliches gilt für die Frage der Integrierbarkeit von Juden und Muslimen. Juden waren im Deutschland im 20. Jahrhundert gut integriert (manche sagen sogar: besser integriert als die Deutschen selber), Muslime sind es im Deutschland des 21. Jahrhundert nur ganz schlecht. Daß sich Juden also nicht in Deutschland integrieren können, ist eine zweifelsfreie und offensichtliche und durch die Realität widerlegte Lüge; daß sich fundamentalistisch-strenggläubige Muslime nicht in Deutschland integrieren können, wenn man das Wort „integrieren“ nicht völlig umdefiniert, ist hingegen statistisch beobachtbar und damit doch wohl genau das Gegenteil von Fantasie, nämlich Fakt.

    Ich finde diese Gleichsetzungen hochgefährlich, denn sie können bei einfacher gelagerten Menschen mit entsprechenden Neigungen zu einer Bestätigung ihrer antisemitischen Ideen führen. Die können dann denken: „Das Streben nach „Weltherrschaft des Islam“ ist im politischen Islam verbeitet und evident (dito „Integrationsschwierigkeiten der Muslime“), das, d.h. die Wahrheit zu sagen wird aber sofort als Antiislamismus bezeichnet und verpönt, und bei dieser Verpönung wird auch noch mit der Verpönung des Antisemitisums operiert… Die Tatsache, das diese Verpönung möglich ist, daß Dinge, an „denen ganz offensichtlich etwas dran ist“, als Antiislamismus verhetzt werden, beweist doch, daß auch am Antisemitismus „was dran sein“ könnte, oder etwa nicht?“

    Antisemitismus kann nicht vernünftig inhaltlich diskutiert werden, weil seine Vorstellungen sämtlich Fantasievorstellungen sind. Islamophobie allerdings MUSS diskutiert werden, denn ihre Irrtümer sind keine grundsätzlichen, sondern allenfalls quantitative, d.h. eine berechtigte Kritik erstreckt sich womöglich nicht nur auf jene, bei denen sie berechtigt ist, sondern auch auf andere, bei denen sie unberechtigt ist… ein ganz fundamentaler Unterschied zum Antisemitismus.

  51. @Abraham,

    die von Ihnen genannte Studie ist eine andere, sie zitieren die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland – im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz“, die nicht vom Bundesministerium des Innern, sondern vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlicht wurde.

    Auf die von Ihnen genannte Studie bezog ich mich, als ich weiter oben schrieb:

    „Andere Studien machen zwar quantitative Aussagen zu Kategorien wie “Sehr gläubig”, “Gläubig”, “Weniger gläubig”, “Nicht gläubig”, aber wenn Sie behaupten, daß “Sehr gläubige” Muslime im heutigen Deutschland durchaus liberal, bzw. nicht fundamentalistisch eingestellt sein können bzw. sind, so helfen diese Zahlen ja nicht, um festzustellen, ob das stimmt, bzw. in welchem Umfang.“

  52. @Sarah,

    ich möchte mich in einer Kleinigkeit korrigieren. Ich schrieb:

    „Die Auskunft, daß man unter Zuwanderern, die zum Großteil aus europäischen, nichtmuslimischen Ländern kommen, aber auch aus außereuropäischen, nichtmuslimischen Ländern, “eine starke Aversion gegenüber fundamentalistischen Einstellungen und Gruppierungen jeder Couleur findet”, ist hier aber eher irrelevant…“

    Gegenüber den Fällen, in denen „eine starke Aversion gegenüber fundamentalistischen Einstellungen und Gruppierungen jeder Couleur“ als „typisch deutsch“ konstatiert wird, als besondere Eigenschaft „der Deutschen“ oder als besonders ausgeprägt in Deutschland, ist die Auskunft, die die Sinusstudie macht, dann doch wieder relevant. Sie deutet darauf hin, daß diese Auffassung eines besonderen Extremismus der Deutschen bei der Ablehnung von islamischem Fundamentalismus, der sich von dem anderer Völker unterscheidet, falsch ist.

    Überhaupt ist in einer Zeit, in der mehr als 19% der Menschen einen Migrationshintergrund haben, es zunehmend hinterfragbar, wenn aus anderen, allgemeine Verhältnisse betreffenden Untersuchungen über die gesamte Bevölkerung dann Schlußfolgerungen getroffen werden wie: „Typisch deutsch“. Z.B. wenn zugewanderter muslimischer Antisemitismus zum deutschen addiert wird, und dann am Ende über die viel zu hohen Fall- und Verbreitungszahlen so geurteilt wird: „Tja, da haben wir es wieder bewiesen… Antisemitismus ist eben ganz besonders typisch deutsch.“

  53. Max Wedell, nur kurz, weil ich mein Versprechen halten will, auf das Thema „götliches“ und „weltliches“ Recht einzugehen.

    Keinesweg stelle ich Antisemitismus und Islamofobie gleich und keineswegs halte ich jede Kritik am Islam für Islamofobie. Ja, die nach Weltherrschaft strebenden „Weisen von Zion“ sind keine Realität (die Schrift selber ein Produkt der zarristischen Geheimpolizei), während der Djihadismus eine Realität ist. Allerdings sind die Djihadisten (nicht nur in Deutschland) eine (wenn auch höchstgefährliche) winzige Minderheit unter den Muslimen, was deutsche Sicherheitsbehörden in ihren Berichten bestätigen.

    Was die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ betrifft, ermittelte diese (bei 5.000 Befragten) auch „Werteeinstellungen“ und Verhalten ab. Diese lassen einen Rückschluss, 40 % der Muslime hätten fundamentalistische Einstellungen in dem von Ihnen zitierten Sinn, nicht zu. Ein Beispiel: Lediglich 7 % der muslimischen Mädchen nehmen nicht am Schwimmunterricht teil, 10 % nicht an Schulausflügen. Aber auch in der Gesamtbevölkerung nehmen etwa 5 % der Mädchen nicht an Schulausflügen teil.

  54. @Abraham,

    was ist ein Djihadist? Jemand, der aus dem Koran eine Verpflichtung entnimmt, den Islam in der Welt zu verbreiten, denke ich. Aber auch dazu gibt es doch eine Brandbeite, scheint mir, in der der militante Dhijadist neben dem gewaltfreien steht. Zu den Arbeitsmitteln des militanten Dhjihadisten gehört der Sprengstoffgürtel und das Gewehr, zu denen des gewaltfreien Dhjihadisten können z.B. demographische Strategien gehören, Geburtenraten, Migration usw.

    Sie meinen aber scheinbar den militanten Djihadismus, zu dem die Studie „Muslime in Deutschland“ des BMI erklärt, daß: „6 Prozent aller Befragten der Studie zufolge „gewaltaffin“ sind, sie sind also theoretisch mobilisierbar. Das bedeute, dass sie massive Formen politisch-religiös motivierter Gewalt akzeptierten.“

    6% von ca. 4 Millionen macht 240.000 Personen. Ob man hier von „winziger Minderheit“ sprechen kann oder nicht, darüber lässt sich streiten.

    Der Bevölkerungsanteil wirkt sich schon auch auf das Selbstverständnis des strenggläubigen Muslims bezüglich seiner missionarischen Aufgaben aus, ist mein Eindruck bei der Betrachtung der Situation in verschiedenen Ländern. Ist der Bevölkerungsanteil klein, ist man tolerant und gibt sich harmlos, je höher der Bevölkerungsanteil, desto höher die Neigung zu fundamentalistisch-militantem Auftreten. Hierzu gibt es eine Parallele zu den Aussagen des Propheten im Koran, die ja auch vielfältig und widersprüchlich sind. In den Zeiten, als die neue Religion noch schwach und bedroht war, gab sich Mohamed konziliant und tolerant in seinen Äußerungen zu diesem Thema, nach der Eroberung von Medina, mit einem starken Heer im Rücken, nachdem der Islam also beachtliche Erfolge erreicht hatte, entstanden die eher aggressiven Texte zum Thema Dhjiad im Koran.

    Zur Frage, was nun welche Studie hergibt, steht in der von Ihnen genannten Studie folgendes:

    „Der Frage nach Radikalisierungstendenzen und Gewaltpotenzialen wird in der Untersuchung „Muslimisches Leben in Deutschland“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht nachgegangen, weil dazu bereits die Studie von Brettfeld und Wetzels (2007) wesentliche Einblicke bietet.“

    Die Studie von Brettfeld und Wetzel ist die von mir genannte Studie „Muslime in Deutschland“ des BMI.

    Zu den Studien allgemein, so sie von telefonischen Erhebungen ausgehen, was auch bei der BMI-Studie teilweise der Fall ist, bei der von Ihnen angeführten BfMF-Studie aber zur Gänze: Es besteht doch die berechtigte Frage, ob hier die Bereitschaft, die Aussage wildfremden Fragestellern gegenüber zu verweigern, über alle Gruppen gleich verteilt ist. Hier sind doch große Zweifel angebracht. Ein eher fundamentalistisch orientierter Muslim mit Distanz zur Mehrheitsgesellschaft wird die Aussage eher verweigern als ein liberaler oder gar säkularer Muslim, ist meine dringende Hypothese, die in keiner Studie entkräftet wurde, da das Problem einfach ignoriert wurde, weil man es einfach nicht anders eliminieren kann als es zu ignorieren.

    Und so darf man im Fall der von Ihnen zitierten Studie erstmal nicht aus den Augen verlieren, daß bei ca. 40% der Antelefonierten gar nicht ermittelt werden konnte, ob im Haushalt vorhandene Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen, weil a) die Befragten von vorneherein die Aussage verweigerten (aus welchen Gründen auch immer), oder b) die Befragten das Interview mitten im Telefonat abbrachen (aus welchen Gründen auch immer). Die auswertbaren Interviews machten am Ende 31,2% aller Stichproben aus, aber selbst mit diesen Personen hören die Probleme der Methodik nicht auf. Die 7%- bzw. 10%-Angaben wurden auf der Basis von Aussagen am Telefon gemacht, die nicht im Geringsten überprüft wurden (aus datenschutzrechtlichen Gründen ist das auch gar nicht möglich), sondern von denen der Einfachheit halber angenommen wird, daß sie, so wie sie getätigt wurden, schon stimmen werden. Ein säkularer Muslim, der seine Töchter zum Schwimmunterricht schickt, wird keinen Grund haben, in dieser Frage die Unwahrheit zu sagen. Ein strenggläubiger Muslim, der seine Töchter nicht zum Schwimmunterricht schickt, wird sich aber der ablehnenden Haltung der Mehrheitsgesellschaft zu solchem Verhalten bewußt sein, die Schule wird schon angerufen und protestiert haben, er ist hier in einem Dilemma, ob er die Wahrheit sagen soll, oder ob er nicht vielleicht doch eher den Eindruck eines Bürgers abgeben soll, der integriert ist wie es sich gehört und der „keine Probleme macht“… und zwar nicht nur bei den schulbezogenen Fragen, sondern bei allen Fragen, von denen der Befragte den Eindruck hat, daß das, was er sagt, nicht der Erwartungshaltung der Mehrheitsgesellschaft entsprechen könnte (wie er sie empfindet).

    Ich will es mal etwas überzeichnen: Stellen Sie sich mal vor, sie hätten der Gruppe von Muslimen, die schon den Terror von 0911 planten, die Frage gestellt: „Sind Sie ein gewaltbereiter Muslim“. Wir wissen heute, daß die korrekte Statistik in diesem Fall gewesen wäre: 100% der Personen dieser Gruppe sind gewaltbereit. Meinen Sie denn, diese Frage wäre korrekt in allen Fällen mit „Ja“ beantwortet worden? Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß sie bei dieser speziellen Befragung wohl eher folgendes „Ergebnis“ erhalten hätten: In dieser Gruppe sind 0% gewaltbereit. Das wäre dann die maximal mögliche Fehleinschätzung gewesen: 0% diagnostiziert statt tatsächlicher 100%… ein unrealistisch konstruierter Fall sicherlich, aber er soll das Problem deutlich machen.

    Was die schulbezogenen Fragen angeht, fände ich es übrigens viel einfacher, wenn die Schulen selber Statistiken dazu anfertigen würden. Die Daten dazu sollten sie doch haben. In diesen Statistiken gäbe es dann die Probleme der Aussageverweigerung bzw. des Flunkerns nicht.

  55. @ max
    hm… da prallen zwei nicht wirklich neutrale medien zusammen… zum einen der spiegel, der ganz gerne mal gegen muslime und auch andere menschen von anderen kontinenten wettert und dann noch der gute herr schäuble… selbst in der islamkonerenz ist dem kerl die benannte studie bereits um die ohren geflogen weil die müll ist…. ich such noch nach der studie, dann kann ich selbst nochmal beurteilen warum die müll ist 😉

  56. also soviel ich erörtern konnte, handelt es sich um eine rein kriminologische Studie… diese stützen sich eher au Umfragen, ohne in das Umfeld zu blicken.
    Zudem ist sie natürlich auch politisch geprägt, sie dient einzig dem Zweck Schäubles: den Islam mit Terrorismus in einen Topf zu werfen.

    Und nun sagen Sie mir mal, was für die Studie wohl fundamentalistisch ist?
    Damit ist nicht der Fundamentalismus im einzig negativen Sinne gemeint, nein es geht viel mehr, darum, dass der Glaube für 40% der Muslime eine sehr große Rolle in ihrem Alltag spielt… inwiefern dieser ausgelbt wird, kommt in der Studie nicht zu tage (das sollte ja auch nicht der zweck sein).

    einzig bei 12 % der muslimischen Wohnbevölkerung wurde ein „islamisch-autoritaristisches“ Einstellungsmuster festgestellt. Diese Personen weisen zum einen eine starke moralische Kritik an westlichen Gesellschaften und Demokratien auf. Schon klar, das ist auch eine große Zahl, aber bei weitem sind es nicht 40%!!!

    SChäubles Worte: „ernstzunehmendes islamistisches Radikalisierungspotenzial“ ist doch ein deutliches Zeichen von Unwissenheit, denn Menschen die so engstirnig denken und Muslime als islamisTisch bezeichnet… kann doch einfach nur ein (sorry) A…. sein.

    Genauso gut könnte ich alle negativen Aspekte des Christentums auzählen und sie mit den Evangelikanern o.a. in Verbindung bringen. Solche Verknüpungen würde ich aber niemals erstellen,weil ich nicht so einschränkend denke.

    Dem kommt erschwerend hinzu, dass die meisten Muslime in Deutschland aus ländlichen Regionen stammen, dort ist man nun mal traditioneller…. aber das gilt genauso für Deutschland in deutschen Dörfern leben viele, sehr traditionelle Menschen.

    Zu dem Antisemitismus vs. Islamophobie Thma gucken Sie doch bitte oben mal auf den Link von Migration-Boell, der ist in diesem Diskurs sehr viel sagend

  57. UND niemand sagt, dass Antisemitismus typisch Deutsch ist… dieser war früher in ganz vielen Ländern vertreten und die Islamophobie herrscht auch in vielen Ländern vor (wieder eine Komponente)

  58. Ich habe die bisherige Diskussion mit großem Interesse verfolgt. Besonders Abrahams Beiträge und Sarahs Informationen zeigen in sachlich fundierter Argumentation auf, inwiefern undifferenzierte Islamkritik und auch die Leitkulturdebatte eine diffamierende und ausgrenzende Wirkung haben und auf einem kulturell-begründeten Rassismus fußen, weil suggeriert wird, dass Menschen allein aufgrund ihres religiösen Glaubens „anders“ wären, wie z.B. machtbesessen, gewalttätig und gefährlich sowie auch frauenfeindlich und deshalb grundsätzlich nicht zu „uns“ passten.
    Bleibt nur zu hoffen, dass ein solches Denken sich nicht durchsetzen kann, und niemals deutsche Leitkultur wird.

  59. @64
    z.B. für Herrn Schäuble und bestimmt nicht nur für ihn gehört es leider bereits zur „deutschen Leitkultur“. Es gibt genügend Menschen, die z.B. hier im Blog Abrahams klaren und umfassenden Ausführungen nicht folgen können oder wollen.

  60. Nochmals @Ursula Samman

    “Es gibt arabische Länder, in denen Gleichberechtigung zum Teil konsequenter umgesetzt wird als hier … Dafür kriegen sie eher das gleiche Geld.”

    Ich habe auf meine oben unter #33 gestellte Frage leider bisher keine Antwort von Ihnen erhalten.

    Also nochmal: könnten Sie Ihre Aussage anhand einiger Beispiele untermauern? Interessieren würden mich vor allem Bereiche wie Wahl-, Ehe-, Scheidungs-, Erb-, Eigentums- und Arbeitsrecht. Also: wie steht es um die Bildungschancen von Mädchen und Frauen, um ihre freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl und ihre soziale Absicherung, welchen Schutz vor sexueller Belästigung gibt es für sie, in welchem Maß stehen ihnen Einflussmöglichkeiten auf Politik und Gesellschaft offen? Wie sieht es mit dem Anteil von Frauen in Führungspositionen von Politik, Wirtschaft, Medien, Jurisprudenz, religiösen Organisationen aus?

  61. @ Anna #64

    „dass Menschen allein aufgrund ihres religiösen Glaubens „anders“ wären“

    Darf man daran erinnern, dass es in dieser Debatte um zwei monotheistische Religionen geht, die doch genau auf diesem dichotomischen Weltbild von „Gläubigen und Ungläubigen“ und „Himmel und Hölle“ und „Gut und Böse“ usw. beruhen.

    Neuerdings kommen sprachliche Beruhigungspillen ins Spiel, indem nun die „Ungläubigen“ zu „Nichtgläubigen“ oder „Andersgläubigen“ umdefiniert werden – eine Art religiöser Neusprech.

    Den Islamkritikern in Deutschand ist nicht – wie Sie es tun – generell vorzuwerfen, dass sie Menschen allein aufgrund ihres religiösen Glaubens stigmatisieren, sondern genau anders herum wird ein Schuh daraus. Zumindest sind es häufig nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille: eines religiösen Obskurantentums[1][2].

    [1] „Überhaupt ist er ein dezidierter Feind von Okkultismus und Obskurantentum, den es schmerzt, „daß in den Zeiten der größten Aufklärung ein blinder Glaube an Ammen-Märchen grade am stärksten einreißt“.( Quelle: FAZ 1994 )“
    http://www.mydict.com/Wort/Obskurantentum/

    [2] „Bestreben, die Menschen bewusst in Unwissenheit zu halten, ihr selbstständiges Denken zu verhindern u. sie an Übernatürliches glauben zu lassen.“
    http://dede.mydict.com/Obskurantismus.html

  62. Du lobst nur Abraham und Sarah, Anna? Treulose! Ach so, sorry, ich hab‘ ja noch gar nichts geschrieben.

    Ich finde Abraham, du gehst die Sache zu defensiv an. Bei der Diskussion um „Leitkultur“ und Integration geht es um nichts Geringeres als um die Frage, ob es der extremen Rechten in unserem Lande gelingen wird, die Republik in ihre Richtung zu rudern, flankiert von ihrem Zentralorgan, das vor dreißig Jahren kein halbwegs seriöser Mensch ohne Handschuhe angefasst hätte und das nunmehr munter von Politikern und Publizistinnen hofiert und bedient wird, als wäre es heute nicht das gleiche Drecksblatt wie damals.

    Man könne sich leicht ausmalen, so beschrieb kürzlich jemand das Szenario, dass eine neu gegründete Partei rechts von der Union mit Leuten, wie Merz, Sarrazin, Koch auf Anhieb 20 % erreichen würde. Und das mit dem Uralt-Trick der Demagogie, sie gäben bloß die Stimmung des Volkes wieder, das sie vorher entsprechend konditioniert haben.

    Anschaulichstes Beispiel hier ist dieser Herr Wedell, den du auch nach dem x-ten Versuch, ihm seriöse Untersuchungen über die Lebensorientierung und -praxis von Muslimen in Europa samt Koran-auslegungen hoher Islamgelehrter nicht davon wirst abbringen können, was ihm die rechten Demagogen mit ihren Holzhammermethoden eingebläut haben, dass nämlich der Islam „integrationsresistent“ und grundsächlich mit den aufgeklärten westlichen Grundsätzen inkompatibel sei.

    Dass die sich dabei „nützlicher Idioten“, wie der Kelek bedienen, kennt man ja zur Genüge von den Methoden der Antisemiten. Kaum ein noch so abstruser antisemitischer Standard, für den sich als Gewährsmann im Zweifelasfall nicht auch ein Jude finden ließe. Und dass ausgerechnet die Kinder und Enkel von Massenmördern sich auf das hohe Ross der Humanität und Menschenrechte setzen, will mir den ganzen Tag nicht in den Kopf.

    Was bildet sich so jemand überhaupt ein und für wie dämlich hält er sein Publikum, dass er meint, uns eigens darauf hinweisen zu müssen, dass er kein Koranexperte ist? Aber trotzdem ungerührt uns erzählen wollen, was ein strenggläubiger Muslim tun muss, weil er eben sonst kein strenggläubiger Muslim wäre.

    Wenn der Schreiber dieser Zeilen Ihnen plastisch erzählen würde, werter Herr Wedell, unter welcher häuslicher Gewaltanwendung er, und beileibe nicht nur er, in dem Submilieu seiner Herkunft buchstäblich großgeprügelt wurde – dass mein Vater meine Mutter auch verprügelt hat, hat sie mir im Alter von 85 Jahren „gebeichtet“, als er verstorben war, und die Nachricht, dass Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt werden sollte, quittierte sie kopfschüttelnd mit der Bemerkung, dann sei sie aber oft vergewaltigt worden – wenn er Ihnen dies also plastisch erzählen würde, dann sollte man vielleicht hoffen können, Sie würden aufhören, sich auf die häusliche Gewaltanwendung speziell von Muslimen zu kaprizieren. Was Sie und Ihre Hassprediger hier betreiben, ist bei näherem Hinsehen die Islamisierung sozialer Konflikte der deutschen Gesellschaft.

    Angesichts dieses ideologischen Grundschemas, lieber Abraham, zielt dein frommer Wunsch, man möge doch lieber eine eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam in seiner gesamten Vielfalt wie mit allen anderen Religionen und Weltanschauungen“ führen, leider ins Leere, denn es geht in Wirklichkeit nicht um den Islam, der ist den Ideologen genauso schnurzegal wie ihren Adepten, sondern es geht um die muslimischen Immigranten, von denen sie eine Gefähdung ihres völkischen Deutschtums befürchten. Hier wird der Sack geschlagen, wo der Esel gemeint ist.

