Seit Anfang August, ein Vierteljahr lang, läuft inzwischen die FR-Aktion „Stimmen für Sakineh Aschtiani„. (Hier kann man auch die Online-Petition unterzeichnen.) 2006 wurde sie im Iran zum Tod durch Steinigung verurteilt, obwohl die islamische Republik Steinigungen im Jahr 2002 offiziell ausgesetzt hat. Zum aktuellen Stand schrieb FR-Korrespondent Martin Gehlen kürzlich:

„Aus dem Gefängnis von Tabris wollten die Unterstützer von Sakineh Mohammadi Aschtiani erfahren haben, dass die Mutter zweier Kinder demnächst nun doch exekutiert werden soll. (…)Inzwischen appellieren Menschenrechtler und Regierungen rund um den Globus an Teheran, die ‚barbarische Strafe‘ nicht zu vollstrecken und das Leben der 43-Jährigen zu schonen. Das iranische Regime reagiert zunehmend gereizt auf den massiven internationalen Druck.“

Im Rahmen der FR-Aktion wurden Dutzende von Stimmen veröffentlicht, von Prominenten und Nicht-Prominenten. Wer sich jedoch nicht zu einer Stellungnahme herbeiließ, das waren die drei wichtigsten islamischen Verbände in Deutschland. Islamrat, Zentralrat der Muslime und Ditib fanden kein Wort der Distanzierung, obwohl sie deutsche Muslime vertreten – oder zumindest so tun. Die Ditib, das ist ja bekannt, wird aus der Türkei gesteuert, und die hat offenbar kein Interesse daran, sich mit den Mächtigen des Iran anzulegen. Das mag noch nachvollziehbar sein; Verständnis kann die Organisation dafür aber nicht erwarten. Wer in Deutschland für sich in Anspruch nimmt, für Muslime in Deutschland zu sprechen, der sollte keine Probleme damit haben, auch den deutschen Wertekanon zu vertreten – nach innen, zu ihren Mitgliedern, und nach außen, zu allen anderen Deutschen. Ein klares Nein zur Vollstreckung der Todesstrafe an Sakineh Aschtiani sollte jederzeit drin sein. Ein Skandal? Oder eine vorhersehbare Entwicklung, die noch nicht zu Ende ist?

Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff sagte im FR-Interview: „Ich beobachte zum Beispiel beim Moscheenverband Ditib schon seit einiger Zeit, wie die Hardliner im Verband an Einfluss gewinnen.“ Konkret: „In der Ditib-Gemeinde in Duisburg-Marxloh etwa, und auch in anderen. Zu mir kommen Ditib-Mitglieder, die für einen Öffnungskurs stehen, und beklagen, dass sie kaltgestellt wurden oder ihnen das droht. Im Streit um den Kölner Moscheebau hatte ich eine Lesung zu Salman Rushdies „Satanischen Versen“ in der Moschee vorgeschlagen und zur Bedingung gemacht, weil sie mich in den Moscheebeirat aufnehmen wollten. Bekir Alboga, Öffentlichkeitsbeauftragter der Ditib, hat spontan zugestimmt, wurde aber von seinen Vorgesetzten in der Türkei gestoppt.“

Dazu meint Marion Dilki aus Unterschleißheim:

„Herr Wallraff kann doch nicht im Ernst erwarten, dass ein Buch, dass den Islam, den Propheten des Islam und die Muslime derartig beleidigt, in einer Moschee gelesen werden kann. Wozu soll das auch gut sein? Ungefähr wie ein „Madonna“-Auftritt in einer katholischen Kirche. Der Maßstab für Aufgeschlossenheit der Muslime kann sich nicht an ihrer Resistenz gegenüber Beleidigungen messen. Ebenso wenig wird irgendein Druck von außen den Iran in seiner Strafgesetzgebung beeinflussen. Betreffende Frau Aschtiani ist ja als Gattenmörderin verurteilt, was hier gerne übersehen wird.
Wenn man die Todesstrafe im Iran kritisiert,  muss man das weltweit tun, und da gibt es genug Länder, in denen diese vollstreckt wird und unter durchaus fragwürdigen Bedingungen der Prozessführung. Es ist nicht so, dass im Iran nicht darüber gestritten wird – gegen Steinigungen ist ja bereits seit 2002 ein Moratorium verhängt. Allerdings haben die Richter dort eine Freiheit, das zu ignorieren. Und warum das iranische Strafrecht nicht so leicht zu reformieren ist, kann man hier in der Kürze nicht erläutern, aber wer sich dafür interessiert, kann erstaunliche Entdeckungen über die Gewaltenteilung im Iran machen. Diskutieren muss man mit dem Iran auf Augenhöhe und nicht von oben herab. Das scheint sich noch nicht rumgesprochen zu haben – und schon lässt sich sogar ein kritischer Mann wie Günter Wallraff instrumentalisieren.“

Christian Schauer aus Alzenau:

