Die neue Glaubwürdigkeit in Hessen

Hessen hat gewählt. Das Ergebnis: eine FDP, die vor Kraft kaum gehen kann; ein Ministerpräsident, der nur von einem guten Drittel jener Hessen, die ihre Stimme abgegeben haben, getragen wird und der – in absoluten Zahlen – das schlechteste Wahlergebnis einfuhr; eine SPD, die die Quittung für die Fehler des vergangenen Jahres bekam – der Fehler Andrea Ypsilantis, die nach Bekanntwerden des Ergebnisses von ihren Ämtern als Landes- und Fraktionsvorsitzende zurücktrat, aber auch der Unzuverlässigkeit mancher in der SPD -; starke Grüne; und die Linken sind wieder drin. Dies alles bei einer Wahlbeteiligung auf niedrigstem Niveau: Nur 60,5 Prozent gingen wählen. Womöglich sind die hohen Zahlen für FDP und Grüne mit durch diese geringe Wahlbeteiligung bedingt. Beim Ergebnis der FDP dürfte aber auch die Bundespolitik eine Rolle spielen, hatte die Bundes-FDP doch angekündigt, im Bundesrat gegen das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung anzugehen. Die Macht dazu ist ihr jetzt gegeben. Ein Wahlergebnis mit weitreichenden Folgen also: Für die große Koalition in Berlin wird es jetzt schwerer. Indirekt sitzt die Partei der Marktradikalen nun mit in der Regierung.

Die Kommentare der FR-Leser: Manfred Kirsch aus Neuwied meint:

„Nach dieser Landtagswahl steht die SPD da, wo sie vor Andrea Ypsilanti war. Das keinesfalls überraschende Wahlergebnis bestätigt meine Einschätzung, wonach es von der hessischen SPD grundfalsch war, in den vergangenen Wochen aus der Defensive heraus zu agieren. Die Partei hätte deutlich machen müssen, wie verheuchelt und verlogen der Vorwurf des Wortbruchs war und dass sich Andrea Ypsilanti eines wirklichen Wortbruchs schuldig gemacht hätte, wenn sie nicht alles dafür getan hätte, den Wählerwillen von Januar 2008 umzusetzen und Roland Koch abzulösen.
Die Tatsache, dass dieser Kreide fressende, lügenhafte Rechtskonservative, der seine vorletzten Wahlkämpfe auf Kosten von Ausländern führte, fünf weitere Jahre regieren wird, ist eine Schande für die politische Kultur der gesamten Republik. Das jüngste Wählervotum drückt aber auch den Wunsch nach Beendigung der großen Koalition in Berlin aus. Und es ist deutliches Signal an die SPD, die noch mehr verlieren wird, wenn sie ihre innere Zerrissenheit nicht überwindet. Dies werden die Genossen jedoch nur in der Opposition schaffen. Nur durch eine Rückbesinnung auf ihre Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität werden sie mittel- oder langfristig wieder mit einem politischen Gestaltungsauftrag ausgestattet werden. Vor der Sozialdemokratie steht die Aufgabe, sich sowohl gegen die Befürworter eines ungezügelten Marktradikalimus als auch gegen die Linkspartei, die sich vielerorts als Chaostruppe darstellt, zu profilieren. Hierzu ist eine Angleichung von Theorie und Praxis der SPD unerlässlich.“

Rasmus Ph. Helt aus Hamburg:

„Das Ergebnis kommt nicht überraschend. Die Hessen hatten, um es polemisch zu formulieren, die Wahl zwischen Not und Elend. Die SPD ist wenig vertrauenswürdig, weil man nicht ausschließen kann, dass sich Abgeordnete aus persönlichen Motiven gegen die eigene Partei stellen. Die CDU ist unsexy, weil sie jemanden ins Rennen schickt, dessen Zeit bereits abgelaufen ist. Übernimmt Roland Koch sein altes Amt, anstatt den Weg für einen Neuanfang frei zu machen, ist dies in jedem Fall eine Niederlage für die Demokratie!“

Johannes Diel aus Hofheim:

„Da ist er wieder, ein Ministerpräsident, den man vor 12 Monaten nicht mehr wollte. Was können wir daraus lernen? Wenn der politische Gegner im Glauben, niemand will Koch, mit einem Wortbruch versucht, beim Wähler durchzukommen, dann letztlich zu Recht scheitert, muss das nicht bedeuten, Koch nochmals zu wählen, über die FDP. Hier zeigt sich, dass der Wähler inkonsequent ist.
Jeder sollte wissen, dass mit dem Stimmenwechsel zur FDP der gleiche Ministerpräsident agiert. Koch ist der eindeutige Verlierer dieser Neuwahl, die CDU dümpelt auf dem Vorjahresergebnis herum. Mein Fazit: Das Schlechte mit dem angeblich kleineren Übel zu tauschen, das bringt weder den Bürger noch das Land Hessen weiter.“

Laura Richter aus Frankfurt:

„Es ist nicht mit Worten zu beschreiben, was die hessische Gesellschaft für ein Armutszeugnis über sich selbst ausspricht! Die diesjährige Wahlbeteiligung ist eine Katastrophe für die hessische und auch die deutsche Demokratie. Den Menschen scheint immer noch nicht bewusst zu sein, was für ein Glück sie haben, dass sie ein Wahlrecht haben. Sie treten die Verdienste unserer Vorfahren mit Füßen, die noch für ein Wahlrecht ins Gefängnis gegangen oder sogar gestorben sind. Warum gehen die Hessen so leichtfertig mit diesem Gut um? Für die einen ist es schierer Protest, den anderen ist es einfach völlig egal, was mit ihnen passiert. Alle klagen, dass sich so oder so nichts ändern wird oder man nichts ändern kann, doch wie soll sich etwas ändern, wenn man schon nicht die Courage aufbringt, ein Kreuz zu machen? Das Nicht-zur-Wahl-Gehen ist jedenfalls ein Schritt in die falsche Richtung! Man bekommt doch alles auf einem silbernen Tablett serviert, alles was man nun noch machen muss, um etwas zu bewegen, ist ein Kreuz. Schrecklich, wenn selbst das für viele schon zu viel verlangt ist! Was für eine Gesellschaft! Die Demokratie ist kein Selbstläufer, sie bedarf täglicher Mitarbeit und aktiver Demokraten/-innen, die sich in der Gesellschaft engagieren, jeder nach seinem Talent!“

Friedrich Grimm aus Weinsberg:

„Koch mit Hahn, wenn das die neue Glaubwürdigkeit in Hessen darstellt, dann gute Nacht Deutschland. Uwe Vorkötter weist darauf hin, was eigentlich alle Wähler hätten wissen können. Doch die Wahl in Hessen wurde offenbar total losgelöst vom sonstigen Weltgeschehen und ohne jede Auswirkung (Finanzmarktkrise) vollzogen. Ausgerechnet die FDP wird hochgejubelt, um dem bürgerlichen Lager eine satte Mehrheit zu verschaffen. Vergessen, dass Herr Hahn durch sein Verhalten eine Mitschuld an den Vorgängen in Hessen trägt? Vergessen, oder was noch schlimmer ist, überhaupt nicht daran interessiert, was die FDP in ihrer neoliberalen Grundhaltung ( Deregulierungs- und Privatisierungswut) in all den Jahren äußerte? Wollte Herr Westerwelle nicht gar die Arbeitnehmervertretungen, die Gewerkschaften, entmachten?
Das Wahlergebnis legt die Vermutung nahe, dass in Hessen vor allem Millionäre und Milliardäre wohnen.“

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43 Kommentare zu “Die neue Glaubwürdigkeit in Hessen

  1. Meinen „Vorschreibern“ kann ich nur aus voller Überzeugung zustimmen und möchte deshalb nur kurz drei Gründe aufzählen, die ich ursächlich für das in Hessen erziehlte Wahlergenis halte :

    – der von der ach so freien Presse und den TV-Anstalten (die ja leider auf die von der Wirtschft bezahlten Anzeigen und Werbespots mehr oder minder angewesen sind),völlig überbewertete „Wortbruch“;

    – die geschürte Sozialismus-Angst vor einer Handvoll biederen Linken, (paradoxer weise ist diese Angst im Westen viel stärker ausgeprägt als im Osten; dort ist wiederum die Angt vor Ausländern größer).

    – und schließlich die 40% Nichtwähler, die sich mehrheitlich in der unteren Hälfte der Einkommensbezieher befinden und denen alles Geschehen um sie herum gleichgültig zu sein scheint.

    Ich befürchte, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird.
    Außer es kommt noch viel, viel schlechter – was wir uns alle nicht wünschen…

  2. Ich verstehe die Wähler der sog. Liberalen nicht. Liberalismus begrenzt sich also nur noch darauf, einen Koalitionspartner zu dienen. Da fragt sich unsereiner, weshalb 2 Fünftel der Wähler sich der Wahl verweigerten. Scheinbar sehen sie bei den Angeboten für sie keine wirkliche Alternative. Ob sie ?PD oder Grüne, ?DP oder Schwarze wählen: Hintenraus kommt der gleiche Mist. Und die, die eine Alternative wären, die darf mensch nicht wählen. Es könnte ja der Himmel zusammenbrechen. Und davor haben die Gallier doch immer noch die meiste Angst.

  3. Der hessische Wähler hat es vorgemacht, wie man dem Turbokapilalimus energisch entgegentritt.
    Wenn dann erst im September Schwarz/Gelb im Bund regiert, geht es richtig zur Sache !