    Um es mal provokant von meiner Seite aus zu formulieren: mich interessiert der Islam kein bisschen, und ich denke überhaupt nicht daran, mich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen und womöglich andere noch von seinen positiven Qualitäten überzeugen zu wollen. Andere Erfahrungen aus meiner eigenen Geschichte als die oben angedeuteten haben mich gelehrt, mich nicht allzu vertrauensselig in die Fänge der christlichen Religion zu begeben. Das ist scheinbar meine ganz persönliche Geschichte: so wie ich durch die Hölle einer brutalen Gewalterziehung gegangen bin, so bin ich als junger Mensch auch durch das Fegefeuer einer bigotten klerikalen religiösen „Bildung“ und Bindung gegangen, von der ich mich vor langer Zeit unter großen Mühen abgegrenzt habe. Jedoch habe ich mir dort und in meinen kulturhistorischen Studien das Rüstzeug geholt, mit dem ich das gesamte verlogene Gesindel über die Klinge springen lassen würde bei einer ernsthaften Integrationsprüfung, wo es mir Rede und Antwort stehen müsste über die jüdisch-christlichen und die griechisch-römischen Quellen ihrer Leitkultur.

    Wird ggf. fortgesetzt.

  63. @heinrich

    na, schnippsel bezieht sich zum beispiel auf die ach so „wertvolle“ FAZ, die der konservativen REgierung dazu verhelfen soll Vorurteile zu schüren… genauso wie sich max auf studien bezieht, ohne sie differenziert zu betrachten

  64. @ Heinrich

    Bravo, das sind klare Worte, die mir aus der Seele sprechen! Nach allem, was ich in den verschiedensten Publikationsorganen an Zuschriften gelesen habe, fühlte ich mich schon regelrecht vergiftet.

  65. @ Schnippsel # 67

    Ich hoffe Sie haben Heinrichs Beitrag # 68 gelesen.(sehr schön, übrigens Heinrich. Keiner könnte das auch nur annähernd so gut und deutlich ausdrücken wie du ;-)) Danach müsste eigentlich jeder begriffen haben, worum es bei der ganzen Diskussion um Islamkritik und der angeblichen Integrationsunfähigkeit der Muslime geht und wo die Parallelen zum Antisemitismus liegen. Nämlich darin, dass eine Menschengruppe, die leicht identifizierbar ist, durch diffamierende und ausgrenzende Hetze zum Sündenbock gemacht wird. Konkret sollen die Muslime dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie aufgrund ihrer „Rückständigkeit“ die Leistungs-und Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland gefährden, wofür Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ ein augenfälliges Beispiel ist.

  66. Nachtrag:

    Und das dient natürlich letztendlich dazu, dem Wahlvolk die Notwendigkeit aller Kürzungen im Sozialbereich verständlich zu vermitteln.

  67. @ # 68 Heinrich

    Lieber Heinrich,

    schön, dass Du dich wieder zu Wort meldest, was ich auch als Zeichen dafür werte, dass es Dir gesundheitlich wieder besser geht. Dass Du es mit so klaren und zornigen Formulierungen tust, freut mich besonders. Deine Einschätzung des politischen Zwecks der Debatte um Leitkultur und Islam in Deutschland teile ich.

    Was mein in Deinen Augen zu defensives Vorgehen betrifft, hege ich nicht die Hoffnung, Max Wesell zu überzeugen. Trotzdem denke ich, dass man seine Ausführungen nicht unkommentiert stehen lassen darf, weil sie nicht nur auf den rechtsnationalen Rand der Gesellschaft wirken, sondern bis in die Mitte Einfluss zeigen.

    Nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mag es naiv sein, noch auf die aufklärerische Wirkung von Argumenten zu glauben, wie es einst dein Lieblingsautor Lessing tat. Doch wollen wir die Schuld an dem Scheitern den Aufklärern anlasten, die sich z.B. im „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“, dem „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ oder (wie mein Großvater) in der Sozialdemokratie engagiert haben? Sind nicht eher die passiven Zuschauer der bürgerlichen Mitte die wirklichen Versager? Muss man nicht deshalb auch darauf sorgen, dass die falschen Argumente der Verführer entlarvt werden und dass die Angegriffenen sich nicht alleingelassen fühlen müssen?

    Noch ein Punkt ist mir wichtig: Es kann uns nicht egal sein, ob militante Islamisten durch die undifferenzierten Angriffe auf den Islam und die daraus resultierende Verunsicherung der muslimischen Community gestärkt werden und womöglich Zulauf bekommen. Die sogenannten Islamkritiker erweisen sich nämlich als die „nützlichen Idioten“ der Islamisten, weil sie deren These von der prinzipiellen Feindschaft des demokratischen „Westens“ gegenüber dem Islam bestätigen.

    Die von der Islamkonferenz eingeleiteten Schritte, die zur verstärkten Integration des Islams in unsere Gesellschaft führen, halte ich deshalb für wichtig. Das ist auch ein Verdienst von Schäuble, den ich hier ausdrücklich gegen überzogene Kritik verteidigen möchte, auch wenn ich wahrlich nicht sein Parteigänger bin.

    P.S.: In einem Punkt hat mich Deine Kritik verunsichert: Gibt es Interesse an meinen angekündigten Ausführungen zum Spannungsverhältnis zwischen „weltlichem“ und „göttlichem“ Recht? Nur für Max Wedell werde ich mir nicht die Mühe machen, meinen erst zur Hälfte fertigen Beitrag zu Ende zu schreiben.

  68. Abgesehen davon, dass ich persönlich meine Meinung nicht daran ausrichte, was andere davon halten könnten oder wie andere sie für ihre Zwecke instrumentalisieren könnten, ist für mich nicht so einfach ausgemacht, wer wessen „nützlicher Idiot“ ist.

    Genauso gut könnte ich behaupten, dass es gerade die unkritisch-naiven Schönredner sind, die aufgrund ihrer Ahnungslosigkeit Islamisten erst ermutigen. Gepaart mit christlicher Selbstbeweihräucherung und militärischer und wirtschaftlicher Aggression ergibt das eine hochexplosive Mischung. Ob sich Islamisten sich durch differenzierte Argumentation wirklich von ihrem Glauben und/oder ihrem Handeln abhalten lassen?

    Die evtl. entstehende „Verunsicherung“ der moslemischen Community muss diese selbst aushalten. Ich meinerseits muss ja auch die teils absurden Vorwürfe, dir mir gegenüber – sowohl durch die „christlich-jüdische“ als auch die „moslemische“ Community – erhoben werden, aushalten. Das könnte man ggf. auch als Teil einer hiesigen „Leitkultur“ ausmachen.

    Die Berliner Zeitung, ebenso wie die FR Teil der Unternehmensgruppe M. DuMont Schauberg (MDS), veröffentlichte am 29.10.2010 einen Kommentar „Verbände verhindern Integration“ [1], in dem auf dieses Thema eingegangen wird. Das wäre ein eigenes Thema für sich.

    Ich habe bereits mehrfach, auch in anderen Threads dieses Blogs, zuletzt unter # 67 darauf hingewiesen, dass ich Christentum und Islam nur für zwei Seiten derselben rostigen Blechmarke halte. Dass sich die beiden auf der Management-Ebene ihre Claims abstecken, gehört zur Philosophie des „If you can’t beat them buy them!“, klappt das nicht dann „If you can’t beat them join them!“ Auf einmal sind die christlichen Kirchen „selbstverständlich“ dafür, an Schulen islamischen Religionsunterricht einzuführen. Anstatt den bekenntnisorientierten Religionsunterricht zugunsten eines religionsübergreifenden Ethik-Unterrichts abzuschaffen, soll nun einer weiteren Religion der staatlich finanzierte Propagandazugriff auf Kinder erlaubt werden!

    Was uns zukünftig (hier: Türkeibeitritt zur EU) erwarten könnte, beschreibt der türkische Aussenminister Ahmet Davutoglu, der seit langen Jahren als visionärer Stratege der türkischen Außenpolitik gilt. Er ist davon überzeugt,

    „dass ein türkischer EU-Beitritt die „zivilisatorischen Grundlagen“ Europas verändern wird: Weg von einer „rigide westlichen Identität“ und hin zu mehr Religion und „Monotheismus“.

    „Meine persönliche Voraussage ist, dass neue christliche Bewegungen mit stärker monotheistischen Tendenzen aufblühen werden“, heißt es in dem Interview.

    Wir werden wahrscheinlich unser monokulturelles, nationalstaatliches Verständnis von Islam stärken müssen, und Europa wird sein monokulturell christliches (Selbst-)Verständnis stärken müssen.“

    Ich jedenfalls möchte in Deutschland nicht mehr Religion und Monotheismus – weder christlich noch moslemisch – sondern deutlich weniger.

    [1] http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/1029/meinung/0027/index.html
    [2] http://www.morgenpost.de/printarchiv/politik/article1436046/Aussenminister-Die-Tuerkei-wird-Europa-veraendern.html

  69. @ Schnippsel

    Könnten Sie präzisieren, wen von den an dieser Diskussion beteiligten Sie als „unkritisch-naiven Schönredner“ bezeichnen und durch welche Äußerungen Sie eine solche Polemik begründen? Ich kann mich z.B. nicht erinnern, hier hätte jemand behauptet, dass sich „Islamisten durch differenzierte Argumentation … von ihrem Glauben und/oder ihrem Handeln abhalten lassen“. Meine Aussage war ganz anders, nämlich dass „militante Islamisten durch die undifferenzierten Angriffe auf den Islam und die daraus resultierende Verunsicherung der muslimischen Community gestärkt werden und womöglich Zulauf bekommen“.

    Es ist der übliche Trick: Wer „Islamkritiker“ kritisiert, wird dem Verdacht ausgesetzt, jegliche Kritik an problematischen Zuständen in den muslimischen communities in Deutschland unterbinden zu wollen. Geradezu klassisch hat dies unlängst Alice Schwarzer vorgeführt, als sie anlässlich der Verleihung des Freiheitspreises der Friedrich Naumann Stiftung an Necla Kelek behauptet hat, im Feuilleton der Süddeutsche Zeitung wäre Kelek wegen ihrer Bücher über die Frauenunterdrückung in türkisch-islamischen Familien als „Hasspredigerin“ bezeichnet worden. Was Thomas Steinfeld tatsächlich an Kelek kritisiert hat, war aber ihr Generalangriff gegen den Islam (siehe http://www.sueddeutsche.de/politik/kritik-an-auslegung-des-islam-unsere-hassprediger-1.63364).

    Wenn ich Sie richtig verstehe, fordern Sie die Verbannung des Islams aus dem öffentlichen Raum und begründen es damit, die gleiche Forderung auch gegenüber dem Christentum zu stellen (und Sie „Christentum und Islam nur für zwei Seiten derselben rostigen Blechmarke“ halten). Zu wiederholten mal sprechen Sie sich gegen einen islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen aus („Anstatt den bekenntnisorientierten Religionsunterricht zugunsten eines religionsübergreifenden Ethik-Unterrichts abzuschaffen, soll nun einer weiteren Religion der staatlich finanzierte Propagandazugriff auf Kinder erlaubt werden!“). Dazu habe ich mehrfach darauf hingewiesen (zuletzt unter #15), dass das deutsche staatskirchenrechtliche System im Vergleich z.B. mit den USA, England oder Frankreich gar nicht schlecht funktioniert und entschieden zur „Zähmung“ der Religionen und zum gesellschaftlichen Frieden beigetragen hat. Auf meine Einwände sind Sie bisher nicht eingegangen. Fehlen Ihnen Gegenargumente?

  70. Liebe I. Werner,

    danke, genau das sollte es doch hier sein: Ein Ort der Kommunikation mit Leuten, mit denen man gemeinsam die „Milch der freien Denkungsart“ (Wilhelm Tell) einnimmt als Gegenmittel gegen solcherart Vergiftung.

    Liebe Anna,

    danke, das war’s, was ich haben wollte, denn Keine könnte das Lob auch nur annähernd so gut und deutlich ausdrücken wie du ;-).

    Der in deinem „Nachtrag“ angedeutete Zusammenhang zwischen der beschriebenen Form der Diskriminierung und den Kürzungen im Sozialbereich würde mich näher ausgeführt interessieren.

    Die hier schon weitgehend diskutierten und von dir hier noch einmal angesprochenen Parallelen zwischen muslimenfeindlicher Haltung und Antisemitismus hat wohl zunächst Ursula Samman ins Spiel gebracht.

    Hier hebe ich noch einmal bestätigend begrifflich hervor: Ein Vergleich betrachtet zwei Gegenstände, die sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede aufweisen, unter einer bestimmten Vergleichshinsicht. Es ist genauso sinnlos, zwei mit sich identische wie zwei völlig verschiedene Gegenstände miteinander zu vergleichen, und außerhalb der Vergleichshinsicht „hinkt“ jeder Vergleich notwendigerweise.

    Ich finde aber, man sollte Max Wedells einfache Lösungsvorschläge nicht völlig außer Acht lassen, die er uns z.B. implizit mit folgendem Gedanken anbietet:

    „Für die Leitkulturbegriffsstutzigen wäre doch aber hier z.B. eine Möglichkeit, eine Komponente der deutschen Leitkultur zu identifizieren: Antisemitismus wird entgegengearbeitet.“

    Das könnte dann in der Konsequenz bedeuten: Wir schlagen die Muslime tot, und anschließend erheben wir den Kampf gegen den Antiislamismus zur „Komponente der deutschen Leitkultur“.

    Liebe Ursula Samman,

    Sie schneiden ja nicht nur das Antisemitismusthema an, sondern auch Das Angstmotiv. Ich würde jedoch bei meinem Insistieren auf begriffliche Genauigkeit (waren Sie das nicht, die mir seinerzeit per Ferndiagnose „Konkretismus“ attestiert hat?) in Konsequenz meiner Gedanken lieber von Moslemphobie sprechen statt von Islamophobie. Der Islam ist ein Abstraktum und kann als solcher kaum spontane Angst in uns auslösen. Das Fremde begegnet uns zumal in den leibhaftigen Personen, oder?

    Über dieses Motiv: Xenophobie und deren Instrumentalisierbarkeit für politische Zwecke würde ich gerne Näheres von Ihnen erfahren, als Sie in Ihren Ausführungen mehr andeuten als ausführen.

    Lieber Abraham,

    ja, danke, ich bin auf dem Wege der Besserung weit fortgeschritten.

    Deine Darlegung ist sehr richtig und erfrischend. Erfrischend insofern, als du frische Gedanken in die Überlegungen hier einbringst, die provoziert zu haben ich mich freue. Darauf will ich noch gesondert eingehen. Das „defensive Vorgehen“ war gar nicht in erster Linie auf deine Antwort an Max Wedell bezogen, sondern auf den grundsätzlichen Zugriff auf die Thematik.

    Ich möchte die Bedeutung von Einsichten über den Islam, wie sie als Korrektiv von dir, Ursula und Sarah hier eingebracht wurden, durch meine Äußerung, mich interessiere der Islam nicht, keineswegs schmälern. Jedoch ist es wichtig, sich die Fragen nicht von den Kontrahenten vorgeben zu lassen und mit ihnen nur über die entsprechenden Antworten zu streiten, sondern auf die richtigen Fragen die Antworten zu suchen.

    Darauf macht Ulrich K. Preuß aufmerksam in einem Artikel, der zum Besten zählt, das ich in jüngerer Zeit gelesen habe und dessen Überlegungen ich in weiten Zügen folge.
    Allerdings umfasst der Artikel 12 Druckseiten, ich werde die für unsere Diskussion wesentlichen Aspekte noch zusammenfassen.

    http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2010/juni/kein-ort-nirgends

    Zum Spannungsverhältnis zwischen „weltlichem“ und „göttlichem“ Recht:Natürlich interessiert mich das, inwiefern hat dich da meine Darlegung verunsichert? Um deinen entsprechenden Beitrag möchte ich also sehr bitten, sonst setzt es was!

    Grüße an alle
    Heinrich

  71. Lieber Heinrich, vielen Dank für den Link zum Artikel von Ulrich K. Preuß. Tatsächlich kann man kaum etwas zufügen.

  72. @ Heinrich
    Lieber Heinrich,
    gerne versuche ich, näher zu erläutern, wo ich den Zusammenhang zwischen Diskrimierung und Sozialkürzungen sehe.
    Schon seit Jahren bekommen wir nicht nur zu hören, dass „die fetten Jahre“ vorbei seien sondern auch, dass die hohen Sozialausgaben die Wettbewerbschancen der deutschen Wirtschaft auf dem globalisierten Markt stark beeinträchtigten. Schließlich konkurriere man ja mit den anspruchslosen Chinesen, die nur einen Bruchteil von dem der deutschen Arbeitnehmer kosteten.
    Also muss gekürzt werden. Und am einfachsten und widerstandslosesten kann immer bei denen eingespart werden, die weder „nützlich“ sind noch wirklich zu „uns“ gehören. Nach dem Prinzip „teile und herrsche“ indentifiziert man dann die ohnehin unliebsamen muslimischen Migranten als Hauptbelaster der sozialen Sicherungssysteme und schon leuchtet der Mehrheitsgesellschaft ein, wie „notwendig“ bestimmte Einschnitte doch seien, ohne dabei zu bedenken, dass sie womöglich auch (einmal) davon betroffen sein könnten. Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist z.B. die Streichung des Elterngeldes bei den Hartz-IV Beziehern. Wer kann denn schließlich schon wollen, dass auf „unsere“ Kosten „ständig neue „Kopftuchmädchen“ produziert werden“?
    Menschen bzw. Gruppen gegeneinander auszuspielen funktioniert in einer auf Wettbewerb ausgerichteten Gesellschaft nunmal ausgezeichnet und dient vor allem dazu, die bestehenden Machtverhältnisse zu bewahren.

  73. @ # 34 Max Wedell (Fortsetzung)

    Wie versprochen, nun einige Gedanken zu dem von Ihnen angesprochenen Spannungsverhältnis zwischen dem „weltlichen“ und dem „göttlichen“ Recht.

    I. Die Grund- und Menschenrechte können nicht „aus sich selbst“ begründet werden. Sie sind das Ergebnis eines historischen Prozesses, mit all seinen Widersprüchen und Brüchen (wie des zivilisatorischen Zusammenbruchs in der NS-Barbarei, dessen Erfahrung eine erhebliche Rolle bei der Entstehung des deutschen Grundgesetzes gespielt hat). Die Idee der Menschenrechte enthält deshalb Spuren, die unter anderem aus dem Judentum, dem Christentum, dem Humanismus (der wiederum auf der Wiederentdeckung der griechischen Philosophie gründet, deren Werke nur dank des Islams erhalten geblieben sind), der Aufklärung und der Arbeiterbewegung (marxistischen wie nicht-marxistischen) stammen.

    Die Grund- und Menschenrechte sind also das Produkt von unterschiedlichen Weltanschauungen, sollen aber trotzdem universal und „weltanschauungsneutral“ sein. „Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“, hat den Widerspruch der frühere Bundesverfassungsrichter und Staatsrechtslehrer Ernst Wolfgang Böckenförde formuliert. Die „Werteordnung der Grundrechte“ ist außerdem nicht abgeschlossen, sondern entwickelt sich weiter, auch im Meinungsstreit, der selbst die radikale Kritik am Grundgesetz nicht ausschließt. „Die Verfassung vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien“, sagt dazu der frühere Bundesverfassungspräsident Hans-Jürgen Papier.

    Die Grundordnung wie die gesamte staatliche Rechtsordnung muss sich deshalb durchaus auch einer weltanschaulichen Kritik stellen, schon deshalb, weil sie nicht widerspruchsfrei ist. Zwischen einzelnen Grundrechten besteht ein Spannungsverhältnis; zum Beispiel zwischen den individuellen Freiheitsrechten und dem kollektiven Recht auf Sicherheit. Welches Recht in welcher Form höherwertig ist, lässt sich „neutral“ nicht entscheiden. Deshalb kommt es auch zu Konflikten zwischen Gerichten, wie der jetzige Streit um Sicherheitsverwahrung zeigt. Wie stark die Rechtsentwicklung und Rechtsanwendung von weltanschaulichen Grundlagen der Akteure beeinflusst wird, zeigen die Auseinandersetzungen über die Abtreibung oder die aktuelle Debatte über die Embryonenforschung.

    Ohne einen weltanschaulichen Widerstand gegen staatliches Unrecht, z.B. den der Französischen Revolution, wäre unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht entstanden (die ausdrücklich dieses Widerstandsrecht legitimiert). Eine scharfe Grenze zwischen dem erlaubten „Recht“ und zu bekämpfenden „Unrecht“ lässt sich „weltanschauungsneutral“ nicht ziehen. Dabei stehen Weltanschauungen manchmal auf beiden Seiten der Barrikade: Die Folter wurde von einem Teil der christlichen Kirchen als gottgeboten verteidigt, während auch Christen mit Berufung auf die Bibel gegen sie (letztlich erfolgreich) kämpften.

    Die Rechtsordnung ist für alle Bürger verbindlich, doch „der Bürger ist nicht zur Werteloyalität verpflichtet“, sagt außerdem Papier.

    II. Gegen das (relative) staatliche Recht erscheint das „göttliche“ Recht der Offenbarungsreligionen als eindeutig und unumstößlich. Die Offenbarungsschriften sind für den Gläubigen das „Wort Gottes“, das nicht verhandelbar ist. Nur: Die hebräische Bibel (die Tora), die Evangelien und der Koran sind keine Gesetzesbücher mit systematischen Regelungen des Straf-, Staats- und Zivilrechts. Die darin enthaltenen Weisungen sind weder eindeutig (weil in einer zeitgebundenen, für Auslegungen offenen Sprache offenbart) noch in sich widerspruchslos. Sie müssen erst in ein „handhabbares“ Rechtssystem „übersetzt“ werden, die im Judentum Halacha und im Islam Scharia. Doch dieses „Übersetzen“ ist bereits ein Menschenwerk und daher nicht unfehlbar und unwandelbar. Daher gibt es im Judentum nicht „die Halacha“ und im Islam nicht „die Scharia“, sondern eine Vielzahl von „Rechtsschulen“. So weit ich die Diskussion im Islam kenne, ist nach der Meinung der Mehrheit der Religionsgelehrten die Scharia ein Teil des weltlichen islamischen Staates. Nur wenige fundamentalistische Strömungen streben einen „Gottesstaat“ an. Noch ein Punkt ist wesentlich: Die Anwendung des Rechts ist die Aufgabe von Richtern, nicht die jedes Einzelnen. Hingegen bedarf es für das Religiöse, also das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, im Judentum und im Islam keines Vermittlers.

