Unwissenheit und Arroganz

„Weil Angela Merkel durch ihren Führungsstil überzeugt, hat sie es noch nicht erreicht, die Mehrheit auch von allen Inhalten ihrer Politik zu überzeugen“, sagt Bernhard Vogel im FR-Interview. Hoppla – klingt das etwa logisch?

Zweite These: „Die Regierung muss nicht nur auf die Bürger hören. Sie muss sie oft auch von Zielen überzeugen, die sie als richtig erkannt hat, auch wenn sich zunächst keine Sympathie für solche Lösungen findet.“ – Hoppla – und warum macht sie das nicht?

Drittens: Es ist nicht links, gegen die Rente mit 67 zu sein, sondern „es ist bequemer mit 65 oder gar mit 59 aufhören zu können. Aber es ist falsch.“

Mag ja sein, dass das Sommerloch mich und damit auch dieses Blog fest im Griff hat. Jedenfalls schaffe ich es nicht, solche Aussagen unkommentiert stehen zu lassen. Oder besser: ihnen keine Kommentare von FR-Leserinnen und Lesern entgegen zu setzen. So stellt Klaus Clever aus Weisenheim am Berg fest, dass wir plötzlich wieder über Klassen reden:

„Thomas Kröter bringt es auf den Punkt: Herr Vogel will uns belehren! Das macht er geschickt mit seiner ‚Tour der Force‘ durch die jüngere Zeitgeschichte, wohl wissend, dass man ‚historische‘ Entscheidungen selten hinterfragt: Was wäre denn so falsch daran gewesen, wenn die noch junge Republik 1953 nicht aufgerüstet hätte?
Natürlich kann ein dem Gemeinwohl verpflichteter und von ihm hoch alimentierter Politiker leicht reden über Mindestlöhne, die angeblich Arbeitsplätze kosten: Nichts davon ist wahr, wie Herr Vogel sehr wohl weiß – siehe die europäischen Länder, die bereits Mindestlöhne haben!
Dieses Land war einmal berühmt für seine ’nivellierte Mittelstandsgesellschaft‘ (Schelsky), in der die Mehrheit der Bürger auskömmlich leben konnte. Die Politik und die mit ihr verbandelte Wirtschaft (Stichwort: Strommonopole) hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir wieder über Klassen reden, nicht mehr über Gruppen. Genau dies bedingt auch den Zulauf zu den Linksparteien.“

Tim Karsten aus Berlin meint:

„Also der Reihe nach: Merkel überzeugt überhaupt nicht durch Erfolge, weil sie keine vorweisen kann. Die scheinbaren Erfolge sind medial inszeniert (siehe G8-Gipfel: Klimaschutz wird erwogen, keine fassbaren Ergebnisse, aber Merkel wird – von den Medien – als Siegerin gefeiert).
Zu den angeblich richtigen Zielen, die die Politik gegen das Volk beschließen müsse: Es geht nicht um den Euro an sich, sondern um die Maastrichtkriterien, die z.T. einfach falsch waren und sind (weil inflations-, damit aber auch beschäftigungshemmend). Die Wiederbewaffnung mag vor 54 Jahren richtig gewesen sein (was ich persönlich bezweifle), hat aber mit heutigen Entscheidungen wie Hartz IV, die grundgesetzlich verankerte Rechte und Sicherheiten gegen den Willen der Mehrheit abbauen, nichts zu tun.
Außerdem ist die Alterung kein Problem an sich, sondern der Mix aus ‚Altenlast‘ und ‚Jugendlast‘, die Gesamtzahl derjenigen Alten UND Jungen, die sich vom erwerbstätigen Anteil der Bevölkerung versorgen lassen müssen. Diese Zahl steigt weit undramatischer, als das ‚Alterungsproblem‘ immer dargestellt wird – u.a., weil immer weniger Kinder geboren werden.“

So kriegt man jedes Umlagesystem kaputt, meint Christian A. Hofert aus Mönchengladbach:

„Langsam wird es ungeheuerlich, wozu sich Repräsentanten hinreißen lassen. Besten Dank an den Interviewer, die Unwissenheit und Arroganz dieser Herrschaften durch Insistieren auf der Mindestlohnfrage zur Kenntlichkeit gebracht zu haben.
Ein ‚doppeltes Lottchen‘ der Ära Kohl – Herr Vogel war im Westen wie im Osten Regierungschef – wagt zu sagen, die Leute seien bequem. Seinesgleichen, die Spitzen der Gesellschaft, haben keine einzige finanzielle Leistung erbracht, sind sogar mit ‚Buschprämien‘ versorgt Richtung Osten marschiert. Dieser Herr behauptet nun, das Volk müsse länger arbeiten, weil es älter werde. Er hat von Mathematik keine Ahnung. Sonst wüsste er, dass seine Behauptung nur dann gilt, wenn die Lohnsumme eines Betriebes Grundlage dieses Umlagesystems ist. Völlig entgangen scheint ihm zu sein, dass man jedes Umlagesystem kaputt kriegt, wenn man (also die Regierung) zusieht, wie ‚Investoren‘ ihre ‚Kapitalrenditemaximierung‘ (einst 7-10 %, heute 25-30 %) durch Entlassungsproduktivität und durch Verlagerung von Produktion ins Ausland generieren, wobei sie die Inanspruchnahme des Umlagesystems maximieren und ihre Einzahlungen minimieren.“

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7 Kommentare zu “Unwissenheit und Arroganz

  1. @ Bernhard Vogel;

    dieser jüngere der beiden vogelbrüder (SPD-Jochen der andere), gehört eindeutig zu den gewinnern der deutschen einigung! er wer eindeutig weg vom politischem fenster, da gab ihm kohl die chance in thüringen. und die nähe dieses bundeslandes in der mitte deutschlands zu hessen, gab vogel die glückliche situation, dass er hier eigentlich nichts verkehrt machen konnte. denn alle wichtigen (infra)strukturellen einrichtungen wurden quasi in patenschaft von hessen zum laufen gebracht!

  2. Zitat: Es ist nicht links, gegen die Rente mit 67 zu sein, sondern „es ist bequemer mit 65 oder gar mit 59 aufhören zu können. Aber es ist falsch.“
    Gilt das für alle? Utz Claassen beispielsweise, der scheidende Chef des Energieversorgers EnBW, darf nach einem Bericht des Handelsblatts schon als 44-Jähriger in Rente gehen – mit knapp 400.000 Euro pro Jahr. Und ab dem 63. Lebensjahr bekommt er die gleiche Summe als Firmenrente. Euphemistisch nennt man das Ganze „Übergangsgeld“. Kein Wunder, wenn die Strompreise steigen.
    Selbstverständlich ist Claassen kein Linker. Im Gegenteil, erklärt er doch Deutschland zum „Sanierungsfall“. Der Schuldige ist natürlich – wie immer – unser Sozialstaat.
    Komisch, Die Therapie vom vermeintlich „völlig überzogenen Sozialstaat“ setzt stets bei anderen an, nie bei den gut betuchten und bestens abgesicherten „Therapeuten“ selbst.
    Das ist nicht das einzige Beispiel von Doppelmoral: Einerseits orientiert sich die jährliche Fortschreibung der Hartz IV-Regelsätze am Rentenwert, deshalb wurde der Regelsatz am 1. Juli 2007 erstmals seit seiner Einführung Anfang 2005 von 345 auf 347 Euro erhöht. Das ist eine Steigerung um mickrige 0,58 Prozent. Andererseits will die Regierungskoalition die staatlichen Zuschüsse an die Parteien um 20 Mio. Euro anheben, von derzeit 133 Mio. auf 153 Mio. Euro pro Jahr. Das entspräche einer Steigerung um happige 15 Prozent. Nach dem bislang geltenden Recht stünden ihnen aber lediglich 7,8 Mio. Euro zu, das wäre ein Plus von 5,9 Prozent. Merke: Die staatlichen Zuschüsse an die Parteien orientieren sich natürlich am Preisindex – etwas, das sie den Hartz IV-Beziehern hartnäckig vorenthalten. Und weil sie damit immer noch nicht zufrieden sind, beabsichtigen sie, sich einen zusätzlichen Schluck aus der Pulle zu gönnen. Die Republik verkommt zum Selbstbedienungsladen. Bernhard Vogel sollte zuerst vor der eigenen Haustür kehren.

  3. Sorry, weil es so schön ist, noch ein Beispiel:
    Hartmut Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, bezeichnete die Forderungen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) als „irrwitzig“. Mehdorn, der angeblich ein Jahresgehalt von 3,18 Mio. Euro bezieht (ungefähr das 114-Fache eines Lokführers), geißelt bloß das „Anspruchsdenken“ der Gegenseite. Er unterschlägt dabei, dass die Gesamtbezüge des Vorstands der „Deutsche Bahn AG“ seit 1999, als Mehdorn den Vorstandsvorsitz übernahm, von insgesamt 3,679 Mio. auf 20,143 Mio. im Jahr 2006 gestiegen sind. Das ist eine Steigerung um (irrwitzige?) 447 Prozent. Alles in den Geschäftsberichten der DB nachzulesen.
    Von solchen „Herren“ habe ich die Nase gestrichen voll.