    (Jedenfalls wurde das Abendland vorerst mal wieder gerettet!) 🙂

  4. Das Erstarken der Grünen und der FDP wundert mich nicht. Die Absicht durch das Wählen der Kleinen, eine große Koalition zu verhindern, bietet sich als eine Erklärung für das Wählerverhalten an.
    Sicher gab es auch einige Wähler, die zwar konservativ eingestellt sind, nicht aber Roland Koch ihre Stimme geben wollten- ein Sympathieträger ist er bekanntlich nicht. Die Grünen ihrerseits hatten in dem ganzen Ypsilanti-Debakel Souveränität vermittelt und im Wahlkampf – wie mir aus der Ferne schien- am ehesten auf inhaltliche Positionen gesetzt. Die Stärkung der Grünen ist also auch kein Wunder. Dass so viele Wähler zu Hause geblieben sind, war ebenfalls abzusehen. Man kann aus vielerlei Gründen zur Wahl gehen, z.B. aus demokratischem Pflichtgefühl heraus. Fehlt aber die grundlegende Haltung, von der gestalterischen Kraft der Politik überzeugt zu sein, die sich nach der Wahl positiv auf die Gesellschaft und das eigene Wohlergehen auswirken wird, bleibt man zu Hause. Betrachtet man die Schlammschlachten im Vorfeld der Wahl, die Beschäftigung mit Personalien und Nebensächlichkeiten, nimmt es nicht Wunder, dass so vielen potenziellen Wählern die Austauschbarkeit und Beliebigkeit der Parteien und ihrer Protagonisten stärker erscheinen musste als ihre inhaltlichen Differenzen. Wenn öffentlich kaum mehr über Inhalte diskutiert wird, kaum Positionen analysiert werden, wirkt das vordergründig vielleicht spannender als pingelige politische Analysen, auf den Wähler am Endew jedoch ermüdend.

  5. Mein letzter Satz ergibt keinen Sinn- das kommt vom „Reinflicken“ im Nachhinein…
    Das war gemeint:

    Scharfe Angriffe auf der Personenebene mögen vordergründig vielleicht spannender erscheinen als pingelige Analysen politischer Positionen, auf den Wähler wirken sie am Ende jedoch ermüdend.

  6. „Da ist er wieder, ein Ministerpräsident, den man vor 12 Monaten nicht mehr wollte.“

    Nun, wenn vor 12 Monaten niemand mehr Koch wollte, Koch damals aber mehr Stimmen bekam als Ypsilanti, so wollte vor 12 Monaten erst recht niemand Ypsilanti… Wäre ja eine Katastrophe gewesen, wenn sie Ministerpräsidentin geworden wäre, „wo sie doch wirklich niemand wollte“.

    Mein Verdacht ist leider, daß die Demokratie hierzulande immer mehr zu einer Personality-Veranstaltung nach amerikanischem Muster verkommt. In einer Situation, in der linke Wähler sich allgemein in einer Stimmung fühlen, wie sie sie in diesem Forum und in den Leserbriefen der FR immer wieder äußern (d.h. kurz vor dem neoliberal verursachten Weltuntergang), wäre es doch dringend geboten, gerade links zu wählen, und nicht ausgerechnet zur FDP abzudriften.

    Daß es genau anders kam, deutet in meinen Augen darauf hin, daß die Wählerfluktuationen dieser und der letzten Wahl auch durch folgendes erklärt werden können, leider: TSG typischer blasser Nerd, Koch irgendwie unsympathisch, Ypsilanti irgendwie sympathisch.

    Parteien, die ins Positive fluktuieren wollen, sind also gut beraten, entsprechendes Personal sich anzuschaffen.

  7. Betr.: Leserbrief zum Leitartikel von Uwe Vorkötter „Koch mit Hahn“ FR,19.01.09, S.11)

    Scherbengericht und Scherbenrichter

    Auch von einem Chefredakteur erwartet wohl niemand, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Was aber Uwe Vorkötter im Leitartikel zur Hessenwahl („Koch mit Hahn“, FR 19.1.09, S.11) dem Leser als „Analyse“ zumutet, das verschlägt mir doch die Sprache.
    Da wird munter moralisiert und personalisiert, werden – na, wem wohl? – die übelsten Motive (Wählertäuschung, „Macht um jeden Preis“) unterstellt, werden k.o.-Schläge („Wortbruch“, „Arroganz“, „Ignoranz“, „aus innerparteilichen Konkurrenten und Gegnern Verräter“) zu Fakten, um schließlich als gerecht strafender Übervater über den bösen Sündenbock – pardon: die Sündengeiß – zu seufzen: „Ach, Andrea Ypsilanti, was haben Sie da bloß angerichtet!“ –
    Schlussstrich für die Nachwelt im Stil „BILD dir meine Meinung!“, damit bloß niemand mehr auf die Idee kommt, danach zu fragen, wer da alles wie sein Süppchen gekocht hat – etwa den Motiven totaler Politikverweigerung derjenigen, die sich jetzt als Fähnlein der Aufrechten feiern lassen? Das hat nichts mit Missachtung des Wählerwillens zu tun, Herr Vorkötter?
    Welche Gründe soll es da noch geben, Tag für Tag für teures Geld die FR zu studieren, wo man doch im Original alles billiger und in größeren Lettern haben kann? –
    Ach, Uwe Vorkötter, was haben Sie da bloß angerichtet!
    Werner Engelmann, Luxemburg

  8. Ein schwarzes angebranntes Würstchen lag im Sommer auf dem Grill. Am Sonntag hat man es noch mal heiß gemacht und mit Senf garniert. Wohl bekomm`s!

  9. Ich verstehe immer noch nicht, wie man von „Mißachtung des Wählerwillens“ reden kann, wenn die jetzige Wahl doch die Frage geklärt hat, was der Wählerwille bei der letzten Wahl gewesen war. Wäre der Wählerwille vor einem Jahr gewesen, daß die LINKE eine wie auch immer geartete Beteiligung bzw. Mitbestimmung an der Regierung Hessens bekommen dürften/sollten (aus dem Ergebnis damals konnte man dies nicht herauslesen, denn das war unter anderem mit der Versprechung der Volksparteien zustandegekommen, dies nicht zuzulassen), dann wäre doch gestern die Abwanderung von der SPD zur LINKEN gegangen, sozusagen um ein Signal des Wählerwillens zu setzen, um zu zeigen, daß das Wählerherz, mag es auch noch so enttäuscht sein von der SPD, links schlägt. Das ist aber nicht passiert, das Gegenteil ist passiert, die Abwanderung ging zu einem beträchtlichen Teil in die andere Richtung. Es wird doch wohl keiner behaupten, daß Sozialdemokraten vom linken Rand der SPD (in größeren Zahlen) eine Bestrafung ihrer Partei herbeiführen wollen, die eine linke Regierung nicht zustande brachte, indem sie eine liberalkonservative Regierung wählen. Ebenso seltsam wäre es, wenn eine Abwanderung zu den Grünen ein Signal sein sollte, daß man auch mit den LINKEN zusammen hätte machen können und sollen… Nein, die SPD bestrafen wollten jene, die sich am rechten Rand der SPD befinden, und mit liberalkonservativ daher auch irgendwie leben können… Eben jene, die vom Wortbruch enttäuscht wurden…

    Es sollte also doch jetzt klar sein, was der vieldiskutierte Wählerwille bei der letzten Wahl gewesen war. Und das ist immer noch nicht, was sich manche zum Wählerwillen zusammenfantasieren, weil es ihnen privat so gefallen würde.

  10. @Wedell

    Der „Wählerwille“ besteht nicht aus einem Kreuzchen hinter Kreisen und Namen oder aus mathematischen Spielchen von gutverdienenden Instituten. Dieses „Wahlspiel“ ist der Tod der Demokratie.

    Der Wählerwille besteht aus dem, was ich meinem Abgeordneten im ausführlichen Gespräch sagen kann, aus dem, was er daraus lernt und zu den Gestaltern weiterträgt.

    Die Reduktion der Wahl auf „Kreuzchen-Mengenlehre“ ist undemokratisch.

    Es ist beschämend, daß versucht wird, meinen „Willen“ aus einem Geflatter von Zetteln herauszulesen.

    Man könnte mich fragen.

  11. @BvG

    Na wenn das so wäre… dann wäre das aber das Ende der Demokratie… denn glauben Sie wirklich, diesen Kontakt zu ihrem Abgeordneten würde wirklich eine nennenswerte Anzahl Menschen suchen? Mehr noch, unsere Demokratie könnte unter diesen Bedingungen gar nicht funktionieren, denn bei ca. 300 Wahlkreisen müßte jeder politische Vertreter eines Wahlkreises damit rechnen, von ca. einem 600stel der Bundesbevölkerung, also sagen wir mal 100.000 Wahlberechtigten, sich deren politische Vorstellungen vortragen zu lassen, und zwar in einem JEWEILS ausführlichen Gespräch!

    Daß sie ausführliche Gespräche mit ihrem Abgeordneten führen können (wenn sie es denn können), liegt doch nur daran, daß es so wenige andere Menschen tun. Und das daraus, d.h. aus ganz vereinzeltem stichprobenartigen Wählerkontakt resultierende Gefühl des Abgeordneten, was denn der Wählerwille sei, ist zwar besser als gar nichts, aber immer noch nicht DER Wählerwille, genau wie eine Allensbach-Umfrage auch noch keine Wahl ist.

    Ansonsten habe ich ja nur auf jene geantwortet, die schon in der Wahl vor einem Jahr einen angeblichen Wählerwillen erkannten, wie z.B. Herr Engelmann. Ihre Kritik wäre dann auch auf ihn gemünzt.

  12. Ihr Zahlenbeispiel zeigt , daß die Angeordneten den Wählerwillen gar nicht kennen können. Dem stimme ich zu.

    Wo ist also meine Meinung geblieben?

    Kommt nur der Wille der Durchsetzungsfähigen zum Tragen? Das ist zuwenig.