    Wenn liberale und „orthodoxe“ Richtungen um die Veränderungen des religiösen Rechts streiten, geht es nicht primär um unterschiedliche Lesarten der Offenbarungstexte. Vielmehr geht es darum, ob die Auslegungen der „klassischen“ Autoritäten durch neue Erkenntnisse überholt werden. So ist es jedenfalls im Judentum, aber auch die Diskussion im Islam erfolgt meines Wissens in ähnlicher Weise.

    Diese „theologischen“ Feinheiten spielen für das tägliche Leben der meisten observanten Juden und der meisten gläubigen Muslime keine große Rolle. Sie identifizieren sich (schon mangels tiefergehender religiöser Bildung) weniger mit dem Religionsrecht, sondern mit einer religiösen Tradition, die nicht nur aus religiösen Quellen gespeist wird.

    III. Der Konflikt zwischen religiösen und weltlichen Autoritäten ist auch für den Islam nicht neu, weshalb sich frühzeitig Anpassungsstrategien entwickelt haben. Um sich nicht zu gefährden, ist dem Muslim erlaubt, Religionsvorschriften (zumindest zeitweise) zu verletzen. Außerdem war den Religionsführern klar, dass der Mensch nicht dauerhaft in einem Spannungsverhältnis leben kann, weshalb die Religionsvorschriften immer auch an die staatlichen Gegebenheiten angepasst wurden. Ein Beispiel dafür ist die staatlich erzwungene Monogamie; mir ist nicht bekannt, dass es unter den türkischen Muslimen Bestrebungen gibt, unter Berufung auf die Scharia und den (in diesem Punkt eindeutigen) Koran die Wiedereinführung der Mehrfachehe zu fordern. Dem Staat wird das Recht eingeräumt, Handlungen und Verhaltensweisen zu verbieten, auch wenn diese religiös erlaubt wären. Konflikte entstehen erst dann, wenn der Staat religiös gebotene Handlungen verbieten oder religiös verbotene Handlungen erzwingen würde (was in unserem Rechtssystem ohnehin das Grundrecht auf Religionsfreiheit verletzen würde). In diesem Sinne ist die Fatwa der Al-Ahram-Universität zu verstehen, die nicht eine taktische Anpassung nahelegt, sondern aktive Rechtstreue fordert und dauerhaften Rechtsfrieden anstrebt. Sie ermöglicht auch konservativen Muslimen eine Koexistenz mit dem deutschen staatlichen Recht.

    IV. Bei den meisten in der deutschen Öffentlichkeit heftig diskutierten „Islamfragen“ handelt es sich nicht um Konflikte mit dem islamischen Recht. Der Islam erlaubt z.B. keine „Ehrenmorde“ und keinen Heiratszwang. Es ist nicht der Islam, sondern die patriarchalische Einstellung der Familien, wenn arrangierte Hochzeiten erzwungen werden. Das staatliche Verbot dieser Handlungen (wie auch das Verbot familiärer Gewalt) verletzt das islamische Recht nicht.

    Damit will ich die bestehenden Konflikte bei dem Zusammenleben eines Teils der „Migranten mit muslimischen Hintergrund“ mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft weder bestreiten noch verharmlosen. Es handelt sich aber nicht um Konflikte unterschiedlicher Rechtssysteme, sondern um soziale Konflikte, die nur religiös verbrämt werden.

  74. @Abraham
    Lieber Abraham,
    ich hätte da einen kleinen Einwand.
    Ich sehe den Anteil der Religionen („Spuren“) an der Entwicklung der Menschenrechte nicht.
    Das Christentum beruft sich heute darauf, dass in dem Satz alle Menschen seien vor Gott gleich, der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes enthalten sei. Das ist schön und gut RÜCKBLICKEND, aber in der historischen Entwicklung hat das Christentum den Gleicheitsgrundsatz auf Erden weder gefordert noch durchgesetzt. Darüber hinaus hat die Kirche über Jahrhunderte hinweg Aufklärungs- und Emanzipationsbestrebungen massiv behindert. Es ist zwar schön, dass dies heute nicht mehr so ist, aber der positive Beitrag zu der Entwicklung der Menschenrechte seitens der Kirche strebt gegen null, von Spuren kann man da nicht sprechen.
    Das Aristoteles über die Kommentare des klugen Averroes überliefert wurde, ist ja bekannt. Dennoch handelt es sich hier um griechisch-antikes Gedankengut. Die Religion spielt auch dabei keine Rolle.

  75. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Luhmann, 2004, S.9)
    Wenn wir [die Gesellschaft] etwas nicht kennen, haben wir, der These zufolge, keine andere Möglichkeit, als uns in den Massenmedien darüber zu informieren.

    Zudem denke ich, dass sich durch die vorhandenen Assoziationen von dem Verhalten Jungendlicher mit muslimischem Migrationshintergrund mit dem Islam, eine große Schwierigkeit ergibt den Islam zu kritisieren, da man somit auch die Menschen, die dem Glauben angehören kritisiert. Es ist somit das Gesellschaftsbild, dass sich mit der Zeit entwickelt hat, welches dafür verantwortlich ist, dass solche Assoziationen stattfinden.
    Im Christentum herrscht solch eine Problematik nicht vor, da man das Handeln christlich gläubiger Menschen zumeist nicht mit ihrem Glauben in Verbindung bringt.
    Menschen sind nicht nur „Angehörige“ einer Religion, deren Vorgaben sie passiv übernehmen, sondern sie verändern und entwickeln sich in ihren religiösen Mentalitäten und Identitäten, sei es durch bewusste Auseinandersetzung, sei es (vermutlich sehr viel öfter) durch alltägliche lebenspraktische Lernprozesse.

    Schlussendlich ist es eine Frage der Einstellung, wie man den Medien gegenüber steht. Denn verfolgt man Medienberichte mit einer eher kritischen Haltung, neigt man weniger dazu, Menschen zu pauschalisieren oder zu kategorisieren. Jene Medienberichte verfolgen Konsumenten allerdings nur dann kritisch, wenn sie sich nicht in ihren bestehenden Vorurteilen bestätigt fühlen.
    Insbesondere sollte aber der Unterschied zwischen Islam und Terrorismus und Fundamentalismus besser herausgearbeitet werden, denn Seit dem 11.September 2001 werden viele islamische Bürger mit Terroristen gleichgesetzt.

  76. @ Liebe maat,

    so klein ist Dein Einwand nicht, und er ist auch nicht unbegründet. Ich bin kein Experte für das Christentum, aber mein Eindruck ist, dass Du bei Deinen Gegenargumenten diese Religion zu sehr auf die Kirche (also deren hierarchische Organisation) reduzierst. Zählt der Beitrag der einzelnen Christen nicht, die aus ihrem Religionsverständnis aus frühzeitig gegen koloniale Gewalt (Jesuiten in Lateinamerika), gegen Folter und gegen Sklaverei eingetreten sind?

    Die Idee, dass allen Menschen Rechte zustehen, kommt meines Wissens aus dem Judentum und wirkt in den „abrahamitischen“ Religionen fort, auch wenn sie von den Kirchen missachtet wurde.

    Historisch belegbar ist jedenfalls, dass die Idee der Menschenrechte von zumindest einem Teil der Christen, Juden und Muslime in ihr religiöses System mit integriert wurde und dass sich zahlreiche Angehörige der Religionen für die Durchsetzung dieser Rechte engagiert haben und engagieren.

  77. Auch was wir über die vergangene Welt wissen, wissen wir durch die Medien (vgl. Sarah # 82). Aber die Alten sind nicht unsere Zeitgenossen und ihre schriftlichen Zeugnisse uns nicht unmittelbar zugänglich. (Darin begegnen sich die islamischen Fundamentalisten mit gewissen Islamkritikern, ein über tausend Jahre altes Buch zu nehmen, als sei die Erstauflage 2000 erschienen.) Sie bedürfen der verstehenden Deutung. Hermeneutik, dialektisch, in diesem Sinne: aus den Texten die damaligen Zeitumstände verstehen und die Texte aus den Zeitumständen.

    1. Zunächst einmal: „Die Religionen“, Christentum und Judentum sind Abstrakta. Die tun nichts und sind als solche für nichts verantwortlich, und die Bedeutung der Begriffe müsste selbst erst aufgeschlossen werden und unterliegt zudem einem Wandel. Handelnde Subjekte sind die jeweiligen Menschen, mit ihren spezifischen Identifikationen.
    Im jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos heißt es:
    „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib (1. Mose Kap. 1, Vers 27).
    Da ist, unter Berufung auf die höchste denkbare und geglaubte Autorität, die IDEE der Gleichheit angelegt. Es heißt nicht: Gott schuf die Menschen, und darunter die Freien, die Juden, die Männer nach seinem Bilde.
    Jedoch gibt es im Judentum fraglos Sklavenhaltung, entsprechend schreibt Paulus, der eigentliche Begründer des Christentums:
    Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Knecht noch Freier, da ist weder Mann noch Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.“ (Galater 3:28)

    Nun entsteht jedoch das Problem, dass die Sklaven gelaufen kommen und sagen: also sind wir jetzt Freie? Dazu schreibt Paulus im Epheserbrief:
    „Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren mit Furcht und Zittern und mit aufrichtigem Herzen, als wäre es Christus“ (Kap. 6.5), und nebenbei: „Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem HERRN.“ (Kap. 5.22)

    Hier offenbart sich zweierlei: erstens gehört die Idee von gleichen Rechten aller Menschen von vornherein zum Grundbestand der jüdisch-christlichen Tradition, im Gegensatz zur klassischen Antike (für Aristoteles sind die Sklaven sprechende Sachen), zweitens tut sich seit alten Zeiten, seit der Etablierung des Patriarchats und der Versklavung von kriegerisch unterworfenen Volksstämmen, ein Spannungsverhältnis auf zwischen im Kern religiöser Idee und sozialer Wirklichkeit.

    Religion ist, jedenfalls dem Wortverständnis nach, keine fixierte Sache, sondern heißt soviel wie „Richtung“. In eine Richtung steht man nicht, sondern geht man und strebt man. In dem jeweiligen Spannungsverhältnis gibt die Religion den Menschen also eine Richtung und Orientierung, wohin es zu streben gilt.

    Dieses Spannungsverhältnis zieht sich seither unabgeschlossen durch die Geschichte: es bilden sich innerhalb der Religionen und unter Berufung auf sie Hierarchien heraus, bei den Israeliten Königtümer und Tempelpriesterschaft, dagegen steht die Bewegung von Propheten, auch von Sekten, wie den Essenern, aus deren Spektrum Jesus kommt, die zur Rückkehr zum spirituellen und sozialen Kern der Religion mahnen, bei den Christen entstehen aus den egalitären frühen gemeinden fünf Patriarchate, mit einem suprematie-Anspruch des Patriarchen von Rom, darunter Metropoliten und Bischöfe einfache Kleriker und das abhängige gläubige Volk.

    Jedoch dies und nur dies als „Kirche“, gar synonym mit „Religion“ zu begreifen, spottet zahlreichen egalitären Gegenbewegungen von unten in der Geschichte und Gegenwart, die sich als die wahren Hüter der religiösen und ggf. kirchlichen Ordnung begreifen, gegen Hierarchisierung, „Verweltlichung“ usw., spottet zeitgenössischen Organisationen, wie derjenigen, die sich ohne Anführungszeichen Wir sind Kirche nennt.

  78. @Abraham,

    Sie haben viel geschrieben, auch einiges ganz richtige, die Kernfrage ist aber dennoch ungeklärt.

    Sicher sind unterschiedliche Auffassungen, ja Kritik bzgl. der Werteordnung der Grundrechte, innerhalb gewisser Grenzen jedenfalls, möglich. Das entbindet aber niemanden, auch muslimische Kritiker nicht, sich dieser Werteordnung, insofern sie in momentane, aktuell gültige Gesetze geflossen ist, unterzuordnen. Die mögliche Kritik wäre eine Vorstufe für den üblichen politischen Prozeß, Parteienbildung, Teilnahme der Parteien an Wahlen usw., der dann am Ende Gesetzesänderungen und durchaus auch Grundgesetzänderungen vornehmen kann, wenn sich dafür demokratische Mehrheiten finden lassen.

    Ausgenommen von Änderungsmöglichkeiten sind aber die Grundrechte in Artikel 1 sowie die Festlegung von Staatsziel und rechtlicher Grundordnung in Artikel 20. Insofern ein göttlich verordnetes Rechtesystem wie die Scharia also Art. 1 und 20 widersprechen oder abschaffen wollen (und das tun sie ja), sind sie ganz einfach verfassungsWIDRIG, und daran lässt sich auch durch GG-Änderung nichts ändern! Den Zustand einer Gesetzeswidrigkeit bei Konflikten mit tiefer gelagerten Gesetzen hingegen könnte man ändern, indem man diese Gesetze unter den vorgesehenen Bedingungen (polit. Prozeß) im zulässigen Rahmen (GG 1!) ändert.

    Die Tendenz strenggläubiger Muslime zur Durchsetzung eigener Vorstellungen gegen bestehende rechtliche Bestimmungen ist aber nicht die, Parteien zu gründen und im politischen System mitzuwirken, um auf entsprechende Berücksichtigung ihrer Vorstellungen hinzuarbeiten (jedenfalls kann ich dieses bisher nicht erkennen, können Sie es?), sondern ganz einfach diese Vorstellungen in abgeschirmten Parallelwelten mehr oder weniger heimlich auszuleben, gegen die rechtlichen Vorgaben. Zwangsehe oder Ehe unter 16 in Deutschland verboten? Na, dann wird die Tochter einfach in einen Zwangs“urlaub“ nach Libanon geschickt, um nur ein Beispiel zu nennen.

    Was Sie über die Anpassungen an die Moderne in der Scharia gesagt haben, d.h. daß es diese gibt, mag ja stimmen. Ich sehe aber hierbei kritisch, daß sie von Einzelpersonen (Islamischen Rechtsgelehrten) ausgeht, die sie einfach so nach eigenem Gutdünken verkünden. Sind die entsprechenden Herren (von islamischen Rechtsgelehrtinnen hörte ich bisher noch nicht) mal der Meinung, man könne die koranischen Vorgaben doch etwas liberaler auslegen, dann können sich liberaler veranlagte Muslime freuen, wird die Notwendigkeit empfunden, die Schäfchen ein wenig mehr wieder an Allah zu binden, dann kann auch wieder etwas konservativer ausgelegt werden. Dieses System einer Gesetzfestlegung ex kathedra verletzte auch eindeutig Art 20 des GG, denn es widerspricht demokratischen Grundsätzen. D.h. das Volk hat in dem ganzen „Modernisierungsprozeß“ des Islam nur dann eine Stimme, wenn die Herren Rechtsgelehrten a) verantwortlich genug denken, dies zuzulassen, und b) diese Stimme überhaupt wahrnehmen, wobei völlig unklar ist, über welche Mechanismen das geschehen soll.

    Strenggläubige Muslime in D haben also die Wahl: Herkömmlichen tradierten Rechtsvorstellungen anzuhängen und sich einen feuchten Kehricht um irgendwelche Deuter in fernen Ländern zu kümmern, oder die fernen Modifikationen wahrzunehmen, die von Einzelpersonen willkürlich festgelegt wurden. Toll, das ist ja die Wahl (in den Augen eines Demokraten) zwischen Teufel und Beelzebub.

    Hinzuzufügen ist, daß die „Anpassung an die Moderne“ insofern das Bild eines heillosen Durcheinanders macht, als es, über die ganze arabische Welt verteilt, eine Plethora an Rechtsgelehrten gibt, die, da jeder nach Gusto und nach der Situation im eigenen Land (d.h. der Kontrolle der Religion übers Volk) urteilt, die unterschiedlichsten Deutungen zu denselben Sachverhalten abgeben.

    Ganz besonders lustig zutage tritt dies dann in den Urteilen deutscher Islam“experten“, wenn diese zu bestimmten Fragen eine Aussage machen sollen, die anschließend in hiesige Gerichtsurteile einfließen soll. Als Beispiel möchte ich die bekannte Frage der „Gebetsräume in Schulen“ anführen. Natürlich gibt es Fatwas, die insofern eine Anpassung an die Moderne darstellen, daß die Uhrzeit der Gebete sich nach den weltlichen Notwendigkeiten richten soll, d.h. Gebete können auch schon mal verschoben werden. Z.B. könnte ein Schüler das Mittagsgebet also auch auf halb drei verschieben, wenn er wieder zuhause ist…. laut dieser Fatwa. Wir hatten also in diesem Fall einen Islam“experten“, der sagte, der Junge bräuchte keinen Gebetsraum, da er das Gebet ja verschieben kann, und einen anderen „Experten“, der das Mittagsgebet für unaufschiebbar hielt, also wohl auch andere Fatwas dazu aus dem Hut zaubern konnte, und natürlich den Kläger selbst, der die Verschiebungsfatwa auch nicht so richtig als verbindlich sehen wollte (sonst hätte er ja nicht geklagt).

    Was Sie „graue Zone zwischen Recht und Unrecht“ nannten, die Auslöser von Rechtsstreitigkeiten ist, ist in Wirklichkeit in den allermeisten Fällen nur a) Informationsmangel, und b) Voreingenommenheit. Wenn Gerichte a) ausräumen und b) vermeiden, kann es ganz oft zur klaren Einordnungen in die bestehenden Vorgaben des Rechtssystems kommen. Wirklich „graue Zonen“ handeln wir uns ein, wenn Scharia und ihr „Deutungssystem“ Eingang ins deutsche Rechtssystem erhalten würden. Willkür und extreme Deutungsbandbreiten!

    heinrichs Posts hier sind nichts als bloß Polemiken, die in der implizierten, absurden Behauptung gipfeln, eine Ermutigung zur Gewaltausübung in muslimischen Familien aus dem Koran wäre deswegen nicht zu kritisieren, weil er selber persönlich in seiner Familie öfter verprügelt wurde, ohne daß der Islam dabei eine Rolle spielte. Solange da nicht mehr an Inhalt kommt, lohnt sich für mich die Beschäftigung mit diesem Blabla nicht.

  79. @ Lieber Heinrich

    sicherlich verwundert es Dich nicht, dass ich Deinen Ausführungen aus dem ganzen Herzen zustimme. Schon die Bibel beschreibt den Entwicklungsprozess der (jüdischen) Religion. So diskutieren die Rabbinen des Talmuds, warum Gott die Tora erst Moses und dem Volk Israel am Sinai verkündet hat. Warum die lange Abfolge über Adam, Noa (dem die ersten, für die gesamte Menschheit bestimmten, Gebote verkündet wurden, darunter das Gebot, Richter einzusetzen), Abraham (dem „Entdecker“ des Monotheismus) bis Moses, warum der lange Weg von Ur nach Kanaan, weiter nach Ägypten und wozu die mühsame Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei? Hätte Gott nicht schon Adam und Eva, als sie die Frucht vom Baum der Erkenntnis aßen, die Tora verkünden können? Die Antwort der Rabbinen lautet: Das jüdische Volk musste erst durch die eigene Erfahrung der Sklaverei für die Annahme der Tora reif werden.

    Zweifelsohne spiegeln die Offenbarungstexte wie die hebräische Bibel die Zeitumstände wieder, geben aber gleichzeitig den Weg zu ihrer Umgestaltung um. Die Sklaverei gehört zu den Zeitumständen; doch wenn auch ein Sklave als Abbild Gottes geschaffen ist, muss das Konsequenzen haben. Er muss als Mensch behandelt werden, dem am Schabbat eine Ruhepause von der Arbeit zusteht. Im Ruhejahr, das alle sieben Jahre stattfindet, muss ihm und seiner Familie sogar die Freiheit gegeben werden.

    Allerdings gelten die Gesetze der Tora nur für das Volk Israel. Paulus will aber die Botschaft Gottes, wie sie von Jesus noch im Rahmen des innerjüdischen Disputs und weitgehend in Übereinstimmung mit der rabbinischen Tradition der Pharisäer formuliert hat, in die Welt tragen, das Christentum zur Weltreligion machen. Damit entsteht für ihn ein Dilemma, denn es ist aussichtslos, die jüdischen Religionsgesetze „den Heiden“, also den Völkern des römischen Reiches, aufzuzwingen. Deshalb entscheidet sich Paulus, auf diese Vorschriften samt ihrer sozialen Komponente zu verzichten; die Gleichheit der Menschen „in Christus“ wird ins religös-abstrakte transformiert, die Befreiung der Sklaven wird aus dieser Welt ins Jenseits verschoben. So verstehe ich die von Dir, lieber Heinrich, verwendeten Paulus-Zitate aus meiner jüdischen Sicht.

    Etwa zu gleicher Zeit, nach der Zerstörung des Tempels und dem Ende der jüdischen Staatlichkeit, geht das rabbinische Judentum einen anderen Weg: Die strenge Einhaltung der Religionsvorschriften, auch der bisher nur mündlich tradierten, wird zum „Zaun um die Tora“, zum Bindeglied des Judentums in der Zerstreuung der kommenden Jahrhunderte.

    Trotzdem bleiben die sozialen Ideen des Judentums und die Hoffnung auf Befreiung aus der Sklaverei im Christentum erhalten: Die christlichen Gründungsväter der USA verstehen sich als das „neue Israel“, das im „gelobten Land“ Amerika seine Befreiung aus der (religiösen) Sklaverei findet. Die Verfassung der USA, die erstmals Freiheits- und Menschenrechte formuliert, steht also in dieser jüdisch-christlichen Tradition. Für die schwarzen Sklaven bringt die amerikanische Revolution noch nicht die Befreiung. Die biblische Geschichte der Rettung der Israeliten aus ägyptischer Sklaverei wird nun das Motto des Freiheitskampfes der Schwarzen. „Let my people go“, heißt es in einem Gospel dieser Zeit.