„Es ist beschämend, dass drei islamische Verbände sich nicht dazu durchringen können, gegenüber dem Iran eine Ablehnung der Steinigung von Sakineh Aschtiani zu fordern. Was nützen alle die formalen Bekenntnisse zu Demokratie und Menschlichkeit, wenn im Einzelfall keine praktische Konsequenz daraus gezogen wird? „Die Umstände des Prozesses sind nicht klar“, meinen die einen,  „keine Zeit“ die anderen,  die Ditib hat „Abstimmungsprobleme“ – das sind Ausflüchte. Offensichtlich ist eine Kritik solch barbarischer Strafen nicht mehrheitsfähig.  Wenn Navid Kermani in Bezug auf den Iran vom „Schicksal einer geknechteten Nation“ spricht, so bedeutet es nichts Positives, dass wichtige muslimische Verbände daran keinen Anstoß nehmen. Es ist der Islamwissenschaftlerin Frau Mohagheghi zuzustimmen in ihrer Einschätzung: ‚Alle Menschen, die ihre Verantwortung vor Gott und seiner Schöpfung ernst nehmen, müssen die Abschaffung dieser Strafe und der Todesstrafe überhaupt fordern.'“

Weitere Stimmen für Sakineh Aschtiani kommen ständig herein. Hier Hannelore Kaus-Schwoerer aus Neu-Isenburg:

„Die Steinigung eines Menschen ist eines modernen Staates unwürdig. Er setzt sich damit selbst ins Unrecht. Ich fordere nicht nur die Aussetzung dieser unmenschlichen Strafe und das Ende der Strafverfolgung von Menschen, die Ehebruch begehen, sondern auch die Freilassung von Sakineh Aschtianis Sohn, der sich für seine Mutter einsetzt, weil er in Kenntnis des Leides, das seine Mutter in ihrer Ehe erlitten haben muss, die Strafe für ungerecht hält und weil er seine Mutter nicht verlieren möchte. Ich habe großen Respekt vor seinem Handeln.“

Selina Metz aus Breitscheid:

„Menschen haben Rechte! Wie kann es richtig sein jemanden zu ermorden desses Schuld nicht einmal bewiesen ist?! Außerdem hat Sakineh die Tat nicht einmal selbst begangen. Es besteht immerhin das Risiko eine Unschuldige zu töten. Sakineh hatte doch von Anfang an keine Chance, da sowohl ihr Anwalt als auch ihr Sohn verhaftet wurden, bloß weil sie ihr helfen wollten. Auf welchem Niveau befindet sich der iranische „Rechts“staat, dass sie diese Tat vor sich selbst rechtfertigen können?! Wie rechtfertigen sie es, sich selbst zum Mörder zu machen, nur um eine „vermutliche“ Verbrecherin zu bestrafen!? Wir sind entschieden dagegen die Hinrichtung einer vielleicht unschuldigen Frau zu befürworten.“

Michael Makiolla, Landrat des Kreises Unna:

„Das Todesurteil für Sakineh Aschtiani ist aus meiner Sicht eine barbarische Entscheidung der iranischen Justiz. Durch menschenrechtsverletzende Urteile wie dieses verläßt der Iran endgültig die Gemeinschaft der zivilisierten Staaten der Erde. Aus Gesprächen mit Iranern, die in meinem Heimatkreis Unna wohnen, weiß ich, dass auch viele Menschen im Iran entsetzt sind über das Verhalten der dortigen Justiz. Wir sollten daher in Deutschland diejenigen Menschen und politischen Kräfte unterstützen und stärken, die aus dem Exil oder vor Ort der Politik der iranischen Regierung Widerstand entgegensetzen. Druck von außen ist wichtig und notwendig. Aber nur der nachhaltige Widerstand eines großen Teils der iranischen Bevölkerrung wird in der Lage sein, das menschenverachtende Regime in Theheran zu Fall zu bringen, so wie das vor 30 Jahren beim Sturz des Schahs bereits geschehen ist. Nur so wird es möglich sein, dieser Justiz das Handwerk zu legen.“

Werner Stumpf aus Groß-Zimmern:

„Ich denke der Mensch hat generell nicht das Recht die Todesstrafe auszusprechen, geschweige denn diese zu vollziehen.“

Christiane Sohr aus Ratzeburg:

„Die tägliche Informations- und Protestaktion der FR ist ermutigend und wichtig. Wo aber bleiben nach all den Wochen die Konsequenzen unserer Volksvertreter? Ist es nicht an der Zeit, auf „höherer“ – politischer – Ebene zu reagieren, zu handeln? Und geht es nicht auch darum, die unzähligen, unbekannten anderen Frauen vor einem ähnlichen Schicksal zu verschonen?“

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18 Kommentare zu “Wie Madonna in der Kirche

  1. mir wir nur himmelangst, wenn ich ständig, das wort „barbarich“ lese.
    dieser hass, der da draus spricht ist unerträglich. das feuerwerk der worthülsen schier unglaublich.

    insofern kann man marion dilki nur recht geben. all die „antibarbaren“ sollten doch mal aufschreien, wenn z.b. in den USA jemand mit der giftspritze hingerichtet wird. oder in japan usw.

