Müssen wir den Euro retten?

Gastbeitrag von Professor Wilhelm Hankel

Warum gehen wir davon aus, dass die EU in ihrer heutigen Form und die Euro-Währung in ihrem heutigen Umfang und mit ihrer gegenwärtigen Mitgliederzahl unveränderliche Größen, ja sogar Werte an sich seien: heilige Kühe, die man weder schlachten noch von der Wiese nehmen darf, wenn sie dort Schaden anrichten? EU wie Währungsunion sind jedoch Zweckeinrichtungen, die man immer wieder auf Kosten und Nutzen überprüfen muss, besonders dann wenn die Kosten überhandnehmen. Genau das ist beim Euro der Fall und war auch vorauszusehen. Doch jetzt lernen unsere Politiker, was sie lange Zeit verdrängt haben: Gegen ökonomische Gesetze lässt sich nicht regieren.  In der jetzigen Krise wird klar

Erstens dass die “Sachzwangtheorie”: Europa wächst über die Währung zusammen, immer ein Irrtum und zudem gefährliches Spiel mit dem Feuer des nationalen Egoismus war und eben nicht die Solidarität unter den europäischen Völkern gefördert hat. Statt sich an die vereinbarten gemeinsamen Spielregeln zu halten (Stabi-Pakt, Vermeidung unverhältnismäßiger Budgetdefizite), missbrauchten einzelne Mitglieder der Währungsfamilie (keineswegs Griechenland allein) den Euro als Blankoscheck, um sich mit seiner Hilfe übermäßig zu verschulden. Der mit der neuen Währung verbundene niedrige Zins und die nicht mehr bestehende Gefahr der Währungsabwertung als Strafe für das Über-die-Verhältnisse-Leben verführte sie dazu.

Zweitens, dass die gegenwärtige Finanzkrise als Folge der fortschreitenden Überschuldung – als solche ein klares Indiz für Divergenz (also Desintegration) statt der erstrebten Konvergenz (oder Integration) der beteiligten Volkswirtschaften – früher oder später ausbrechen musste. Die Finanzmärkte (und ihre “bösen Spekulanten”) haben sie nicht ausgelöst, sondern angezeigt: Erstaunlich ist nur, dass sie solange gebraucht haben, den drohenden Bankrott dieser Staaten zu erkennen.
Die Krise ist also nicht vom Himmel gefallen, und die EU-Organe (Kommission wie EZB), die sie aufgrund ihrer eigenen Statistiken (Zahlen der Leistungsbilanz) als erste hätten registrieren konnn, haben statt einzuschreiten gewartet bis sie ausbrach.

Drittens: Doch jetzt, seit wir die Krise haben, sieht man deutlich, was sie die Euroländer kostet. Die Schuldenländer verlieren ihre Demokratie, ihr freiheitliches Sekbstbestimmungsrecht und große Teile ihrer Grund-, Menschen- und Sozial-rechte. Damit sie die mit der Hilfe verbundenen Auflagen erfüllen, werden sie unter das Kuratel von Fronvogten der EU und des IWF gestellt. Sie (nicht mehr die Parlamente!) bestimmen über die innere Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Und was für eine! Sie stürzt jetzt Griechenland in eine noch schwerere Krise als vorher. Und außerdem verwandelt sie die dem Land gewährten rückzahlbaren Kredite in verlorene Zuschüsse. Einem armen Land kann man so wenig wie einem nackten Mann in die Tasche greifen.

Die Hilfe gewährenden Länder (Deutschland zahlt am meisten) leisten Zahlungen, die

a) sinnlos, ja unverantwortlich sind, weil dieses Geld nicht den Menschen zugute kommt, sondern den geldgebenden Banken und Fi-nanzinstituten,
b)die Schuldenlast in den geldgebenden Staaten weiter erhöht und damit zu einer akuten Gefahr für die weitere Finanzierbarkeit der eigenen Haushalte und Sozialsysteme wird und
c) die geamte Euro-Zone in eine Dauerkrise à la 1930er Jahre stürzt, weil nun alle Euroländer zum Sparen gezwungen werden, und das in einer Situation, in der nur ein Weg Europa aus der Krise herausführen würde: wenn alle mehr investieren statt sparen würden!