    Der sogenannte Wählerwillen ist den interessenbehafteten Interpretationen der Politiker anheim gegeben.
    Das ist nicht demokratisch, das ist bloßes Schafehüten.
    Wenn sie sich auf mich berufen wollen, müssen sie mich auch anhören. Wie sie das machen, ist nicht mein Problem. Ich fordere es, sie müssen es gewährleisten.
    Wenn sie das nicht schaffen, dürfen sie sich nicht auf mich berufen.

    Das aktuelle Verfahren hat den Wert eines Horoskopes.

  13. @Johannes Schröder:
    Meinen Sie bildlich, Herr Koch sei symonym für den Verkohlungszustand der Nachwende-BRD?

    @BvG:
    Horoskope sind eine fortschrittliche Idee. Dann müssen wir alldngs klären, ob für die Berechnung der jeweiligen Wahlergebnisse das Sternzeichen des Parteigeburtstags entscheidend ist oder die der Quersumme der Mitglieder. Wähler sind natürlich auch in dem Punkt nicht einzuplanen. Wo käme man hin!

    Demgemäss bleibt alles beim alten wider die Demokratie. Ist Frau Y jetzt eigentlich für Ministerämter unter SPD Kanzlern qualifiziert? oder hätte sie Koch dafür erst beerben müssen. Stichwort.

    Wo ist der nächste Klamauk?

  14. Ich bin ja kein Demokratietheoretiker, aber ist Demokratie überhaupt dazu da, den Willen des Wählers umzusetzen?

    Nehmen wir mal theoretisch an, alle Wähler wollten gern eine Abschaffung der sie betreffenden Steuern und gleichzeitige Auszahlung eines bedingungslosen Bürgergehalts von sagen wir mal 2000 Euro im Monat, für jeden. Der Trend in weiten Kreisen geht ja dahin, etwas in der Richtung zu wollen. Müssten Politiker dies umsetzen, wenn die Mehrheit der Bürger dies wollte?

    Oder ist es nicht so, daß verantwortlich denkende Politiker Programme zusammenstellen, die Kompromisse zwischen wünschenswertem und machbarem darstellen,
    für die sich der Bürger dann entscheidet, und das stellt dann die Berücksichtigung des Bürgerwillens dar.

    Letzteres ist, denke ich, vorzuziehen, wenn es unverantwortlich denkende bzw. politisch unmündige Bürger gibt und solange es verantwortlich denkende Politiker gibt. Gibt es letztere nicht mehr, so ist allerdings Not am Mann, das System wird fragwürdig…

  15. Lassen Sie mir noch einen letzten Gedanken zum Wählerwillen und zur Wählermeinungsfindung sagen.
    Angenommen – ich weiß, das ist sehr theoretisch – die Medien hätten nach der Wahl unisono folgendes gebracht :

    „Wählerwille = linke Mehrheit = Ypsilani = neuer Schwung in Hessen = keine Angst vor 6 Linken Abgeorneten = Ypsi ran, pack es an!“

    Was glauben Sie wohl, wäre aus der Wählermeinung geworden, wie sie jetzt dargestellt wird ?

    Nach wenigen Wochen hätte sich eine neue Regierung gebildet, wohlwollend von den Medien abgenickt – die Abweichler wären nicht abgewichen.

    Wir hätten längst ein anderes Thema.

  16. @max wedell:
    Ob Demokratie dazu da ist des Wählers Willen zu berücksichtigen ist irreführend, da in dem Moment angenommen wird, Demokratie und Wahlen gehörten untrennbar zusammen. Solange diese jedoch die praktische Umsetzung des Begriffes bedeuten, ist jegliche Partizipation von Bürgern im Sinne der Exekutive bindend als Volkes Wille aufzunehmen. Andernfalls führt das System in die Absurdität des Paradoxon. Klartext: da das System augenscheinlich ohnehin schon als fragwürdig angesehen und die Verantwortung rethorisch seit langem zurückgespielt wird, ist Lösung – theoretisch – allzu trivial. Übriggebliebenen verantwortlich denkenden Politikern muss Mündigkeit wie wir sie für uns selber einfordern zugestanden sein und Betriebsblindheit kommt in den besten Gewerkschaften vor. Programme bestehen aus Quellcode, und wenn die Projektleitung aus dem Ruder läuft, müssen Programmierer mitdenken. Ein Bürgergehalt ist im Sinne aller, darf alldngs nicht bedingungslos verteilt werden, unabhängig zu diskutierender Grössenordnung. Die entscheidende Frage ist, was eine Gesellschaft die immerhin das Thema bereit ist im Spektrum der Unterhaltung zuzulassen als nützlich für ihren Erhalt definieren muss oder kann und wieder fördert. Wenn das Individuum aus kaufmännischen Gründen rausfällt erübrigt sich der Begriff des Systems, weil offenbar von Viren zerfressen.

  17. [WB=Wahlbeteiligung] Bei den Wahlberichten diverser Sender lief immer wieder der Fließtext mit den Stimmenanteilen der Parteien — immer wieder ohne Angaben zur WB. Die WB-Angabe soll m.E. doch EU-weit Pflicht für alle Sender sein. Sieht man die Abfolge der Prozentzahlen, so soll doch jede/r Zuschauer/in leicht wissen können, z.B. daß die überwiegende Mehrheit der Hälfte der Wahlberechtigten dies oder das entschieden hat.

    Die WB-Angabe soll m.E. auch Pflicht für die diversen mehr oder weniger öffentlichen Beiräte oder sonstigen Gremien sein, z.B. als Pflichtangabe im Briefkopf, neben den anderen üblichen Informationen. Ist doch von Bedeutung, wenn man mit irgendeinem Beirat zu tun hat oder irgendeine Pressemitteilung vernimmt, zu wissen, z.B. daß das Gremium bei einer WB=10% gewählt wurde.

  18. @ maderholz,

    ich denke, sie schätzen den Einfluß der Medien ganz richtig ein, es ist auch meine Einschätzung. Das bedeutet natürlich ein Bewußtsein der Verantwortung auch in diesem Sektor.

    Was die „linke Mehrheit“ angeht, so will ich doch noch mal widersprechen. Man kann Wählerstimmen, die für die LINKEN abgegeben wurden, nicht mit Wählerstimmen ADDIEREN, die für die SPD nur deshalb abgegeben wurden, weil die SPD in keiner Form mit den LINKEN zusammenarbeiten wollte. Ich hielte dies, täte man es, für Wahlbetrug. Ich deute das jetzige Wahlergebnis so, daß mehr Wähler es so sehen, als enttäuscht sind über die nicht zustande gekommene Linksregierung.

  19. @ Paul Ney, hier die Wahlergebnisse Landtagswahl Hessen 2009:

    Nichtwähler 39,0%
    CDU 22,7%
    SPD 14,4%
    FDP 9,9%
    Grüne 8,4%
    LINKE 3,3%

    Prozentangaben beziehen sich auf die Zahl der Wahlberechtigten.

    (Die 2,9% ungültige Stimmen habe ich mal außen vor gelassen, denn bei denen weiß man nicht, waren das eher Nichtwähler, oder eher etwas Schusselige).

  20. @ Werner Engelmann

    Ich kann mich dem Leitartikel von Herrn Vorkötter nur anschließen. Wenn man sieht, wie hier eine Chance verspielt wurde, dann hat das Desaster einen Namen, Ypsilanti. Und das ist so schade, weil die Inhalte für die sie stand ja eigentlich richtig und dringend in der Politik nötig sind. Aber sie ist eben nach dem Motto „Augen zu und durch“ zweimal gegen die gleiche Wand gebrettert.

  21. Man verzeihe der Ironie Wurmfortsatz. Wenn Frau Ys Inhalte einhellig begrüssenswert beurteilt werden, ist genügend Vorraussetzung vorhanden, Widerstand gen Technik und vergleichbarem gesellschaftlich ebenso neu zur Disposition zu stellen wie bereits die Demokratie. In dem Falle ist uU Benedikt XVI als verständig vernünftiger Mensch zum Thema zu vermuten, wenn Glaubensfragmente rekonstruierbar sind und welche bionische Inhaltstransfusion nicht persönlichkeitsschädigender Art als mit der Bibel vereinbar skizzieren. Angesichts des Inhalts echter Persönlichlichkeiten, meint, die nicht vorhandenen, verlagert sich Moral seit ihrer Wende auch schon nur auf Fragen von Nützlichkeitsprozentualanalysen. Wer nicht wählt der nicht gewinnt, oder verliert. Reminder comment #19.

  22. Zu Manfred Kirsch

    Sein am 20.1. abgedruckter Leserbrief insbesondere und auch zwei weitere Leserbriefe sind von Hass oder zumindestens tiefer Abneigung gegen Roland Koch geprägt. Sozusagen noch ein Nachhall des Wahlkampfes.

    Nun ist die Angelenheit entschieden und die Wähler sind nicht auf diese persönlichen Verunglimpfungen hereingefallen. ich freue mich deshalb sehr über das Wahlergebnis.

  23. Na, Reinhard Wolf,

    einen ähnlichen „Hass“ haben Sie wohl auch gegen den politischen Gegner, sonst würden sie nicht so einen Unsinn schreiben. „Hass“ ist ja wohl ein etwas starkes Wort für sowas wie politische Rivalität, oder?