  80. Eine Anmerkung zum Artikel, „der zum besten zählt“, was mancher so in letzter Zeit gelesen haben will.

    Da wird die SINUS-Studie erwähnt, die die Gesamtheit aller Migranten betrachtet, und gesagt, daß dieser Studie zufolge 7% in „vormodernen, sozial und kulturell isolierten Milieus“ verhaftet sind.

    Zunächst einmal sind das hier 7% aller Migranten, von denen ein Großteil ja gar keine Muslime sind. Wenn also bei den nichtmuslimischen Migranten das Verhaftetsein in vormodernen Milieus in weniger als 7% der Fälle auftritt, dann kann es bei muslimischen Migranten eben auch höher sein. Das ganz deutlich zu formulieren hielt Preuß scheinbar nicht für nötig. Die 7% sind aber auch, wenn man sie auf die Gesamtheit aller Migranten bezieht, mehr als fragwürdig. In der SINUS-Studie weiß man von dieser Fragwürdigkeit, die sich u.a. daraus ergibt, daß zu ihrer Erstellung gerade mal 107(!) Personen befragt wurden (die auch noch nichtrepräsentativ ermittlt wurden), und drückt das daher folgendermaßen aus:

    „Die Ergebnisse sind aufgrund der qualitativen Ausrichtung der Studie nicht repräsentativ im statistischen Sinne. Um Größe und Struktur der Migranten-Milieus zu bestimmen, ist als nächster Forschungsschritt eine Quantifizierung des Modells geplant.“

    Preuß braucht diese weitere Forschung aber überhaupt nicht, er weiß ja schon aufgrund der Interviews von 107 Migranten, von denen einige auch Muslime waren, über die Verbreitung vormoderner Anschauungen bei Muslimen, zu deren Festigung der Islam beiträgt, schon Bescheid: sie ist zahlenmäßig praktisch unbedeutend.

    „Aus diesem Grunde sind die eingangs genannten Zahlen zur Migration so wichtig“ schreibt er flüssig daher… es sind zwar falsche, ganz unfundierte Zahlen, aber für ihn die richtigen, weil sie ihm gefallen.

    Und was soll man von der Schlußfolgerung Preuß halten, der Islam könne ja schon allein deswegen gar nicht ein Integrationshemmnis darstellen, weil man feststellt, daß es Muslime gibt, die bestens integriert sind. Da merkt man deutlich, wes Geistes Kind der Autor ist. Zu befürchten ist, daß viele, insbesondere von typisch deutscher Selbstverleugnunglust gegenüber den eigenen Interessen getriebene (evtl. auch Teil der Leitkultur?), auf so etwas reinfallen.

  81. P.S.

    Ich fand gerade heraus, daß es nach der SINUS-Studie von 2007, die Basis des von mir oben kommentierten war, 2008 eine weitere Studie gab, die mir bisher unbekannt war, in der man die angekündigten Quantifizierungen durch die Befragung von 2072 Personen durchführte. Leider ist nach wie vor, nach Studium aller von SINUS SOCIOVISION zur Verfügung gestellten Quellen, unbekannt, wie hoch der Anteil der Muslime hier war. Da die Repräsentativität von SINUS behauptet wird, und Muslime etwa 5% der Bevölkerung ausmachen, basiert die SINUS-Studie also bei der Feststellung, wieviele Muslime denn nun einem religiös-verwurzelten Milieu angehören, auf der Befragung von ca. 104 Muslimen. Ob bei so einer Grundlage von 104 Personen eine gültige Aussage erlaubt ist, was die Gesamtheit der hiesigen Muslime angeht, ist mehr als zweifelhaft.

    Dankenswerterweise haben die Betreiber der Studie alle türkischstämmigen Einwanderer auch separat betrachtet bzw. in einer separaten Zusammenfassung einige Daten veröffentlicht. Hier ist, wie zu erwarten, der Anteil in der „Enklave: Konservativreligiös, strenge, rigide Wertvorstellungen, religiös verwurzelt“ höher und liegt bei 19%.

    Leider verschweigt die Studie entsprechende Zahlen über Muslime aus Nordafrika und Mittelost, obwohl sie ja eigentlich vorliegen müssten. Es ist zu vermuten, daß die entsprechenden Zahlen hier höher liegen, z.B. dadurch, daß bei den türkischstämmigen Einwanderern ein hoher Anteil Aleviten mit ihrer liberaleren Religionsauffassung und damit höherer Milieufreiheit die Zahlen für dieses Milieu niedriger halten, wohingegen bei den muslimischen Einwanderern aus anderen Ländern solch liberale Denkschulen nicht auszumachen sind.

    Wie dem auch sei, wir reden hier also von 20% (Sinus) bis 40% (BMI) aller Muslime, und nicht von 7%, wie Preuß das dem flüchtigen Leser unterjubeln will.

  82. @ Abraham

    Nun also theologisches bzw. religionsgeschichtliches Blabla? Meinetwegen gerne, als exklusive Diskussion hier. Danke jedenfalls für deine lehrreichen Erläuterungen, lieber Abraham, denen ich im Gegenzug weitestgehende Zustimmung zolle.

    Zwei modifizierende Einwände:
    Erstens: Wird man tatsächlich Abraham als „Entdecker des Monotheismus“ bezeichnen können? Bildet sich dieser nicht im strengen Sinne frühestens in Babylon bzw. zur Zeit des zweiten Tempels heraus, vielleicht sogar erst nach dessen Zerstörung im rabbinischen Judentum?

    Bei Abraham, auch noch bei Mose und zur Zeit der Könige wird man dann präziser von „Henotheismus“ sprechen müssen. Der Unterschied: „Du sollst keine anderen Götter neben mir verehren“ setzt voraus, dass es solche gibt. Henotheismus bedeutet also: Verehrung nur eines einzigen bestimmten Gottes. Monotheismus dagegen heißt: Es gibt nur den einen und einzigen Gott JHWE, die „Völker“ verehren Götzen, falsche Götter.

    Der zweite Einwand betrifft Paulus und das frühe Christentum. Dass er „die Gleichheit der Menschen „in Christus“ ins religös-abstrakte transformiert“ kann man sicherlich so sehen. Allerdings gilt es auch hier, wie von mir eingangs postuliert, die Zeitumstände in die Deutung einzubeziehen. Christus war für die frühen Christen keinesfalls abstrakt und der welt enthoben, sondern er weilte unter ihnen und seine Wiederkunft als Messias wurde von ihnen für die unmittelbare Zukunft erwartet. Das erklärt auch seinen missionarischen Eifer, er wollte noch möglichst viele Menschen zum Heil führen, wie er es verstand.

    Die Herausbildung des Christentums als Weltreligion hat einen anderen, sowohl ideellen als auch materiellen Hintergrund: Es entwickelte sich aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes in den Gemeinden zur bevorzugten Religion der Sklaven, die als einzige Menschengruppe über das ganze Reich verstreut war. Kaiser Constantin nutzte den Umstand, dass praktisch in jeder Stadt ein Bischof war, um diese mit Verwaltungsaufgaben zu betrauen und das Christentum zur römischen Staatsreligion zu erklären.

    Um die Zeitenwende aber hatte sich der sog. „Hellenismus“ im Gefolge der Eroberungen Alexanders des Großen im gesamten östlichen Mittelmeerraum ausgebreitet, eine synkretistische Weltanschauung, die Elemente der griechischen Philosophie – kein Geringerer als der junge Aristoteles war der Hauslehrer Alexanders gewesen, mit den verschiedensten religiösen Vorstellungen der eroberten Völker zu einem Amalgam verschmolz. Das machte auch vor den jüdischen Gemeinden nicht halt, unter denen und zwischen denen ein Richtungsstreit entbrannte zwischen den orthodoxen hebräischen Juden und den hellenistischen, zumal aus der größten Diasporagemeinde in Alexandria, die eine griechische Übersetzung der Tora (die „Septuaginta“) anfertigen ließen, um die jüdische Religion über die alten ethnischen grenzen hinaus verbreiten zu können. Das betrieben also keineswegs nur Paulus und die christlichen Gemeinden.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Hellenistisches_Judentum

    Was den betrifft, so war er ein theologisch Hochgebildeter Jude aus Tarsus, einer hellenistischen Stadt in Kleinasien, ein orthodoxer Pharisäer, der bei Gamaliel, dem berühmtesten jüdischen Gelehrten seiner Zeit, studiert hatte und in seiner Heimatstadt mit den sogenannten „Gottesgläubigen“ in Berührung kam, nichtjüdischen Hellenisten, die von der monotheistischen Lehre fasziniert waren und an der Synagoge teilnahmen. Die machte er zu seinen Adressaten, und die Loslösung aus den jüdischen Gemeinden geschah wohl wechselseitig, als Entfernung von den hebräischen Gegnern des hellenistischen Judentums und als Ausschluss aus der jüdischen Gemeinde, als diese die Oberhand gewonnen.

    Soweit mein Stand dazu.

    Grüße
    Heinrich

  83. @Abraham/Heinrich
    Ohne Zweifel ist der Einfluss der genannten Religionen auf die Kulturgeschichte hoch und mit den Menschenrechten vereinbar. Und natürlich engagieren sich viele gläubige Menschen auf dem Gebiet. Mein Beitrag sollte kein Widerspruch zu Abrahams Ausführungen sein, sondern lediglich eine Ergänzung in Bezug auf die Entwicklung der Menschenrechte. Diese lässt sich ja an Gesetzestexten festmachen (Ich berufe mich da auf Jura-Vorlesungen, denen ich gelauscht habe). Die Idee der Gleichheit vor Gott (Ebenbildlichkeit), die Heinrich ausführt wird rückblickend gerne so interpretiert, dass darin der Gleichheitsgrundsatz angelegt ist, der sich in den Menschenrechten wiederfindet. Es ist aber ein Trugschluss zu meinen, dass diese biblische Idee impulsgebend (!) war für die Übertragung auf das Rechtsystem bzw. auf die weltliche Ebene (gleiche Rechte auf der Erde). Es gibt dafür keine Belege! Die Idee der Gleichheit aus der Bibel wurde über Jahrhunderte hinweg ausschließlich auf das göttliche Gericht bezogen, nicht auf das weltliche. (Die Quäker in Amerika waren diesbezüglich vergleichsweise fortschrittlich soweit ich mich entsinne- dies aber auch erst spät.) Insbesondere CDU-Politiker überschätzen gerne den Einfluss des Christentums auf die Menschenrechtsentwicklung, behaupteten teils sogar die Menschenrechte hätten ihre Wurzel in der Bibel. Das ist Quatsch! Die Entwicklungsgeschichte der Menschenrechte vollzog sich ohne beweisbare Impulse (alles andere sind Spekulationen) aus den Religionen sogar gegen ihren Widerstand.

    Liebe Grüße
    maat

  84. @ Heinrich

    1. „Wird man tatsächlich Abraham als “Entdecker des Monotheismus” bezeichnen können?“ Wenn man Abraham als geschichtliche Person betrachtet, sicher nicht. Wir wissen ja nicht einmal, ob es diesen Abraham tatsächlich gab. Mir ging es nicht um historisch-kritische Bewertung der Bibel (so wichtig diese auch für mein „progressives“ Verständnis des Judentums auch ist, sondern um die „Innensicht“ der Bibel und darum, wie sie schon um die Zeitwände „dynamisch“ verstanden wurde. Auch laut Koran entwickelt sich der Islam, auch hier ist die Entstehung der Religion ein Prozess (aus der Sicht der Historiker sowieso). Das ignoriert Max Wedell, wenn er den „strenggläubigen Muslimen“ jede Entwicklung ihres religiösen Verständnisses abspricht.

    2. Meine Formulierung, Paulus habe “die Gleichheit der Menschen ‚in Christus‘ ins religös-abstrakte transformiert”, empfinde ich nicht im Widerspruch zu Deiner Feststellung, Christus sei für die frühen Christen „keinesfalls abstrakt und der Welt enthoben“ gewesen. Mir geht es um die Verschiebung der Religion von der Handlungsebene in die Glaubensebene des „Heils“. Leo Baeck nennt das erste eine „klassische Religion“, das zweite eine „romantische Religion“. Womit ich auch sagen will, dass der Dialog der Religionen auch dazu dient, Unterschiede deutlich zu machen. In diesem Sinne bin ich auch für einen kritischen Dialog mit dem Islam. Bei dem sehe ich das Problem der „Vergötterung“ von Mohamed, der der menschlichen Kritik entzogen wird.

    @ maat
    Überzeugt dich nicht der Verweis auf die Verfassung der USA, die von tief religiösen Christen geschrieben wurde? Meines Wissens ist es tatsächlich die erste Rechtsurkunde, die die Menschenrechte postuliert. Auch das Engagement vieler Juden für die Menschenrechte und Demokratie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist ohne deren religiösen Hintergrund nicht zu erklären. Damit will ich Deiner Kritik an denen, die das Christentum als die (Haupt)Quelle der Menschenrechte ausgeben, nicht widersprechen.

  85. @Abraham/Heinrich
    Ich möchte meinen Beitrag ergänzen bzw. verbessern, da ich in meinen Skripten nachgeschlagen habe 🙂
    Es ist richtig, dass es Menschen gab, die Mitte des 17. Jh. sich für die Grundrechte eingesetzt haben, die einer christlichen Religion angehörten. Insofern sind die „Spuren“ von denen Abraham spricht, nicht falsch. Diese Menschen gehörten aber (wie die Quäker, welche für die Gleichheit von Mann und Frau eintraten) Christlichen Sekten an, also Abspaltungen der Großkirchen. Die Großkirchen selbst haben ihren Frieden mit den Grund-und Menschenrechten erst Mitte des 20 Jh. geschlossen. Davor haben sie diese Entwicklung massiv bekämpft. Es handelt sich also um eine Anpassungsleistung (!) der Großkirchen in der modernen Zeit. (Im Grunde genommen das, was auch gegenüber Strömungen im Islam gefordert wird)

    Die Imago-Dei-Lehre, drückt lediglich aus, der Mensch habe in Relation zu Gott Ähnlichkeit. Im weiteren Verlauf der Schöpfungsgeschichte wird deutlich, dass damit das Herrschaftsverhältnis des Menschen über den Rest der Schöpfung begründet wird. Von Grundrechten des Einzelnen ist dort nichts zu sehen und das Christentum hat von oben genannten Ausnahmen abgesehen über Jahrtausende hinweg auch keine Konsequenzen aus der Imago-Dei Lehre gezogen. (Ich beziehe mich auf die Vorlesungen von Horst Dreier)
    Den Gleichheitsgrundsatz findet man übrigens nicht bei Aristoteles (diesem waren Abwehrrechte des einzelnen gegenüber dem Staat fremd und er vertrat wie auch später Thomas von Aquin die These, es gebe „Sklaven von Natur“ aus). Generell war der Antike diese Idee fremd mit kleinen Ausnahmen. Man findet den Gleichheitsgedanken in der Stoa.

    Schöne Grüße
    maat

  86. @ Max Wedell

    Nochmals: Laut Papier ist „der Bürger nicht zur Werteloyalität verpflichtet“. Hingegen ist der Rechtsrahmen, den das Grundgesetz schafft, für alle Menschen in diesem Lande verbindlich. Nur das ist für den Rechtsfrieden nötig. Für den gesellschaftlichen Frieden ist darüber hinaus eine gewaltfreie Austragung sozialer Konflikte notwendig. Beides können Muslime ohne einen Konflikt mit ihrer Religion leisten. Jedenfalls haben Sie einen solchen Konflikt bisher nicht begründen können, so wenig wie den angeblichen Widerspruch der Scharia zum Artikel 1 und Artikel 20 des Grundgesetzes.

    Das heißt nicht, dass es unter Muslimen keine Rechtsbrecher oder Asoziale gibt, so wie es solche in jeder anderen Bevölkerungsgruppe in Deutschland auch gibt.

    Auch hier Hinweis auf die muslimischen Mädchen, die in ihr Ursprungsland zur Zwangsehe geschickt werden, belegt nicht die Unverträglichkeit des Islams mit unserem Recht. Die Zwangsehe (die ohnehin der Scharia widerspricht) ist auch in der Türkei oder im Libanon illegal. Nur kann dort auf die Mädchen stärker familiärer Druck ausgeübt werden, weil sie kaum Möglichkeit haben, staatliche Hilfe zu bekommen. Familiärer Zwang ist kein exklusives Problem des Islams, er kommt – in anderen Formen – auch in anderen Bevölkerungsgruppen vor. Das heißt natürlich nicht, Zwangsehen hinzunehmen, sondern man muss den bedrohten Mädchen Hilfe leisten, was auch (z.B. in Berlin) muslimische Organisationen und Imame tun.

    Die religiöse Pluralität des Islams mag Ihnen Unbehagen bereiten, Sie werden Sie aber weiter ertragen müssen. Auch im Judentum haben wir keine religiöse Obrigkeit, die verbindliche Entscheidungen für alle Gemeinden treffen könnte, und werden wegen Ihnen keinen jüdischen Papst ernennen. Das bedeutet nicht, dass der Einzelne irgendeinem Rechtsgelehrten ausgeliefert wäre. Jeder ist für seine Religiosität selber verantwortlich und kann sich die religiöse Ausrichtung selber aussuchen, genügend Angebote unterschiedlicher Prägungen gibt es auch hier zu Lande. Ich glaube nicht, dass diese religiöse Pluralität die Lösung gesellschaftlicher Konflikte verhindert. Die Religionsfreiheit schützt jeden Einzelnen mit seiner Auffassung der Religion, und die Religionsfreiheit jedes Einzelnen findet ihre Grenzen an den Rechten der Anderen und den Rechten der Gesellschaft.

    Bei Ihrem Beispiel des muslimischen Schülers, der in einer Berliner Schule einen Raum für sein Mittagsgebet beanspruchte, erscheinen mir nicht die unterschiedlichen Meinungen der Gutachten das Problem zu sein. Mir scheint die Schule den falschen Weg eingeschlagen zu sein, wenn Sie dem Schüler nachzuweisen versucht, er sei gar nicht zu einem Mittagsgebet zu einer bestimmten Zeit verpflichtet. Viel erfolgreicher wäre es gewesen, dem Jungen einen Raum zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig durch Auflagen sicherzustellen, dass seine Religionsausübung die Rechte der übrigen Schüler auf negative Religionsfreiheit nicht stört. So weit ich den Fall aus der Presse kenne, handelt es sich um einen Jugendlichen, dem es nicht primär um die Religion geht (den Raum, den ihm nach dem erstinstanzlichen Urteil die Schule zur Verfügung gestellt hat, hat er nur selten für ein Gebet genutzt). Er wollte offenbar vor allem seine Überlegenheit demonstrieren; eine Herausforderung, mit der Pädagogen eigentlich fertig werden müssten, ohne einen Rechtsstreit vom Zaun zu brechen.

    Was Ihre Deutungen der Statistiken betrifft: Sie sind offenbar nicht bereit, konservative Muslime, die zwar kulturell in der Vergangenheit und in ihrem Ursprungsland verharren, aber keine Konflikte mit unserem Rechtssystem suchen, von Fundamentalisten zu unterscheiden, die unser Rechtssystem ablehnen oder gar bekämpfen.

  87. @Abraham,

    Sie reden leider um den heißen Brei herum. Das Vorhandensein einer religiösen Pluralität des Islam würde mir nicht im Traum einfallen zu kritisieren, wenn sie auf Fragen der ganz privaten Religionsausübung beschränkt bliebe. Die Pluralität der Ausdeutungen im Islam hingegen, die sich auf das Regelsystem beziehen, das sich Scharia nennt, sind doch aber genau deshalb ein Problem, weil die Scharia in ihren Vorschriften über das hinausgeht, was den ganz privaten Umgang des Gläubigen mit sich und seiner Religion angeht. Die Scharia regelt auch das Miteinander der Menschen dort, wo es eigentlich schon ein weltliches Rechtssystem für diese Zwecke gibt. Für eine Prüfung, inwieweit bei bestimmten Sachverhalten Regeln der Scharia mit denen des Rechtssystems kompatibel sind, ist es jedenfalls eine Erschwernis, wenn man bei den jeweiligen Sachverhalten ständig unterschiedliche Regeln zu hören bekommt, je nach „Schriftgelehrtem“, den man gerade befragt.

    Was meine Deutungen der Statistiken angeht: Ja, die vermutlich 20% der Muslime, die laut SINUS-Studie im „religiös-verwurzelten Milieu“ angesiedelt werden, (laut BMI-Studie 40%) habe ich im ganz starken Verdacht, das hiesige Rechtssystem nur soweit anzuerkennen, wie es Vorschriften aus der Scharia, in der konkreten individuellen Deutung, oder aus dem traditionellen religiösen Verständnis heraus, nicht widerspricht.

    Zur Sinusstudie muß ich meine Aussage korrigieren: die Befragungsbasis war etwa 500 Muslime und nicht 104, denn etwa ein Viertel der Personen mit Migrationshintergrund sind Muslime. Leider weiß man nichts über die Befragungsmethode. Die ursprünglichen 107 Personen zur Identifizierung der 8 Milieus wurden ja noch tiefeninterviewt, ein gutes Verfahren auch zur Vermeidung von Täuschungsversuchen. Die anschließende repräsentative Befragung von 500 Muslimen und 1500 Nicht-Muslimen ist dann aber wieder nur durch Abarbeiten einer Fragenliste im Multiple-Choice-Verfahren erfolgt… mit allen kritischen Punkten, die ich schon erwähnte, die es dabei bzgl. Bevölkerungsgruppen anzumerken gibt, die die Mehrheitsgesellschaft eher ablehnend betrachten, und daher auch die Umfragen, die sie veranstaltet, eher ablehnt.