Fazit: Der Euro verstärkt die Krise, statt sie zu bekämpfen, die Griechenland-Hilfe schadet dem Land, statt ihm zu helfen, und ruiniert zudem die Helfer; erst recht wenn weitere Griechenlands dazukommen.
Und die Rettung aus diesem Dilemma? Das katastrophale Krisenmanagement von EU und EZB gehört auf den Prüfstand und muss von Grund auf geändert werden. Es geht nicht um nutz- und sinnlose Kredite an vom Staatsbankrott bedrohte Euroländer,(Griechenland ist nicht das einzige), vulgo um eine kaum bezahlbare Konkursverschleppung. Im Privatrecht wäre sie strafbar. Im Recht der Staaten bedeutet sie Ent-Schuldung, und zwar zu Lasten jener Banken, die das Übel der krisenhaften Verschuldung finanziert haben. Warum fragt eigentlich niemand, wer die famosen “Rettungspläne”, wie sich Banken auf Kosten der Steuerzahler in den generösen Helferstaaten gesundstoßen, erfunden hat? War es die EU, waren es Staatskanzleien und Finanzminister oder womöglich die zu rettenden Banken selber

Auf die schlimmste und noch längst nicht ausgestandene aller Krisen setzen nun die Europäer ihre eigene, hausgemachte mit dem Euro drauf! Ausgerechnet mit jener Währung, die uns doch von den „bösen“ Amis und ihren Machenschaften schützen sollte. War das nicht der Slogan aller Euro-Freunde von der ersten Stunde an? Jetzt haben wir nicht eine Finanzkrise, sondern zwei: die globale der Banken und die innereuropäische der Club-Med-Staaten, die den Euro als Blankoscheck für ihr „Über- die-Verhältnisse-Leben“ missbraucht haben. Und wieder geht es (diesmal vor der Haustür) darum, Banken, die das Desaster ausgelöst haben, mit dem Geld des Steuerzahlers auszulösen – als ob es für dieses keine angemessenere Verwendung gäbe.

Es geht darum, den überschuldeten Ländern die Chance zur Selbsthilfe zu geben: Das verlangt ihren Austritt aus der Euro-Zone, der auf frewilliger Basis jederzeit möglich ist. Und es geht darum, den Bürgern der Euro-Zone ihren Euro als wertstabiles Geld zu erhalten, was nur in einer verschlankten Euro-Zone möglich und realistisch ist. Und es geht last but not least darum, unser eigenes Sozialsystem vor dem Kollaps zu bewahren.

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Anmerkung von Bronski: Diesen Beitrag habe ich dem Blog-Streitgespräch von Professor Hankel mit unserem Robert von Heusinger entnommen. Ursprünglich war geplant, das Streitgespräch auch in der Print-FR auf der Bronski-Seite zu veröffentlichen, aber das hat sich aus verschiedenen Gründen als unmöglich erwiesen, auf die jede/-r selbst kommen wird, wenn er/sie das Streitgespräch nachliest. Als Dankeschön an Professor Hankel veröffentliche ich hier seine wesentlichen Thesen daher noch einmal, so wie in der morgigen Ausgabe auch im Print; schließlich ist es bisher keineswegs selbstverständlich, dass ein Prominenter wie er zu einem Blogtalk bereit ist. Im Rahmen des Streitgesprächs kamen noch viele weitere Argumente – und natürlich auch Gegenargumente – zum Zug, die auf der oben verlinkten Seite nachgelesen werden können. Ich habe hier darauf verzichtet, sie noch einmal wiederzugeben.

Es gab zu dem Blogtalk eine Paralleldiskussion, aus der Sie sich bei Bedarf ebenfalls mit Argumenten bedienen können. Es ist ganz einfach, auch einzelne Kommentare zu verlinken und so in eine neue Diskussion einzubeziehen. Klicken Sie dazu einfach auf das Zeichen # und kopieren den Link dann aus der Adresszeile Ihres Browsers in Ihren neuen Kommentar.

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26 Kommentare zu “Müssen wir den Euro retten?