  24. Nachdem ich mir jetzt alle Kommentare und den dummen und ärgerlichen Leitartikel von Herrn Vorkötter durchgelesen habe, will ich auch noch meinen Senf dazu abgeben:
    Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, welche „Chance“ Frau Ypsilanti „verspielt“ hat oder was sie „gegen die Wand gefahren“ hat. Sie hatte doch gar keine andere Wahl, als eine Duldung durch die Linkspartei zu versuchen, welche anderen Möglichkeiten hätte sie denn gehabt? Eine Große Koalition als Juniorpartnerin unter Herrn Koch? Neuwahlen wegen eines „gebrochenen Wahlversprechens“ anzustreben? Das ist doch albern, wenn man weiß, wie oft Wahlversprechen gebrochen werden(s. 3 % Mehrwertsteuer nach der letzten Bundestagswahl). Ich bin auch für mehr Moral und Ehrlichkeit in der Politik, wenn man allerdings sieht, wie die Selektiv-moralisten dieser Republick mit großem Pathos vereint auf Frau Ypsilanti einprügeln kann man schon Zweifel an deren Motiven haben. Der Moral in der Politik tut man mit diesem „Zweckmoralismus“ einen Bärendienst. Eine Ypsilanti-SPD, was die politischen Inhalte betrifft, wäre für mich wieder wählbar gewesen, eine SPD, die ihre Aversion gegen die Linkspartei über politische Inhalte stellt, ist es nicht.

  25. Frau Ypsilanti hat genau drei Fehler gemacht:

    1. Das kategortische Vorab-Ausschließen jedweder Zusammenarbeit mit den Linken öffnete Verweigerern wie Frau Metzger erst die Tore.

    2. Ihrem Hauptwidersacher Walter nicht das von ihm angestrebte Ministeramt zu geben und die Kleingeistigkeit dieses Mannes zu unterschätzen hat ihr den zweiten Anblauf vermasselt.

    3. Sie ist zwei Monat zu spät zurückgetreten und hat dadurch den Argumenten, wer TSG wählt, wählt Ypsilanti, Vorschub geleistet.

    Jetzt ist sie Vergangenheit und bleibt das hoffentlich auch. TSG ist für seinen Mut zur Niederlage zu bewundern. Ich wünsche ihm einen guten Start in die Opposition. In fünf Jahren ist der Wähler hoffentlich klüger. Koch wird das in seinem Leben nicht mehr.

  26. @25

    Was für eine merkwürdige Argumentation. Das kategortische Vorab-Ausschließen jedweder Zusammenarbeit mit den Linken machte die SPD doch für einige Wähler erst wählbar. Hätte Ypsilanti 1 unterlassen, d.h. vor der Wahl auf die Frage, ob sie mit den Linken zusammenarbeiten würde, gesagt: „Wenn es nötig wird, ja“, hätte sie eine ganze Menge Wählerstimmen weniger erhalten. Die „Fehler“ 2 und 3 hätten dann überhaupt gar nicht gemacht werden können, aber doch nicht, weil Frau Ypsilanti nicht gewollt hätte, sondern weil sie gar nicht gekonnt hätte…

    Sie dürfen nicht, wie so viele andere hier, von der Frage einer politischen Beteiligung der LINKEN als „Lappalie“ ausgehen, die die Wählerentscheidung für die SPD nicht beeinflussen kann, nur weil sie sie so empfinden.

  27. @ Max Wedell # 9
    Aber sicher doch, es wird so lange gewählt bis der Wählerwille den sog. Bürgerlichen passt.

  28. Der Wählerwille wird nicht dadurch verändert, daß man wählt, sondern dadurch, was zwischen den Wahlterminen passiert.

  29. (i) Betr. #19, max wedell: Danke, auch eine originelle Aufstellung; demnach WB=61,0%.

    (ii) Ich hätte mir enen Lauftext wie folgt gewünscht: [Wahlbeteiligung 61,0% ++ CDU 37,1% ++ SPD 23,9% ++ FDP 15,9% ++ B90-Grüne 14,0% ++ Linke 5,2%] (Partei% aus der FR vom 19.01.2009, nach ARD vom Vortag, 19:19).

    (iii) Offensichtlich liefert niemand die „cross-vote-tables“ (?!), was für die wissenschaftliche Wahlforschung extrem wichtig ist. Ein Wähler kann also den Direktkandidaten der Partei A und die Landesliste der Partei B wählen. Das kann einfach dargestellt werden: Quadratische Tabelle, Parteienliste in der ersten Zeile & Spalte, Ergebnis wo sich Zeile A und Spalte B kreuzen. Würde jemand so eine Tabelle veröffentlichen oder bringt das Ärger?!

  30. @Paul Ney:

    Zu ihrem Punkt „iii“. Abgefahrene Idee!! Für die Zeilen und Spaltenmatrix ist zu berücksichtigen, dass Koordinatensystem einen Ursprung haben. Bedeutet praktisch, das Wahlsystem muss um „null“ votes für x und y ergänzt werden. Hilft vllt Ärger vermeiden.

  31. Ergänzung:
    Die freie Marktwirtschaft liesse zu über Wahlwettinstitute nachzudenken. Und Bingospiele sind durchaus auch beliebt, wenn sorgsam organisiert. Bitte nur keine Karaoke hinterher, die der bessere der Wahlversprecher nutzt, mit altbekannten Liedchen Gehörgänge zu maltretieren. Spannend, nicht dass am Ende die Demokratie doch noch zu retten ist und die Anarchie in der Projektplanung verschoben werden muss.

  32. @Paul Ney, zu (iii)

    ich habe Zweifel, ob es überhaupt eine Datenlage gibt, die eine solche Tabelle ermöglichen würde. Es müsste ja die Tatsache festgehalten werden, daß eine Direktkandidatenstimme und ein Stimme für die Landespartei von derselben Person abgegeben wurde. So wie ich es verstehe, wird aber einfach nur erstere gezählt (Strich auf einem Zettel unter Partei A), und letztere wird auch gezählt (Strich auf einem ganz anderen Zettel unter Partei B), und das war es dann. D.h. am Ende hat man pro Wahlkreis nur n = {Kandidatenanzahl} PLUS {Landesparteienanzahl} Prozentzahlen, statt n = {Kandidatenanzahl} MAL {Landesparteienanzahl} Prozentzahlen, wie man sie für Ihre Matrix bräuchte.

    Die Stimmzettel werden meines Wissens nach dann noch archiviert, da man bei Anfechtungen evtl. nochmal auszählen müsste usw. Ob sie dann aber z.B. der wissenschaftlichen Forschung übergeben werden, weiß ich nicht, halte ich aber für sehr fraglich.

    Nicht nur Ihre Idee könnte dann verwirklicht werden, sondern es könnten z.B. auch ungültige Wahlzettel untersucht werden. Ggf. sind diese mit Kommentaren versehen, die auszuwerten auch interessant wäre.

    @b.n.w. 0% in die Matrix einzutragen wäre doch kein Problem. So richtig 0 Stimmen bei einer Kombination halte ich aber eher für selten, es gibt nichts, was es nicht gibt.

  33. @max wedell:
    Es ging bis hierhin nach meinem Verständnis um Auswertungen mittels Matrix, nicht eintragen von Prozentwerten. Obschon letzteres für sich ein spannendes Gedankenexperiment ist, zunächst die Analysen Thematik. Vorraussetzung ist ohnehin, dass Erst- und Zeitstimme auf einem Zettel gekreuzt werden, aus Gründen des Umweltschutzes absolutes Minimalziel. Ohne sind Auswertungen wie Herr Ney sie wollte logisch-formal nicht zu übersetzen. Das Problem der zweidimensionalen Tabelle besteht darin, dass der Automatismus zu befürchten steht, es würden zwei Klassen Wähler entstehen. Alle anderen wären überfordert. Wirklich wichtig, bzw. interessant ist der Vorschlag deshalb weil öffentlich-rechtliches interessant würde wenn die Tabelle auftaucht, denn, Stimmensplitting wird mithin der Ziehung der Lottozahlen vergleichbar. Aus anhaltendem Finanzgekrisel leitet sich die Geschäftsfeldübernahme wie von selbst ab. Ding dran die Frage der Gewinne. Man hörte auch Staaten gehen pleite wenn die steuern senken.

  34. Forgotton item once more. Im Sinne des Zweireiherstimmzettels meinte ich die 0% als null. Sprich, es gibt zusätzlich vor dem Direktkandidaten, bzw. der Landesliste das Stimmfeld „Null“. So viel wie: Pointer auf Nirvana gesetzt denn alles muss man selber machen. Wähl eigentlich gar nicht mehr. Ab und zu mit Telefon.

  35. Ich weiß nicht, was die Herren und/oder Damen hier so zusammengerechnet haben und in was für Matrixgitter schreiben wollten.

    Was die Betrachtung oder Interpretation von Stimmenanteilen zu Wahlbeteiligung und Sitzverteilungen angeht ist die Sache, auch mathematisch relativ einfach:

    Der hessische Landtag hat 110 Sitze

    Hessen ist in 55 Wahlkreise eingeteilt

    Mit der Erststimme (Personalwahl) wird aus jedem Wahlkreis derjenige Bewerber mit den meisten Stimmen gewählt.

    Jetzt ist der Landtag schon zur Hälfte voll.

    Mit der Zweitstimme (Parteiwahl) wird jetzt eine Partei gewählt. Landesweit werden diese Stimmen für jede Partei zusammen gezählt. Die Summe aller Parteienstimmen bildet die Grundmenge der Stimmen, d.h. 100%. Jede Partei hat daran einen bestimmten Anteil, entsprechend ihrer Stimmenzahl. Nach einem mathematischen Verfahren dem Hare-Niemeyer-Verfahren (s. http://www.wahlrecht.de/verfahren/hare-niemeyer.html) werden jetzt die restlichen 55 Sitze auf die Parteien nach ihrem Stimmenanteil an der o.a. Grundmenge verteilt.

    Der Landtag ist voll; evtl kommen jetzt noch Überhangmandate dazu, wenn eine Partei schon so viele Direktmandate hat, daß mit den ihr anteilsmäßig zustehenden Sitzen aus Zweitstimmen die Grundzahl der Abgeordneten von 110 überschritten wird.