    Das Milieu „religiös-verwurzelt Milieu“ hat in der Sinusstudie noch eine interessante weitere Eigenschaft. Die 8 Milieus sind ja in einem Koordinatensystem angeordnet, in dem auf einer Achse Tradition vs. Modernisierung aufgetragen ist, auf der anderen die soziale Lage von tief bis hoch. „Religiös-verwurzelt“ ist eine Blase am linken unteren Rand: einerseits nicht nur religiös, sondern konservativ-religiös, traditionell und die Moderne ablehnend, andererseits in ausschließlich niedriger sozialer Lage. Sie, Abraham, bemühen sich ja redlich, den der Moderne gegenüber aufgeschlossenen „Strenggläubigen“ zu postulieren, für den die Religion eben keine Ansammlung rigider Vorstellungen darstellt und der das Primat weltlicher Rechtssysteme völlig anerkennt (ich will auch nicht abstreiten, daß es den ganz vereinzelt geben mag). Man müsste mal die Autoren der Studie befragen, wo sie einen solchen aufgeschlossenen Strenggläubigen eingeordnet haben, in der archaischen religiös-verwurzelten Tradition, oder in der „Multioptionalität“ („Postmodernes Werte-Patchwork, Sinnsuche“). In letzterem Fall wäre dieser „Strenggläubige“ aus den 20% „religiös-verwurzelten“ jedenfalls schon raus.

    Interessanter noch finde ich aber die Einordnung der „Religiös-verwurzelten“ in den unteren zwei Dritteln der Schicht: „Niedrige soziale Lage“. Hier wäre die Frage an die Autoren der Studie zu stellen: Wo sind die „religiös-verwurzelten“ abgeblieben, die mittlere oder hohe soziale Lage aufweisen? So, wie die Studie es präsentiert, gab es keine.

    Dies ist im Endeffekt auch die Aussage Sarrazins gewesen: Das Verhaftetsein in den vormodernen Denk- und Traditionssystemen behindert den sozialen Aufstieg, den z.B. die Milieus „Statusorientiert“ (durchaus ethnischen Traditionen verhaftet wie „Pflicht- und Akzeptanzwerte, materielle Sicherheit, traditionelle Moral“) oder „intellektuell-kosmopolitisch“ (naturgemäß eher auf Selbstverwirklichung orientiert) durchweg in die mittlere, in Teilen bis in die hohe soziale Lage geschafft haben.

    Hier zeigt sich, daß die 20% nicht einfach nur religiös-verwurzelt, aber ansonsten prinzipiell integrierbar sind, sondern daß ihre archaische Tradition, von der die religiöse Verwurzelung ein Teil ist, einen sozialen Aufstieg verhindert, ein Miteinander mit der Mehrheitsgesellschaft, das eigenen Erfolg mit sich bringen kann, verhindert… mit anderen Worten, die Integration verhindert, sie auf die ewige niedrige soziale Lage verdammt. Erfolg in der Mehrheitsgesellschaft erfordert IMMER auch Anpassungsleistungen (von jedem übrigens, nicht nur von Muslimen), und es ist daher völlig klar, daß diejenigen am wenigsten in der Lage sind, sich den eignen Erfolg zu erarbeiten, die diese Anpassungsleistungen am hartnäckigsten verweigern. Daß hier auch archaische Traditionen jenseits der direkt religiös motivierten eine Rolle spielen, da gebe ich Ihnen ja recht.

  88. @ maat, Abraham
    ich denke, wir können dieses Nebengleis verlassen. Die Differenzierung in „klassische“ und „romantische“ Religion finde ich aufgrund deiner Darstellung nun einleuchtend, Abraham. Irgendwann will ich das Buch Schalom Ben-Chorin: Paulus – Der Völkerapostel in jüdischer Sicht einmal lesen.

    Und maat, ich denke, dass wir in Wirklichkeit nicht so weit voneinander entfernt sind, wie es den Anschein hat. Nach meiner wahrnehmung argumentierst du rechtspositivistisch, ich argumentiere ideengeschichtlich, denke, es ist klar, dass nicht Rechtsgrundsätze irgendwo aufgestellt werden, denen nicht ein langer geistiger Vorlauf vorausgeht. Dass dabei die Menschen- und Bürgerrechte, wie sie in der Deklaration der Französischen Revolution erscheinen, nicht im einzelnen schon vorher im religiösen, geschweige denn kirchlichen Spektrum formuliert sind, dürfte sich dabei von selbst verstehen. Der damalige Papst Pius VI. verurteilte die Deklaration scharf und sagte: „„Kann man etwas Unsinnigeres ausdenken als eine derartige Gleichheit und Freiheit für alle zu dekretieren.“ Und die europäische Menschenrechtskonvention hat, soviel ich weiß, der Vatikan als einziger europäischer Staat bis heute nicht ratifiziert.

    Auf der anderen Seite, um einen anderen Aspekt zu beleuchten: in dem erst 1966 von der Generalversammlung der UN verabschiedeten und 1973 von der Bundesrepublik ratifizierten „Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte“ ist das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard formuliert, und das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung für Kinder und Jugendliche. An letzterer Bestimmung erkennt man ihre kapitalistische Borniertheit. Thomas Müntzer hatte die Ablehnung von wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung nicht nur von Kindern abgelehnt, die Ablehnung theologisch begründet und die Bauern in ihren Kämpfen gegen die adeligen Grundherren unterstützt und angeführt.

    Wie kompliziert im einzelnen das Zusammenspiel und Gegeneinanderwirken von kirchlichen und weltlichen Instutionen und Volksmassen ist, könnte ich am Beispiel der Hexenprozesse zeigen, die im allgemeinen Bewusstsein fälschlich vorwiegend im Mittelalter verortet und der katholischen Inquisition zugeschrieben werden. Das würde jetzt hier zu weit führen. Indem aber schon zu Beginn des 17. Jh. der aus meiner unmittelbaren Heimat stammende Jesuitenpater Friedrich Spee mit seiner Schrift „Cautio criminalis“ sich vehement dagegen wandte, hat er nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Beendigung der Hexenverfolgung geleistet, sondern zugleich die Legitimität der Folter und die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit infrage gestellt.

    Soweit nur zwei Beispiele.

    Folgende ergänzende Bemerkungen zum Schluss: Aristoteles wurde zwar über die Kommentare des klugen Averroes überliefert, das spielte sich jedoch schon im 12. und 13. Jh. ab und hatte einen Paradigmenwechsel in der mittelalterlichen Philosophie und Theologie zur sog. Scholastik zur Folge, als deren Hauptvertreter Thomas von Aquin gilt. Nebenbei bemerkt ist damals gleichzeitig auch der Hexen- und Dämonenglaube aus dem islamischen Raum nach Westen importiert worden und hat zu den entsprechenden Ahndungen und Verfolgungen geführt, nachdem er zuvor als heidnischer Aberglaube von der Kirche geächtet und mit Strafen belegt war.

    Die von Abraham angesprochene Wiederentdeckung der griechischen Philosophie durch die Humanisten nährt sich jedoch vorwiegend aus einer anderen Quelle und einer anderen Schnittstelle als dem Andalus, nämlich den Byzantinern, die sich auf Sizilien mit dem Westen berührten und im Osten mit den Arabern. Von ihnen stammten eine Reihe von Übersetzungen antiker Philosophen aus dem Griechischen und dem Arabischen, vielfach angefertigt durch vielsprachige Juden.

    Der geistige Schub, den der Westen damals aus dem Osten erhielt und der maßgeblich an der Herausbildung des Renaissance-Humanismus beteiligt war war aus zwei Gründen ungleich größer als der aus dem 12./13. Jh. Der eine Grund war: 1453 fiel Konstantinopel mit dem noch vorhandenen byzantinischen Rumpfstaat endgültig an die Osmanen, und unter den nach Westen gelangten Flüchtlingen waren zahlreiche naturwissenschaftliche und philologische Gelehrte, die ihr Wissen und ihre Kenntnisse in den westeuropäischen Städten fruchtbar machten. Zweitens und nicht weniger wichtig: zur gleichen Zeit begann mit der Erfindung des Buchdrucks naturgemäß eine ganz neue Epoche, was die Verbreitung von Schriften anbetrifft, so dass nun auch Platon und Aristoteles im Original verfügbar wurden und ihre Rezeption von einer ganzen Reihe von Fehldeutungen bereinigt werden konnte.

    Heinrich

  89. @Max
    merkwürdig, dass Sie nur die Befragungsmethode der Sinus-Milleustudie in Frage stellen (da sie halt Ihre Vorurteile nicht wirklich bedienen kann), Die SINUS-Milleustudie hat im Hinblick auf Milleus untersucht und sich bewusst darauf konzentriert, eben nicht nur im HInblick auf die Integrationsthematik zu untersuchen. Denn das was in der anderen Studie geschehen ist, ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, der gute Herr Schäuble gab die Studie in Auftrag mit Worten wie:“ gucken Sie mal, wie viele mutmaßlichen Terroristen wir in unserem Land haben“

    „Ja, die vermutlich 20% der Muslime, die laut SINUS-Studie im “religiös-verwurzelten Milieu” angesiedelt werden, (laut BMI-Studie 40%) habe ich im ganz starken Verdacht, das hiesige Rechtssystem nur soweit anzuerkennen, wie es Vorschriften aus der Scharia, in der konkreten individuellen Deutung, oder aus dem traditionellen religiösen Verständnis heraus, nicht widerspricht.“
    —- hierbei stellt sich noch immer die Frage, was religiös verwurzelt bedeutet… denn das bedeutet nicht, dass man nach der Scharia lebt! In Deutschland tut das so eine homeopathische Masse, dass man sie gar nicht weiter beleuchten sollte! Aber das sind mal wieder die Medien, die ein komplett verzerrtes Bild auf diejenigen Menschen wirft, damit die Vorurteiler solcher wie Ihnen und Schnippsel bedient sind. Alle Achtung Sie bedienen genau das Klischee des statistischen Mediennutzers der Gesamtgesellschaft

  90. „Meine Aussage war ganz anders, nämlich dass „militante Islamisten durch die undifferenzierten Angriffe auf den Islam und die daraus resultierende Verunsicherung der muslimischen Community gestärkt werden und womöglich Zulauf bekommen“.“

    Ganz genau! Verkürzt lautet Ihre Argumentation bzgl. der „nützlichen Idioten“: „(Militante) Islamisten werden durch undifferenzierte Angriffe auf den Islam gestärkt.“ Ich habe dagegen gesetzt: „Im Umkehrschluss müsste eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam (militante) Islamisten mäßigen.“ Als ob sich Islamisten, schon gar militante, durch irgendeine Art der Diskussion von ihrem Handeln abhalten ließen!

    Ich würde sogar noch weiter gehen: die Mehrzahl religiöser Menschen ist nicht einmal zu irgendeiner Diskussion über ihre Religion bereit, ja sie kennen sie nicht einmal. Genau darin liegt ja der Unterschied zwischen „Glauben“ und „Vernunft“. Man hat sie im Kindesalter soweit indoktriniert, dass eine Diskussion über ihre Religion als Angriff auf ihren Wesenskern empfunden und daher panisch abgewehrt wird.

    Dass die schlimmsten Angriffe auf den Islam durch die Islamisten selbst erfolgen (gibt es eigentlich Lichterketten der „gemäßigten“ Moslems gegen diese islamistischen Verbrechen?) und die schlimmsten Angriffe auf das Christentum durch die Kirchen selber (zuletzt: Prügelpatres und Kinderschänder), sei nur am Rande erwähnt.

    Meine Lebenserfahrung ist natürlich nicht im statistischen Sinne repräsentativ, aber sie genügt mir, um mein Handeln zu leiten. Es ist ja nicht so, wie Sarah in ihrem Beitrag #82 behauptet:

    „“Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Luhmann, 2004, S.9)
    Wenn wir [die Gesellschaft] etwas nicht kennen, haben wir, der These zufolge, keine andere Möglichkeit, als uns in den Massenmedien darüber zu informieren.“

    Zumindest für mich kann ich sagen, dass ich nicht den ganzen Tag massenmedienkonsumierend in der Wohnung sitze. Ich gehe einkaufen, ich begegne Menschen auf der Arbeit, ich lese Bücher (Massenmedium?), ich gehe zu Diskussionsveranstaltungen, ich beteilige mich an diesem Blog (Massenmedium?), ich denke nach und wäge ab, ich sitze im Café und beobachte die Welt, ich fahre in Urlaub, ich stelle Fragen, ich schaue mir Kunstausstellungen an und vieles, vieles mehr.

    „Zu wiederholten mal sprechen Sie sich gegen einen islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen aus … Dazu habe ich mehrfach darauf hingewiesen (zuletzt unter #15), dass das deutsche staatskirchenrechtliche System im Vergleich z.B. mit den USA, England oder Frankreich gar nicht schlecht funktioniert und entschieden zur „Zähmung“ der Religionen und zum gesellschaftlichen Frieden beigetragen hat. Auf meine Einwände sind Sie bisher nicht eingegangen. Fehlen Ihnen Gegenargumente?“

    Der Korrektheit halber: ich spreche mich gegen jeglichen bekenntnisorientierten Religionsunterricht als ordentliches Schulfach aus. Andernthreads hatte ich Ihnen zugestanden, dass Ihr Hinweis auf die USA bedenkenswert ist. Europa hat aber eine andere und längere Tradition – es ist nicht „God’s own continent“ – und wurde nicht (so ab 1600, wenn ich mich recht erinnere) durch religiöse Fundamentalisten, Abenteurer und Kriminelle unter Ausrottung der Ortsansässigen gebildet. Dass das US-amerikanische System auf die BRD übertragen werden sollte, habe ich übrigens nie behauptet. Aus jahrelangem eigenen Erleben kann ich Ihnen sagen, dass die in Frankreich praktizierte Form der Trennung von Kirche und Staat (Gesetz von 1905) meinen Vorstellungen eher nahekommt.

    Da Sie ja von Zeit zu Zeit auf (rhetorische) Tricks hinweisen, möchte ich einen Ihrer Tricks aufzeigen. Was wäre denn dadurch bewiesen, dass ich keine Gegenargumente hätte? Gar nichts. Weder bedeutet es, dass ich mit meiner Meinung Unrecht noch dass Sie mit der Ihrigen Recht haben. Möglicherweise haben Leute, die sich nicht an diesem Thread beteiligen, entsprechende Gegenargumente parat. Es bedeutet also nur, dass Ihre Hypothese wegen fehlender Falsifizierung eine allenfalls vorübergehende Berechtigung in diesem Thread hat.

    Übrigens habe ich auch bereits zweimal bei Frau Samman nach konkreten Angaben für ihre Aussage „Es gibt arabische Länder, in denen Gleichberechtigung zum Teil konsequenter umgesetzt wird als hier“ nachgefragt. Im Gegensatz zu mir hat sie eine Tatsachenbehauptung aufgestellt, den Beweis aber nicht angetreten.

  91. @ Heinrich #77

    „Ein Ort der Kommunikation mit Leuten, mit denen man gemeinsam die „Milch der freien Denkungsart“ (Wilhelm Tell) einnimmt als Gegenmittel gegen solcherart Vergiftung.“

    Nein, dieses Blog ist ein Ort der Kommunikation, ggf. auch nur der einseitigen Stellungnahme, all derer, die sich daran beteiligen. Es ist ein Forum der freien Meinungsäußerung und kein Instrument der Selbstvergewisserung einer einzigen Gruppe.

    „Es ist genauso sinnlos, zwei mit sich identische wie zwei völlig verschiedene Gegenstände miteinander zu vergleichen…“

    Ich vermute, Ihnen ist bei aller Bemühung um begriffliche Genauigkeit ein kleine Lapsus unterlaufen. „Zwei mit sich identische Gegenstände“ – ich gehe davon aus, dass jeder Gegenstand mit sich identisch ist. Oder kennen Sie Gegenstände, die sich von sich selbst unterscheiden? Wahrscheinlich meinten Sie einfach „zwei identische Gegenstände“. Aber wieso soll der Vergleich sinnlos sein? Erst aus dem Vergleich ergibt sich doch gerade, ob zwei Gegenstände identisch oder teilweise oder völlig verschieden sind!

    „Ich würde jedoch bei meinem Insistieren auf begriffliche Genauigkeit … lieber von Moslemphobie sprechen statt von Islamophobie.“

    Das wird ja immer doller! Erst fängt es mit der psychiatrischen Pathologisierung an: Islamophobie! Wahrscheinlich jemand, der das Loch von Schmalkalden als ein Werk Al Kaidas betrachtet?! Wenn man den Ansatz übrigens tatsächlich ernst nähme, müsste man anerkennen, dass die Betroffenen unter ihrer psychischen Störung namens „Islamophobie“ real leiden und ihnen entsprechende Therapien zur Heilung anbieten. Das Gegenteil ist hier aber der Fall: sie sprechen von Vergiftung und Ihrer eigenen Immunisierung durch die „Milch der freien Denkungsart“.

    Dann konstruieren Sie folgende Argumentationskette: „der Islam“ existiert ja nicht abstrakt, sondern ist an Menschen gebunden, die ihm anhängen. Ergo sind diejenigen, die dem politisch-religiösen System namens „Islam“ kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, „moslemophob“. Anders gesagt: aus „Islamfeinden“ werden „Menschenfeinde“. So ähnlich haben wir es ja in diesem Blog (aber einem anderen Thread) schon gelesen.

    Nur mal so: ich kenne Menschen, die real Angst vor AIDS haben, sich aber hingebungsvoll um AIDS-Kranke kümmern und einen völlig unverkrampften Umgang mit HIV-Infizierten pflegen. Vielleicht vermögen Sie der darin angelegten Analogie zu folgen.

    Kaum sind die Begriffe „Hetze“, „Hassprediger“, „Fremdenfeind“ und dergleichen sowie der anscheinend unvermeidbare Hinweis auf Auschwitz aus der Diskussion verschwunden, treten dank Ihrer Mithilfe ihre Brüder „Vergiftung“ und „Moslemophober“ auf den Plan. Abraham bringt den – etwas bescheideneren – Cousin „Nützlicher Idiot“ mit zur Party und Sarah hat einen entfernten Verwandten dieses Cousins im Schlepptau mit dem schwierigen Namen „Der, der das Klischee des statistischen Mediennutzers der Gesamtgesellschaft bedient“.

  92. @Sarah,

    nein, da haben Sie mich mißverstanden, ich kritisiere ALLE Studien, die auf reinen Fragenlisten (meist Multiple Choice) basieren, womöglich noch übers Telefon betrieben. Und zwar nicht nur alle Studien zu Muslimen oder Migranten, sondern ALLE ANDEREN auch.

    Noelle-Neumann hat es irgendwie leider geschafft, daß ein Großteil der Deutschen solcherart auf Befragung basierende Meinungsumfragen für bare Münze nimmt. Es mag ja sein, daß es ein für Wahlprognosen taugliches Mittel ist (obwohl auch hier zu bezweifeln ist, ob man für NPD und LINKE außerhalb Ostdeutschland annähernd korrekte Zahlen bekommen kann, was aber aufgrund der bisherigen Unbedeutung dieser Parteien nicht besonders auffällt). Sollten Sie aber Menschen mit Kindern befragen: „Schlagen Sie Ihre Kinder?“ oder Männer: „Sind Sie impotent?“, dann können Sie doch nicht hoffen, am Ende einigermaßen realitätsgerechte Zahlen zu bekommen. Gerade bei heiklen Themen besteht eine Tendenz, den Forschern das zu sagen, was gesellschaftlich erwartet ist, und nicht das, was der Fall ist. Diese Fehler können nur mit der Methodik „Tiefeninterviews“ minimiert werden.

    Das Thema „Einwanderung“ ist ein solches heikles Thema. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wanderten nach USA aus. Sie wissen von einem bestimmten Verhalten, daß von den Amerikanern von Ihnen als Einwanderin generell erwartet wird. Sie verhalten sich persönlich aber ganz anders. Dann kontaktiert Sie eine Organisation, von der Sie nicht genau wissen, ob sie nicht staatlich ist, bzw. sogar den Eindruck haben, sie sei es, und befragt Sie nach genau diesem Verhalten. Was antworten Sie… was sie wirklich tun, oder doch lieber was als dringende Erwartungshaltung der Einheimischen sowieso schon ständig dräuend über Ihrem Kopf hängt.

    Bei aller Fragwürdigkeit der konkreten Zahlen geben die Studien aber Anhaltspunkte, und sind daher besser als ganz im Dunkeln zu tappen oder persönliche Erfahrungen mit Muslimen zu verallgemeinern.

    Die vermutlich 20% der religiös verwurzelten in der SINUS-Studie (veröffentlicht ist ja leider nur der Prozentsatz 19% bei den türkischstämmigen Muslimen), sind ja Menschen, die laut Studie in den patriarchalischen und religiösen Traditionen verhaftet sind. Was bedeutet denn hier „Verhaftung“? Ich deute es so, daß man sich auch in allen Lebenslagen an den Vorgaben von Religion und Tradition auszurichten bemüht. Das muß nicht ein explizites „Ausrichten an der Scharia“ sein. Wer religiös ist, sein Verhalten aber nicht überwiegend an Vorgaben der Religion ausrichtet, für den hat die SINUS-Studie noch eine Reihe weiterer Milieus, in die er wunderbar hineinpasst, je nach weiteren Lebensumständen. Die 20% der Muslime von SINUS stellen ja schon eine Untermenge aller „stark gläubigen“ Muslime dar, wenn z.B. die von Ihnen erwähnte Studie der Islamkonferenz ermittelte, daß 36% der Muslime sich als „stark gläubig“ bezeichnen. Ich interpretiere es so, daß es die Untermenge derer ist, die ihr Leben in ganz besonderem Maße an der Religion orientieren, die Religion hat das bestimmende Primat in den meisten Aspekten des Lebens. Es ist SINUS SOCIOVISION vorzuwerfen, daß man auf solche Interpretationen angewiesen ist, da sie in den Zusammenfassungen, die sie veröffentlichen, nähere Details zur Milieubeschreibung nicht bringen. Überhaupt finde ich ein wenig merkwürdig, daß die volle Studie nicht wie ihre anderen Studien entweder kostenpflichtig oder kostenlos zu beziehen ist… sondern garnicht. Oder habe ich da etwas übersehen?

    Die von mir erwähnte Vollversion der Studie des BMI „Muslime in Deutschland“ konnte ich hingegen dann doch nach ein wenig Suche noch finden: Im Suchfeld der Webseite des Innenministeriums einfach „BMI07317“ eingeben.

