Mindestlohn: Das unaufhörliche Wettern ist nicht zielführend

Am 2. April wird voraussichtlich der Mindestlohn beschlossen. Am 1. Januar 2015 werden dann die Zeiten vorbei sein, da mein Bekannter Klaus (ungelernt) am Frankfurter Flughafen für 7,20 Euro pro Stunde beschäftigt sein konnte. 8,50 Euro wird er betragen, der Mindestlohn, das ergibt etwa 1400 Euro brutto im Monat für einen Vollzeitbeschäftigten. Damit sind natürlich keine großen Sprünge möglich. Der Mindestlohn ist eben dies: ein Mindest-Lohn. Eine Lohnuntergrenze, die vor allem ein Signal aussendet: Schluss mit dem Druck auf die Löhne. Das heißt noch nicht gleich: Schluss mit Lohndumping. Aber nach unten wird damit eine Grenze eingezogen.

Natürlich weint die Wirtschaft, und tatsächlich gibt es Bereiche in der Wirtschaft, die vom Mindestlohn direkt betroffen sind. Der vielbeschworene Friseur etwa wird nun mehr verdienen müssen als die oft zitierten 2,50 Euro. Das wird dazu führen, das bestimmte Dienstleistungen teurer werden – Dienstleistungen allerdings, die ohnehin zu billig waren und die uns alle zu bösen kleinen Ausbeuterlein machten, wenn wir etwa Friseursdienste in Anspruch nahmen. Der Mindestlohn ändert vieles. Schnäppchenjäger können ihn nicht mögen.

Der Mindestlohn läutet am Arbeitsmarkt also einen fundamentalen Politikwechsel ein, meint Professor Rudolf Hickel in seinem FR-Gastbeitrag: „Mit diesem Mindestlohngesetz – zusammen mit weiteren Maßnahmen zur Regulierung der Leiharbeit, der Werkverträge sowie einer Stärkung des gesamten Tarifvertragssystems – wird endlich aus der Agenda 2010 ausgestiegen. Die zynische Hartz IV-Rechtfertigung, ‚Arbeit sei besser als Arbeitslosigkeit‘, wird durch das Ziel ‚gute Arbeit‘ abgelöst, wie die Überschrift im Koalitionsvertrag lautet. Die SPD hat unter dem Druck der Gewerkschaften und vieler sozialer Initiativen diesen Paradigmenwechsel durchgesetzt.“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg meint:

„Das unaufhörliche Wettern gegen einen Mindestlohn in Deutschland, der angeblich Arbeitsplätze vernichte, ist überhaupt nicht zielführend. Zum einen existieren solche Mindestlohn-Standards in fast allen europäischen Ländern. Zum anderen geht es doch ausschließlich darum, dass der Mindestlohn nicht zu hoch angesetzt wird, weil er dann tatsächlich Arbeitsplätze gefährdet.

Der eigentliche Grund für die Forderung nach Festlegung von Mindestlöhnen – am besten branchenspezifisch – ist doch, dass in den letzten 15 Jahren immer mehr Beschäftigungsverhältnisse aus einer Tarifbindung herausgefallen sind. Ein Tarifvertrag startet immer mit einem „Mindestlohn“. Das hat aber noch Niemand beanstandet.
Die Berufung auf Ludwig Erhard als „Brecher“ einer zentralverwaltungswirtschaftlich konzipierten Preisdiktatur ist insofern nicht in sich konsistent, als Ludwig Erhard „soziale Marktwirtschaft“ so buchstabierte: Es gelte, dauerndes (quantitatives) Wachstum zu erzeugen. Davon profitiere jeder Bürger. In der Zwischenzeit – nach Ludwig Erhard – sind qualitative Fragen der Wirtschaft – eben nicht rein quantitative – aber in den Vordergrund getreten. Ludwig Erhard hätte womöglich von einer ökologisch orientierten Ökonomie gar nichts gehalten. Also Vorsicht damit, sich immer auf Wirtschafts-Papa Ludwig Erhard so einfach zu berufen!
Übrigens verfocht er selbst das Modell einer „formierten Gesellschaft“. Was hat Ludwig Erhard damit eigentlich wirklich gemeint? Normative Regelungen sind auf vielen Lebensgebieten – und nicht zuletzt in der Technologie – sinnvoll und gängige Praxis.
Nur wer überzeugter Neo-Liberalist ist, kann einen Mindestlohn verteufeln. Der Neo-Liberalist sagt: Ein jeder komme mit sich selbst zurecht. Der Markt regele alles. Der Markt ist aber eben nicht perfekt, sondern teilweise sehr vermachtet. Wenn Mini-Einkommen in der Wirtschaft staatlich bezuschusst werden müssen, dann ist dies theoretisch-neoliberal ebenfalls nicht befriedigend. Wollen wir Zeugungs- und Empfängnis-Zertifikate verfügen, um zu vermeiden, dass Kinder in die Welt gesetzt werden, deren Eltern kein ausreichendes Einkommen haben?“