    hierzu z.b. aus der tageschau.de:
    „Hinrichtung in den USA
    41-Jährige stirbt durch Giftspritze
    Erstmals seit fünf Jahren ist in den USA wieder eine Frau hingerichtet worden. Die 41-jährige Teresa Lewis starb in einem Gefängnis in Virginia durch eine Giftspritze. Bis zuletzt hatten Gegner der Todesstrafe versucht, die Vollstreckung zu verhindern. Das Urteil ist aus mehreren Gründen umstritten.“

    oder spiegel.de
    „Qualvoller Gifttod
    Horror-Hinrichtung in Florida
    …Hintergrund ist die schwere Panne bei der Hinrichtung des 55-jährigen Angel Nieves Diaz in der vergangenen Nacht. Er war erst nach qualvollen 34 Minuten gestorben. Normalerweise dauere es „wesentlich kürzer“, wurde der Gefängnisarzt zitiert….“

    wo sind da die barbarenschreier?

    so wurde in bayern die todesstrafe erst formal 1998 (!) durch einen volksentscheid abgeschafft,.
    durch einen volksentscheid! hat fa jemdand geschrieen, die damals seit über 50 jahren an der macht befiondliche CSU sei barbarisch, weil sie die todesstrafe nicht abschaffen will?

    wenn bundesrecht (GG) in dem fall nicht landesrechtr (verfassung des freit´staates bayern) gebrochen hätte, mag ich mir nicht ausmalen, was lautsprecher wie franz josef strauss („ratten und schmeissfliegen) alles hätten anrichten können.
    z.b. mit ihren unliebsamen wackersodrf-demonstranten.

    also entweder grundsätzlich gegen die todesstrfe protestieren oder es bleiben lassen.
    alles andere ist heuchelei.

  2. @ karsten neumann

    @ karsten neumann

    Recht haben Sie: die Todesstrafe ist in der ganzen Welt zu verurteilen, ganz gleich, mit welchen Mitteln sie ausgeführt wird!

    Diverse Menschenrechtsorganisationen kämpfen schon lange weltweit für ihre Abschaffung. Manchmal führen diese Proteste auch zum Erfolg, wie ein Beispiel aus Nigeria zeigt. Wenn Sie auch aktiv werden wollen, können Sie im Netz zahlreiche Organisationen finden, bei denen Sie sich engagieren können.

    Um der Welt die Grausamkeit dieser Strafe vor Augen zu führen, sind manchmal besonders grausame Beispiele sinnvoll. Deshalb ist der Vorwurf der Heuchelei gegenüber der jetzigen Protestaktion nur bedingt gerechtfertigt. Die Beispiele, die Sie aus den USA anführen sind mindestens so grausam wie der Fall Sakineh. Aber sollen wir deswegen jetzt schweigen?

  3. @ Karsten Neumann

    Ihre Argumentation kenne ich gut aus den Zeiten, als ich für amnesty international auf die Straße gegangen bin, um z.B. Unterschriften für die weltweite Ächtung der Folter und Todesstrafe gesammelt habe. Immer gibt es ein Thema, um das man sich angeblich vorrangiger hätte kümmern sollen und immer ist man mit Menschenrechtsaktivitäten „einseitig“. Meinen Sie, dass das Schweigen zum Todesurteil gegen Sakineh einen einzigen zum Tode Veurteilten in den USA vor der Giftspritze oder dem elektrischen Stuhl rettet?

    Für Sakineh ist der Protest aus dem Ausland die einzige Chance, der unmenschlichen Steinigung zu entgehen. Deshalb habe ich die Petition unterschrieben und hoffe, dass sich noch viele beteiligen. Für das Schweigen der Islam-Verbände in Deutschland habe ich kein Verständnis.

  4. Abraham, meine volle Zustimmung!
    Ich finde es sehr gut, dass sich die FR hier engagiert. Auch ich bin selbstverständlich grundsätzlich gegen die Todesstrafe, auch die Todesspritze lässt sich ethisch nicht rechtfertigen..
    Wer aber nicht erkennt, dass Steinigungen eine besonders grausame Form der Folter und der Frauenfeindlichkeit darstellen, ist nicht ganz bei Trost! Steinigungen richten sich fast ausschließlich gegen Frauen und werden von Männern durchgeführt. Dabei ist das Ziel, das Opfer möglichst lange den schlimmsten Qualen auszusetzen, weswegen kleine Steine verwendet werden, die nicht sofort töten.
    Es ist ein Armutszeugnis, dass die islamischen Verbände in Deutschland, nicht gegen diese Grausamkeit, die im Namen ihrer Religion praktiziert wird, Alarm schlagen. Es ist ja nicht so, dass die Verbände sich grundsätzlich aus allem raushalten. Jeder weiß, wie lauthals sie gegen „Menschenrechtsverletzungen“ protestieren können, wenn es z.B. darum geht, dass Frauen nicht erlaubt ist, ein Kopftuch im Schuldienst zu tragen. Daran kann man ablesen, wo die Islamverbände ihre Prioritäten in Frauenfragen setzen. Die Verbände müssen sich deswegen nicht wundern, wenn ihnen Frauenrechtlerinnen vorwerfen, sie würden Frauen als nicht gleichberechtigt gegenüber dem Mann anerkennen.