  93. @ # 94 Max Wedell
    Ich rede nicht um den heißen Brei herum, sondern wir reden aneinander vorbei. Das liegt daran, dass wir beide die Frage, ob „die Scharia“ oder „der Islam“ mit unserem Rechtsystem vereinbar ist, unterschiedlich stellen. Sie verdächtigen „den Islam“, im Widerspruch zum der freiheitlich-rechtsstaatlichen Grundordnung zu sein. Diesen Verdacht könnte in Ihren Augen nur eine für alle Muslime verbindliche „rechtskonforme“ Auslegung der Scharia ausräumen – oder „rechtskonforme“ Muslime müssten der Scharia entsagen. Ihre Schlussfolgerung: Da „strenggläubige“ Muslime nicht auf die Scharia verzichten können, können sie sie auch nicht uneingeschränkt rechtskonform sein. Sie müssen daher (offen oder heimlich) eine Anpassung unserer Rechtsordnung an die Scharia anstreben.

    Den Konflikt sehen Sie deshalb „weil die Scharia in ihren Vorschriften über das hinausgeht, was den ganz privaten Umgang des Gläubigen mit sich und seiner Religion angeht. Die Scharia regelt auch das Miteinander der Menschen dort, wo es eigentlich schon ein weltliches Rechtssystem für diese Zwecke gibt.“ Dabei ignorieren Sie, dass diese Beschreibung nicht nur für Muslime, sondern auch für Christen gilt. Auch deren religiöse Auffassungen beschränken sich nicht auf „den ganz privaten Umgang des Gläubigen mit sich und seiner Religion“, sondern greifen auch in „das Miteinander der Menschen dort, wo es eigentlich schon ein weltliches Rechtssystem für diese Zwecke gibt“. Oder ging es bei der Diskussion des CDU-Parteitags zur PID, bei der ständig Bezug auf die „Heiligkeit des Lebens“ und das „christliche Menschenbild“ genommen wurde, nicht um „das Miteinander der Menschen“?

    Mein Ausgangspunkt ist ein anderer: Ich sehe die Aufgabe des Rechtssystems einer säkularen pluralistischen Gesellschaft nicht darin, Konflikte mit den in der Gesellschaft vorhandenen Weltanschauungen und Lebenseinstellungen zu vermeiden (was auch nicht ginge, denn man kann es nicht jedem Recht machen), sondern Konflikte in friedlicher Weise zu regulieren. Das ist ein Balanceakt, der letztlich in jedem Einzelfall entschieden werden muss. Meine Fragestellung lautet daher, ob die Scharia, wie sie der einzelne Muslim versteht, ihm genügend Spielraum gibt, um Konflikte mit dem staatlichen Recht zu vermeiden. Gleichzeitig frage ich aber auch, ob das staatliche Recht genügend Spielräume zur Achtung der Weltanschauung des einzelnen Bürgers bietet, bei Wahrung der Rechte anderer Bürger und der Gesellschaft. Für diese Abwägung spielt die Frage der Verbindlichkeit der Scharia keine Rolle, die der weltanschaulich neutrale säkulare Staat ohnehin nicht bewerten kann. Die entscheidende Frage ist, ob der Einzelne unter Berufung auf seine Weltanschauung berechtigte Interessen geltend macht.

    Ein Beispiel für einen Konflikt ist die Befreiung muslimischer Mädchen vom Schwimmunterricht. Hier geht es darum, wie die allgemeine Schulpflicht – die nicht zur Disposition steht – ohne unzulässige Eingriffe in die Erziehungsrechte der Eltern umgesetzt werden kann. Eine allgemeine Diskussion über Scharia hilft da wenig, ein offenes Gespräch, bei dem der Wunsch der Eltern nicht von vornherein als „unserer Kultur fremd“ abgelehnt wird, schon eher mehr.

    Damit vertrete ich keinen Relativismus des Rechts. Nur ist das Recht keine Keule, die gegen Gegner geschwungen wird, sondern ein Mittel zur Sicherung des Rechtsfriedens.

    @ Sarah
    Ihre Argumente gegen Wedells Missdeutung der Studien teile ich weitgehend. Nur möchte ich Ihnen widersprechen, wenn Sie schreiben, dass auch unter den Muslimen, die sich als religiös verwurzelt betrachten, nur eine „homöopathische Masse“ „nach der Scharia lebt“. Ich weiß, dass Sie damit nicht sagen wollten, dass liberale und „konservativ-aufgeschlossene“ Muslime ihre Religion nicht ernst nehmen. Das heißt aber auch, dass sie nach der Scharia, so wie sie sie verstehen, leben. Richtig ist, dass in Deutschland nur eine „homöopathische Masse“ der Muslime nach der fundamentalistischen oder islamistischen Scharia lebt oder leben will.

  94. @ # 97 Schnippsel
    „Im Umkehrschluss müsste eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam (militante) Islamisten mäßigen.” Nein, das ist nicht der Umkehrschluss meiner Aussage. Dieser lautet: Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam würde (militanten) Islamisten die Mobilisierung von Anhängern erschweren und ihn damit schwächen.

    Was die Bereitschaft der Muslime betrifft, über ihrer Religion nachzudenken, habe ich andere Erfahrungen als Sie gemacht. Es gibt zahlreiche Foren des interreligiösen Dialogs, wo (auch mit Atheisten und Agnostikern) durchaus kontrovers diskutiert wird. Es stimmt allerdings, dass viele Muslime nur geringe religiöse Kenntnisse haben – auch eine Folge der miserablen Qualität vieler „Koran-Schulen“, in die muslimische Eltern ihre Kinder mangels Alternative schicken. Aber auch viele nominelle Christen wissen wenig über ihre Religion, und auch bei den Juden sieht es nicht besser aus.

    Im Gegensatz zu Ihnen habe ich keine persönlichen Erfahrungen mit der französischen Laïcité. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die strikte Trennung zwischen Staat und Religion hilft, die Konflikte mit der muslimischen Bevölkerungsgruppe zu befrieden. Außerdem ist der französische Staat durchaus bereit, auch andere Formen des Zusammenlebens von Staat und Religionen zuzulassen, denn in Elsass und Lotringen gilt unverändert das deutsche Staatskirchenrecht (einschließlich des bekenntnisorientierten Unterrichts in den staatlichen Schulen).

    Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine konsequentere Trennung von Staat und Religion, nur muss eine Systemänderung auch konkrete Vorteile für die Gesellschaft und die betroffenen bringen, die ich im Augenblick nicht sehe. So lange Eltern das Recht haben, ihre Kinder in einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht zu schicken (und dieses Recht garantiert ihnen das Grundgesetz), halte ich es für besser, dieser findet in einem vom Staat regulierten Rahmen statt. Ein Schulfach Ethik/Religionskunde könnte eine gute Ergänzung sein, ist aber kein Ersatz für den Religionsunterricht, der von Lehrern mit entsprechender religiöser Erfahrung erteilt wird. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Christ die jüdische Religion unterrichten sollte, die er nur aus Büchern kennt. Auch die Ausbildung von Imamen sowie Religionslehrern (männlich und weiblich) an deutschen Hochschulen scheint mir für die Integration der Muslime vorteilhafter zu sein als der „Import“ aus dem Ausland.

  95. Oh, Schnippsel, statt Zahlenhuberei nun also kritische Textanalyse? Je nun, das ist doch eigentlich meine Domäne. Habe ich zuletzt mit einem Text von Kelek unternommen. Ich mache das aber nicht aus bloßer Besserwisserei, erst recht nicht zur Beförderung von demagogischer Ideologie, sondern um im Gegenteil unterschwellige ideologische Tendenzen ans Licht zu holen. Zuletzt habe ich solches an einem Text von Kelek unternommen und bin interessanterweise zu demselben Ergebnis gelangt wie der von Abraham verlinkte Text „Unsere Hassprediger“ aus # 76: statt seriöser Kritik wütender Generalangriff gegen den Islam und, wie ich zu zeigen vermochte, mit unlauteren Mitteln. Mit diesem Text, der eine Antwort an Sie war, hätten Sie sich ja auseinandersetzen können.

    Stattdessen üben Sie hier mit mir elementare Begriffsarbeit.

    1. Ok., es hätte heißen müssen: miteinander identisch statt mit sich identisch, da ist mir tatsächlich „ein kleine Lapsus unterlaufen“. War aber doch auch so verständlich, oder? Der Rest ist geschenkt: Stellen sie zwei identische Produkte aus industrieller Massenfertigung vor sich hin, meinetwegen kleine Legoautos, und untersuchen Sie diese auf folgende Charakteristika hin: a) sind die beiden Teile identisch? b) sind sie vollkommen verschieden? c) sind sie teilweise unterschieden, und wenn ja, warum nicht?

    Mit solch armseligen Versuchen der Besserwisserei denken Sie doch nicht, meine Texte infrage zu stellen und meine Leser täuschen zu können.

    2. Es gibt in der formalen Logik u.a. die Verknüpfungen „non“ und „vel“.
    Sie setzen hier zwischen meiner Aussage „Ort der Kommunikation…“ und Ihrer im zweiten Absatz umstandslos das „non“ und meinen, durch solcherart Tricks meine Aussage für falsch erklären zu können? Im Gegenteil: Ihre Aussage ist für sich genommen vollkommen richtig. Durch die logische Verknüpfung wird sie jedoch falsch. Hier gehört das „vel“ hin, im Unterschied zum „aut“ das nicht ausschließende „oder“. Heißt: es kann der eine Ort der Kommunikation sein, es kann der andere sein, oder es können beide sein.

    Dann folgt unmittelbar die Phantasmagorie „einer einzigen Gruppe“. Wovon, bitteschön, war bei mir davon die Rede? Ein weiterer rhetorischer Trick aus dem Arsenal der Demagogen: die Widerlegung von Aussagen, die der Kontrahent gar nicht getroffen hat. Ich fürchte jedoch, hier steht noch etwas anderes hinter: Das hatten wir hier nämlich früher schon mal: kaum werden hier ein paar Leute durch häufigeren Austausch, vielleicht auch durch gewisse gemeinsame Grundauffassungen, miteinander vertrauter und lassen das in ihrem Umgang miteinander zu erkennen geben, kommt die Paranoia und wittert Fraktionsbildung.

    Und tatsächlich, werte(r) Schnippsel, es gibt Leute hier, mit denen kann ich, ob neu oder alt, mehr anfangen als mit Ihnen. Deswegen würde ich jedoch nicht auf die Idee kommen, Ihnen vorzuschreiben, welcherart „Ort der Kommunikation“ das FR-Blog für Sie zu sein habe. Meiner liberalen säkularen Gesinnung nach kann hier nämlich jeder machen was er will – im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, versteht sich.

    Was den Vergleich zwischen Islam und Aids betrifft, so vermag ich „der darin angelegten Analogie“ tatsächlich nur bedingt zu folgen. Sie halten sich aber mit erklärungen hier merklich bedeckt. Sind die beiden nun identisch, völlig verschieden oder weisen sie sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf? Ich denke, es sind beides todbringende Krankheiten, jedoch wäre es menschenfeindlich, die davon jeweils Betroffenen im Stich zu lassen. Mit beiden pflegt man am besten einen unverkrampften Umgang und kümmert sich hingebungsvoll um sie, im ersten Fall durch fürsorgliche Pflege, im zweiten durch pauschale mediale Verunglimpfung.

    Wovon ich nicht dachte, dass es so schwer zu verstehen sei: „Angst“ ist eingentlich die Grundbefindlichkeit des des Menschen. Sie ist diffus, nicht auf ein bestimmtes Objekt gerichtet, sondern antizipiert den möglichen Zustand der Hilflosigkeit. Daneben gibt es aber spezielle Formen der Angst, die durch reale Objekte ausgelöst werden können. U.Samman sieht offenbar in „Fremden“ das Potenzial grundsätzlich gegeben und erklärt aber leider nicht näher, worin genau dieses Potenzial begründet ist. Aber es sind offenbar die fremden Menschen, nicht die fremden Weltanschauungen, die Angst auslösen. Darauf habe ich mich bezogen, aus dem Kontext gerissen, kann man mir dann das Verdikt von Menschenfeindlichkeit vorhalten.

    Aber bitteschön: so wie sich hier teilweise Moslemfeindlichkeit äußert, meinetwegen auch nur die Feindlichkeit gegenüber bestimmten „Millieus“ (die aber niemals als Feindschaft daherkommt, sondern als Sorge um deren berufliche Entfaltungsmöglichkeiten) ist sie genau dies: menschenfeindlich. Das soll keineswegs einen militanten Umgang mit den entsprechenden Menschen unterstellen, die Flanke um hineinzustechen biete ich Ihnen nicht. Nein, es geht um die spezifische bedeutung von Menschenfeindlichkeit, die prägnanter in dem Begriff „Misanthrop“ zum Ausdruck kommt. Misanthropen sind, nach einer Bemerkung Hannah Arendts, Menschen, die die Welt nicht mit anderen teilen wollen.

    Und genau das scheint mit das tieferliegende Motiv zu sein, das hinter so mancher scheinitelligenter Argumentation hier lauert: Man will die Welt nicht mit anderen teilen, zumindest nicht mit bestimmten anderen. Da die aber nun einmal da sind, erklärt man sie erst einmal für falsch, führt ihnen, und, fataler, den anderen, die ohne sie in der Welt sein wollen, ihre Kultur als defizitär vor gegenüber unserer Leithammelkultur.

  96. Tatsächlich geht es bei den „Islamkritikern“ der entsprechenden Couleur um eine diffus ethnokulturelle Abgrenzung und Ausgrenzung und um sonst gar nichts. Dass an der sozialen Situation bestimmter Millieus dringend etwas geändert werden müsste, wer bezweifelt das denn? Preuß bestimmt nicht. Aber er hebt was anderes hervor, das Sie vielleicht hätten deutlicher lesen sollen, statt mir hier den Scherzartikel aus der Berliner Zeitung zuzumuten. (# 75)

    Man lasse sich dies auf der Zunge zergehen:

    „Das Problem ist, dass sie nicht mit einer Stimme sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Gruppierungen, säkulare und religiöse, türkische, arabische, russische und iranische Vereine. …“

    Mit anderen Worten: sie alle sollten sich zum Zwecke der Integration erst einmal über etwas definieren, was sie von sich her gar nicht sind: nämlich darüber, „Ausländer“ zu sein. Sich zusammenschließen mit Leuten, mit denen sie gar nichts zu tun haben, vielleicht nichts zu tun haben wollen, mit Leuten aus verschiedensten Weltgegenden, nur nicht mit Deutschen. Grotesk!

    Preuß dagegen geht kritisch gegen den nationalistischen Kern der Bestimmung seines Kontrahenten Isensees an. Für den ist es nämlich egal, ob man einen deutschen Pass hat oder nicht: „Autochtone“ Bevölkerung oder Migrationshintergrund, das ist die Scheidelinie. Und unter dieser Maßgabe wird es gleichgültig sein, ob die Barbaren unsere Kultur annehmen oder nicht. Im Gegenteil, sie können sich noch so verstellen, wir kriegen sie.

    Eins hat Abraham nämlich, er möge mich korrigieren, bei seinem Lehrstück über antisemitische Tendenzen beim Bürgertum des 19. Jh. vergessen: dass nämlich der Furor des rassistischen Antisemitismus erst recht losging, als der Großteil der west- und mitteleuropäischen Juden sich in einem mühsamen Prozess genau dies geleistet haben: die Assimilation an die „kulturellen“ Gepflogenheiten der Mehrheitsgesellschaft, teilweise sogar unter Aufgabe ihrer Religion, zum anderen Teil, indem sie Synagogen bauten und soziale jüdische Einrichtungen, in denen sie diskret ihrem religiösen und gesellschaftlcihen Leben nachkommen konnten.

    Es nützte ihnen nichts: Heinrich Heine ist erst zum katholischen Glauben übergetreten und dann zum evangelischen – oder umgekehrt. Sein Spruch: Die christliche Taufe sei das „Entreebillet zur europäischen Kultur“. Er musste jedoch vor einem zunehmend deutschnationalen Hintergrund erfahren: einmal Jude, immer Jude.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Emanzipation

  97. @Heinrich
    Lieber Heinrich,
    danke für Deine Antwort auf meinen Beitrag. Ich meine auch, dass wir nicht so weit auseinander liegen. Deine kulturhistorischen Anmerkungen sind mir selbstverständlich geläufig, da ich Bildende Kunst studiert habe ;-). Macht aber nichts, ich freue mich immer, von dir zu lesen.
    Nun muss ich mich leider wieder der Arbeit zuwenden.
    Bis bald und liebe Grüße
    maat

  98. @ maat

    Ich wollte dich keineswegs belehren, du gebildete bildende Künstlerin. Aber wir schreiben hier ja in eine Öffentlichkeit hinein und ich freue mich immer, wenn ich dir antworten kann, weil du dich dann über die Antwort von mir freust, auch wenn du sie schon kennst.

    Ebenfalls bis bald und liebe Grüße
    Heinrich

  99. @ Heinrich

    Gemessen an meinen Ausgangsvoraussetzungen bin ich eigentlich ganz froh – mit dem Wörtchen „stolz“ möchte ich Sie erst gar nicht belästigen – über das, was ich erreicht habe, auch wenn ich nicht Kulturgeschichte, Bildende Kunst, Jura oder Theologie studiert habe. Es tut mir aber für Sie leid, dass Sie sich zur Auseinandersetzung mit einem Diskutanten genötigt sahen, der Ihrer Eloquenz und Ihrem intellektuellen Niveau in keinster Weise würdig ist. Allerdings geht es Ihnen ja überhaupt nicht um eine Diskussion, sondern Sie haben eine von entsprechendem Sendungsbewusstsein getragene Mission: Kampf der Vergiftung!

    Freuen Sie sich einfach darüber, dass ich Ihnen die Gelegenheit gegeben habe, Ihre kleinen Schächtelchen herauszuholen, in die Sie Menschen einordnen können. Nachdem ich nun schon fein säuberlich in die Kästchen „Ausländerfeind“, „Islam- und Moslemfeind“, „Christentums- und Christenfeind“ gepackt bin, dürfen Sie gerne auch das Kästchen „Intelligenz- und Intellektuellenfeind“ öffnen. Zählen Sie nach: Siebene auf einen Streich! Bravo! Sie könnten Ihre Bilanz durch die Kästchen „Rassist“ und „Antisemit“ noch weiter verbessern, ja warum nicht gleich „Menschheits- und Menschenfeind“? Falls Ihnen das noch nicht langt, schlage ich zusätzlich die Kästchen frauen-, kinder-, schwulen-, leistungs-, verbraucher-, umwelt-, auto-, spaß-, technik- feindlich vor.

    Wollen wir hoffen, dass die endgültige Antwort auf die weltbewegende Frage „Wird man tatsächlich Abraham als „Entdecker des Monotheismus“ bezeichnen können?“ zu einer besseren Integration von Fremden und Fremdem in unsere Gesellschaft führen möge. Amen.

    @ all

    Das wird mich aber nicht davon abhalten, „den Islam“ (und in abgemilderter Form auch „das Christentum“) ebenso für ein totalitäres System zu halten wie „den Nationalsozialismus“, „den Kommunismus“ oder „die DDR“. Sie funktionieren nach denselben Mechanismen. Eine nicht erschöpfende Liste der Gemeinsamkeiten:

    * Zugehörigkeit und Ausgrenzung (Wir die Guten vs. die bösen Anderen, Volksgenosse vs. Volksfeind, Gläubiger vs. Ungläubiger, Partei der Arbeiterklasse vs. Klassenfeind, Unsere Bürger vs. Bonner Ultras usw.)
    * Zusammengehörigkeit und Vereinzelung (Gemeinschaftsgefühl beim BDM, Kameradschaft im FDJ-Zeltlager oder bei der GST, Teil der weltumspannenden Umma, schöne weihrauchgeschwängerte Riten, usw.)
    * expansive, missionarische Bestrebungen („Alle Kinder dieser Erden sollen Gotteskinder werden!“, die Weltrevolution, der Djihad, „Volk ohne Raum“ usw.)
    * Belohnung und Strafe (Himmel vs. Ewige Verdammnis, Studienplatz vs. Bewährung in der Produktion, Aufstieg im System vs. Gulag, Blockwartposten vs. KZ, Vernichtung Abtrünniger usw.)
    * Hineinregieren ins ganz Private (Verhaltens-, Essens-, Bekleidungs- und Haartrachtvorschriften, „Wahl“ der Ausbildung, „Wahl“ des Arbeitsplatzes, „Wahl“ des Ehepartners, Kindererziehung, Tagesablauf, Zwangs“spenden“ an Zeit und Geld, Subotniks usw.)
    * Cliquenherrschaft und Stabilisierung des Systems durch „Mitläufer“
    * starke Betonung von Symbolen, Riten, Massenveranstaltungen (Kreuz, Hakenkreuz, Halbmond, Hammer und Sichel, Stern usw., von oben befohlene oder organisierte Aufmärsche, Militärparaden, Brot und Spiele, Kirchentage, Pilgerreisen usw., rituelle Unterwerfungsgesten wie Fahnenappelle, Hinknien, Verbeugungen, Armverrenkungen usw.)

    Im Hinblick auf die politische/staatliche Verfasstheit kommen auch folgende Gesichtspunkte hinzu:

    * fehlende Menschen- und Bürgerrechte
    * keine Gewaltenteilung (z.B. keine unabhängige Justiz)
    * keine freie, unabhängige Presse
    * keine freien Wahlen
    * meist flächendeckende Bespitzelung und engmaschige Überwachung
    * oft Missachtung der eigenen Gesetze

    Natürlich bedeutet das nicht, dass alle Menschen dem jeweiligen System in derselben Weise und Intensität verhaftet, verbunden oder unterworfen sind.

  100. @Max
    na dann beziehen SIe sich doch nicht ständig auf die BMI STudie, diese ist nämlich per telefon durchgeführt worden… eben genau nach dem prinzip, was Sie ja so verabscheuen!

    Die genaue Methode der SinusMilleus ist mir nicht ganz deutlich, da sie sich auf ganz viele Aspekte stützt, vor allem auf Beobachtungen und Trends…
    aber genau das erlebe ich derzeit auch in der Politik, die versteht nämlich nicht, dass Menschen eben nicht in feste Zahlen einzugliedern sind… und dass die Sozialwissenschaft dies eben nicht macht und sich deshalb viel mehr als eine Studie bezeichnen darf. Das was Sie da benennen ist die Erhebung von Statistiken, genau das was die Kriminologen in der BMI Studie getan haben— eine Leitfrage, mit vorgefertigten Möglichkeiten.