  1. [Ballast über Bord…] (i) Was & wie viel — Grund- & Vorsätze — kann & darf zur Disposition stehen, wenn die ursprüngliche Rechnung nicht aufgeht?! War denn die „Eurosterweiterung“ — neues Wort, Europäische Osterweiterung — so ein großer Fehler, den niemand hätte voraussehen können? Warum kann die Wissenschaft eine Welt-Wirtschafts- & -Finanz-Katastrophe nicht voraussehen und keine Lösungen zur Abwendung bieten?! 🙁 Bräuchten wir eine Zauberkugel, um zu verstehen, was mit den Beitritts-Ländern & -Gesellschaften nach einem von manchen anvisierten Abstoßen geschehen wird?! 😉

    (ii) In der Parallelwelt der Paralleldiskussion zum Blog-Streitgespräch [www frblog.de/hankel/] hat Max Wedell ein paar beachtenswerte Überlegungen angeführt, siehe Kommentar #3, comment-26648, vom 26.05.2010 11:36. Da habe ich still beobachtet, ob die Gäste etwas dazu sagen. Zitat aus comment-26648:
    {{ Die Hilfestellung Deutschlands und anderer sehe ich als Länderfinanzausgleich auf europäischer Ebene, d.h. sie wird, wie der LFA zur Dauereinrichtung werden müssen. }}

    (iii) (1) Blog-Verfahren: Hat Herr Prof. Hankel die von Herrn Bronski, Blogmaster, getroffene Text-Auswahl — hier [www frblog.de/hankel-2/] und Morgen 19.06.2010 in der Print-FR — authorisiert, wurde sie also abgesprochen?
    (2) Montag den 14.06.2010, von mir gesehen um 15:33:03, ist das FR-Blog erneuert worden, die hiesige URL [www frblog.de/hankel-2/] war vorher die URL der Paralleldiskussion, letzterer wurde nun die neue URL [www frblog.de/hankel-3/] zugewiesen. Ist das so richtig (gewollt)? Wäre „../hankel-3/“ nicht geeigneter für die o.g. Text-Auswahl gewesen? (Die alten Permalinks an „../hankel-2/“ funktionieren jetzt freilich nicht mehr 🙁 ; u.U. müßte eine FR-Weiterleitung her.)

  2. @ Paul Ney, bei allem Respekt, ich bin nicht gegen die Angabe von Belegstellen. Aber sie machen Ihre Beiträge schwer lesbar. Für mich verliert sich der rote Faden Ihrer Fragen und Ihres Anliegens. Wäre schön, wenn Sie die Belegstellen als Fußnoten anhängen.

  3. @ Paul Ney

    Ich bin mit Ihrem Kommentar ein wenig unglücklich. Glauben Sie wirklich, ich würde hier einen Text von Herrn Hankel veröffentlichen, ohne von ihm das „Go“ zu haben? Was soll diese Frage?

    Zu (iii 2) Richtig, das war ungeschickt. Leider hatte ich erst nach Weggabe der Printseite erinnert, dass die URL hankel-2 bereits vergeben war. Nun stand sie aber bereits im Print als Adresse dieses Threads, also muss dieser Thread nun auch so heißen.

  4. Wir kommen jedenfalls allein mit den Rezepten von Keynes & Co. nicht weiter (von Heusinger scheint ja auch ein Anhänger zu sein). Sie sind genauso „von gestern“ wie die untauglichen von Hayek, Friedman & Co. Es hilft nur noch, sich endlich durch einen Paradigmenwechsel auch beim Geld dem des „fließenden Geldes“ zuzuwenden, also endlich Guthabenzins und -Zinzeszins adieu zu sagen, und damit zu vermeiden, daß noch mehr Staaten zum Spielball der gigantischen, vagabundierenden globalen Vermögen werden. Die Methoden von Keynes führen durch die Unterwerfung durch den Finanzsektor genauso zum Kollaps wie die von Hayek & Co.

    Mich würde interessieren, wie Prof. Hankel dies sieht und inwieweit er sich mit den Thesen von Mario Gesell beschäftigt bzw. auseinandergesetzt hat.

