Die andere Seite der Vorgänge

Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Hasskriminalität vorgelegt. Ich persönlich befürworte, dass Hasskriminalität mit Strafe belegt wird, aber FR-Leitartikler und -Experte Christian Bommarius meint in seinem Leitartikel „Gesinnungstäter„, dass dies ohnehin schon passiere, so dass kein neues Gesetz nötig sei. Es handle sich um ein Beispiel für Symbolpolitik. Dazu habe ich zwei konträre Leserpositionen bekommen.

Klaus Reuter aus Linden meint:

„Endlich mal ein Kommentator, der pointiert auf die andere Seite der Vorgänge hinweist.
Ich habe Frau Bilkay Öney seinerzeit (2012) in einer Mail Zustimmung gepostet zu Ihrer Aussage vom „tiefen Staat“! Der Verfassungsschutz hätte nur einmal dem Volk aufs Maul schauen müssen, dann wäre ihm klar geworden, dass diese „NSU-Mordserie“ mit großer Wahrscheinlichkeit einen rechtsradikalen Hintergrund hat.
Nach dem Anschlag in Köln habe ich im Rahmen des Politik- und Sozialkundeunterrichts mit Schülern in einer Jugendstrafanstalt über den Anschlag und über die Mordserie gesprochen. Es wurde immer wieder auf einen rechtsradikalen Hintergrund hingewiesen. Das fiel diesen Jugendlichen ein! Nicht einem Bundesinnenminister Schily.
Reaktionäre Seilschaften bestimmen die Richtung in diesem Land, keine Nazis. Sie vergeben Positionen und Pfründe und erwarten dafür Wohlverhalten. Wie kann man sich sonst erklären, dass in Hessen über lange Zeiträume Schüler/-innen missbraucht wurden, und keiner ist eingeschritten? Steuerbeamte, die unangepasst sind, werden für paranoid erklärt und aus dem Dienst entfernt. Lehrer, die einer Schülerin im Unterricht die Brüste betatschen, können dies folgenlos tun. Belohnung: gute Noten für die Schülerin. Arbeitnehmer, die über Netzwerke und Detekteien erfasst werden, um sie z.B. vor der Stellenbesetzung bzw. Einstellung auszusortieren bzw. zu diffamieren. Ja, es gibt sie auch im Mikrokosmos unserer Gesellschaft! Wen? Die NSA! Und rechtes Gedankengut sowieso.  Ist eigentlich jemals recherchiert worden, wie Verfassungsschutzmitarbeiter wie Andreas T. die entsprechende Funktionsstelle einnehmen konnten? Eine große Aufgabe für Soziologen/ Politologen usw. Aber wahrscheinlich interessiert es sowieso nur wenige Mitbürger. Ach so, das darf man ja auch nicht erforschen. Sonst bricht die innere Sicherheit zusammen.“

Ulas Ersoy aus Frankfurt hingegen meint:

„Es ist schon beinahe schockierend, dass das Justizministerium sich erst kürzlich dazu durchgedrungen hat, einen Gesetzesentwurf zur Hasskriminalität vorzulegen. Anstatt seinen Unmut darüber mit juristischer Theorie zu begründen, sollte Herr Bommarius einfach sagen, was genau ihn daran eigentlich stört. Wen oder was glauben solche Menschen verteidigen zu müssen, wenn sie behaupten, es sei doch gut, wie es ist? Das Gesetz sei überflüssig, weil bereits in der Regel die Beweggründe der Täter berücksichtigt werden. So sollte es zwar sein, jedoch passiert es oft genug, dass rassistische und rechtsradikale Übergriffe als gewöhnliche Kneipen- und Dorfschlägereien abgetan werden – eine unnötige weitere Demütigung der Opfer.
Herr Bommarius bemüht den NSU-Fall für seine Argumentation. Der NSU-Skandal ist vielleicht ein Auslöser, aber keine alleinige Begründung für das neue Gesetz. Dass es nur aufgrund dieses Gesetzes keine rechte Gewalt mehr geben wird, ist genauso unwahrscheinlich wie, dass es keine Diebe mehr gibt, weil Diebstahl verboten wurde. Dass hat aber auch keiner behauptet und dies alleine macht ein Gesetz nicht sinnlos. Als weitere Konsequenz hat die Regierung übrigens in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie „bei Polizei und Justiz die interkulturelle Kompetenz stärken“ und „die personelle Vielfalt steigern“ will. Zwar kein hinreichendes, aber sinnvolles Vorhaben.
Um beim NSU-Fall zu bleiben: Wenn wir von gezielter Sabotage absehen (hier ein ausdrücklich hypothetisches Wenn), konnte es zu so einem Staatsversagen vor allem deswegen kommen, weil Menschen in den entscheidenden Ämtern sitzen, die nach dem Motto denken und handeln: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Oder Menschen die denken: Es ist doch gut, wie es ist.“

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3 Kommentare zu “Die andere Seite der Vorgänge

  1. Ich bin absolut gegen die Einführung eines Tatbestands „Hasskriminalität“. Folgende – vereinfachte – Situation sei angenommen. Ein deutscher und ein türkischstämmiger Jugendlicher geraten in Streit. Wer angefangen hat ist unklar. Es fallen die Beschimpfungen „Du deutsche Kartoffel oder Du deutscher Schweinefleischfresser “ und „Du Kanack“. Es kommt im Anschluss zur Auseinandersetzung mit Messern und einer überlebt es nicht. Wer geht hier im blog davon aus, dass es für das Strafmaß egal ist, wer der Überlebende war?

  2. Wie sieht es mit den Verbrechen in Rotherham
    (www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rotherham-sibylle-berg-ueber-missbrauchsskandal-a-989627.html) aus?
    Würden diese Verbrechen in einer deutschen Stadt begangen, wäre das auch ein Beispiel für Hasskriminalität?

  3. Eine möglicher Tatbestand „Hasskriminalität“ ist praktisch blanker Unfug, denn es ist kaum objektiv nachzuweisen wann ein solcher, fiktiver Tatbestand erfüllt ist.

    Das führt nur zu mangelnder Normenklarheit, und offnet Willkürurteilen Tür und Tor.

    Zudem ist das weder erforderlich noch geboten um ein Delikt ausreichend zu würdigen.
    Dagegen sind z.b. „nachhaltige Bestrebungen“ weitaus leichter nachweisbar, wie zum Beispiel bei der „USBV vom Bonner Hauptbahnhof“ neulich; auch wenn es sich wohl um einen untauglichen Versuch geahandelt hat.

    Hier ausgerechnet den NSU-Tatkomplex zu bemühen, zeugt von einem sehr speziellen Rechtsverständnis; einmal weil dazu hautsächlich Vermutungen und Spekulationen gehandelt werden, und dann weil sich auch alle Extremismusdelikte an so einem Spezialrecht messen lassen müssten.

    Was zu der Frage führt, warum bisher Gesinnungsjustiz eigentlich vermieden werden sollte?

    Wie war da noch die Begründung?

    Zur strafrechtlichen Würdigung ist eine solche Gesinnungjustiz nicht erforderlich. Aber scheinbar geraten die Lehren der RAF-Verfahren und die Gesinnungsjustiz der 3. Reiches allzu schnell in Vergessenheit?

    KM

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