  5. @ abraham

    nein, das schweigen rettet keinen menschen. ich habe auch nicht von schweigen gesprochen.

    auffällig ist nur, dass sich hier leute mit den begriffen „barabarisch“ aus dem fenster lehnen, die das eben im falle der usa und vieler anderer todesstrafenländer niemals, nicht mal am stammtisch, tun würden.
    ich könnte mir sogar gut vorstellen, dass da ein abyern drunter ist, der beim volksentscheid 1998 gegen die abschaffung der todesstrafe in bayern gestimmt hat.
    das ist es worauf ich hinaus will.

    das ist jedenfalls meine empfindung, denn eine steinigung ist jedenfalls bestenfalls als archaisch zu verurteilen.
    barbarisch ist sie nur, wenn man im gleichen atemzug jede todesstrafe auch als solche verurteilt!

  6. @karsten neumann und @abraham:
    so sehr ich die Todesstrafe absolut(!) ablehne – ich empfinde es immer noch als Unterschied, ob sie für begangenen Mord oder für begangenen Ehebruch angewendet wird. Aber das ist natürlich (m)eine einseitige Sicht der Dinge.

  7. @Katja Wolf
    Der Mann, der gestanden hat, den Ehemann von Frau Aschtiani, ermordet zu haben, ist auf freiem Fuß.

  8. @karsten neumann
    Was soll der Quatsch mit Bayern und der Todesstrafe? Sie wissen doch, dass Bundesrecht Landesrecht bricht- das heißt dass der Artikel der bayrischen Landesverfassung, in dem stand, dass der Ministerpräsident das Recht habe, einen zum Tode Verurteilten zu begnadigen, natürlich unsinnig ist, weil die Todesstrafe auf Bundesebene abgeschafft wurde und es daher an Anwärtern für die Begnadigung mangelt. Daher können die bayern auch nichts ändern.

  9. @ maat #4

    „Auch ich bin selbstverständlich grundsätzlich gegen die Todesstrafe, auch die Todesspritze lässt sich ethisch nicht rechtfertigen..“

    Ob Ihre Ansicht so „selbstverständlich“ ist, wage ich zu bezweifeln. Ob es für die Tötung von Menschen (hier: die Todesstrafe) tatsächlich keine ethische Rechtfertigung geben kann, bezweifle ich ebenfalls.

    Genannt seien hier nur die Diskussionen zu Abtreibung, Organentnahme, polizeilicher Putativ-Notwehr, Abschießen von Flugzeugen, Beteiligung deutscher Soldaten an kriegerischen Handlungen usw..

    Selbst „überzeugte“ Christen haben mit ihrem 5. Gebot („Du sollst nicht töten“) so ihre Schwierigkeiten – sowohl aus der Praxis der katholischen Kirche über die Jahrhunderte als auch aus der moraltheologischen Theorie (z.B. Tyrannenmord). Dass Gott selbst seinen eigenen Sohn langsam und qualvoll in einer bestialischen Opferzeremonie hinrichten lässt, sei am Rande auch erwähnt.

    Gerade die Frage von Leben und Tod geht für mich viel zu sehr an den Wesenskern eines Menschen, als dass man sie mit einem einfachen Verweis auf einen Verfassungs- oder Menschenrechtsparagraphen und das Wörtchen „selbstverständlich“ abhandeln kann.

    Nur zur Klarstellung: nein, ich bin kein Befürworter der Todesstrafe. Und der Steinigung (siehe Mely Kiyaks Kolumne [1]) erst recht nicht.

    [1] http://www.fr-online.de/politik/meinung/liebe-sakineh-ashtiani-/-/1472602/4538136/-/index.html

  10. @ maat:
    Eben! Aus meiner Sicht müsste doch eher der Ehebrecher UND Möder als die Ehebrecherin betraft werden.

  11. @Schnippsel
    Sie vermischen da einiges, was nicht zusammengehört. Diese Diskussion hier über Todesstrafe hat überhaupt nichts mit der über Organentnahme oder Abtreibung zu tun, außer dass sie im weitesten Sinne mit dem Tod zusammenhängen. Natürlich bin ich „selbstverständlich“ gegen die Todesstrafe. Selbstverständlich, weil niemand- auch die Vertreter des Staates nicht- das Recht haben dürfen, zur Vergeltung einer Straftat einem Menschen das Leben zu nehmen, allein schon aus dem Grund, weil „Vergeltung“ in einem modernen Rechtsstaat nicht das oberste Prinzip der Justiz sein darf. Darüber hinaus können Irrtümer nicht rückgängig gemacht werden und schließlich ist die Todesstrafe ethisch bedenklich, da der Inhaftierte im Todestrakt über viele Jahre seelischen Qualen ausgesetzt wird und die Tötung selbst häufig mit körperlichen Qualen und einem Todeskampf verbunden ist.
    Während jedoch in Iran im oben genannten Fall die Folter intendiert ist, ist sie das in den USA nicht. Die Qualen, welche die Todeskandidaten während der Tötung in den USA erlitten, waren sozusagen „Unfälle“. Das ist für die betreffenden Opfer kein Trost, zeigt aber die Unterschiede in den Absichten zwischen Iran und den USA auf, die einige Mitblogger hier unterschlagen.