  5. Danke, Herr Dehnerle, für die Korrektur. Da sind mir wohl die Vornamen durcheinander geraten. Ich meinte natürlich den 1862 geborenen und 1930 verstorbenen Begründer der sogenannten „Freiwirtschaftslehre“ Johann Silvio Gesell.
    Seine Lehre wurde übrigens auch von John Maynard Keynes geschätzt.

  6. Ich denke Herr Hankel macht einen Denkfehler. Wenn der Euro abgeschafft werden würde und alle Regierungen wieder eigene Währungen einsetzen würden dann wäre gegen diese kleineren Landeswährungen sehr leicht zu spekulieren. Sie wären der Wettlust der Spekulanten geradezu ausgeliefert. So ist es Ungarn und Dänemark vor einer Weile geschehen. Herr Hankel übersieht dass es inzwishen eine bedrohliche Entwicklung gibt. Das viele Geld das in atemberaubenden Tempo um den Globus herunmgereicht wird sucht sich seine Anlagemöglichkeiten selbst. Oben schreibt Herr Hankel: „Die Finanzmärkte (und ihre “bösen Spekulanten”) haben sie nicht ausgelöst, sondern angezeigt.“ Sie, also die Krise. Ich glaube das stimmt vielleicht nur zum Teil. Sie haben sie mit ihrer Wettlust auch mit ausgelöst.

  7. Hallo Herr Fladung,

    woher kennen Sie die Thesen von Silvio Gsell?
    Haben Sie auch von Helmut Creutz das Buch „Das Geld-Syndrom“ gelesen?
    Ich habe es vor ca. 15 Jahren verschlungen und fand die Analyse hervorragend.
    Aber schon damals hatte ich den Verdacht, dass das System des „Negativ-Zinses“ nur in kleinen geschlossenen Einheiten funktionieren kann (Zinsflucht statt Steuerflucht).

  8. Hankel sieht richtig die jetzige „Finanzkrise als Folge der fortschreitenden Überschuldung“ nicht nur Griechenlands. Es stimmt auch, dass „die Finanzmärkte (und ihre ‚bösen Spekulanten‘) sie nicht ausgelöst, sondern angezeigt“ haben. Auch seine Kritik an dem „katastrophalen Krisenmanagement von EU und EZB“ teile ich. Falsch ist allerdings, dass diese Vertrauenskrise in die Zahlungsfähigkeit der EU-Staaten durch den Euro verursacht wurde.

    Erstens: Die gewünschte Konvergenz der beteiligten Volkswirtschaften bringt zwar der Euro nicht automatisch (dazu ist dringend eine gemeinschaftliche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nötig), aber eine Abschaffung des Euros würde die Divergenzen keineswegs verringern. Die (im Euro-Raum fehlende) Veränderung der Währungsrelation ist außerdem nicht der einzige Faktor, durch den unterschiedliche Entwicklungen der nationalen Volkswirtschaften „ausgeglichen“ werden. So ist z.B. die Kaufkraft des Euro regional (auch innerhalb der Nationalstaaten) unterschiedlich und kann sich durch unterschiedliche Inflationsraten verändern.

    Zweitens: Der Euro hat möglicherweise Staaten wie Griechenland die Aufnahme von Schulden erleichtert, weil für europäische Geldgeber das Währungsrisiko entfallen ist. Er war aber keineswegs ein „Blankoscheck, um sich mit seiner Hilfe übermäßig zu verschulden“. Die Akzeptanz von Staatsanleihen ist weiterhin von der Bonität der einzelnen Länder abhängig, die auch das Zinsniveau der Anleihen bestimmt. Die „Gefahr der Währungsabwertung als Strafe für das Über-die-Verhältnisse-Leben“ hat zwar der Euro beseitigt, die Strafe der steigenden Zinsen für die Staatsanleihen überschuldeter Länder funktioniert aber weiter, sonst hätten wir die jetzige Krise nicht.