    Das von den Diskutanten hier wohl gesehene Problem ist, daß, wenn von 1000 Wahlberechtigten nur 500 zur Wahl gehen (Wahlbeteiligung 50%) und von diesen 500, 250 ihr Kreuz bei Partei A machen, die Partei A von den über die Zweitstimme zu erreichenden Sitzen, nehmen wir an dies seien insgesamt 50, dadurch rundgerechnet 25 Sitze erhalten. Nehmen wir idealer Weise an, daß dieselben 50 Wähler derselben Partei A auch immer ihre Erststimme gegeben haben und dies auch innerhalb aller Wahlkreise je der Kandidat war der in jedem Wahlkreis die meisten Stimmen bekam, so hätte Partei A über Erst- und Zweitstimmen zusammen jetzt 50% der Sitze im Parlament errungen, obwohl Sie nur von 25 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt worden ist. Dabei gingen wir auch noch davon aus, daß niemand von allen Wählern, d.h. weder die eben betrachteten Wähler von Partei A noch die Wähler anderer Parteien Ihre Erst- und Zweitstimme zwischen zwei Parteien aufgeteilt haben (Splitwahl). Alle ungültigen Stimmen haben wir jetzt außerdem noch außer acht gelassen.

    Da wir aber davon ausgehen müssen, daß Stimmen gesplittet werden, der Erststimmenbewerber aus Partei A im Wahlkreis 55 durchaus nicht die Mehrheit der Erststimmen bekommen muß, obwohl seinen Partei die Mehrheit der Zweitstimmen dort erhielt – es genausogut hätte umgekehrt sein können – wird jedem einsichtig sein, daß man nur unter Protokollierung jeder einzelnen Stimme (die ja immer aus zwei Stimmen auf jedem Wahlzettel besteht) rekonstruieren könnte wieviel Prozent aller Stimmen der Gewählthabenden notwendig waren um einen bestimmte Sitzanzahl insgesamt für einen Partei zu erobern um dann allenfalls errechnen zu können wie viele Stimmen dies gewesen wären, hätten alle Wahlberechtigten auch genauso gewählt. Dann hätten wir zwar dieselbe Landtagsbesetzung, aber bei höherer Wahlbeteiligung, idealer Weise 100%, stützen sich die Abgeordneten auf genausoviel Prozent der Wahlberechtigten, als die Abgeordneten einen Anteil an der Gesamtabgeordnetenzahl haben.

    Die mathematischen Gleichungen dafür sind alle vorhanden, aber niemand von uns Normalbürgern besitzt das aufbereitete, Datenmaterial, d.h. die tatsächlichen Stimmzettel um die damit erhebbaren Werte in diese Gleichungen einsetzen.zu können. Auch der Staat darf das nicht. Durch freiwillige Befragungen der Wähler (Stichprobenerhebungen) könnte man hier Annäherungswerte errechnen.

    Tatsächlich wird daher der Gesamtanteil der gültigen Zweitstimmen an den 100% der tatsächlich abgegeben Stimmen insgesamt als der Prozentanteil der Partei am Wahlergebnis angegeben.

    Die Zahlenbeispiele die hier im Blog angegeben wurden (z.B. in #19), beruhen immer auf einer bestimmten Annahme bezüglich der Verteilung von Erst und Zweitstimme auf die von mir hier angegeben Einzelwerte. Diese Verteilung kann tatsächlich aber auch ganz anders ausgesehen haben.

    Aber insgesamt sollte man sich hier nicht sosehr solchen Zahlenspielen hingeben, sondern politische Inhalte diskutieren

  36. (Zu: Uwe Vorkötter: „Koch mit Hahn“, FR 19.01.09, S.11, meinem Kommentar Nr,7, Max Wedell (Nr.9,11,14), BvG (Nr.10)

    Zum Kommentar von Max Wedell

    Es mag ja ein schönes Gefühl sein, „den“ Wählerwillen so genau zu kennen und sich so richtig mit ihm Übereinstimmung zu fühlen, und ich möchte das auch niemandem vermiesen. Es ist auch nachvollziehbar, dass man, wenn sowie alles völlig „klar“ erscheint wie Herrn Wedell(Nr.11) , wenig geneigt ist, auch die eigene Position kritisch zu hinterfragen.
    Misslich jedoch, wenn dabei das Wahrnehmungsvermögen so beeinträchtigt wird, dass man in Äußerungen von anderen Dinge hineinliest, die sie nie von sich gegeben haben, um sie besser an die bereitgestellte Schublade anzupassen. Und nicht hinnehmbar ist – weil es jede Diskussion unmöglich macht –, wenn man den aufgebauten Buhmann gleich als Fantasten abschießt. Nicht wahr, Herr Wedell?

    Zur Klarstellung meiner Äußerung:

    1. Es ist Herr Vorkötter, der von dem Wählerwillen (im Singular!) spricht und ihn als Totschlag-argument gegen eine ihm unbequeme Position gebraucht. Wörtlich: „Sie (Ypsilanti) hat den Willen ihrer Wähler missachtet und durch Beschlüsse ihrer Parteigremien ersetzt. Sie wollte die Macht, auch mit der Linken.“ Das Wort „Wählerwillen“ ist von mir nur deshalb nicht in Anführungszeichen gesetzt, weil es wohl inhaltlich gemeint, aber nicht wörtlich so im Text ist. (Es geht auch und gerade bei unterschiedlicher Position um Genauigkeit, Herr Wedell!)
    2. Die ironische Frage an Herrn Vorkötter „Das hat nichts mit Missachtung des Wählerwillens zu tun, Herr Vorkötter?“ verweist natürlich darauf, wie (nicht nur von ihm) mit zweierlei Maß gemessen wird. Sie ist in erster Linie auf die FDP (doch nicht nur sie) gemünzt, die sich jeglichem konstruktiven Gespräch mit Ziel einer Regierungsbildung auf der Basis eines vorhandenen Wählervotums verweigert hat, dies als „Standhaftigkeit“ verkauft und dafür auch noch kräftig belohnt wird. Herrn Vorkötters diesbezüglicher Hinweis auf die Widersprüchlichkeit dieses Wählervotums in Anbetracht von deren neoliberaler Politik, die gerade den Bach runtergeht, ist völlig schlüssig.
    3. Es ist schon merkwürdig, wie viele sich hier als Auguren „des“ Wählerwillens betätigen. Vorausgesetzt, dass jeder weiß, warum er was wählt, gibt es, bezogen auf diese Wahl 4372900 „Wählerwillen“ (Nichtwähler eingeschlossen). Diese auf „den“ Wählerwillen zu reduzieren, um politisches Handeln (möglichst im Sinne der eigenen Interpretation) von vornherein festzulegen, heißt, ihn zum Fetisch zu machen. Da dies nicht klappen kann, stellt man ihm (je nach Bedarf, siehe Metzger u.a.) den Fetisch „Gewissensfreiheit“ gegenüber (die man einfach nur behaupten muss, um zum Bannerträger echter „Standhaftigkeit“ zu werden) und wundert sich, dass die Diskussionskultur und die Fähigkeit zum Aushandeln fairer Kompromisse auf der Strecke bleiben.
    4. Es ist nicht Aufgabe von Politikern, sich als Auguren oder Vollstrecker „des“ Wählerwillens zu betätigen (dann könnte man sie sich zugunsten von Wahlautomaten sparen), sondern auf der Basis eines abgegebenen Votums Mehrheiten herbeizuführen, Herausforderungen zu begegnen und Politik verantwortlich zum Wohle des Volkes (also auch von Minderheiten) zu gestalten.
    Zur Klarstellung: Ich halte es für müßig (wie BvG, Nr.10), über utopische und vermeintlich „bessere“ Modelle zu spekulieren und für gefährlich, demokratische Wahlen als „Kreuzchen-Mengenlehre“ zu diskreditieren. Ein demokratisches Mehrheitsvotum ist als Grundlage für politischen Gestaltungsspielraum zu respektieren, auch wenn man die Motive, die dazu führten, für dubios hält. Ich sehe dazu keine bessere und realistische Alternative. Ich stimme hierzu Max Wedell (Nr.14) ausdrücklich zu. Es hat aber auch, wenn die Entscheidung getroffen ist, jedes Nachtreten gegen den oder die Unterlegenen zu unterbleiben, Herr Vorkötter!

    Zu Herrn Vorkötters Methode:

    1. Auf den gesamten Kommentar bezogen, kann man seine Methode als teilrational bezeichnen: Eine vorwiegend rational bestimmte Analyse (siehe Beispiel oben) wird von Passagen durchsetzt, wo ihm offenbar der Gaul durchgeht – erkennbar an Reizwörtern, Verallgemeinerungen, subjektiver und überspitzter Interpretation von vermeintlichen Absichten, die als angebliche Tatsache absolut gesetzt wird, an Unterschlagung von Zusammenhängen, die eine andere Sicht sehr wohl nahe¬legen. (Das kann man in meinem Beitrag und im Kommentar selbst ausfindig machen.) Das ist alt bekannter BILD-Journalismus. Dass dies gerade beim Thema „Ypsilanti-SPD“ passiert, dass gerade hier die Beißhemmung aussetzt, welche den eingestandenen Verlierer vor Nachtreten schont, ist gewiss kein Zufall. So unverhohlen drischt man nur auf Verlierer ein, wenn man sich des Beifalls der „schweigenden Mehrheit“ sicher glaubt (siehe Methode Koch).
    2. Herrn Vorkötters Methode wird dadurch nicht besser, dass er auch im Schlusssatz („Ach, Andrea Ypsilanti, was haben Sie da bloß angerichtet!“) BILD-Stil pflegt: Nach einer (von ihr selbst Anfang der 70er Jahre in Auftrag gegebenen psychoanalytischen Studie) nimmt BILD Über-Ich-Funktion ein und pflegt daher das Image des strengen aber gerechten Über-Vaters. So zeigt man dem einfach gestrickten Leser, „wo’s lang geht“, man kann ihm aber auch die eigene Doppelmoral und die genehmen Feindbilder unterjubeln. (Es wäre sicher lohnend, den BILD-Beitrag bei der Anti-Ypsilanti-Kampagne näher zu untersuchen.)
    3. Ist es so unerträglich, die Methode, mit der ein Chefredakteur einer immer noch seriösen Zeitung mit unliebsamen politischen Protagonisten umspringt, auf ihn selbst anzuwenden?