Karl-Heinz Bollmann aus Offenbach:

„Kann gut sein, dass es dann keine hundert Gebäudereinigungsfirmen, Hausmeisterservice oder Bewachungsunternehmen gibt, deren Chefs sich auf eben möglichst geringen Kosten der dummerweise erforderlichen Mitarbeiter den fetten Dienstwagen samt dicken Eigenheim leisten (wollen). Dann werden eben Ausschreibungen nicht mehr über den möglichst niedrigen Preis, sondern (wieder) durch mehr Qualität gewonnen.
So gewinnen alle – für Mindestlohnempfänger lohnt sich wieder das Aufstehen, und der Markt wird von Stümperfirmen bereinigt.“

Adolfo Petrus aus Frankfurt:

„Laut Stefan Sauers Beitrag behauptet die Dehoga: „Ein Hotel mit 50 Vollzeitstellen müsste bei einer Lohnerhöhung von einem Euro pro Stunde ein Jahresumsatzplus von 375 000 Euro erzielen, um die Kosten aufzufangen.“
Wenn man davon ausgeht, dass der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen knapp 22 Prozent beträgt, ergibt sich doch folgende Rechnung: Stundensatzerhöhung einschließlich Arbeitgeber-Anteil an der Sozialversicherung: 1,22 Euro. Mal 50 Vollzeitstellen ergibt 61 Euro pro Stunde. Mal 40 Wochenstunden ergibt 2440 Euro. Mal 52 Wochen ergibt 126 880 Euro im Jahr.
Wie kommt die Dehoga auf einen fast dreimal so hohen Betrag?“

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4 Kommentare zu “Mindestlohn: Das unaufhörliche Wettern ist nicht zielführend

  1. Die Salami-Taktik von Andrea Nahles kann nicht überzeugen. Denn erstens widerspricht es sich, einerseits in der Öffentlichkeit großspurig einen Mindestlohn zu verkünden und andererseits zu argumentieren, dass Gesetzentwürfe in der Regel noch am Kabinettstisch verändert bzw. in diesem Fall aufgeweicht werden. Und zweitens dürfte die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose kaum dazu führen, dass man der fehlenden Moral in vielen Unternehmen wieder auf die Sprünge hilft. Da man hiermit einen starken Anreiz setzt, Menschen, wie es schon heute etwa sehr deutlich in der Bauwirtschaft zu beobachten ist, wie moderne Lohnsklaven für kurze Zeit einzustellen, um sich dann wieder abrupt von ihnen zu trennen. Weswegen sich die Ministerin vor allem die Kritik gefallen lassen muss, dass ihr das Gespür für das reale Wirtschaftsleben fehlt!