    Drittens: Die den Schuldenländern aufgezwungenen Sparprogramme haben schlimme Folgen für deren Wirtschaft und Gesellschaft und es droht die Gefahr, dass aus der Schuldenkrise eine Wirtschaftskrise wird. Doch das von Hankel empfohlene „freiwillige“ Ausscheiden der überschuldeten Länder aus der Euro-Zone würde zu mindestens genau so schlimmen Folgen führen.
    a) Die wiedereingeführten nationalen Währungen wären noch stärker als der Euro den Währungsspekulanten ausgeliefert (wie Markus Dehnerle unter # 9 richtig festgestellt hat).
    b) Durch Abwertung der Währung könnten sich die überschuldeten Länden zwar eines Teils ihrer Auslandsschulden entledigen, würden aber dadurch die Kreditwürdigkeit gänzlich verlieren. Gleichzeitig bliebe das Haushaltsdefizit bestehen, so dass die Sparprogramme noch verschärft werden müssten – mit entsprechenden sozialen Folgen. Die Alternative, das Anwerfen der Geldpresse, würde zu einer Superinflation und dadurch ebenfalls zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führen. Am Ende stünde dann trotzdem der Staatsbankrot – Argentinien lässt grüßen.
    c) Bei Staatsbankrot (aber auch bei einer Währungsabwertung) müssten dann die Kreditgeber die von ihnen erworbenen Staatsanleihen teilweise oder ganz abschreiben. Dies sind weniger die großen Geschäftsbanken (die Deutsche Bank hat kürzlich bekannt gegeben, wie wenige „gefährdete“ Staatsanleihen sie besitzt), die weit besseren Geschäfte im Investmentbanking machen. Die Hauptbetroffenen wären die „risikoscheuen“ Anleger wie Versicherungen, Rentenfonds oder auch Gewerkschaften sowie Privatpersonen. Diese sind nicht die Schuldigen der Krise, auch wenn Hankel dies demagogisch behauptet („Banken, die das Desaster ausgelöst haben“). Ihnen kann man höchsten vorwerfen, bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit nicht misstrauischer als die EU-Behörden oder die Ratingagenturen gewesen zu sein. Es wäre keineswegs sozialer, die Kreditkrise einseitig zu Lasten des deutschen (und europäischen) Mittelstandes lösen zu wollen.
    d) Doch auch wenn man die sozialen Folgen für die beim Staatsbankrot geprellten Kreditgeber außer acht lässt, wären die Folgen für das Finanzsystem verheerend. Die notwendigen Abschreibungen der Versicherungen und der Fondsgesellschaften der Banken würden den nach der Finanzkrise von 2008 (an der tatsächlich die Gier der Banken und das Versagen der Finanzaufsicht schuld waren) noch labilen Interbanken-Kredithandel vermutlich wieder zum erliegen bringen. Wären die dann erneut nötigen Finanzspritzen für die Banken eine geringere Verschwendung der Steuermittel als die Bürgschaftszusagen des Rettungspakets?

    Fazit: Europa kann sich den Staatsbankrot eines EU-Landes auch aus Eigeninteresse nicht leisten. An finanziellen Hilfen der „Solidargemeinschaft“ führt kein Weg vorbei, egal ob es sich um ein Euro-Land wie Griechenland oder um ein „Fremdwährungsland“ wie Ungarn handelt. Dass daraus kein Fass ohne Boden wird, dafür muss eine vernünftige Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einschließlich einer ausgewogenen Sparpolitik zum Abbau der Staatsdefizite sorgen (die auch Steuererhöhungen für höhere Einkommen einschließen muss). Der Glaube an die Steuerung der Einzelwährungen, den Hankel zelebriert, bringt uns nicht weiter.

  9. Die fixe Idee der gemeinsamen Währung wird in ihrer Fehlerhaftigkeit nur noch übertroffen von der Idee, eine „gemeinschaftliche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik“ würde viele Probleme, insbesondere die wirtschaftlichen Ungleichheiten beseitigen. Das Gegenteil wäre der Fall. Ich habe aus nächster Nähe die Anstrengungen eines deutschen Automobilherstellers beim Aufbau eines neuen Werks in Rußland verfolgen können. Hätte Rußland die gleiche Sozialpolitik wie Deutschland, vergleichbare Löhne, würde aufgrund schlechter Infrastruktur und niedriger Arbeiterqualifikation niemand auf die Idee kommen, dort zu investieren, das Land bliebe weitgehend unentwickelt, eine „gemeinschaftliche Sozialpolitik“ würde also am Ende die wirtschaftliche Ungleichheit vertiefen, nicht nur dort, sondern in vielen Ländern des Ostblocks.