  4. Bernhard Vogel, der nie in seinem Leben eine libidinöse Anwandlung gehabt zu haben scheint, der Doktor ehrenhalber, der Professor ehrenhalber, der praktizierende Katholik, der sein ganzes Berufsleben als Abgeordneter, Minister und Ministerpräsident von den Steuern derer gelebt hat, auf die er verächtlich herabschaut, zeigt in wenigen Sätzen, dass die Wählerinnen und Wähler nur als Stimmvieh zu gebrauchen sind, wenn er sagt: „Es geht darum, die Menschen von einer Politik zu überzeugen, die nach Beratung auch mit internationalen Fachleuten erarbeitet wurde.“ Die Politiker können demnach nicht mehr die Vertreter des Volkes sein, sondern sie müssen der höheren Einsicht wegen mit Hilfe außerparlamentarischer Experten festlegen, was gut ist fürs Volk.

    Doch wer sind diese internationalen Fachleute, von denen sich die Politiker beraten lassen? Das können nur diejenigen sein, die das Rentenalter in Höhe schrauben wollen, die der Privatisierung das Wort reden, die Hartzreformen forcieren, die gegen Mindestlohn sind oder die in Afghanistan die Freiheit des Westkapitals verteidigen wollen. Denn Vogel sagt ja: „Die Regierung muss nicht nur auf die Bürger hören.“ Wenn wir Bürger nicht mehr das Vertrauen der Regierung genießen, weil wir einfach zu dumm, zu blöd und zu faul sind, müssen wir eben zu unserem Glück gezwungen werden, auch wenn das Grundgesetz ab und zu im Wege sein könnte.

  5. @ „Kanzlerin“;

    schon dem vorigem kanzler wurde der titel MEDIENKANZLER angehängt, egal ob zu recht oder unrecht. zumindest war in der „verlehung“ doch ein erheblich unterschied der begründung. wurde bei gerhard schröder ja ein geradezu drang zu den medien erkennbar, egal ob dieses berühmte anzugfoto mit zusätzlichen der dicken zigarre oder der auftritt bei gottschalk, alles war ein totaler unterschied zu dem wie bei merkel nun mit gewisser medienunterstützung aus einer besonderen „medienecke“ von bestimmten journalisten gemacht. die immer wieder mit geradezu heroischen adributen frau merkels „vorzüge“ preisen! zu den politischen aussagen hat vor gar nicht langer zeit der kabarettist aus aschaffenburg, also der „hessische“ bayer urban priol persifliert, mit wie wenigen nichtsagenden floskelartigen aussagen frau dr. merkel politische handlungsweisen kommentiert, bzw. politische notwendigkeiten „umschreibt“; so: „wir müssen zu einheitlichen ergebnissen kommen oder auch, wir müssen mit gemeinsamen beschlüssen die probleme lösen“! also, alles eigentlich nicht mehr, wie wenn jemand sagen würde: „am abend wirds dunkel und am morgen wieder hell“

  6. @ 5; Sorry; sicher, „attribut“ wäre zuvor korrekt gewesen.
    trotzdem ändert sich nichts an der sachlage, dass solche leute wie der frühere frankfurter FAZ-müller-fo. zu denen gehört, die jedesmal in wahre jubelstürme ausbrechen, wenn Frau Dr.Merkel irgend etwas praktisch „in den schoß gefallen“ ist!
    PS: und wenn ich daran denke, dass vor noch nicht gar zu langer zeit dieser herr mü.-fo. sich im hr3-fernsehen unter leitung von der heutigen neu auf bundesebene gegründeten linkspartei DIE LINKE, frau lug jochimsen, sich mit dem journalisten „SPD-Bissinger“ und gästen interessante dispute lieferte, dann merkt man erst, wie sich die zeiten gewandelt haben!

  7. FR 03.09. „Polizei geht gegen Anti-Nazi-Demo vor“
    Ich habe wirklich dreimal hingeschaut, ob das
    stimmen kann, aber es ist wahr. Siehe FFM, die
    Polizei beschützt die Nazis und geht gegen die
    Demokraten vor. Es darf nicht wahr sein. Wo
    leben wir eigentlich? Wo ist denn da unser Herr
    Innenminister? Oder sind jetzt alle auf dem
    rechten Auge blind. Es ist eine Schande.
    Gudrun Becker Aarbergen

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