    (Thesen zum „Ypsilanti-Phänomen“ folgen später)
    Werner Engelmann, Luxemburg

  37. @ Herr Engelmann,

    ihre Passage:

    „…derjenigen, die sich jetzt als Fähnlein der Aufrechten feiern lassen? Das hat nichts mit Missachtung des Wählerwillens zu tun…?“

    hat auf mich den Eindruck gemacht, als gehörten Sie zur Phalanx derer, die den „Aufrechten“ vorwerfen, den Wählerwillen zu missachten. Mein Eindruck war, daß der Mythos, die Wahl vor einem Jahr hätte eine Wählermehrheit für eine Regierung rot-grün-rot ergeben (der hier so häufig immer wieder und wieder propagiert wird), auch von Ihnen geglaubt würde. Wenn ich das falsch verstanden habe, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen (aber nur dann!!! 😉 ).

    @ j.u.t

    ganz so kompliziert waren meine Zahlen von #19 nicht gemeint. Anzahl von Sitzen o.ä. habe ich überhaupt nicht reingerechnet. Erhält aber eine Partei 90% der abgegebenen Stimmen (und im TV sagt man Ihnen: „Die haben 90% gekriegt“), aber die Wahlbeteiligung war nur 10%, so haben genau 9%(!) der Wahlberechtigten die Partei gewählt, von der man Ihnen in den Medien erzählt: „Die haben 90%“. Ich habe nur die Wahlergebnisse um die 61% Wahlbeteiligung „bereinigt“, die es in Hessen gab.

  38. @ 37. Kommentar von: max wedell

    Den Effekt, den Sie in #37 beschreiben, habe ich in #35 als „das Problem der Diskutanten“ beschrieben. Allerdings erklärte ich auch, daß sich dies immer nur, so wie Sie es auch in #37 wieder schildern, ohne es selbst explizit zu bemerken, auf Basis der Zweitstimmenabgabe so sagen läßt und das auch nur, wenn diese mit der Erststimme parallel für „dieselbe“ Partei abgegeben würde. Diese Bedingung ist nie für alle Stimmabgaben erfüllt, eher ist das Splitting inzwischen die Regel. Insofern ist Ihre „Berechnung“ aussagenlos (wenn sie auch eine Richtige Tendenz beschreibt, aber eben keine absoluten Aussagen zuläßt, oder eine solche selbst darstellt), insbesondere, da es in Hessen/Deutschland keine Wahlpflicht gibt, wohl aber ein Wahlrecht und das Wahlgeheimnis.

  39. @ Max Wedell

    Entschuldigung angenommen.
    Allerdings zitieren Sie unvollständig und damit missverständlich. „Missachtung des Wählerwillens“ (was nicht mein Sprachgebrauch ist) bezieht sich nicht auf „Fähnlein der Aufrechten“, sondern auf den Grund dieses ironischen Ausdrucks: „den Motiven totaler Politikverweigerung“.
    Will heißen: Der Sinn einer Wahl ist, auf der Basis eines demokratischen Votums die Bildung einer Regierung zu ermöglichen. Dies ist Auftrag an die Parteien, die sich zur Wahl stellen. Sich (wie die FDP) diesem Auftrag kategorisch zu verweigern, und zwar aus rein wahltaktischen Überlegungen, halte ich in der Tat für eine Missachtung der Wähler. Niemand aber von denen, die wegen Frau Ypsilantis Versuch, die Linke einzubinden, aufgeschrien haben, hat sich über die erregt, die dies als einzige hätten verhindern können, nämlich die FDP. Um die Aufmerksamkeit davon abzulenken (u.a.), hat man wohl auch diese, wie ich meine, heuchlerische „Wortbruch“-Kampagne losgetreten. Man kann Frau Ypsilanti vielleicht Naivität vorwerfen, weil sie nicht ebenso skrupellos Parteitaktik über das Verfolgen inhaltlicher Ziele (aus ihrer Sicht zum Wohle des Landes) gestellt hat. Herrn Vorkötters Vorwürfe „Macht um jeden Preis“, „Arroganz“ sind jedenfalls nicht berechtigt und gehen an die falsche Adresse.
    Einschätzung von Mehrheitsverhältnissen ist für mich kein Glaubensbekenntnis und ich habe mich an dieser Debatte auch nie beteiligt. Ebenso ist es ziemlich egal, wer früher einmal „Recht“ hatte, wenn eine neue Situation entstanden ist.
    Mir geht es um etwas anderes:
    1. Ich war von Anfang an skeptisch, ob mit einer so diffusen Partei wie der Linken auf Dauer verlässliche Politik gemacht werden kann. Doch auch wenn das Bündnis früher oder später geplatzt wäre, wären neue Fakten geschaffen worden, indem ihr tatsächlicher Charakter erkennbar geworden wäre. Mit dem Scheitern ist eine Chance vergeben worden, der (bewusst geschürten) Hysterie im Umgang mit dieser Partei die Spitze zu nehmen. (Diese Einschätzung könnte deutlich machen, warum den „Abweichlern“ – vor allem den Profiteuren ihrer Aktion – so sehr daran gelegen war, es um jeden Preis von vorherein, auch auf so spektakuläre Weise, platzen zu lassen. Ich kann die Enttäuschung, so bei Gesine Juncker (Nr.20) vollauf verstehen, seine Wut darüber alleine auf Frau Ypsilanti auszulassen, ist aber unüberlegt und ungerecht. (Mehr dazu in den später folgenden Thesen).
    2. Man kann über Inhalte und politische Ziele verschiedener Meinung sein, über Umgangsformen und Stil der Auseinandersetzung sollte Einigkeit herrschen, soll die Diskussionskultur und letztlich auch die Demokratie nicht beschädigt werden. Unabhängig davon, welche Fehler Frau Ypsilanti gemacht hat und wie man dazu steht: Den selbstgerecht-anmaßenden und hetzerischen Ton eines Uwe Vorkötter zu Beginn und im Schlusssatz halte ich für unannehmbar und für eine Zeitung wie die FR für eine Schande.

  40. Werner Engelmann:

    Thesen zum „Ypsilanti-Phänomen“

    Mit der Neuwahl in Hessen ist eine neue Situation entstanden, die es erlaubt, die einjährige hitzige Debatte über den Versuch Frau Ypsilantis, die Linke in Regierungsverantwortung einzubinden, mit Abstand und auch differenzierter zu betrachten. Vorwiegendes Kennzeichen dieser Debatte war eine Verschiebung von der politischen auf eine „moralische“ Ebene: „Wortbruch“ und „Gewissen“, an politischen Akteuren personalisiert, als zentrale Schlagwörter. Eine solche Ebene, die sich rationaler Überprüfbarkeit entzieht, neigt nicht nur zu Irrationalität, sie trägt auch Verschleierungscharakter. Sie verschleiert politische Interessen, aber auch gesellschaftliche Grundeinstellungen und Faktoren, die, weitgehend unbewusst oder gezielt verdrängt, politische Einstellungen und Handlungen zumindest mitbestimmen.
    Ziel der nachfolgenden Thesen ist, das Augenmerk auf eben solche verdrängte Faktoren zu lenken und eine Debatte darüber anzuregen. Sie beanspruchen nicht, der Weisheit letzter Schluss zu sein.
    Ins Bewusstsein zu rücken, was oft mit erheblicher Kraftanstrengung verdrängt wird, ist eine schmerzliche Angelegenheit, die Abwehrreaktionen hervorruft. Die Auseinandersetzung mit ererbter „Schuld“ aus Nazi-Vergangenheit ist dafür ein Beispiel. Darauf wird oft mit Eröffnung von Nebenkriegsschauplätzen reagiert, aber auch mit offener Aggression. Dessen bin ich mir bewusst. Doch für die Auflösung von Blockaden und Selbstblockaden und für echten Neuanfang gibt es keinen anderen Weg.