    Ebenso wie individuelle Währungen die Verhältnisse ausgleichen, gleichen länderindividuelle Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitiken die historischen und nicht mit einem Fingerschnippen zu beseitigenden teils drastischen Unterschiede in Infrastruktur, Bildungsniveaus der Bevölkerungen usw. aus. Eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik von einer Zentrale her den Ländern zu verordnen ist, wie die gemeinsame Währung, in meinen Augen ein Irrweg, und zwar aus ähnlichen Gründen.

    Um es anhand einer Metapher deutlich zu machen: Man hilft den Kranken im Land nicht damit, daß man alle Rezepte vereinheitlicht, sodaß jeder das gleiche Medikament erhält.

  10. @ # 12 Max Wedell

    Eine gemeinschaftliche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik bedeutet keineswegs, dass in jedem EU-Land exakt die gleichen Regelungen gelten müssten. Notwendig sind allerdings die gleichen Rahmenbedingungen, wie wir sie in der EU zum Beispiel in der Energie- und Umweltpolitik haben. Zu solchen Rahmenbedingungen gehört z.B. die Festlegung und Überwachung von Verschuldungsgrenzen.

    Um bei Ihrer Metapher zu bleiben: Einheitliche Rezepte und gleiche Medikamente für alle Kranken sind Unsinn, aber genauso wenig wäre sinnvoll, in einem Land Medikamente zuzulassen, die in den anderen Ländern wegen schwerwiegender Nebenwirkungen verboten wurden.

  11. Ich halte freie Wechselkurse heutzutage für schädlich, jedenfalls bis die Eskapaden der Finanzjongleure beendet sind. Und ich stimme Robert von Heusinger zu, dass wir eine Wirtschaftsregierung brauchen so wie Sarkozy und Merkel das ja nun anzustoßen scheionen, oder?

    In der EU könnte das nach dem Muster des deutschen Länderfinanzauisgleichs genauso gut fuktionieren wie es in Deutschland funktioniert. Davon haben am ende dann alle was

  12. @ # 12 Max Wedell

    Die Fortsetzung Ihrer Methapher möchte ich korrigieren: Unsinnig ist auch, für die gleichen Erkrankungen in jedem Land Medikamente mit unterschiedlichen Dosierungen zu verschreiben.

  13. @ Abraham,

    ich kann Ihnen leider immer noch nur sehr bedingt zustimmen. Es mag sicher Rahmenbedingungen geben, die wirklich einheitlich sein müssen. Bekämpfung von Korruption, Achtung der Menschenrechte von Beschäftigten, Richtlinien zum Naturschutz usw. Aber schon bei der Festlegung von Verschuldungsgrenzen kann man sich fragen, wieso Länder, die über eine leistungsfähige Wirtschaft, verbreitet Industrien in zukunftsträchtigen Wachstumsbereichen verfügen, die gleichen Verschuldungsgrenzen haben sollen wie ein Agrarland z.B. Im privaten Bereich ist es ja auch so, daß die Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern unterschiedlich ist und sich Kreditmengen an den persönlichen Möglichkeiten des Schuldenabbaus orientieren. Die Möglichkeiten der Steuereinkommen sind auch in den Ländern verschieden. Die Maastrichtkriterien sind in dieser Hinsicht nicht deswegen für alle gleich, weil das Sinn macht, sondern weil es irgendwie demokratisch scheint und anderes nicht durchsetzbar gewesen wäre.

  14. @ Max Wedell
    Auch ich halte die Maastricht-Kriterien für keine kluge gemeinschaftliche Politik. Spätestens mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 hätten individuelle „Stabilitätspläne“ für einzelne Länder vereinbart werden müssen, statt die Überschuldung achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen und pro Forma und folgenlos Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

    Wie eine gemeinschaftliche europäische Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aussehen sollte, ist aber hier nicht das Thema, dazu wäre eine Grundsatzdiskussion nötig. Auch eine gründliche Debatte über den Sinn und Unsinn der Europäischen Union oder des Euro würde den Rahmen sprengen.

