Grundsätze rechtsstaatlicher Prozessordnung

Gegen den TV-Moderator Jörg Kachelmann besteht kein „dringender Tatverdacht“. Deswegen ist er zwar noch lange nicht freigesprochen; das Verfahren gegen ihn wird erst im September beginnen. Doch die Nichtanerkennung des „dringenden Tatverdachts“ durch das Oberlandsgericht Karlsruhe führte dazu, dass der einst populäre Wettermann aus der Untersuchungshaft entlassen werden musste. Diese U-Haft war von der Vorinstanz auf Antrag der Mannheimer Staatsanwaltschaft verhängt worden. Zu Unrecht, wie das OLG erkannte: Es stehe Aussage gegen Aussage. Keine Begründung für „dringenden Tatverdacht“. Dazu Christian Bommarius im FR-Leitartikel:

Jörg Kachelmann ist erledigt. Zwar hat das Oberlandesgericht Karlsruhe gestern den Haftbefehl gegen den Wetteransager aufgehoben und Kachelmann nach über viermonatiger Untersuchungshaft die Freiheit geschenkt. Der 52-Jährige ist frei, aber er kehrt nicht in die Freiheit zurück. Die Freiheit, die er bis zu seiner Verhaftung kannte, gibt es nicht mehr, sie ist unwiderruflich zerstört. (…) Die Verantwortung dafür liegt bei der Justiz.“ Die Staatsanwaltschaft habe ein Gutachten nicht abgewartet; die Unschuldsvermutung habe nicht gegolten. Aber die Staatsanwaltschaft und das Landgericht Mannheim „wollten Kachelmann. Und sie wollten ihn so unbedingt und gegen die Beweislage, dass – hätte das Oberlandesgericht dem Treiben gestern nach 131 Tagen Untersuchungshaft kein Ende gesetzt – die Bundesrepublik um einen Justizskandal reicher wäre.“

Dazu meint Justus-D. Ort aus Bad Vilbel:

„Weder der Leitsatz von Herrn Bommarius ‚Die Justiz hat versagt. Sie soll das Recht schützen, nicht Verdächtige zerstören‘ noch seine Argumentation werden dem konkreten Verfahrensablauf (so wie wir Bürger und wohl auch er ihn nur aus Medien- oder Anwaltsberichten kennen) noch den Grundsätzen unserer rechtsstaatlichen Strafprozessvorgaben gerecht.
Aus 37-jähriger Staatsanwaltstätigkeit und zehnjähriger Pressesprechertätigkeit weiß ich, dass kein Staatsanwalt an die Presse geht, um Fakten aus bisher nicht öffentlich erörterten Verfahren bekanntzugeben. Allerdings ist die Staatsanwaltschaft kraft landesrechtlicher Pressegesetze zu wahrheitsgemäßer Auskunft auf Fragen verpflichtet, und kann dann kaum verschweigen, wer verhaftet wurde. Gerade in der Verhinderung namenloser Verhaftungen liegt der Beginn des europäischen Rechtsstaates.
Was die Presse dann im Folgenden mit der Nachricht macht, wie sie selbst – parteiisch – besonders im Vorleben des Inhaftierten ermittelt und die Anzeigerin oder den Verdächtigen darstellt, kann der staatlichen Justiz nicht angelastet werden. Diese Berichte aber haben das Ermittlungsverfahren in der Öffentlichkeit emotionalisiert und zu Vorverurteilungen dort geführt.
Bei Vergewaltigungsdelikten ist wegen der dort spezifischen Rechtslage und der gerade bei sexuellen Verhaltensweisen selten von vornherein auszuschließenden Abläufe eine Verfahrenseinstellung allein aufgrund der Aktenlage auch bei gewissen Ungereimtheiten kaum möglich. Dies aufzuklären ist im Rechtsstaat Aufgabe des Gerichts angesichts aller Beteiligten und Beweismittel. Wie wäre die Staatsanwaltschaft bei einer Einstellung ohne öffentliche Gegenüberstellung von Angeklagtem und Anzeigerin wegen angeblichem „Prominentenbonus“ von den Medien angegriffen worden.
Bei dieser Verfahrenslage war in der Haftsache eine Anklage auch vor Eingang des Glaubwürdigkeitsgutachtens zwingend vorgegeben, denn auch dieses vorläufige Gutachten gewinnt im Rechtsstaat erst durch Erörterung in öffentlicher Hauptverhandlung sein Gewicht und seine Verwertbarkeit.
Ob bei der komplexen Rechtslage bei Eingang der (ersten!) Haftbeschwerde nach Aktenlage dringender Tatverdacht oder nur der für die Zulassung der Anklage erforderliche hinreichende Tatverdacht gegeben war, vermag kein nicht unmittelbar in das Verfahren involvierter Jurist zu beurteilen. Aber auch wenn die Staatsanwaltschaft und das Landgericht selbst zu diesem Zeitpunkt falsch gewertet haben sollten, wäre dadurch nicht der Verdächtige zerstört worden. Die dies bewirkenden Aktionen geschahen außerhalb der ihre gesetzlichen Pflichten erfüllenden Justiz und sollten von diesen Akteuren am konkreten Fall wie künftig  bedacht werden.“

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