    Thesen zu historisch- psychologischen Hintergründen:

    1. Ypsilanti-Politik ist (zumindest vorerst) passé, das „Ypsilanti-Phänomen“ ist es keineswegs. Dies ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich nicht am Verhalten einer Politikerin festmachen lässt, sondern an Reaktionen auf sie, bedingt durch bestimmte gesellschaftliche Grundeinstellungen.
    2. Die Frage, welche (z.B. handwerklichen) Fehler mit Ypsilanti-Politik verbunden sind, ist zwar wichtig, führt aber nicht zu den entscheidenden gesellschaftlichen Ursachen. Noch weniger eine Diskussion über „Moral“ in der Politik. Kernfrage ist, wie eine Politikerin in diesem Ausmaß zum Hassobjekt werden kann.
    3. Maßgebend hierfür sind weniger bestimmte Handlungen oder Fehler dieser Politikerin, sondern latent vorhandene, überwiegend verdrängte und auch gezielt instrumentalisierte Voreinstellungen in der Bevölkerung gegenüber einer Partei, die Urängste mobilisiert: der Linkspartei.
    4. Die Mobilisierung von Urängsten in weiten Teilen der Bevölkerung durch die Linkspartei verweist auf einen tief sitzenden irrationalen Antikommunismus. Dieser neigt, da meist verdrängt, zu hysterischen Reaktionen und dazu, seine Aggressivität an kritischen Einstellungen, besonders an Reizfiguren zu entladen.
    5. Die Aggressivität gegenüber dieser Partei ergibt sich vorwiegend aus einem diffusen Gefühl der Bedrohung und tiefgehender Verunsicherung, da sie als sicher geglaubte Einstellungen und Grundüberzeugungen in Frage stellt.
    6. Bedrohungsgefühle machen die Suche nach „Sündenböcken“ unabdingbar, anhand derer sie „gebannt“ erscheinen. (Historisches Beispiel ist u.a. der Hexenwahn, der nicht auf mittelalterlichem Denken beruht, sondern in einer Zeit des Umbruchs mit notwendiger Neuorientierung einer durch Entdeckungen sich öffnenden Welt entstand, vergleichbar mit Globalisierung heute.)
    7. Eine größere Entladung von Aggressivität aufgrund von Bedrohungsängsten hat in der Bundesrepublik in Form einer flächendeckenden Verdächtigungskampagne gegen kritische Beamte, vor allem Lehrer, in den 70er und 80er Jahren stattgefunden (Gesinnungsüberprüfung und „Berufsverbote“-Politik), vergleichbar zur „Kommunisten“-Hatz der 50er Jahre in den USA während der McCarthy-Ära. (Diese vor allem in CDU-, aber auch in SPD-regierten Ländern geübte Praxis wurde erst durch Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof nach ca. 20 Jahren endgültig gestoppt). Eine zweite Entladung in Form einer Staatsschutzhysterie ist als Reaktion auf den Terror der RAF festzustellen.
    8. Bedrohungsängste sind per se diffus (im Unterschied zu Furcht, die immer auf eine bestimmte Person oder Situation gerichtet ist). Sie unterscheiden nicht nach Herkunft, können sich vermischen und gegenseitig verstärken, so z.B. Globalisierungsängste, Fremdenangst, Kommunistenangst.
    9. Der diffuse Charakter von Angstzuständen unterschiedlicher Herkunft bedeutet, dass ihre Mobilisierung keiner objektiven, sondern nur einer eingebildeten Gefahrensituation bedarf, die im politischen Diskurs gezielt geschürt werden kann. So kann es auch Kommunistenangst ohne Kommunismus geben.
    10. Ängste können vor allem virulent werden auf der Grundlage kollektiver Traumata, hervorgerufen durch unbewältigte bedrohliche Erlebnisse wie Kriegsereignisse, Flucht, Repression in totalitären bzw. kommunistischen Ländern.
    11. Traumata sind im Unbewussten angesiedelt. Sie speichern Angsterfahrungen lebenslang, können wohl zeitweise (z.B. durch beruflichen Erfolg) verdrängt, aber nicht beseitigt werden. So galten Traumata von Kriegs- und Nachkriegskindern lange Zeit als bewältigt, bis sie, in der Regel beim Übergang in den „Ruhestand“, nach ca. 60 Jahren massiv ausbrachen. Sie können, auch ohne eigene Angsterfahrungen, bis in die 3. Nachfolgegeneration weitergereicht, gewissermaßen „vererbt“ werden (Ergebnisse des 1. Kriegskinderkongresses 2005).
    12. Kollektive Traumata, als Bilder im „kollektiven Bewusstsein“ gespeichert, sind außerordentlich zäh und langlebig, und, wenn sie virulent werden, höchst gefährlich. (So konnte ein Milosewicz mit einem über 700 Jahre zurückliegenden Ereignis – Schlacht auf dem Amselfeld – bei Serben nationalistische Hysterie entfachen und „ethnische Säuberung“ und Völkermord inszenieren. Goebbels schaffte es in der „Sportpalastrede“ im Februar 1942, Verzweiflung über die Niederlage bei Stalingrad in eine Art kollektives Delirium und Entschlossenheit zum „totalen Krieg“ umzufunktionieren.)
    13. Verdrängte Traumata bedingen die Unfähigkeit zu rationalem Umgang mit Situationen oder Personen, die in irgendeiner Weise an die auslösende Bedrohungssituation erinnern. Zwischen diesen muss keinerlei innerer Zusammenhang bestehen. (So etwa können Traumata von Unfallopfern durch zufällig vorhandene Gegenstände, die an die Unfallsituation erinnern, reaktiviert werden.)
    14. Die Unfähigkeit von traumatisierten Menschen zu rationalem Umgang zeigt sich in einer aggressiven Grundhaltung, die vom Betroffenen selbst als „Verteidigung“ gegen Angriffe anderer empfunden wird (besonders deutlich im rechtsradikalen Umfeld).
    15. Sprache und Denken sind geprägt durch eine deutliche Dichotomie mit quasi religiösem Anstrich (gut und böse, moralisch und unmoralisch, gläubig und ungläubig). Diese dichotomische Moralisierung einfacher Alltagssituationen oder politischer Zusammenhänge dient der Abwehr ungewohnter und daher verunsichernder Situationen. Sie „schützt“ davor, sich des Traumas bewusst zu werden, indem sie dem Bedürfnis entgegenkommt, sich selbst als Vertreter des „Guten“ zu empfinden. Dies allerdings erfordert notwendigerweise Sündenböcke als Gegenpol: Personifikation der eigenen Urängste in Form des „Bösen“ zum Abbau eigener Frustrationen. Das macht besonders anfällig für Demagogie, die mit Feinbildern arbeitet.
    16. Im politischen Bereich bedeutet dies: Wer anders denkt, lebt oder bestimmte Veränderungen anstrebt, wird als Bedrohung für „Sitte und Moral“ und damit als Feind empfunden, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Da die eigene Befindlichkeit das Hineinversetzen in den andern, also Verständnis nicht erlaubt, können Motive, die dessen Handeln bestimmen, nicht wahrgenommen werden. Es werden generell unlautere Motive unterstellt. Die Auseinandersetzung mit dem zum Feind erklärten Sündenbock verschiebt sich zwanghaft auf eine grundsätzlich „moralische“ oder religiöse Ebene, die nur „gut“ und „böse“, „schwarz“ und „weiß“ kennt.
    17. Der als „Sündenbock“ Auserlesene muss in keinem kausalen Zusammenhang mit den eigenen Urängsten stehen. So können sich Globalisierungsängste sehr wohl in Form von Kommunistenangst äußern. Entscheidend ist, dass der „Sündenbock“ nah ist, sozusagen mit Haut und Haar erlebbar ist, und dass er bestimmte „fremde“ Merkmale aufweist, die als Träger der zu mobilisierenden Ängste dienen. (Auf dieser Grundlage funktionierte die Übertragung von Existenzängsten, die von ungezügeltem Kapitalismus ausgelöst wurden, auf das Erscheinungsbild „des Juden“ durch Joseph Goebbels.)

    Thesen zur Diskussion in Hessen:

    Vorbemerkung: Es liegt auf der Hand, dass die folgenden Thesen, ausgehend von Beobachtungen im Umgang mit Frau Ypsilanti, nur bestimmte Tendenzen erfassen können, die vor allem in der Boulevardpresse verbreitet wurden.