    Jetzt halten Sie sich mal nicht dauernd an den 20% fest, denn da muss man auch erst mal in die Tiefe schauen, wie die ganz genau einzuordnen sind. So sollte man das bei jeden Statistiken und bei jeden Studien tun…

    @Abraham

    ja ich wollte auf die fundamentalistisch geprägte Scharia hinaus… wie sie in den Medien betituliert wird und von ein paar Personen hier wahrgenommen wird. Dabei habe ich, wohl war, natürlich nicht daran gedacht, dass der Begriff eigentlich nur „Weg“ bedeutet… und im hinblick auf den muslimischen Glauben dadurch immer eine Rolle spielt, ohne böswillig zu sein.

    @Schnipsel

    „Anders gesagt: aus “Islamfeinden” werden “Menschenfeinde”.“— naja, wenn man dabei betrachtet, dass, allein die Medien diese Assoziation von Menschen mit muslimischem Migrationshintergrung deutlich verstärken…
    Zudem denke ich, dass sich durch die vorhandenen Assoziationen von dem Verhalten Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund wird zumeist mit dem Islam begründet— im Alltag und auch in den Medien… so bleibt es nicht aus, dass ein Islamkriiker schnell zum Menschenfeind wird… da er nicht einzig den Islam kritisiert! Das tut er damit automatisch nicht, da er zugleich in das Spinnrad des Gesellschaftsbildes gelangt und dieses ist dementsprechend verstrickt. Und wir traurig ist das denn? HIV mit dem Islam vergleichen? Das kommt Sarrazin wirklich nahe, der bei AfrikanerInnen, Juden und AraberInnen die Intelligenz anzweifelt und das zu guter Letzt mit den Genen in Verbindung bringt… und kurzer Erkurs dazu: wer solch einen Menschen wie Sarrazin ernst nimmt (bei solchen Menschen werde ich tatsächlich zur Menschenhasserin) kann nur einen Mangel an Intelligenz beweisen !

    Es ist somit das Gesellschaftsbild, dass sich mit der Zeit entwickelt hat, welches dafür verantwortlich ist, dass solche Assoziationen stattfinden.
    Im Christentum herrscht solch eine Problematik nicht vor, da man das Handeln christlich gläubiger Menschen zumeist nicht mit ihrem Glauben in Verbindung bringt.

  101. Nachtag:

    ich selbst bin nicht gläubig, das sage ich sehr oft und auch sehr offen— insbesondere habe ich so meine Probleme mit der Intitution Kirche und das kann ich sagen, ohne irgendjemandem auf den Schlips zu treten, trotzdem, ist der Glauben für manche Menschen unglaublich wichtig.

    Ich war ein paar Monate in Durban, habe dort mit Kindern gearbeitet, die aus der totalen Armut stammen… was haben die Menschen in diese Armut, bedroht von Krankheiten… häufig zu kämpfen mit HIV…??? WAs haben sie dort noch, außer ihren Glauben?!? Dort habe ich das erste mal gelernt, wie wichtig sogar die Kirche für manch einen Menschen sein kann. Wieviel Halt diese Kinder dadurch hatten.

    Ich gehe genauso kitisch an viele Glaubensrichtungen heran und trotzdem verteufle ich häufig die öfentliche Kritik am Islam, da die Menschen damit assoziiert werden.

    Daneben kritisiere ich weiterhin die Institution Kirche, aber nicht den Glauben, denn manch ein Mensch braucht seinen Glauben, seine TRaditionen… auch wenn ich mich damit nicht identifizieren kann.

    UNd mal ehrlich, wa ist das für ein Land, indem ein extrem guter Schriftsteller wie Navid Kermani, aufgrund einer Kritik an dem Kreuz, einen Preis aberkannt bekommt für ein Buch, welches eine wirkliche Bereicherung ist?

  102. Wie schön wirkt dieser Babeltrick,
    man möcht‘ vor Lachen sich erbrechen,
    sie diskutieren ihr Geschick
    und streiten über’s Sprechen.

    In alle Lande sind verstreut,
    die Brabbelmünder, stolz, allein,
    verbrüdern sich dann, um erneut
    sich über Worte zu entzwei’n.

    So werkeln sie, die armen Würmchen,
    endlos uneins allerorten
    an wortgewalt’gen Türmchen,
    und zertrümmern sie mit Worten.

    So ist’s bequem, ein Gott zu sein!
    Sie reden sich in Hitze,
    und streiten sich drum, welcher Stein
    sei Fundament und Spitze.

    Zu guter Letzt, das ist der Trick,
    bleibt alles Kirchturmpolitik..

  103. interessant ist ja auch,dass niemand davon sicht, dass Goethe sich damals dem CHristentum abschwur und begann sich für den Islam zu interessieren— nur mal so nebenbei…

  104. @ Sarah #107

    „Und wir traurig ist das denn? HIV mit dem Islam vergleichen?“

    Herrlich, wie meine Aussage von Ihnen in das völlig falsche Raster gedrückt wurde!

    Lesen wir doch noch einmal gemeinsam:

    „Nur mal so: ich kenne Menschen, die real Angst vor AIDS haben, sich aber hingebungsvoll um AIDS-Kranke kümmern und einen völlig unverkrampften Umgang mit HIV-Infizierten pflegen.“

    Und nun schreiben wir diese Zeilen auf die Islam-Analogie um:

    „Nur mal so: ich kenne Menschen, die real Angst vor dem Islam haben, sich aber hingebungsvoll um Moslems kümmern und einen völlig unverkrampften Umgang mit religiösen Menschen pflegen.“

    Hoffentlich ist Ihnen diese Klarstellung klar genug. Wie mein Vater gesagt hätte: „Da kriegt der Arsch doch gleich eine andere Gesichtsfarbe!“

    (Die einzige HIV/AIDS-Analogie wäre hier: nicht jeder HIV-Positive erkrankt an AIDS, nicht jeder Religiöse wird zum – zerstörerischen – Fundamentalisten.)

    Ich selber kann – gemäß obiger Analogie – sehr einfach zwischen einem Unrechtsstaat und den in ihm lebenden Menschen unterscheiden. Ich kann eine totalitäre Ideologie kritisieren und gleichzeitig mit Menschen, die dieser Ideologie nahestehen, völlig unverkrampft umgehen. Anders als Sie kritisiere ich sehr wohl den Glauben, aber nicht den Menschen. Eine Unterscheidung, die Heinrich offenbar schwerfällt.

    Mit dieser meiner Art bin ich bisher immer gut gefahren. Von meinem Vater habe ich den Satz übernommen „Der Typ ist in Ordnung, aber leider in der falschen Partei!“. Mir selber ist an zwei wichtigen Wendepunkten meines Lebens sinngemäß gesagt worden „Deine Meinung bekämpfe ich bis aufs Messer, aber das bedeutet nicht, dass ich dich als Mensch ablehne.“ Meine relativ zahlreichen Migrahu-Bekannten schätzen meine klaren Ansagen und zwar auch und gerade die in dieser Hinsicht sonst äußerst empfindlichen AsiatInnen.

    Wenn Sie überhaupt einen Katholiken finden, der zu einer Diskussion über seinen Glauben bereit ist, dann gehen Sie mit ihm doch mal das Apostolische Glaubensbekenntnis – also die Quintessenz seines Glaubens – durch. Sie werden staunen, wie wenig dieser Mensch davon tatsächlich glaubt!

    Und genau das ist es, was mich häufig stört: diese lauen Gläubigen, die zu faul oder zu feige sind, sich von den Resten ihrer (früh)kindlichen Indoktrinierung zu trennen. Bestenfalls liefen die Diskussionen – weniger dem Glauben als einer Berechnung folgend – auf die Pascalsche Wette hinaus:
    * Man glaubt an Gott und Gott existiert – dann wird man belohnt (Himmel – Man hat gewonnen).
    * Man glaubt an Gott und Gott existiert nicht – dann gewinnt man nichts, verliert aber auch nichts.
    * Man glaubt nicht an Gott und Gott existiert nicht – dann gewinnt man ebenfalls nichts und verliert aber auch nichts.
    * Man glaubt nicht an Gott und Gott existiert – dann wird man bestraft (Hölle – Man hat verloren).

    Daraus folgerte Pascal, dass es vorteilhafter sei, an Gott zu glauben.

    Es sind diese Lauen, die ich als „Mitläufer“ bezeichnet habe und die ein System am Laufen halten, weil sie sich kleine Vorteile oder zumindest ihre Ruhe erhoffen. Es waren ja nicht ein paar wenige stramme Nazis, die das verbrecherische System am Laufen hielten, sondern die Millionen von Mitläufern.

    Es sind nicht (nur) die paar Hanseln in den Parlamenten oder Vorstandsetagen, die uns irgendeine unverdauliche Suppe einbrocken, sondern all die Laumeier, die sich nicht einbringen – die ja nicht einmal mehr wählen gehen.

    Ach übrigens: das Recht auf Irrtum, Blödheit, Verbohrtheit oder Verblendung gestehe ich natürlich nicht nur mir selbst, sondern auch allen anderen zu.

  105. Liebe Sarah,

    Sie müssen sich nicht verteidigen, dass Sie nicht gläubig sind, so wie ich mich auch nicht verteidige, religiös zu sein. Schon gar nicht einem Schnippsel gegenüber, mit seinen merkwürdigen Analogien und seiner Ablehnug von allem, was er nicht versteht und was in seine Denkmuster nicht hineinpasst.

    P.S.: Man kann auch religiös sein (also in eine religiöse Tradition eigebettet leben), ohne an Gott als „lenkende Macht“ zu glauben. Ich halte mich da an Leo Baeck mit seiner Polarität zwische Geheimnis und Offenbarung. Während Gott durch ein undurchdringliches Geheimnis umhüllt ist, liegt „seine“ Botschafft offen vor uns. Daher heißt für mich die Frage wie soll ich handeln und nicht was soll ich glauben.

  106. @ Schnipsel… trotzdem passt diese Metapher mit dem HIV nicht… und trotzdem bringen Sie einen Glauben mit einer Erkrankung in Verbindung, alleine dadurch, dass Sie diese beiden Thematiken zusammen werfen und versuchen, da einen Vergleich zu erstellen ist lächerlich. Ich kenne auch Konservative, die sich für manch eine gute Sache einsetzen und trotzdem sind und bleiben sie irgendwo konservativ… da bin ich dann doch engstirnig und komme mit dem menschen nicht in engeren kontakt, weil er einfach nen anderen lebensstil hat—
    was für dolle vergleiche sie ziehen… ich meinte lediglich, dass man muslime schnell kategorisiert… und dass man durch diese kritik auch den menschen beleidigt der dahinter steht… und das hat unsere gesellschaft verursacht, indem sie angefangen hat zu pauschalisieren und jedes ihrer handlungen mit dem glauben zu begründen versucht.

    Stimmt, auch manch einen Katholiken kann man auch nicht kritisieren… für seinen Glauben… und das würde ich auch nicht unbedingt tun… allerdings das engstirnige Denken, welches manch einer Menschen aus anderen Kulturen gegenüber bringt ( welches unter katholischen Menschen leider des öfteren verbreitet ist, aber natürlich auch nicht bei allen)

    Ich kritisiere aber ganz offen und wehement die Kirche! ich finde hier kermanis äußerung zum kreuz sehr mutig und spannend.

    @Abraham

    nein, ich würde mich nie dafür rechtfertigen, dass ich nicht gläubig bin… denn ich bin so aufgewachsen und habe trotzdem genug halt erfahren. Ich wollte nur klarstellen, dass ich jeden menschen mit seiner religion (sofern es eine religion ist ;-)) respektiere, und natürlich als atheistin zugleich immer ein wenig kritisch bin, was die institutionen und den background angeht.

    @alle
    Das mit Gethe find ich übrigens immer noch interessant, dass sich jener viel für den Islam interessiert hat und sogar damals Arabistik studieren wollte, aber wg seinem Vater doch Jura studierte .
    WEiß jemand mehr darüber? Oder war das hier überhaupt bekannt?

  107. UNd soviel zu LEITKULTUR— selbst einer unserer Urväter hat sich schon von dieser, die von den CHrist-Demokraten angestrebt wird, abgewendet 😉 so ein Verräter ;-P

  108. @ Sarah # 114

    Von dem entsprechenden Interesse Goethes in jungen Jahren ist mir nichts bekannt, weil es jedenfalls keinen Niederschlag in seinem Werk gefunden hat.

    Ganz anders dagegen, als er im vergleichsweise fortgeschrittenen Alter mit dem Werk des persischen Dichters Hafis in Berührung kam. Davon hat er sich zu der wunderbaren Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ inspirieren und das Interesse am Islam wecken lassen und hat noch im hohen Alter von 80 Jahren persisch gelernt.

  109. @Heinrich
    wow, mit 80 Jahren, dann auch noch Farsi— das ist respektabel und zugleich wirklich eine schwere und zugleich sehr schöne Sprache.
    Wenn ich es nur schaffen würde endlich türkisch zu lernen … ich bleib dem Thema auf der Spur…

  110. Muß mich der Idee der Vergiftung anschließen, ist natürlich nur ein Bild/Vergleich. Vieles in der „öffentlichen“ „Diskussion“ ist nicht nur darauf angelegt nur ein bestimmtes Wertbild/Meinungsintervall positiv zu belegen, was an sich ja schon ziemlich einschränkend ist. Vielmehr wird über Negativbezüge eine Ab- und Eingrenzung der eigenen Begrifflichkeit und letztlich der persönlichen Wirklich- und Wirkmächtigkeit vorgenommen. Die daraus entstehende Persönlichkeit ist zum größten Teil eine Negativpersönlichkeit, die aufgrund der fehlenden inherenten Positivbezüge immer abgängiger von äußeren Positivbezüge wird.
    Mit Leitkultur hat das nichts zu tun. Bei Lichte gesehen hat es nicht einmal etwas mit Kultur zu tun. Kultur schaffen ist ein kreativer, erschaffender Prozess und Religion ist ein Bestandteil der Kultur.

    Die Begriffe Kultur und Nation passen m.E. nicht zusammen. Kultur ist nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden, Religion natürlich auch nicht.

    Kirche ist immer im gesamtgesellschaftlichen und historischen Kontext zu betrachten, die Lehrmeinung von „Kirche“ muss nicht mit dem mystischen Inhalt der durch die Kirche vertretenen Religion übereinstimmen. Glaube ist eine rein persönliche Angelegenheit, nicht nur mein Glaube, sondern auch der meiner Mitmenschen.

    Weil Ihr Euch alle immer so schön lobt, mach ich auch gleich ma: im Vergleich zur „öffentlichen“ „Diskussion“ seid Ihr einfach Zucker. DANKE!

  111. @Schnipsel

    kurze Frage: hätte ich tatsächlich ein Kind von 6 Jahren im City Centre von Durban eine Frage zu zu seinem Glauben stellen sollen? Ich glaube, dieses Kind wächst so tief verbunden mit seinem Glauben auf und lebt ihn aus tiefsten Herzen… auch wenn das kaum nachvollziehbar ist! Sollen seine verstorbenen Eltern ihm das erklären? Oder übernehmen das dann doch seine Brüder, mit denen er aufwächst? Und die haben auch keine Erklärung darauf… sie sind auch keine „Lauen“, sie brauchen einen Halt, denn sonst wissen sie auch nicht mehr, was mit ihnen geschieht. Denn sie haben kaum eine Chance, etw. anderes zu tun als Taxi Busse zu fahren und damit die paar Ranz zusammen kommen, damit sie nicht verhungern!!!!
    Genau diesen kleinen Jungen habe ich betreut, mit 20 anderen Kindern, mit ähnlichem Hintergrund. Da stellt sich nicht die Frage, wie viel sie über ihren Glauben wissen.
    Und gerade dort würde ich es nicht hinterfragen, weil sie sonst ihren Halt auch noch verlieren. Und das gilt genauso für viele Zulus und Xhlosa im Erwachsenen Alter!

    Die Lage in Deutschland ist natürlich anders, keine Frage…

  112. @ Sarah # 120

    „Und gerade dort würde ich es nicht hinterfragen, weil sie sonst ihren Halt auch noch verlieren. Und das gilt genauso für viele Zulus und Xhlosa im Erwachsenen Alter!“

    Ich sehe diese Art von Glauben allerdings schon etwas kritisch, gerade wenn von einem Land wie Südafrika die Rede ist, wo die Unterschiede zwischen Arm und Reich so riesig sind. Neben dem Halt und der Zuversicht, die Religion zweifelsohne vermitteln kann, sehe ich nämlich auch die Gefahr, dass die Menschen sich so eher mit ihrem menschenunwürdigen Dasein abfinden und im Elend verharren, statt sich für ihre Rechte einzusetzen. – Was den privilegierten Schichten natürlich nur Recht sein kann.

  113. @ Sarah #120

    Gestatten Sie mir zunächst eine Klarstellung, wozu ich als Beispiel das Rauchen verwenden möchte. Ich selber rauche nicht.

    Gegenüber Rauchern lautet meine Aussage: „Ich habe etwas dagegen, wenn – in meiner Gegenwart – Menschen rauchen.“ (Die Differenzierung gegenüber dem Satz „Ich habe etwas dagegen, dass Menschen – in meiner Gegenwart – rauchen.“, also wenn contra dass, möchte ich der Einfachheit halber weglassen.) Selbst wenn ich die differenzierende Einschränkung durch die Worte „in meiner Gegenwart“ wegließe, halte ich das Rauchen generell für schädlich.

    Wenn Frauen während der Schwangerschaft rauchen oder Eltern dies in Gegenwart ihrer Kinder tun, bin ich – trotz fehlender direkter persönlicher Betroffenheit – dennoch dagegen. Die späteren gesellschaftlichen Folgen betreffen mich allerdings. Trotz hoher Steuern auf Tabakwaren übersteigen die sozialen Kosten des Rauchens den eingesammelten Steuerbetrag. Der Schwarzhandel zur billigen Versorgung der Raucher erodiert das Rechtsbewusstsein usw. usf.

    Es wäre ebenfalls differenzierend darüber zu diskutieren, ob man das Rauchen als Charakterschwäche, Krankheit, Sucht, kulturelles Phänomen usw. ansieht. Einigkeit besteht im Prinzip jedoch darüber, dass das Rauchen nicht genetisch im Menschen angelegt ist (es sei denn möglicherweise durch eine familiäre Raucherhistorie), sondern durch äußere Einflüsse entsteht.

    Bekannt ist, dass Rauchen nicht nur schädliche Wirkungen hat, sondern – in gewissem Maß – auch positive. So kann das Nikotin beruhigend und/oder stimulierend wirken, die „appetitzügelnde“ Wirkung (genauer: die Veränderung des Metabolismus) wird von Rauchern geschätzt, die Hände sind mit irgendetwas beschäftigt, die Kontaktaufnahme per „Haben Sie mal Feuer?“ wird vereinfacht, das Bibbern vor der Kneipentür schafft ein neues Wir-Gefühl usw.

    Ich hoffe, ich habe mich jetzt verständlich machen können und Sie sehen die von mir beabsichtigte Analogie zum „Glauben“. Heinrich unterstellt mir hingegen, auf dieses Beispiel umgemünzt, die Aussage „Ich habe etwas gegen Menschen, die rauchen.“

    Nein, ich möchte Menschen nicht einer Zwangsintoxikation unterwerfen, sie in Raucherparadiese (wie China?) ausweisen oder Besitz und Konsum von Tabakwaren strikt verbieten. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, dass Staat und Gesellschaft das Recht, ja geradezu die Pflicht haben, gegen das Rauchen vorzugehen – auch wenn manch einer gegen ein solches Vorgehen Artikel 2 (1) GG [1] in Stellung zu bringen versucht. Dazu gehören beispielsweise das Verbot der Werbung für Tabakwaren, Aufklärungskampagnen, Einschränkungen des Rauchens in öffentlichen Gebäuden, Einführung einer Altersgrenze für den Verkauf von Tabakwaren, das Jugendschutzgesetz usw. (Abraham wird die Analogie zum werbenden, bekenntnisorientierten Religionsunterricht contra Ethikunterricht unmittelbar auffallen, nehme ich an).

    Welcher Erwachsene schreitet heutzutage – wie es in meiner Jugend war – eigentlich noch ein, wenn er ein Kind in der Öffentlichkeit rauchen oder Alkohol konsumieren sieht? Würden wieder HJ-Pimpfe oder Junge Pioniere defilieren, wäre das Geschrei „Propaganda! Indoktrinierung! Kinderverführer!“ unüberhörbar. Machen kleine Jungen als Messdiener bei einer Prozession mit, ist das natürlich etwas gaaaaanz anderes.

    Ihr Beispiel aus Südafrika berührt mich natürlich und ich könnte Ihnen ähnliche Beispiele aus der Entwicklungshilfe nennen. In aller Kürze: ich würde mich als Fremder überhaupt nicht oder nur sehr zaghaft und zurückhaltend als Kritiker der örtlichen Verhältnisse aufspielen – oder gar Forderungen aufstellen, die meine Überzeugungen und Verhaltensweisen (also meine „Kultur“) der örtlichen Kultur gleichstellen sollen. Die meiste Zeit habe ich damit zugebracht, zu beobachten und zu fragen: „Wie handhabt ihr dieses oder jenes? Wo darf ich was tun? Welche Orte muss ich meiden? Auf wessen Rat soll ich hören?“ usw. Der Respekt vor indigenen Kulturen stellt für mich übrigens teilweise auch die Universalität der Menschenrechte in Frage. Wie man so sagt: „Die Sünde ist erst mit den Missionaren gekommen.“

    Andererseits mag ich mich nicht damit abfinden, dass man Kindern einen Glauben einpflanzt, der ihnen zwar Halt gibt, aber die ungerechten Verhältnisse verschleiert oder – schlimmer noch – perpetuiert, unter denen sie leben müssen. Armut ist eben nicht gottgewolltes Schicksal. Der Tod der Eltern ist eben keine Strafe Gottes, sondern höchst irdische Folge. Z.B. von männlicher Gewalt in Form organisierter Massenvergewaltigungen oder individuellem Zwang im Geschlechtsverkehr ohne Kondom, oft verbrämt durch Aberglauben („Beischlaf mit einer Jungfrau heilt AIDS“). Kinderarbeit ist ebenso wenig durch den Glauben begründet/begründbar, sondern durch die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Verhältnisse.