    Abschließend möchte ich bemerken, dass Mely Kiyak- trotz edler Motive- in ihrer Kolumne die Grenze zum Kitsch überschritten hat.

  12. Die Todesstrafe ist sozusagen nur ein „Sonderfall“ der Tötung eines Menschen. Insofern gehören die von mir angesprochenen Aspekte „selbstverständlich“ zusammen. Es geht nicht darum, dass sie im weitesten Sinne mit dem Tod zu tun haben, sondern dass sie mit Töten zu tun haben.

    Organe werden nicht Leichen entnommen (das wäre Leichenfledderei), sondern Lebenden, wozu man eigens die Definition des Hirntods erfunden hat. Der Staat maßt sich sogar an, dies in einem Transplantationsgesetz generell zu legalisieren, sofern man nicht explizit widerspricht.

    Es gibt genügend Menschen (vornehmlich Christen?) auf der Welt, die Abtreibung als Mord bezeichnen, also die Tötung eines Lebewesens durch Dritte, und zwar ohne Berücksichtigung der Umstände (z.B. Schwangerschaft als Vergewaltigungsfolge) oder der Folgen für Mutter oder Foetus (z.B. schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen).

    Die (gezielte) Erschießung eines Geiselnehmers wird von vielen Menschen ebenso akzeptiert wie die Tötungskommandos von Armeen oder das Aufhängen eines Diktators. Wieviele Menschenrechtsaktivisten haben denn gegen die Hinrichtung Saddam Husseins protestiert?

    Es scheint also sehr wohl Relativierungen des Tötungsverbots, wie es sich im Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ausdrückt, zu geben. Ethisches Verhalten ist nicht mit moralischem Rigorismus gleichzusetzen („Du sollst nicht töten!“), sondern ist eine vom Individuum zu gebende Antwort auf die Frage, wie in bestimmten Situationen gehandelt werden soll. Es ist die Anwendung von Normen, die beinhalten, dass unter bestimmten Bedingungen bestimmte Handlungen geboten, verboten oder erlaubt sind.

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei einer unmittelbaren existenziellen Bedrohung meiner Familie die Tötung des Angreifers – unabhängig von rechtlichen Aspekten – nicht doch als ethisch durchaus vertretbar beurteilen würde.

    Insofern, in diesem Sinne, ist das Akzeptieren des Tötungsverbots (hier: per Todesstrafe) nicht selbstverständlich, sondern eine ganz persönliche Gewissensentscheidung und eben mehr als nur die (unreflektierte) Übernahme staatlicher, juristischer oder religiöser Normen.

    Wenn man dem Individuum zugesteht, dass es unter bestimmten Bedingungen gegen das Tötungsverbot verstoßen dürfe, dann stellt sich aber auch die Frage, warum man dem Staat ein solches Verhalten nicht ebenfalls zugestehen will.

    Ich erinnere an die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, aber auch in der jüngsten Geschichte an so Leute wie Milosevic oder Mladic. Gerade die letzteren Fälle setzen ob ihrer Massenhaftigkeit und besonderen Grausamkeit mein Wertesystem einer harten Bewährungsprobe aus.

    Ob übrigens eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung „humaner“ ist, lasse ich dahingestellt.

    Zuletzt: ob es sich bei gerichtlich verhängten Strafen tatsächlich um „Vergeltung“ handelt, scheint mir zweifelhaft. Wenn ich als Vater für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine begründete Anordnung die angekündigte Sanktion dann auch tatsächlich verhänge, tue ich das doch nicht aus Vergeltung!?

  13. @ maat

    natülich weiss ich das bundesrecht landesrecht bricht, das habe ich auch geschrieben, aber warum hat man die todesstrafe dann in bayern das nicht auch gleich abgeschafft? spekulierte man vielleicht darauf, dass sich das bundesrecht irgendwann wieder ändert?

    ausserdem, ich betone es nochmals, mir gehen nur diejenigen auf den wecker, die jetzt die „barbarenkeule“ schwingen und sich sonst eher bedeckt halten, das passt in so billige undifferenzierte muster. aber die sind ja heutzutage offensichtlichg eh sehr beliebt.

  14. @ Schnipssel

    Was für Brei mischen Sie da zusammen? Die Ablehnung der Todesstrafe ist zu einem breit akzeptierten ethischen Standard der europäischen Gesellschaft (Leitkultur?) geworden, so dass maat sie zu Recht als „selbstverständlich“ (also in ihrem Selbstverständnis verankert) bezeichnet. Dass es Länder, Gesellschaften und Menschen gibt, die dieses Selbstverständnis noch nicht teilen, ist bedauerlich, schwächt aber die Güte der Argumente gegen die Todesstrafe nicht.