    In diesem Thread lautet die Frage, ob ein Ausstieg aus dem Euro einen sinnvollen Beitrag zur Lösung der Krise leisten könnte. Hierzu habe ich eine Reihe von Gegenargumenten zu Hankels Beitrag formuliert. Ich wäre daran interessiert, wenn Sie auf diese Argumente inhaltlich eingehen würden, statt sich nur einen Nebensatz herauszupicken.

  15. Man sollte besser fragen „Wer muss den Euro retten?“.

    Der Kernsatz jeder Wirtschaftstheorie ist nämlich der:

    „Es kommt nicht darauf an, womit ,
    sondern darauf, dass man seine Schulden begleicht“.

  16. @ zu Abraham
    Aus der laufenden Diskussion ist keine Begründung zu erkennen, warum man den Euro aufgeben sollte. Das schließst aber nicht aus das der Euro durch völlig unrationales Verhalten scheitert. Ich denke BvG hat es mit seinem kurzen aber treffenden Beitrag auf den Punkt gebracht. Ich möchte auf den Link den ich in Beitrag 4 eingestellt habe verweisen. Wenn es stimmt das Geld nur über Kredite erzeugt wird, dann müssen diese Keditnehmer auch die Schulden bezahlen. Diese Leute wollen mit ihren Krediten eine höhere Wertschöpfung erzielen als der Wert des Kredites ist, wenn sie das erreichen, können sie doch nicht ernsthaft erwarten, das die arbeitende Bevölkerung, die auch aus diesen Krediten bezahlt wird, und zur Wertschöpfung beiträgt, mit ihren Steuern die Schulden bezahlen.

  17. @ hans
    Es würde mein „Zeitbudget“ und den hier verfügbaren Raum sprengen, den von Ihnen in # 4 verlinkten Beitrag im Detail zu diskutieren. Für die Überschuldung der Staaten erscheint mir weniger die Verzinsung (die derzeit ein historisches Tief erreicht hat) verantwortlich zu sein. Die Zinsen für Staatsanleihen haben sich keineswegs vom Wachstum der Realwirtschaft abgekoppelt. Die Staatsschulden müssen auch nicht explodieren, ausgeglichene Haushalte sind durchaus möglich. Die Diskussion der Staatsverschuldung sollten wir nicht mit der gänzlich anderen Problematik der Bewertung der „Geldanlagen“ in Aktien oder in „Finanzprodukte“ vermischen.

  18. @ hans

    Setzen Sie sich bitte mal mit mir in Verbindung? Ihre Mail-Adresse stimmt nicht. Ich habe eine Frage an Sie.

  19. „Die Staatsschulden müssen auch nicht explodieren, ausgeglichene Haushalte sind durchaus möglich.“

    Auch dazu würde mir wieder einiges einfallen. Entlang der Linie: „Nein, in unser Mediendemokratie nicht mehr, in der inzwischen derjenige die politische Handlungsfähigkeit erlangt, der das meiste verspricht“ („denen da oben“ (linke Position) „dem Mann von der Straße“ (rechte Position)). Würde aber auch von der Eurofrage ablenken, zu der ich aber mangels Volkswirtschaftskenntnissen nicht viel beitragen kann. Wo treiben sich eigentlich die VWL-Studenten rum?

    Das Argument, daß der Euro bleiben muß, weil mit einer Drachme Griechenland gewisse Nachteile erdulden müsste, z.B. bei der weiteren Schuldenaufnahme, erscheint mir jedenfalls irgendwie als so eine Art Etikettenschwindel.

    Nehmen wir an, es gäbe ein Prädikat „Eier Klasse 1A“. Ein Bauernhof, dem es finanziell schlecht geht, und dessen Eier „Klasse 3B“ sind, bekommt die Erlaubnis, trotzdem das Prädikat „Klasse 1A“ auf seine 3B Eier zu kleben, denn „ansonsten würde ja weniger gekauft und der Bauernhof endgültig in den Ruin getrieben werden“. Es ist also im Interesse des notleidenden Bauernhofs, daß er Klasse 3B Eier mit Klasse 1A Etiketten bedrucken darf, stimmt, völlig richtig, genauso wie es im Interesse Griechenlands ist, für seine Anleihen Euros zu erhalten.