    18. Die emotionalisierte und moralisierende Auseinandersetzung mit dem Kurs der Ypsilanti-SPD weist in mehrfacher Weise Bezüge zu vorstehenden Thesen auf.
    Grundlegend ist die Verknüpfung diffuser Ängste (gleichgültig, ob Globalisierungsängste oder „Erfahrungen“ mit Kommunisten) mit der Linkspartei, die Elemente des Neuen in sich trägt und die Ängste hervorruft, weil man mit ihr nicht umzugehen weiß. (vgl. These 9, 11, 14, 15, 17)
    19. Da der Zusammenhang von Linkspartei mit Kommunistenangst weder im Programm noch in den Personen real begründbar ist, muss sich die „Diskussion“ auf eine völlig diffuse bzw. massiv emotionalisierende „moralische“ Ebene begeben, die „Betroffenheit“ erweckt und nicht nach den realen Ursachen der eigenen Ängste fragt („SED-Nachfolge“, „verantwortlich für Schießbefehl“ u.a.).
    (Typisch hierzu Dagmar Metzger, die ihre „Betroffenheit“ mit Erfahrungen der Vorgängergeneration und dem Wohnsitz West-Berlin begründet. – Das waren ca. 2 Millionen, ich gehöre dazu.) (Vgl. These 8, 9, 13, 16)
    20. Frau Ypsilantis „moralisches Vergehen“ besteht nicht in „Wortbruch“, sondern in Tabubruch:
    Die Tabuisierung der Linkspartei ist für die bürgerlichen Parteien eine existenzielle Frage des Machterhalts. Das Vorhaben, die „Schmuddelkinder“ der Linkspartei an der Regierung zu beteiligen (in Berlin ja längst schon der Fall) bedeutete eine grundsätzliche Weichenstellung in Richtung auf Etablierung eines 5-Parteiensystems, bei dem alle Parteien koalitionsfähig sind. Das wäre keine Katastrophe für das Land gewesen, wohl aber für die Machtsicherung der bürgerlichen Parteien, die (zumindest in Hessen) gegenwärtig nur untereinander koalitionsfähig sind. (Vgl. Stellungnahmen nach der Wahl, die sich auf eben diese Frage konzentrieren.)
    21. Frau Ypsilantis weiteres grundlegendes Vergehen war, eine Frau zu sein. Das Frauenbild, vor allem der katholischen Kirche, ist in besonderem Maße moralisierend (entsprechend ihrer Sexualverdrängung) und trägt deutlich dichotomische Merkmale: „Jungfrau“ hier, „Hure“ dort. Für Zwischentöne ist bei solchen Bildern kein Platz. Für das Männerbild gibt es keine Entsprechung.
    22. Die unterschiedlichen Maßstäbe gegenüber Frau Metzger und Frau Ypsilanti, vor allem in der Boulevardpresse (doch nicht nur hier) erinnern an eben diese Dichotomie von „Jungfrau“ und „Hure“. Besonders in Kreisen, die von solchen „moralischen“ Vorstellungen geprägt sind, eignet sich Frau Metzger zur Heroisierung, Frau Ypsilanti in besonderer Weise als Hassobjekt: hier die „Standhafte“, die ihrem „Gewissen“ treu bleibt (auch „Jungfrauen“ verweigern sich „standhaft“ und bleiben ihrer „Jungfräulichkeit“ treu) – dort die böse „Wortbrüchige“, die uns mit typisch „weiblicher“ Verlogenheit zu einem Bündnis mit einer verwerflichen Partei verführt. (Vgl. These 15, 16, 17))
    (Es liegt auf der Hand, dass dieser Vergleich mit Empörung als „bösartige Unterstellung“ zurückgewiesen werden wird, da es sich um archaische Bilder handelt, deren Existenz in katholischen Verlautbarungen zwar vielfach nachweisbar ist, die aber nicht als für eigenes Handeln relevant erkannt werden dürfen, da hier das eigene Selbstbild auf dem Spiel steht. Es kommt aber bei der Wirkung unbewusster Bilder gerade nicht auf das Selbstbild an.)
    23. Die Rolle von Frau Ypsilanti als Reizfigur und Hassobjekt erfordert, ihr keinerlei Fehler zu verzeihen. „Wortbruch“, über den bei anderen achselzuckend hinweggegangen wird, muss quasi zum Kapitalverbrechen hochstilisiert werden, das nach Bestrafung schreit (wobei, in bildlichem Sinn, dem Wähler die Rolle des Rächers der „Unschuld“ zukommt). (Vgl. These 15, 16, 17, Kommentar von Uwe Vorkötter: „Koch mit Hahn“, FR 19.01.09, S.11)
    24. Frau Ypsilantis Hauptfehler ist mangelnde Voraussicht, was ein Tabubruch unter den geschilderten Bedingungen auslöst und was es bedeutet, zur Reizfigur erklärt zu werden. Nur vordergründig sind für ihr Scheitern „handwerkliche Fehler“ maßgebend: Als Hassfigur und Getriebene sind „handwerkliche“ Fehler unabdingbar, die wiederum als Begründung für moralische Ächtung und „gerechte“ Bestrafung dienen. Sie führen, aufgrund von Enttäuschungen, aber auch zum Verlust der Sympathie bei zunächst Wohlgesonnenen. Ein definitives Urteil über ihre politischen Ziele ist daraus nicht abzuleiten.

    Strategischer Ausblick:

    25. Der Ausgang der vorgezogenen Hessen-Wahl belegt zwar die strategische Überlegenheit der „Sieger“ (im parteitaktischen Sinn), nicht aber die Richtigkeit ihrer Argumentation oder politischen Positionen.
    26. Die halbherzige und teilweise von persönlichen Irritationen bestimmte SPD-Politik gegenüber der Linkspartei (Ausgrenzung auf Bundesebene, Akzeptanz auf Länderebene) wirkt auf Außenstehende unglaubwürdig, weil sie sich einer perfiden Politik der Instrumentalisierung von Grundängsten teilweise anschließt und ihr teilweise widerspricht.
    27. Eine glaubwürdige SPD-Politik ist nicht möglich, solange Teile der Partei aus innerparteilichen Konkurrenzgründen sich einer irrational bestimmten Ausgrenzungspolitik anschließen, die nur den „bürgerlichen Parteien“ nützen kann.
    28. Der oben skizzierten Politik der Instrumentalisierung von Grundängsten kann nur begegnet werden mit einer offensiven Auseinandersetzung mit den Methoden dieser Politik einerseits, mit unausgegorenen Positionen der Linkspartei andererseits, die sich nicht auf Allgemeinplätze beschränken dürfen.
    30. „Tabubrüche“ in Form von Regierungsbeteiligung sind sicherlich notwendig, um die Haltlosigkeit von Angstkampagnen aufzuzeigen. Sie müssen aber gründlich vorbereitet werden. Reale Erfahrungen (wie steht es mit Berlin?) müssen dazu bundesweit publizistisch verwertet und verbreitet werden.

    Werner Engelmann, Luxemburg
    22. 01. 2009

  41. Eine gute Abhandlung.

    Sie stellen aber den Wählern ein zu schlechtes Zeugnis aus, wenn sie glauben, diese würden auf diesen Schmu hereinfallen und sich in dieser Weise von den Werbestrategen der Parteien in die Wahlkabinen treiben lassen.
    Ich finde es auch überzogen, die Hessenwählerei in einen Zusammenhang mit weltgeschichtlichen Ereignissen zu stellen.

    Meine Ablehnung der Linken als Regierungspartei zum jetzigen Zeitpunkt ist jedenfalls keine irrationale Angstreaktion.
    Hessische Politiker lösen lange schon keine Urängste mehr aus.

  42. Sehr geehrte Damen und Herren!

    Interessant, wie Frau (!) Ypsilanti für den Wortbruch abgestraft wird, während die Herren (!) Hahn und Koch im Schafspelz das Bundesland regieren, trotz der einstigen Schwarzgeldaffaire, die man den Herren nachgesehen hat, so als wäre das weniger schlimm. So zu tun, als wären Juden Geldgeber für die CDU gewesen, um Schwarzgeld weißzuwaschen hat der CDU und der FDP, die das unter Hahn in der Landesregierung mitgetragen hat, nicht wirklich geschadet. Aber Frau Ypsilanti hat mit einer gewissen Verzögerung erst erkannt, dass die Republik in der 5-Parteienlandschaft angekommen ist. Ihr hat man diesen Lernprozess nicht zugebilligt. Die SPD kapiert die bundespolitische Relevanz nicht: Die Stimmungsmache gegen diesen einen Wortbruch soll verhindern, dass die SPD sich auf Bundesebene der Realität stellt. Sie kann ohne die Linke nur Juniorpartner der CDU sein, oder in der Opposition weiteren Boden verlieren. Wenn sie das kapiert, dann ist die CDU-Regentschaft gefährdet. Doch die SPD-Führung stimmt mit in den Chor ein gegen die kluge Frau Ypsilanti, die eingestanden hatte, dass sie eine Fehleinschätzung hatte. Fehler machen alle. Wer sie wiederholt, wird unglaubwürdig. Wer lernt, ist mir sympatischer als jene, die es schon immer gewusst haben.

    Mit freundlichen Grüßen

    Bernhard Trautvetter 45136 Essen

  43. Ich möchte noch einmal den Tenor vieler Postings, Medienmeldungen und Kommentare und den angeblichen Volkswillen zusammenfassen:

    1. Andrea Ypsilanti ist an allem schuld.
    2. Sollte Frau Y. einmal nicht schuld sein, tritt automatisch 1) in Kraft.

    Hier wog das gesprochene Versprechen (nein, eine Lüge war es nicht, denn die setzt Vorsatz voraus) schwerer als die Schwarzgeld-Affäre der CDU, die Wahllügen des Roland Koch, der Marsch Hessens noch vor der Finanzkrise in den Schuldenstaat oder die Aufhetzung von Bürgern gegeneinander.

    Das von den 4 (oder auch nur 3, Frau Metzger bekommt mildernde Umstände) Gewissens-Schwerathleten angerichtete Desaster wurde aufgerechnet gegen deren (angeblich durch finstere Elemente in der Parteiführung monatelang unterdrückte) „Gewissensentscheidung“ einen Tag vor der MP-Wahl. Eine andere Politik, und ein anderer Politikstil, für und mit mehr Bildung, mehr Sozialem, mehr und anderer Energieerzeugung und -versorgung, hin zu mehr Nachhaltigkeit in allen Bereichen und vor allem nicht mehr einem MP Koch war weniger wichtig als „das Gewissen“. Wo waren die Fragen an die FDP, hier das Zusammengehen mit der Linkspartei (eigentlich nur eine Duldung) verhindern zu können? Es wurde ein Popanz und ein Gespenst namens SED/Kommunismus aufgebaut. Linke in Hessen, da saß sozusagen Beelzebub mit auf der Regierungsbank.

    Wenn jetzt bei den nächsten Landtagswahlen die SPD weitere Desaster erlebt, ist dann auch Andrea Ypsilanti schuld? Warum fragt niemand, ob sich die Bürger nicht inzwischen fragen, was das für eine Partei ist, deren rechter Flügel sich nur noch marginal von der CDU unterscheidet (und von den Herz-Jesu-Marxisten a la Blüm und Geißler bereits links überholt wird), ferner den nur auf Pöstchen bedachten Netzwerkern wie Nahles und Gabriel, und der marginalisierten Linken – als Aushängeschild für die letzten getreuen Wähler und Reservat der letzten „Getreuen“ bzw. echten Linken wie Dreßler und Schreiner.

    Sicherlich ist es müßig, jetzt noch darüber zu spekulieren, aber ich behaupte, daß eine weiterhin Ypsilanti-geführte SPD mehr als die jetzt eingefahrenen 23,9% erhalten hätte, vor allem durch eine dann höhere Wahlbeteiligung.

    Aber es ist sowieso alles Wurscht. Sollte unser Land in den Staatsbankrott treiben, wird die Frage nach der Schuld Einzelner sowieso nicht mehr gestellt. D.h., das es dann egal ist, ob eine Andrea Ypsilanti oder ein Roland Koch mehr in die Segel gepustet haben.

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