    @ Karsten Neumann
    Wenn man sich klar macht, dass es um Rettung einer Frau geht, die in einer religiösen Diktatur aller Rechte beraubt ist (auch ihr Anwalt wurde verhaftet), dann sind mir geschmäcklerische Diskussionen darüber, ob die Todesstrafe durch Steinigung „nur“ grausam oder „barbarisch“ ist, ziemlich egal.

  15. @ Schnipssel (Nachtrag)

    Schon in der rabbinischen Diskussion, die im Talmud festgehalten ist, wird die moralische Fragwürdigkeit der Todesstrafe – trotz ihrer Verankerung in der Tora – angedeutet und deshalb werden dort hohe Verfahrenshürden aufgestellt. Z.B. muss die Verhandlung mit einer Aussage zu Gunsten des Angeklagten eröffnet werden. Die Gerichtsverhandlung und die Verurteilung dürfen nicht am gleichen Tag stattfinden, damit die Richter die Beweiswürdigung „überschlafen“ können und nicht unter dem emotionalen Eindruck der Aussagen urteilen. Außerdem ist der Angeklagte freizusprechen, wenn ausnahmslos alle Richter für das Todesurteil stimmen, denn ein Gericht, in dem kein einziger Richter Bedenken hat, muss voreingenommen sein. Und selbst wenn all dies eingehalten wir: Ein Gericht, dass in 70 Jahren ein Todesurteil spricht, darf man als Mördergericht bezeichnen.

    Eine solche negative Einstellung zu den anderen „erlaubten“ Tötungen wie Selbstverteidigung oder Krieg (das Gebot lautet nämlich nicht „Du sollst nicht töten“ sondern „Du sollst nicht morden“) findet sich im Talmud nicht.

  16. @ Abraham #14

    „Die Ablehnung der Todesstrafe ist zu einem breit akzeptierten ethischen Standard der europäischen Gesellschaft (Leitkultur?) geworden, so dass maat sie zu Recht als „selbstverständlich“ (also in ihrem Selbstverständnis verankert) bezeichnet.

    Ist das nicht etwas blauäugig? Wenn man Umfragen auch nur ein wenig glauben kann, ist die breite Akzeptanz für die Abschaffung der Todesstrafe brüchig. In den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts gabe es eine breite Übereinstimmung bzgl. der Einführung der Todesstrafe für „Taximörder“ (naja: Taxifahrermörder). Heutzutage gibt es eine ziemlich breite Zustimmung zur Todesstrafe für Kinderschänder. Auf den Fall des Saddam Hussein hatte ich bereits hingewiesen. Oder auch Ceaucescu [1]. Oder der Prozess gegen Eichmann, den ich als Halbwüchsiger fassungslos und erschüttert im Fernsehen verfolgte, der mit der Hinrichtung Eichmanns durch den Strang endete.

    Wie Sie selbst im Leitkultur-Thread schreiben: „Die Grund- und Menschenrechte können nicht „aus sich selbst“ begründet werden. Sie sind das Ergebnis eines historischen Prozesses, mit all seinen Widersprüchen und Brüchen.“ Und genau das ist es, was ich meine. In maats (und meinem) Selbstverständnis ist die Ablehung der Todesstrafe – aus den unterschiedlichsten Gründen – verankert, sie ist deswegen aber noch lange nicht generell „selbstverständlich“ (und akzeptiert).

    Ihre Formulierung impliziert aber auch, eben durch die historische Bedingtheit, dass evtl. neue Menschenrechte dazukommen könnten (informationelle Selbstbestimmung? Schutz vor staatlicher Schnüffelei?) oder andere wegfallen könnten.

    Ich habe mich insofern geoutet, dass sich mir bei (fast) jedem neu auftretenden Fall die Frage der Todesstrafe erneut stellt. Ich hatte auf Milosevic und Mladic hingewiesen – ich könnte auch die Verantwortlichen und Ausführenden der Massaker in Ruanda usw. anführen – bei denen mir es ungeheur schwer fällt, deren Menschenwürde und ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit anzuerkennen. Zu einer sozusagen bedingungslosen Anerkenung ist es manchmal weit. So gesehen spiegeln sich die Widersprüche und Brüche, die zu Erklärung der Menschenrechte führten, in mir als Individuum wider.

    Ich hatte auch auf den Fall einer extremen persönlichen Betroffenheit verwiesen, in der ich vermutlich gegen eine ansonsten vorhandene Tötungshemmung handeln würde und dies auch noch als ethisch vertretbar ansähe.

    Katja Wolfs Einlassung, „ich empfinde es immer noch als Unterschied, ob sie [die Todesstrafe] für begangenen Mord oder für begangenen Ehebruch angewendet wird.“ entspricht ziemlich genau dem Diskussions-, Wissens- und Gefühlsstand in meinem Bekanntenkreis. Um es etwas flappsig zu sagen: Todestrafe für Eierdiebe, Ehebrecherinnen und Autobahnraser geht gar nicht, aber für Seriengewalttäter, Kinderschänder und besonders grausame Mehrfachmörder – darüber könnte man zumindest mal nachdenken.