  2. Ich bedaure, dass Langzeitarbeitslose von den verantwortlichen Politikern der Großen Koalition und vielen Journalisten wieder einmal unter den Begriffen „Minderleister“ und „Pisa-Verlierer“ kategorisiert werden. Ziemlich unkritisch wird das negative Bild der Arbeitgeberverbände und wirtschaftsliberaler Meinungsmacher von Langzeitarbeitslosen übernommen. Ich möchte diesen kaltherzigen Wirtschaftsliberalen in Politik und Medien mit Kunst antworten, denn mit Arbeitslosen reden diese Herrschaften nicht. Ich kann mir eine Installation im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) vorstellen: Langzeitarbeitslose stellen ihre Fußmatten zur Verfügung. Diese Fußmatten werden auf der Rückseite mit einem elektronischen Bauteil präpariert, das beim Betreten ein Bild und einen kurz gefassten Lebenslauf des jeweiligen Eigentümers der Fußmatte auf einem Monitor an der Seite zeigt. Die Fußmatten werden zu einem Teppich verbunden. Hier wurde ich von Carl Andre und John Beech inspiriert. Um diese Installation in eine wirksame Performance einzubetten, benötigen wir noch ein übergeordnetes Motiv: das des Triumphes. Des Sieges der neoliberalen Elite über die durch das Hartz-System unterworfenen Langzeitarbeitslosen. Die Idee stammt von den reich bebilderten Triumphbogen und Triumphsäulen der Römer. So werden z.B. auf der Trajanssäule in Rom die besiegten Feinde Roms gezeigt. Nun beginnt die Performance. Wir laden die Sieger ein: Gerhard Schröder, Wolfgang Clement, Peter Hartz, Bert Rürup, Friedrich Merz, Reinhard Göhner, Ulrich Grillo, Carsten Maschmeyer, Renate Köcher, Mathias Döpfner und die Bundeskanzlerin. Die Sieger betreten den Triumphteppich und auf an der Seite angebrachten Monitoren sind bei Betreten einer Matte die jeweiligen Langzeitarbeitslosen zu sehen, einschließlich der wenig karriereförderlichen Lücken in den Lebensläufen. Wenn die Sieger mit dem Betreten des Triumphteppiches fertig sind, dann geht es in einen Gang mit den Gebetsmühlen „Fachkräftemangel“, „MINT-Qualifikationen“, „Kompetenzschwäche“, „Länger Arbeiten“, „Demographische Lücke“. Wer immer noch nicht genug hat, den schicke ich in die Seitengänge. Dort wird an den besonders angesagten Jobprofilen gedreht. In einem abgetrennten Studio verlesen dann Personalreferentinnen ihre Einladungen, Zusagen, Hinhaltebriefe und Absagen in Anwesenheit der Bewerber. Am Ende der Performance ist ein Langzeitarbeitsloser zu sehen, der angeschlossen an moderne Medizinmesstechnik seine Runden in einer großen Tretmühle nach römischem Vorbild solange dreht, bis der anwesende Arzt einen anderen Langzeitarbeitslosen in die Tretmühle holt. Während des Tretens werden immer wieder die Stationen des Lebenslaufes des Tretenden im Detail gezeigt. Eigentlich müsste diese Installation und die Performance von der deutschen Machtelite gut angenommen werden, denn die deutsche Machtelite hat wieder zunehmend Lust, ihre Macht zu zeigen. Die Durchsetzung des Hartz-Regimes gegenüber Arbeitslosen ist ein wichtiger Teil des politischen Sieges der deutschen Machtelite. Es wäre phantastisch, wenn der Vorstand des ZKM Karlsruhe, Prof. Peter Weibel, einer entschlossenen Gruppe von Langzeitarbeitslosen bei der Planung und Umsetzung eines solchen Konzeptes helfen würde.