    Auch aus eigener Erfahrung bin ich der Meinung, dass man Kindern – nicht nur des eigenen Kulturkreises? – in kindgerechter Form Erklärungen über die Welt und Antworten auf ihre Fragen geben kann, die nicht zwangsläufig im monotheistischen Glauben oder in animistisch- naturreligiösen Vorstellungen enden. Als unter Aborigines Lebender würde ich den Glauben an die Traumzeit nicht in Frage stellen, als unter Indianern oder Indios Lebender wäre ich fehl am Platz, wenn ich die Mutter Erde oder die Pachamama lächerlich machen würde. Auf eine Frage würde ich zunächst mit einer Gegenfrage antworten „Was sagt denn der Marabout/Schamane/Medizinmann/Dorfälteste dazu?“

    In meinem Heimatland Deutschland erwarte ich eine ähnlich „kultursensible“ Haltung der Zugewanderten. Ich habe allerdings bisher keinen Türken oder Perser oder allgemein keinen Moslem (eine Türkin oder Muslima schon gar nicht) getroffen, die mich – bei insgesamt guter Nachbarschaft – gefragt hätten, wie man hierzulande dieses oder jenes handhabt. Die auf meine Hinweise erhaltenen Antworten der Art „Isch soso. Du soso. Egal.“ fand ich doch ziemlich ernüchternd. Ganz im Gegensatz zu meinen asiatischen oder lateinamerikanischen Bekannten, die ebenso neugierig sind wie ich.

    [1]
    Artikel 2
    (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
    (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

  114. Ahem: „Nein, ich möchte Menschen nicht einer Zwangsintoxikation unterwerfen“ sollte natürlich heissen „Zwangsdesintoxikation“, ersteres aber selbstverständlich auch nicht.

  115. Ach, Schnippsel, Ihre Vergleiche werden nicht besser. So wie es blinden Glauben in der Religion gibt, vertreten Sie einen blinden Unglauben, der keinen Zweifel oder Diskussion zulässt. Sie bestimmen, dass „Glauben“ (womit Sie eigentlich Religion meinen) etwas Schädliches ist wie das Rauchen – und basta. Sie sind aber so großzügig, die Gläubigen wie Menschen zu behandeln (obwohl sie eigentlich dumme Schafe sind).

    Während Philosophen seit Jahrhunderten mit sehr unterschiedlichen Resultaten über das Verhältnis von Vernunft und Religion nachdenken (mir fallen da spontan Kant, Hermann Cohen und Jürgen Habermas ein, aber auch – sicher zu Heinrichs Freude – Mendelssohn und Lessing), wissen Sie bereits, dass Vernunft und „Glaube“ nichts gemeinsames haben können. Ein solches verabsolutiertes „Wissen“ hat aber mit Vernunft nichts zu tun.

    Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben. Wenn, dann fürchte ich, indoktrinieren Sie sie mit Unglauben. Damit meine ich nicht eine atheistische oder agnostische Erziehung (gegen die selbstverständlich nichts einzuwenden ist), sondern das Einimpfen antireligiöser Ressentiments.

  116. @ Schnippsel # 123

    „Ich habe allerdings bisher keinen Türken oder Perser oder allgemein keinen Moslem (eine Türkin oder Muslima schon gar nicht) getroffen, die mich – bei insgesamt guter Nachbarschaft – gefragt hätten, wie man hierzulande dieses oder jenes handhabt.“

    Auch diese Aussage hinkt. Da es sich so anhört, also ob Sie in der Entwicklungshilfe tätig gewesen wären, war es ja Ihre AUFGABE mit den Menschen aus dem anderen Kulturkreis zusammenzuarbeiten. Da müssen Sie natürlich nachfragen, wie „dies oder jenes gehandhabt wird“, „auf welchen Rat Sie hören sollen“ etc, damit Sie Ihre Projektziele überhaupt sinnvoll integrieren und umsetzen können. Die muslimischen Migranten kommen doch aber vor einem ganz anderen Hintergrund nach Deutschland. Und dass man sich unter Bekannten über kulturelle Unterschiedlichkeiten austauscht, ist ebenfalls ein ziemlich mageres Argument. Das würden sicher auch Muslime tun, wenn welche in Ihrem Bekanntenkreis wären. Vielleicht sollten Sie nicht so fixiert darauf sein, dass muslimische Einwanderer diesbezüglich hier eine Bringschuld zu erfüllen haben und stattdessen einfach mal Ihre Neugier und interkulturelles Know-how dazu nutzen, von sich aus den Kontakt zu Türken oder Persern aktiv suchen.

  117. @ Anna #126

    „war es ja Ihre AUFGABE mit den Menschen aus dem anderen Kulturkreis zusammenzuarbeiten. Da müssen Sie natürlich nachfragen, wie dies oder jenes gehandhabt wird, auf welchen Rat Sie hören sollen etc, damit Sie Ihre Projektziele überhaupt sinnvoll integrieren und umsetzen können.“

    Das riecht mir viel zu sehr nach einem taktischen, an Nützlichkeitserwägungen („Projektzielen“) ausgerichteten Verhalten. Ich meine aber etwas anderes, das auch auf kurze Reisen zutrifft: eine respektvolle Neugier gegenüber Fremden und Fremdem.

    So käme ich nie auf die Idee, in einem islamischen Land lautstark nach Bier und Schweineschnitzel zu verlangen oder ein T-Shirt mit einem 40 cm hohen Kreuz zu tragen. In ein Gotteshaus gleich welcher Konfession würde ich nicht halbnackt, mit einer Bierflasche in der Hand und laut schwätzend hineingehen. Je nach Gotteshaus wäre ich, selbst unter Inkaufnahme von Fußpilzgefahr, bereit, die Schuhe auszuziehen – ein hygienebewusstes Verhalten, dass ich auch hierzulande pflege. Oft langt die Beobachtung, was die Ortsansässigen tun. In chinesischen Tempeln darf man die Schlappen z.B. anbehalten.

    Allerdings, bei allem Respekt!, und das wird von den meisten Menschen „da draussen“ ebenso gesehen, muss – und werde – ich mich nicht den jeweiligen religiösen Riten unterwerfen, sofern ich dazu überhaupt Zutritt haben sollte: also beim Betreten eines Gotteshauses in ein versifftes Wasserbecken greifen, ein Hütchen aufsetzen, mich bekreuzigen, Kniebeugen machen, irgendwelche Beschwörungsformeln murmeln, Räucherstäbchen oder Kerzen anzünden, Opfergaben darbringen usw.. Ich bin davon freigestellt, den vorbeiziehenden Mönchen etwas zu spenden – sollte sie im Gegenzug aber nicht blöd anquatschen oder aufdringlich fotografieren. Ach, das andauernde Fotografieren: ein eigenes übles Thema für sich.

    Ich habe in Frankreich, ausser bei guten Freunden, weder gefragt noch gar ungefragt meine Meinung zum Massenmörder Napoleon, zu den Kriegsverbrechen der Franzosen in Algerien und Vietnam und in der französischen Besatzungszone in Deutschland, zu der Wahnvorstellung der „Grande Nation“, zum Selbstbetrug hinsichtlich der französischen Küche (schauen Sie mal in die Einkaufswagen, wieviel vorgekochtes und künstlich aromatisiertes Zeug die frz. Hausfrau reinpackt) oder der Schönheit der Französin (eine frz. Kittelschürze sieht genauso beschissen aus wie eine deutsche), und zu weiteren Mythen und Legenden „der Franzosen“ kundgetan.

    Als ich Ende der 70-er Jahre zum ersten Mal zu Besuch in der Sozialistischen Republik der Birmanischen Union (heute Myanmar) war, wurde mir eine Unmenge von Fragen gestellt. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, das Leben der Mönche als parasitär zu bezeichnen. Selbstverständlich habe ich keine Propaganda für die freie Liebe, neue Formen des Zusammenlebens, die antiautoritäre Erziehung und den Kampf gegen das Wohnungsspekulantentum usw. gemacht, auch wenn ich zu der Zeit in einem Frankfurter Wohn- und Arbeitskollektiv lebte, im Partykeller der Bockenheimer Ldstr. 93 eine Reihe von Mädels abschleppte und mich tatkräftig und handgreiflich am Häuserkampf beteiligte. Nicht erst da hatte ich Kontakt zu „Gastarbeitern“, sondern (in Deutschland) bereits Mitte der 70er Jahre.

    „Die muslimischen Migranten kommen doch aber vor einem ganz anderen Hintergrund nach Deutschland.“

    Sie kommen bzw. kamen mit der Perspektive eines zumindest längeren, wenn nicht sogar dauernden Aufenthalts. Da kann man schon erwarten, dass sie sich mit ein wenig Neugier auf das Gast- bzw. Aufnahmeland einlassen und (ja, polemisch gesagt!) sich nicht nur auf die Zeitung und das Satellitenfernsehen aus der Heimat, den Koran und die Erzählungen ihrer „community“ stützen.

    „Vielleicht sollten Sie nicht so fixiert darauf sein, dass muslimische Einwanderer diesbezüglich hier eine Bringschuld zu erfüllen haben…“

    Da rennen Sie bei mir wirklich offene Türen ein.

    Anfang der 70er Jahre arbeitete ich fast zwei Jahre im Schaltanlagenbau auf einer Großbaustelle in der Nähe von Marseille und wohnte in einem Arbeiterwohnheim mit hauptsächlich nordafrikanischen Kollegen zusammen. Die hielten zwar ihre Zimmer(chen) relativ sauber, auch wenn der Geruch von stinkenden Socken allgegenwärtig war, aber die Gemeinschaftseinrichtungen waren ihnen völlig egal. An einem Kontakt zu mir war ihnen nicht gelegen, obwohl ich ja nun nicht zur frz. Oberschicht gehörte, sondern als einfacher Arbeiter wie sie beschäftigt war. Auch zu anderen Nicht-Maghrebinern (oder sollte ich sagen: Nicht-Moslems?) pflegten sie keinen Kontakt.

    Später in den 90er Jahren entdeckte ich dieses Verhaltensmuster wieder, als ich erneut jahrelang in Frankreich lebte. Meine maghrebinischen Nachbarn hielten zwar ihr Haus sauber, schütteten aber jeglichen Dreck vor die Haustür (und mir vor die Füße). Als ich Ihnen anfangs einmal Bethmännchen aus Frankfurt mitbrachte, lehnten sie diese dankend ab.

    In Frankfurt breiteten türkische Nachbarn, die auf freundliche Grüße nicht reagierten, die Schafswolle ihres Opferlamms vom Aid El-Kebir (Opferfest) zum Trocknen im Treppenhaus aus. Zwei Jahre arbeitete ich in einer kleinen Firma mit viel Kundenkontakt unter einem persischen Chef mit zwei, drei persischen Kollegen zusammen. Einladungen meinerseits, mal zusammen einen trinken zu gehen (man kann dabei ja auch etwas anderes trinken als Alkohol), wurden freundlich abgelehnt. In der Art: Kaffee trinken wir nicht und Alkohol sowieso nicht und der deutsche Tee ist einfach nur eklig. Von dem Tee, den sie sich in dem kleinen Lagerraum aufbrühten, bekam ich nichts ab, nicht einmal zum Kosten.

    Ein afghanischer Bekannter, der ebenfalls einen kleinen Laden betreibt, diskutiert manchmal freundschaftlich mit mir, aber wenn ich seine Frau ins Gespräch mit einbeziehen möchte, schickt er sie weg oder schützt irgendwelche Arbeit vor.

    Wenn ich auf der rechten Straßenseite scharf rechts gehe, kommt es immer wieder – und in der letzten Zeit gehäufter – vor, dass mir jemand vor die Füße läuft. Von denjenigen, die nicht ausweichen, sind 1% ältere Menschen mit Rollator, 4% junge Mütter mit Kinderwagen und 95% Menschen, die sichtbar und hörbar dem türkisch-arabischen Kulturkreis angehören. Ausweichen scheint offenbar mit ihrer Ehre unvereinbar zu sein. Dasselbe beim Ein- und Aussteigen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Betreten von Gebäuden. Dass meine herrlich grauen Haare irgendeinen Respekt vor dem Alter einflössen würden: Fehlanzeige!

    Die Anerkennung der ersten 20 Artikel GG reicht für ein gedeihliches Miteinander wohl doch nicht aus.

    An eine statistische Besonderheit zu meinen Ungunsten oder eine stets selbsterfüllende negative Prophezeiung mag ich nicht so recht glauben. Die wenigen, lange Jahre zurückliegenden Begegnungen mit meinem persischen Urologen haben trotz positiven Ausgangs keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.

    So! Jetzt ist meine Antwort auf Sie so lang ausgefalen, dass mir für Abraham #125 keine Zeit mehr bleibt.

  118. @ Anna,

    waren Sie mal an solch einem Ort? Mal ehrlich, ohne Glauben würde so manch ein Mensch dort kaum eine Fröhlichkeit austrahlen… aber die Stadt strotzt von bunten Farben und Musik. Ich finde es genauso bedenklich, sich zu sehr in einen Glauben zu stürzen und hätte selbst nie gedacht, dass ich mal sagen würde, dass ür manch einen Mensch der Glaube überlebenswichtig ist.

    Hierzu der Hintergrund:
    Die Kinder im Durban City Centre, die ich betreut habe waren goßteils AIDS Waisen oder sogar teilweise selbst HIV positiv… es ist kein Geheimnis, dass Kwazulu Natal die höchste AIDS und HIV Rate der Welt hat und Durban ist eine der größten Städte dort. Allein das ist ein Teufelskreis, aus dem man sich nicht einfach rauswinden kann. Es ist löblich zu denken,dass man sich einfach aus eigener Kraft in dem Teufelskreis, der noch sehr spürbaren Vergangenheit Südafrikas heraus winden zu können… einfach so. Aber ohne Geld hat kaum einer die CHance zu studieren… die Löhne sind extrem niedrig, di Arbeitgeber sind meist burischem Ursprungs und stellen selten dunkelhäutige Menschen für ARbeiten im öffentlichen Leben ein.—
    soviel zu dem sozialen Umfeld… ich will auch nicht damit sagen, dass die Menschen an magische Kräfte glauben, aber so manch einer hätte sich dort ohne seinen Glauben selbst aufgegeben. Die meisten schöpen aus ihrem Glauben eine ungehäure Kraft, die ihnen hilft Antrieb zu erlangen… einen Antrieb sein Leben anzupacken…. und dadurch steht die irreperable Institution Kirche in der Pflicht vorbildlich zu agieren… das tut sie aber nicht!!! -und da ist das was Sie wahrscheinlich meinen: die Menschen lassen sich auch auf die Regeln des Papstes ein (ein mörderischer Gedanke), viel tiefer als es in Deutschland einer tut… das ist natürlich die Kehrseite und die kann man nicht beseitigen. Trotzdem ist der Glaube ür die Menschen dort einfach eine Überlebenshilfe…. denn was tut man, wenn man plötzlich erfährt, man hat nur noch ein Jahr zu überleben… weil man HIV positiv ist und kein Geld hat für anständige Medikamente? Es gibt so viele Gründe, warum ich den Glauben nachvollziehen kann es gibt wiederum sooooo viele Gründe, warum ich den Glauben für total hirnrissig halte… es sind immer zwei Seiten zu betrachten.

  119. @ Schnipsel

    na, rauchen stört mich auch…. weil ich davon Halsweh bekomm… dass meine Freundin kein Schweinefleisch it, weil sie Muslimin ist behinternt mich in keinster weise… dass eine andere Freundin keinerlei tierische Produkte ist, weil sie Veganerin ist, behindert mich nur beim Kochen… aber da ind ich immer ne Lösung und so passe ich mich auch ihrem individuellem Lebensstil an, welcher nicht meiner Kultur entspricht und auch nicht der Mehrheit… ich koche dann eben vegan, weil das dann alle essen können.

    Soviel dazu!

    Ich finde es genauso nicht richtig Kindern einen GLauben in die Wiege zu legen, sie zu taufen, ihnen einen Glauben anzuerziehen etc.
    Besonders beschränke ich das in diesem Fall mal auf Deutschland.

    Aber trotzdem habe ich kein Problem mit gläubigen Menschen, in meinem Freundeskreis sind bei leibe keine konservativen Menschen… aber Menschen aus unterschiedlichsten Nationen und natürlich leben sie einen Teil ihres Glaubens… warum sollte mich das denn stören. Sie sehen die Welt doch trotzdem ganz klar. Mir ist da viel wichtiger, dass sie eine ähnliche politische Haltung wie ich haben, weil das was mit Werteorientierung zu tun hat.

  120. @Schnipsel #124…. dann wollen wirs aber ganz genau korrigieren, korrekt deutsch, grammatikalisch richtig heissen= heißen — ich weiß, ich schreib genauso falsch 😉 nur der Richtigkeit halberm weil SIe sich da grad scon so schön selbst korrigieren

  121. @ Schnipsel nochmal

    Sie pauschalisieren jetzt Musliminnen und denken, die können alle nur so reden mit „isch….“ allein das zeichnet eine rechte HAltung aus!!!… Abgesehen von Religion geht es doch jetzt grad um Deutschkenntnisse!

    Und hacken Sie doch nicht dauernd auf der alten Generation herum… denn das ist ausglutscht!!! In meiner Generation begegne ich keinem mit Migrationshintergrund, der kein deutsch spricht… und es ist doch einzig allein wichtig sich verständigen zu können. Die Politik hält sich auch an den Schönschliffen der Sprache auf… verdammt die Kinder können deutsch, sie verstehen es, sie sprechen es. Selbst die OECD Pisa-Studie verweist darauf, dass typische Einwanderungsländer wie Kanada, Schweden und Australien ihr Schulsystem den Gegebenheiten angepasst haben. Das ist der große Erfolg! Der Mathe-Unterricht ist in Deutschland sehr textlastig, genauso wie andere Schulfächer, die auch mit weniger Sprachkenntnisen auskommen würden. In den besagten Ländern ist das anders, die Sprache ist nicht in jedem Fach im Fokus… und so erzielen auch Migranten ziemlich gute Noten. Das deutsche Schulsystem hinkt.

  122. Schnippsel, wie unterschiedliche Erfahrungen wir haben! Aus meiner Beobachtung weiß ich, dass es meistens „Ausländer“ (überwiegend türkisch aussehende Männer) sind, die fremden Frauen helfen, einen Kinderwagen aus der S-Bahn oder über eine Treppe zu tragen.

    Bei einem kürzlichen Besuch in einer von türkischstämmigen Muslimen geführten Moschee machten eine zwei junge Frauen – eine mit, andere ohne Kopftuch – die Führung; beide sprachen akzentfreies Deutsch (falsch: ein typisch münchnerisches Deutsch).

  123. @ Schnippsel (Nachtrag)

    „Die Anerkennung der ersten 20 Artikel GG reicht für ein gedeihliches Miteinander wohl doch nicht aus.“

    Dazu habe ich schon unter # 93 geschrieben:

    „Laut Papier ist „der Bürger nicht zur Werteloyalität verpflichtet“. Hingegen ist der Rechtsrahmen, den das Grundgesetz schafft, für alle Menschen in diesem Lande verbindlich. Nur das ist für den Rechtsfrieden nötig. Für den gesellschaftlichen Frieden ist darüber hinaus eine gewaltfreie Austragung sozialer Konflikte notwendig. Beides können Muslime ohne einen Konflikt mit ihrer Religion leisten.“

  124. ja… wie wahr… auch meine Oma meinte letztens „also wir haben hier nur nette Türken im Haus, die sind so hilsbereit und halten mir immer die Tür auf.

    Und das gilt inbesondere für die Jugendlichen— denn auch wenn sie noch so „cool“ wirken, es sind häufig die türkisch stämmigen Jungen, die Älteren helfen und sich gegen Gewalt Mädchen gegenüber (egal welcher Nationalität) aussprechen.
    Also, als ich 12 war, gab es viel Mobbing in meiner Klasse… auffällig war, dass es einem Marokkaner, einem Türkenund einem Kroaten zu verdanken war, dass das aufhörte.

  125. @ Sarah #128

    Da in Südafrika Religion, Glaube und Kirche allgemein einen sehr hohen Stellenwert haben, ist es nicht weiter verwunderlich, dass notleidende Menschen Zuflucht, Trost und Halt in relgiösen Gemeinschaften finden. Daran ist grundsätzlich natürlich auch nichts zu kritisieren. Und ich bin selbstverständlich auch nicht so blauäugig, dass ich meinte, die Menschen könnten sich da „aus eigener Kraft herausziehen“.
    Nein, ich sehe eine ganz andere Gefahr darin, wenn Menschen es schaffen sich mit dem ganzen Elend zu arrangieren (und dabei auch noch „fröhlich“ sind). Das liefert doch der „herrschenden Klasse“ eine bequeme Rechtfertigung, die Menschen weiter in Armut, Krankheit und Elend zu halten. anstatt einen Teil des im Lande vorhandenen Reichtums darauf zu verwenden, diese Verhältnisse gezielt anzugehen und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

    @ Schnippsel # 127

    „Das riecht mir viel zu sehr nach einem taktischen, an Nützlichkeitserwägungen (”Projektzielen”) ausgerichteten Verhalten.“

    Das hat nichts mit „Nützlichkeitsdenken“ zu tun, sondern damit soll die Nachhaltigkeit von Projekten sichergestellt werden.

    Ansonsten kann auch ich Ihre Erfahrungen, dass Muslime generell desinteressiert, unzugänglich oder gar abweisend und unfreundlich wären, kein bisschen bestätigen. Und dass sie auf dem Gehsteig nicht ausweichen wollten, ist mir bisher auch noch nie aufgefallen 😉

  126. Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir durch ihre Argumente und Gegenargumente Gelegenheit gegeben haben, ein Stückchen Klarheit zu gewinnen: meine Meinung in Teilen zu festigen, in Teilen in Frage zu stellen und in Teilen zu ändern.

    Leider muss ich mich eine Zeit lang aus dem Blog ausklinken. Meine hochbetagte Mutter ist gestorben, ich muss in meine Heimatstadt, einen Haufen Papierkram erledigen und die Beerdigung samt Trauerfeier organisieren.

  127. @ Schnippsel

    Schön, dass Sie zu so einem erfreulich besonnenen Resümee gekommen sind.

    Mein herzliches Beileid und alles Gute!

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