    Manche sind in der Lage, um sich herum eine normative Mauer aufzubauen, um die Wallungen ihres limbischen Systems – also den Schrei nach Vergeltung – zu zügeln. Anderen gelingt das eventuell nicht.

    Wie schwer viele sich mit den Menschenrechten tun (sie also nicht „selbstverständlich“ sind), zeigte sich auch deutlich im Metzeler/Gäfgen/Daschner-Fall [2]. Gegen „ein bisschen Piesacken“ sei wohl nichts einzuwenden, wenn damit das Leben des entführten Jungen gerettet werden könnte. Dass Mullah Omar mit dem Waterboarding gefoltert wurde, erzeugte nach 9/11 oft nur deswegen Abscheu, weil diese Methode etwa 150 Mal angewendet wurde – und sich von daher als ineffektiv herausstellte.

    Dass ich auf Ihre theologischen Ausführungen nicht eingehen werde, kennen Sie ja schon. Ob die Übersetzung aus dem Alt-Aramäischen nun korrekt „töten“ oder „morden“ lautet, ist für mich persönlich völlig irrelevant.

    Verwundert bin ich jedoch immer wieder, dass gerade Christen, deren grundlegende religiöse Texte und deren jahrhundertelange religiöse Praxis von Blut nur so triefen, so vehement die Fahne der Menschenrechte schwenken.

    [1] http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2004-16/artikel-2004-16-wir-schossen-als-er-sagte-die-geschichte-wird-mich-raechen.html
    [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Daschner-Prozess

  17. Tja, unterschiedliche Kulturen haben eben unterschiedliche Angewohnheiten, ihre Angehörigen unter bestimmten Bedingungen vom Leben zum Tode zu befördern. Eine Meinung zu jedem Einzelfall kann man ja haben, aber darf man die „den Anderen“ aufdrängen, nach dem Motto, macht es, wie wir euch sagen?

    Ein Beispiel: Ein isoliert lebender Indianerstamm im Amazonasgebiet hat die kulturelle Angewohnheit, Neugeborene zu töten, wenn a) sie eine Behinderung (körperlich oder geistig) aufweisen, oder b) wenn der Vater vom Kind nichts wissen will („Ist nicht meins“). Man entledigt sich des Problems auf einfache Weise: Das Kind wird lebendig begraben. Ihm den Hals umzudrehen, ein Messer ins Herz zu stechen o.ä. wäre da weit weniger unkompliziert.

    Nun, der brasilianische Staat hat vor kurzem eine eigene Meinung dazu gefunden und mischte sich ein… die Babies können jetzt in einer Art Waisenhaus abgegeben werden. Alle sind glücklich, auch die Mutter, die das Team des auslandsjournals als zu filmenden Fall abgepasst hatte, strahlte übers ganze Gesicht, als sie ohne Kind wieder in ihr fernes Dorf zurückflog.

    Andere Länder, andere Sitten.

    Im Iran hingegen wird eine solche Lösung, die alle glücklich macht, allenfalls im Einzelfall Aschtiani (ich hoffe es sehr), aber nicht generell in Fragen der Todestrafe bei Ehebruch zu finden sein.

    Die Todesstrafe geht jedenfalls immer auch über die reine „Strafe“ hinaus, über bloße Rachegedanken; sie soll wohl in besonderem Maße Abschreckung erzeugen. Das ist im Iran so wie auch in den USA.

    Abschreckung bezieht sich immer auch auf bestimmtes Handeln, es soll ja der Mensch abgeschreckt werden, so und so zu handeln. Was genau „so“ heißt, ist ja jeweils genau definiert. Nehmen wir den Fall der USA, wo das abzuschreckende Handeln offensichtlich die besonders grausame (kaltblütige, d.h. affektlose) Tötung anderer Menschen ist.

    Dabei gibt es ein Dilemma. Die Wirkung der Abschreckung kann nicht berechnet oder gemessen werden. Es kann ja niemand sagen:

    Weil der brutale Mörder X. hingerichtet wurde, zeigten sich A. sowie B. und auch C. so beeindruckt, daß sie die jeweils 3 Morde, die sie ohne diesen Eindruck, ohne die Abschreckung begangen hätten, dann nicht begangen haben. Könnte man das so feststellen, dann wäre ja die Rechnung ganz einfach: Durch den Tod eines Menschen, des X., der obendrein ein Mörder war, wurde das Leben von drei anderen unschuldigen Menschen gerettet sowie von drei weiteren Mördern (an denen die Todesstrafe ja nicht vollzogen werden musste, weil die Abschreckung sie von ihren Taten abhielt). Ein Leben gegen sechs Leben.