  3. Obwohl nachweislich hochqualifiziert und von der Zentralen Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn bis zuletzt ausdrücklich dazu angehalten, unabhängig vom Interesse etwaiger Arbeitgeber auf den von mir einschlägig längst untersuchten Gebieten auch künftig tätig zu bleiben, hätte mir ein wie auch immer verfasster Mindestlohn nicht aus meiner überaus prekären Situation heraus geholfen. Meine Langzeitarbeitslosigkeit, die von September 2001 bis Dezember 2005 dauerte, fand deshalb erst mit dem dadurch unabweisbar gewordenen Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ihr Ende. Wegen solcher sich völlig falsch zuspitzender Verhältnisse bleibe ich als heutiger Invalide von jeglichem Hinzuverdienst faktisch ausgeschlossen und für die von mir dennoch erbrachten Arbeitsleistungen rückt ein Entgelt in unerreichbare Ferne. Wenn man so will, lässt sich also sagen, dass die insbesondere von der SPD mit inzwischen massiver Unterstützung der Gewerkschaften vertretene Forderung nach einem gesetzlich flächendeckend normierten Mindestlohn nicht weltfremder sein könnte und insofern an der Lebenslage des Einzelnen keinen Deut ändert.

  4. Ich lese und staune über die Koalition, die eine Lücke offen lässt für Arbeitgeber, damit sie an billige Arbeitskräfte kommen. Hat doch die (primitive) Warnung des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Ingo Kramer, gut funktioniert, die es in Die Welt zu lesen gab: „…vor verheerenden Folgen für den Arbeitsmarkt, sollte die Bundesregierung den gesetzlichen Mindestlohn ohne Ausnahmen beschließen …“ . Und weiter sagt er: „Langzeitarbeitslose werden zumindest in bestimmten Regionen kaum noch zu vermitteln sein, wenn für sie der Mindestlohn gilt.“
    Wer zählt zu den Langzeitarbeitslosen? Ich dachte, es seien Menschen, die viele Jahre arbeitslos sind. Nein, es sind Menschen, die gerade über ein Jahr arbeitslos sind. Warum sind sie arbeitslos? Doch nicht, weil sie dumm oder unfähig sind. Es gibt sicher unterschiedliche Gründe, aber bestimmt nicht die der Unfähigkeit.

    Die heutige Entscheidung der Politik bedeutet, dass jeder Arbeitgeber sich für ein halbes Jahr eine billige Arbeitskraft holen – die Probezeit beträgt ja oft auch 6 Monate -, und ihn dann entlassen kann, um sich eine neue billige Arbeitskraft zu holen.

    Nicht nur, dass schon allein diese Entscheidung gegen die Ärmsten der Armen moralisch brutal und menschenverachtend ist, es ist auch sehr kurz gedacht. Denn ein solcher Mensch, der keine Arbeit findet, ist nach einigen Monaten unglücklich, wenn nicht gar depressiv. Wird er dann vielleicht mal eingestellt für einen Hungerlohn, wie soll er sich dabei fühlen? Glücklich und zufrieden, endlich gewünscht zu sein? Nein, bestimmt nicht. Eher: Jetzt nimmt man mich nur, weil ich eine Billigkraft bin, also bin ich nichts wert . Was resultiert daraus? Er wird noch depressiver und schließlich auch physisch krank. Nun wiederum werden die Gesundheitskassen belastet. Aber, das macht ja nichts. Dann werden eben die Krankenkassenbeiträge erhöht, was wiederum der Arbeitnehmer tragen muss wie neulich in den Medien zu lesen war, nicht aber der Arbeitgeber, denn dessen Beitrag ist eingefroren und bleibt es auch.

    Wer ist hier immer der „Winner“? Der Arbeitgeber! Die Arbeitnehmer haben keine Chance, es sei denn, sie drehen im Management mit an diesem asozialen Rad. Allerdings muss man sich fragen, was sie gewinnen. Vielleicht gewinnen sie an Macht und Geld. Aber weder an Lebensqualität noch an Freude und Zufriedenheit. Denn es muss ja immer mehr, mehr, mehr sein.

    Las ich doch neulich in der Frankfurter Rundschau über Ergebnisse einer Forschung, nämlich dass Mitarbeiter von Unternehmen sich weder mit dem Arbeitgeber/dem Unternehmen identifizieren noch dafür einsetzen, sondern nur versuchen zu funktionieren. Roboter also, aber auf beiden Seiten!

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