    Sowas kann man allerdings nur beschränkt oft machen, irgendwann merken die Menschen, daß auch das Prädikat 1A nicht viel mehr wert ist als 3B, bzw. in unserm Fall verliert der Euro letztendlich seine Stabilität. Aber juhu man hat ja Griechenland (und anderen Ländern der wirtschaftlichen 3B-Klasse mit Eurowährung) eine Zeitlang damit geholfen.

  20. @ Max Wedell

    Der Euro schütz Griechenland nicht davon, dass seine Bonität schlecht bewertet wird, was steigende Zinsen für griechische Anleihen zeigen. Nicht der Euro ist das „Prädikat“, sondern die Bewertung durch Ratingagenturen (deren zu späte Reaktion zu den Ursachen der jetzigen Krise mit gehört).

    Das von Hanke befürwortete Ausscheren Griechenlands aus der Euro-Zone würde der Athener Regierung den scheinbar einfachen Ausweg bieten, durch Abwertung der (wiedereingeführten) Drachme die ausländischen Gläubiger um einen Teil ihrer Einlage zu betrügen, ohne den Staatsbankrot erklären zu müssen. Wie ich bereits ausgeführt habe, gibt es aber historische Erfahrungen (siehe Argentinien), dass ein solcher Weg regelmäßig zur Verschärfung der Krise führt, weil niemand mehr neue Staatsanleihen zeichnet.

    Ob die „Stabilität“ des Euro durch Griechenland beschädigt ist, kann man durchaus anzweifeln. Die jetzige Bewertung des Euros gegenüber dem Dollar ist möglicherweise näher an der wirtschaftlichen Vernunft als der vergangene Höchsstand. Einige Fachleute sehen in dem jetzigen Kurs ein Konjunkturprogramm für die Exportwirtschaft.

  21. Katja Wolf am 23. Juni 2010 um 14:02:

    Wenn Sie damit einverstanden sind, geben Sie mir bitte Ihre Mail-Adresse bekannt. Sie können diese Einwilligung auch gerne über Bronski erteilen, ebenso wie ich einwillige, daß Bronski meine Mail-Adresse an Sie weiterleiten darf.

    Mich hier über Gesells freiwirtschaftliche Thesen, und wie ich darauf gestoßen bin, zu unterhalten, würde den Rahmen dieses Blogs sprengen – es sei denn, es wird gewünscht.

  22. Hallo Herr Fladung,
    prinzipiell habe ich nichts gegen einen privaten Austausch – aber gerade bei diesem Thema würde ich wohl mehr Zeit zur Einarbeitung benötigen, da – wie bereits erwähnt – seit der Lektüre des o.g. Buches etwa 15 Jahre vergangen sind.
    Vielleicht können Sie aber trotzdem hier im Blog erwähnen, wie Sie auf Silvio Gsells Thesen gestoßen sind.
    Meiner Erinnerung nach wurde durch seine Theorien der Bürgermeister Unterguggenberger der Stadt Wörgl in Tirol inspiriert, sein System der (heute würde man wohl sagen) Tauschbörse einzuführen.
    Diese Tauschbörsen halte ich übrigens für eine gute Einrichtungen.

  23. Hallo Frau Wolf,

    ich bin bereits vor einigen Jahren auf die Zeitschrift HUMANE WIRTSCHAFT gestoßen, und fördere auch den herausgebenden Verein „Förderverein NWO (Natürliche Wirtschaftsordnung) e.V. Und dies, weil ich mich mit den Thesen auseinander gesetzt habe, sie nachdenkenswert, gut und richtig finde, weil sie mir als gangbarer Weg jenseits bzw. zwischen der österr. Schule und Keynes erscheinen. Gerade Keynes meinte ja mit seinem „Deficit Spending“, daß dieses rücklagenfinanziert sein sollte und nicht schuldenfinanziert – was letztendlich wieder nur die Großvermögen der Superreichen noch weiter erhöht.

    Ich gebe Ihnen hier einen Link zum Anklicken: http://www.humane-wirtschaft.de.

    Viel Erfolg.

    MfG
    W. Fladung

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