    Leider kann man die Abschreckung so schön quantitativ aber nicht messen oder beweisen. Umgekehrt kann man aber auch nicht berechtigt sagen, daß die Todesstrafe überhaupt keine Abschreckung bei potentiellen Tätern hervorruft. Eine solche Behauptung widerspricht dem auf Strafe/Belohnung, genauer Luststreben/Unlustvermeidung basierenden Triebsystem des Menschen, das die selbstreflexive Steuerung allein nur unvollständig beherrscht. Definitiv kann man auch davon ausgehen, daß eine gesetzlich vorhandene Todesstrafe, die aber nie vollstreckt wird, in ihrer abschreckenden Wirkung mit der Zeit nachlässt. Die Abschreckung braucht die gelegentliche Vollstreckung.

    Bleibt also zu klären, ob eine mit der Todesstrafe vergleichbare Abschreckung z.B. durch langjährige oder lebenslange Haftstrafen erreicht werden kann. Wer diese Frage mithilfe von Introspektion klären will, neigt dazu, die Todesstrafe für abschreckungswirksamer zu halten (wenn er nicht gerade von Selbstmordgedanken geplagt ist). Ob dieser Abschreckungsvorteil dann auch in der Realität besteht, in dem Moment, wenn Menschen kaltblütige Morde planen und durchführen, ist aber die Frage. Leider aber eine wohl ebenfalls nicht definitiv beantwortbare.

    Im Iran ist der Fall anders gelagert. Das Verhalten, vor dem abgeschreckt werden soll, ist in diesem Fall Ehebruch. Hier würde also die unberechenbare Rechnung wie genau aussehen? Der gewaltsame Tod eines Menschen ist gerechtfertigt, wenn er 10 Ehebrüche verhindert? 100 Ehebrüche? 10.000 Ehebrüche? Die Frage zu beantworten ist unmöglich, aber man müsste sie erstmal richtig stellen können: Was ist der „Negativwert“ eines Ehebruchs, sodaß er überhaupt erstmal mit irgendeinem Multiplikator auch nur in die Nähe des Negativwertes eines gewaltsam genommenen Menschenlebens kommen kann? Es ist klar, daß hier sexuell lockere westlich orientierte areligiöse Menschen zu einem anderen Ergebnis kommen müssen (Nämlich in der Regel: Wenn EIN heute vollstrecktes Todesurteil durch seine Abschreckungswirkung den künftigen Ehebruch ALLER iranischen Frauen verhindern würde… selbst dann wäre diese Todesstrafe nicht zu rechtfertigen), als Anhänger einer völlig verklemmten Sexualmoral mit strengreligiösem Hintergrund, die den Ehebruch als eklatanten Verstoß gegen direkte Befehle Gottes auffassen. Ein Verstoß gegen die Gesetze des Schöpfers der Welt… was „Schlimmeres“ kanns doch eigentlich gar nicht geben, oder? Das ist wohl der Denk-Hintergrund im Iran (bzw. im archaischen Islam überhaupt), daß gerade auf einem Gebiet, wo die reflexive Steuerung des Menschen besonders anfällig ist („Der Wille ist stark, aber das Fleisch ist schwach“), dem Bösen nur mit besonders hoher Abschreckung beizukommen ist. Für wie potentiell bösartig in bestimmten Gesellschaften die weibliche sexuelle Lust gehalten wird, zeigt ja schon die verbreitete Praxis der Genitalverstümmelung.

    Noch ein Wort zum „Barbarischen“:

    Wenn es bei der Todesstrafe um Abschreckung geht, dann wäre es vernünftig, die zu maximieren. Wenn schon ein Leben genommen wird, für eine bestimmte Abschreckungswirkung, dann sollte diese Wirkung auch möglichst groß sein. Wer also vom Abschreckungsgedanken her die Todesstrafe befürwortet, was viele US-Amerikaner z.B. tun, müsste also eigentlich auch befürworten, die Hinrichtung möglichst barbarisch, mit möglichst viel Schmerz und Leid zu vollziehen (plus unbedingter TV-Liveübertragung in jedes Wohnzimmer). Der Wert des Lebens, das dem Menschen genommen wird, ist so groß, daß der „zusätzliche“ Wert, „human“ zu sterben statt 10 oder 20 Minuten lang große Schmerzen erdulden zu müssen, daneben verschwindend gering ist. Durch besonders barbarischen Vollzug wird die Abschreckungswirkung jedoch wohl vervielfacht, und damit der Sinn dieses Todes. Ich vermute, daß altertümliche Strafmethoden wie die „Steinigung bis zum Tode“ in der islamischen Welt (aber auch mittelalterliche Vierteilung in Europa o.ä.), die ja gerade nicht darauf abzielen, den Tod möglichst „human“ herbeizuführen, sondern besonders grausam, und natürlich unbedingt auch öffentlich, diesen Gedankenhintergrund der zusätzlichen Abschreckungsmaximierung hatten (und haben). Das nur an jene, die nicht in der Lage sind, als Motivation für besonders grausame Handlungen in archaisch tradierten Strafsystemen irgend etwas anderes für möglich zu halten als einen bloßen krankhaften Sadismus.

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